Bruno Frank
Cervantes
Bruno Frank

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Aufatmen

Die Winterreise durch Kastilien und durch die öde, menschenleere Estremadura war hart. Aber in Portugal blühten im Februar schon die Orangen. Eine mildere, zärtliche Luft umwehte den Geprüften. Hier war gut atmen. Eine Ahnung von Ausruhen, Sorglosigkeit, von Glück umfing sein Herz.

Er fand den König in Tomar.

In Trauerkleidung war Philipp in Portugal eingezogen. Aber wenn er Trauer fühlte, so hielt sie nicht Stand. Der größte Erfolg seiner Laufbahn, unabsehbar noch in den Ausmaßen, war ihm zu Teil geworden. Er hätte glücklich sein müssen, er war es beinahe. Jetzt und hier, zum ersten und einzigen Mal, hielt er inne und ließ seine Hände sinken.

Die lusitanische Landschaft, weich und innig, der wilden Kontraste Spaniens entratend, sprach auch zu ihm, dem aktenhäufenden Mönch. Er sah Portugal wie ein Mensch, der Augen hat um das Schöne zu sehen, eine Brust um den Duft der Schöpfung zu atmen. Die Briefe an seine Kinder daheim waren voll von Ausflügen, Blumen und Nachtigallen. Manchmal freilich erzählt er dazwischen von einer Ketzerverbrennung und schickt ihnen auch die Liste der Ketzer, »damit sie wissen, welche es waren«.

Er hatte kaum nötig gehabt, sein neues Reich zu erobern. Dieser Zug nach Portugal war ein Spaziergang in Waffen.

Hier war ein junger König, vor Unternehmungslust tollkühn, im Kampf gegen die 233 Marokkaner gefallen, kurz nach ihm erlosch auch sein Haus. Unter den Thronanwärtern war Philipp. Seine Ansprüche waren nicht schlechter als die der anderen, seine Macht überlegen. Leicht zersprengte sein Heer jede feindliche Ansammlung, der Adel des Landes trat zu ihm über, Portugal war Spaniens Provinz.

Wie im Traum, wie im Spiel, war hier Großes erreicht. Geschlossen die Halbinsel nun als ein Königreich, nach fast tausendjähriger Zerspaltung ein Mann Herr zwischen dem Pyrenäenwall und den Meeren. Aber viel mehr noch: Portugals Kolonien fielen König Philipp anheim.

Ein unermeßliches Weltreich war so gebildet. Zu Westindien, Mexico und Peru tritt neuer, breiter, kostbarerer Besitz. Brasilien wird spanisch. Rund um ganz Afrika weht Philipps rotgelbe Flagge; in Arabien Maskat, in Persien Ormuz, in Ostasien Goa, Kalkutta, Malakka, Java, Macao sind sein. Lissabon ist nun seine zweite Hauptstadt: nach Paris die volkreichste christliche Siedelung, der bedeutendste Handelsplatz auf der Erde. Nicht allein die Gold- und die Silberländer gehören ihm jetzt, ihm zinst das Holz aus Brasilien, Madeiras Zucker, der Teppich aus Persien, die chinesische Seide, Indiens Gewürz. Erschrocken blicken Elisabeth in Westminster, die Medici im Louvre, der venezianische Doge, auf diese Zusammenfassung von Macht und Reichtum in eines Menschen Hand.

Denn dies schien unbesieglich und unzerstörbar. Wer konnte aufstehen gegen ein 234 Großspanien, das durch Berge und Wogen und durch ein eisernes Heer geschützt war, gegen einen Großkönig, der buchstäblich über die Schätze der ganzen Erde gebot! Was konnte – dennoch – diesen Weltherrscher dahin bringen, daß er um Geld betteln mußte bei seinen Untertanen, Bergwerk und Ernte verpfänden, daß in Lyon und Mailand, in Antwerpen, Augsburg und Genua es kein Bankhaus gab, in dessen Buch er nicht stand, daß er in zwanzig Jahren zweimal Staatsbankerott ansagte und das ganze Finanzsystem Europas mit sich in den Abgrund riß, daß er, der übergenaue, pedantische Rechner, sein Volk in beispiellose Armut stieß, es ausgeblutet, erledigt, als ein Bettlervolk hinterließ? Was mußte geschehen, um das zu erreichen? Welchen Geistes mußte man sein?

