Bruno Frank
Cervantes
Bruno Frank

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Straßenkreuzung

Sieben Stunden war er schon unterwegs, bald auf dem Maultier, bald nebenher. Es ging gegen Mittag. Wenn man ihm in der Stallung gut berichtet hatte, mußte jetzt bald der Weg nach Toledo abzweigen.

Er hatte einen Umweg gemacht, um ein Stück weit die Straße nach Aranjuez zu benützen. Aber das war ein Unsinn gewesen. Denn obgleich der Hof sie fuhr, war auch sie voll tiefer Löcher und so kalkstaubig, daß er auf den Flanken seines Maultiers hätte schreiben können.

Man hatte ihm ein hübsches, kräftiges Tier vermietet, mit ganz ausnehmend langen Ohren, die es im Hinschreiten ausdrucksvoll bewegte, Kopf, Mähne und Schweif mit Troddeln geschmückt und mit Bändern durchflochten, die frühmorgens buntfarbig gewesen waren, jetzt aber alle ein gleichmäßiges Weißgrau angenommen hatten.

Vielleicht hätte er doch in dem Wirtshaus bleiben sollen, um die kühlere Tageszeit abzuwarten. Aber es war eine jammervolle Baracke gewesen, ein nacktes schadhaftes Ziegelloch mit einem kahlen Tisch und drei Schemeln, und die Wirtsleute ein so schmutziges, strolchhaft anmutendes Gesindel, daß er seine sechs Maravedis »fürs Niedersitzen« im Stich gelassen hatte und weitergezogen war. Nicht jede Unterkunft durfte ihm heute recht sein. Er reiste nicht allein.

Etwas regte sich in dem linken der beiden Tragkörbe, die seitlich vor dem Sattel herniederhingen. Er schlug im Gehen die leinene 265 Überspannung zurück. Ganz niedlich angezogen lag da die kleine Isabella. Sie hob ein wenig das Köpfchen und blinzelte in das weiße Licht.

Sie war der Anlaß zu dieser beschwerlichen Reise. Cervantes brachte sie nach Toledo.

Seit jenem Mittag im Mai, da er sich plötzlich allein mit dem Säugling gefunden hatte, waren noch nicht drei Monate vergangen. Verschwunden blieb Ana Franca. Auf zweifelhaften Umwegen hatte ihn einmal unbestimmte Nachricht erreicht, danach sollte sie in Gesellschaft jenes Rodriguez in andalusischen Städten gesehen worden sein. Das war alles. Das blieb auch alles. Man konnte im weiten, schlecht verwalteten Spanien vorzüglich untertauchen. Jede größere Stadt hatte ihr berüchtigtes Viertel, um das die Polizei einen Bogen machte. Wo überall hätte Cervantes sie suchen sollen? In Valencia um den Olivenmarkt, in den Percheles von Malaga, am Fohlenbrunnen von Cordoba, in Granada bei der Rotunde? Das war aussichtslos. Noch aussichtsloser war, sie zurückzugewinnen, wenn er sie fand. Am aussichtslosesten, mit ihr zu leben.

Er hatte allmählich Übung darin, die Zähne zusammenzubeißen. Es war sogar nicht ohne Humor, so allein dazustehen mit einem Wickelkind im Arm. Er fand eine Amme. Isabella gedieh. Als aber die Bäuerin merkte, daß dieser Hidalgo an seinem Töchterchen hing, begann sie unverschämt zu fordern.

Andrea bot sich an. Sie werde das Kind mit der Flasche großziehen. Es lägen von ihrer eigenen 266 Kleinen her noch Kleidchen und Wäsche im Schrank.

Aber das wollte er nicht. Er liebte die arme Andrea, und Vorurteile waren ihm fern, und ihren Tafft hatte er auch versetzt. Aber dies wollte er nicht. Andrea begriff, unter Tränen, die immer locker bei ihr saßen.