Nun eben des Geistes allein und nicht des Lebens! Des Geistes, dem irdische Wohlfahrt und irdisches Glück nichts gelten, überhaupt das Irdische nicht. Der Pflug und Hammer verschmäht, nur Kreuz umklammert und Schwert, der in phantastisch verzücktem Ehrgeiz ein Ziel nur kennt: Einheit und Reinheit des Glaubens über die Völker hin, den universalen Sieg des heiligen Buchstabens.

König Philipp war ein Weltreich mehr in den Schoß gefallen. Aber wie wenig ist das, wie gar nichts, wenn man das Unbedingte will, das ganz Unmögliche, wenn man ein Leben lang gegen Übergewaltiges anrennt, bis zur Erhabenheit und bis in den Wahnsinn!

235 Cervantes fand den König in Tomar.

Aus dem winzigen Städtchen, das voll von Militär und Hofleuten war, blickte er hinauf zu der thronenden Ordensburg der Christusritter, wo Philipp Quartier genommen, und das Ohr des Königs schien ihm so unerreichbar als jemals. Aber die ersten Personen, die ihm im Städtchen entgegentraten, waren zwei Edelleute in bevorzugter Stellung, mit denen er aus Algier vertraut war. Und er befand sich noch nicht zwei Stunden am Ort, so begegnete er jener eleganten Madrider Dame, Frau eines Palastbeamten, die mit ihm zugleich in Dali-Mamis Hände gefallen war. Sie erkannte ihn sogleich – zu seinem Schrecken, denn ihre Ziererei war mit den Jahren nicht verlockender geworden. Sie präsentierte ihn ihrem Gatten und brachte geläufig, nicht zum ersten Mal offenbar, sein ritterliches Verhalten auf Deck der »Sol« in Erinnerung. Cervantes lächelte: er sah sich wieder jenem Korsaren ein Bein stellen, so daß der platt neben der Dame zu Boden schlug... Ihr Ehemann verbeugte sich tief vor Cervantes und bot aufrichtigen Tons seine Dienste an. In Madrid hatte ihn niemand kennen wollen, hier in Portugal fand er sich am ersten Abend im Mittelpunkt eines freundwilligen Kreises. Jeder dachte für ihn. Man wies ihm die Wege.

Am dritten Tage schon wurde ihm eine Gnadengabe des Königs in Höhe von fünfzig Dukaten überreicht.

Sie mochte seinen Empfehlungen zu verdanken sein, einer milden Regung des Königs, ein wenig 236 dem Zufall. Aber eine Woche darauf erfolgte mehr. Er erhielt einen königlichen Auftrag. Der Auftrag war ehrenvoll.

Der Gouverneur von Oran sollte zum Ordensritter von Santiago ernannt werden. Cervantes sollte das Handschreiben überbringen. Hundert Dukaten Reisegeld wurden ihm ausbezahlt.

Es war die Mission eines Botschafters – oder die eines Briefträgers, man hatte die Wahl. Cervantes zweifelte nicht. Dies konnte nur eine Vorstufe sein, der erste Schritt zu bedeutender Stellung im Dienste der Krone! Er war ein Mensch der schweifenden und ausschweifenden Phantasie. Sein Glaube an das Leben, immer Lügen gestraft und endlich zurückgedrängt, brach mit aller Kraft vor. Er wurde nun reich. Reich zu sein würde er nicht mehr aufhören. Die 150 Goldstücke, die er empfangen, waren nichts als eine winzige Anzahlung, weniger als das: ein Taschengeld. Er sah sich mit einem hohen Ratsposten belehnt, als Diplomaten, als Inhaber eines Regiments. All dies waren so hoch bezahlte Stellungen, daß auch den Seinen eine überreichliche Existenz gewährleistet war. Andrea... Er war seiner Sache so sicher, daß er nicht daran dachte, jetzt Geld nach Madrid zu schicken. Was er besaß, das brauchte er für den Augenblick. Es war sogar wenig.