Da war, sehr gelegen, Nachricht aus Toledo gekommen. Die Mutter schrieb. »Bring das Kleine zu mir her, mein Miguel,« schrieb sie, »es wird mich an die vergangene Zeit erinnern, da Du selber klein warst und ungebärdig. Auch aus einem andern Grunde wäre es gut, wenn Du kämest. Es könnte von günstiger Wichtigkeit für Dein Leben sein.«

Das klang verheißend. Eine »günstige Wichtigkeit« konnte er wahrlich gebrauchen. Die »Galatea« hatte geringen Erfolg gehabt, gerade in diesem Jahr kaufte das Publikum wieder mehr Ritterbücher als Schäferromane. Der Gönner Colonna hatte sich auch als ziemlich schäbig erwiesen. Miguels Geld ging zu Ende.

Er hatte sich mit seinem Letzten ein Reittier gemietet, hatte in den linken Sattelkorb Isabella, in den rechten einen Schlauch mit Milch und einen mit Wein, dazu Brot und Käse gepackt, und war um vier Uhr morgens von Madrid aufgebrochen.

Da war nun die Kreuzung. Rechts ging es ab nach Toledo. Man konnte den schlechten Weg weithin verfolgen über die schattenlose, gewellte Fläche hinweg. Sieben, acht Stunden Reise lagen 267 noch vor Cervantes. Es war, um mutlos zu werden.

An der Kreuzung stand eine einzelne, vom Sturm schräg gekämmte Pinie, die einen dünnen Schatten warf. Er machte Halt und nahm behutsam die Tragkörbe herunter. Das befreite Maultier machte sich sogleich daran, die verbrannten Gräser zu rupfen. Die staubigen Troddeln und Bänder fielen dem Tier über seine dunklen, feurig schielenden Augen.

Cervantes nahm Isabella auf den Schoß, stützte ihr Köpfchen mit seinem Handstumpf und gab ihr Milch. In langen, ruhigen Zügen trank das Kind. Es hatte ein merkwürdig fertiges Gesicht, das aber nicht hübsch zu heißen war. Allzu hart stieß das mütterliche Element mit dem väterlichen zusammen. Die runden, grünen Augen, die sehr nahe neben dem kräftig gebogenen Näschen lagen, gaben dem kleinen Gesicht etwas Vogelhaftes, das beinahe unheimlich wirkte.

Isabella schmatzte befriedigt, als sie getrunken hatte. Cervantes legte sie in ihr Kissen zurück und bettete sie an die kühlste Stelle. Dann hing er dem Maultier den Futtersack um.

Er wollte sich auch selber ein wenig stärken. Aber er war zu müde dazu. Er setzte sich nieder und lehnte den Kopf an den rissigen Stamm.

Es war eine harte und starre Landschaft, über die sein entfremdeter Blick ging. Fahl, eintönig alles, von einem gnadenlosen Sommer die Erde zerrissen und zerklüftet. Hier sengte die Sonne wie über afrikanischen Steppen, hier raste 268 Eissturm fünf Monate lang. Kein freundlicher Übergang, nichts von Milde und Güte, nur ein Äußerstes kannte dies Land. Selten, geduckt, ein Lehmziegelhaus, selten ein nährendes Feld, im Juni schon abgeerntet. Piniengruppen manchmal, mit schiefliegenden niedrigen Stämmchen. Dürre Flecken am Boden von Spartkraut, Salzkraut und Glaskraut, wie Flecken einer zehrenden Krankheit.

Dies war Kastiliens verbranntes Herz. Kastilien war von Spanien das Innerste. Vielleicht war der Kreuzweg hier zwischen Toledo, Aranjuez und Madrid genau Spaniens Mitte. Um Spanien aber kreiste die Welt. Er saß hier mit seinem Kinde im unerbittlichen Herzen der Welt.

Der glühende Mittag drückte ihm die Lider zu.

Unbestimmtes, gleichmäßiges Geräusch drang in seinen Halbschlaf, ein leierndes Summen, das sich zu nähern schien. Hundert Schritte entfernt, nach Aranjuez zu, hob sich die Straße ein wenig und ging über einen staubigen Hügel. Von dorther kam es. Und schon zeigte sich auch, herübertauchend über die Welle, eine farbige Spitze.

Es war auf hohem Grauschimmel ein Wappenherold, der das rotgelbe Banner trug. Über sein schönes Gesicht unter der hängenden Samtkappe lief in glänzenden Strömen der Schweiß. Von seinen Schultern hing steif und viereckig ein bunter Brokatüberhang, darauf in schräger Anordnung zweimal der Löwe von Leon und zweimal der kastilianische Turm golden hervortraten. Er hielt sein Pferd im langsamsten Schritt. Denn 269 hinter ihm kamen nur Fußgänger. Mönche zuerst, sechs an der Zahl, barfuß und barhaupt, jeder das Kreuz in den Händen, im Singsang ausharrend auf ihrem glühenden Wege. Und dann kam die Sänfte.

Sie war einfach ein lederbezogener Tragstuhl mit einer leinenen Plane darüber als Schutz; vier Diener trugen sie. Mönche schritten auch wieder zu ihren Seiten, ihre betenden Gestalten hielten ein wenig den Staub ab von dem, der hier reiste. Ablösungsbereites Gesinde folgte. Ein Pikett von Gewaffneten machte den Schluß.

Cervantes hatte sich auf ein Knie niedergelassen und erwartete so den Zug. Deutlich sah er, mit welcher Vorsicht die tragenden Diener verfuhren: behutsam, immer den Blick auf dem löcherigen Boden, setzten sie ihre Füße und preßten die Lippen zusammen vor Konzentration.

Bei der Kreuzung, unmittelbar vor Cervantes, hielten sie an. Ohne daß ein Kommando zu hören war, vielleicht auf ein Zeichen des Herolds, setzten sie sacht den Tragstuhl zu Boden, traten zurück und ließen der Ablösung ihren Platz. Die Litanei der Barfüßer dauerte fort. Der auf dem Tragstuhl schlummerte und erwachte nicht.

Cervantes hätte nicht gedacht, daß er ein Greis sei. Der Bart, den er ziemlich lang trug, war schon ganz weiß, krankhaft entfärbt das Gesicht, die geschlossenen Lider wie vom Weinen gerötet. Sein linkes Bein, in schwarzem Strumpf und Schuh, hing herunter, das rechte aber, das wohl gichtkrank war, lag dick umwickelt gerade vor ihm 270 ausgestreckt. Sonst war er an diesem brennheißen Reisetag angekleidet wie für den Staatsrat, schwarz war die Seidenmantille über dem schwarzen Samtrock, schwarz der sehr hohe, randlose Zylinder aus geripptem Filz, der gerade und steif auf dem wächsernen Haupte saß. So wurde Der, dessen Antlitz er oft vergeblich gesucht hatte, schlafend vor Miguel Cervantes hingestellt.

Der Aufenthalt dauerte nur einen Augenblick. Schon hoben, mit einer gleichmäßigen, festen und sanften Bewegung, vier neue Träger die Sänfte. Das Pferd des Wappenherolds griff langsam aus. Ein leises Scheppern und Klirren ward hörbar, als am Ende die Gewaffneten vorüberschritten. Auf den knienden Landfahrer unter dem Baum hatte niemand geachtet.

Da aber schrie Isabella. Sie hatte in ihrem Kissen den Kopf etwas aufgerichtet und stieß ein kreischendes Gejammer aus. Sie schrie sonst beinahe niemals. Dies war ein Anfall. Schon war das kleine Gesicht rot angelaufen, sie riß den Mund auf, man sah ihren rosigen Rachen.

Er wollte sie aufnehmen, sie beschwichtigen. Aber ihr ganzer kleiner Körper bäumte sich und machte sich steif, mit einer Kraft die erschreckend war. Wie außer sich, völlig verzweifelt, brüllte sie hinter dem Königszug her, der sich in einer weißen Staubwolke betend und waffenklirrend entfernte. 271

 


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