Um den Hof in Tomar hatten sich sehr rasch die Luxuskrämer gesammelt, Genuesen zumeist. Er kaufte einen flandrischen Überkragen mit Spitzenbesatz und einen besonders eleganten Hut, dazu versilberten Degen und versilberten Dolch. Er 237 reiste für seinen Monarchen, vermittelte zwischen ihm und dem afrikanischen Statthalter, es wäre sehr unschicklich gewesen, sich im Äußeren zu vernachlässigen. Ihm war die Last vieler Jahre von den Schultern gefallen. Er trank den ersten Becher des Glücks erhitzt, wie ein ungeduldiger Knabe.

Sein Schiff ging von Cartagena. Er flog, mit gestellten Pferden, durch Andalusien, sah wie unter rosigen Blitzen die Städte Sevilla und Cordoba. In tiefeingeschnittener Meerbucht lag seine Galeere bereit. Nur auf ihn schien gewartet worden zu sein. Als er an Bord trat, grüßte die gesamte Besatzung mit dem dreimaligen Uh-Ruf, der hochgestellten Personen galt. Einen Nachmittag und eine Nacht strich man durch sanfte, schmeichelnde Fluten, im Morgenlichte lag man vor Oran.

Dies war die Stadt, die er in langer Felsenwanderung einst vergeblich zu erreichen gehofft hatte. Nun trug ein Windhauch ihn her oder der Worthauch eines fürstlichen Beschützers. Endlich war aller Qualen ein Ende. Nie war er so leicht geschritten wie die steile Hafengasse hinauf und auf schwankender Brücke über die Schlucht, zur »Roten Festung«, dem Sitz des Gouverneurs.

Der gebrechliche alte Offizier bewillkommnete Cervantes wie einen Himmelsboten. Dieses Handschreiben brachte ihm mehr als nur eine Ehrung. Er befand sich in ewiger Geldnot, eine zahlreiche und nichtsnutzige Familie in Spanien zehrte an ihm. Mit dem Rang als Jagoritter aber war der Genuß einer jährlichen Rente verbunden, 238 viertausend Taler in seinem Fall. Das war ein sorgloses Alter, war die gestillte Familie. Tränen flossen dem General in seinen gefärbten Bart.

Am Abend gab es ein Festmahl. Man trank einen feurigen Valdepeñas, seit Langem aufgespart. Don Miguel de Cervantes Saavedra saß bequem und selbstverständlich unter den Herren, mit höchster Aufmerksamkeit angehört und bedient.

Nach Tisch nahm der Gouverneur ihn beiseite, um ihm sein Herz auszuschütten. Endlich war die Gelegenheit da! Er zweifelte nicht, daß dies der gerade Weg sei zum Ohr der Majestät. Er wollte ganz aufrichtig sein: man lebte in Oran wie in einer belagerten Festung. Noch immer führten die Gouverneure den Titel eines »Generalkapitäns für das Königreich Tlemcen«. Aber er hätte nur einmal wagen sollen, sich in Tlemcen zu zeigen! Keine zehn Meilen weit, keine drei, traute er sich mit seinen Soldaten hinaus aus Oran. Er war schon glücklich, wenn er mit genauer Not noch die Stadt hielt. Allzusehr wahrhaftig wurde man von Madrid aus vernachlässigt. Der Sold für die Truppen blieb aus, seit Monaten war man fast ohne Munition, siebzigjährig waren die meisten Kanonen, man durfte sie überhaupt nicht bewegen, sonst krachten Gestelle und Räder zusammen. Wie es denn zu erklären sei, daß gerade an Oran so gespart wurde? Der Herr Gesandte möge es doch nicht fehlen lassen an ehrerbietiger Vorstellung!

Cervantes hörte, stimmte zu und versprach. Er 239 wußte am besten, was an Afrika versäumt wurde. Er hatte es am eigenen Leibe erfahren. Abhilfe war nötig, er sah es ein. Er glaubte, so ernst wie der Gouverneur, an seine Mission.

Seine Einbildungskraft trug ihn weit. Nachts im gewölbten, steinernen Schlafgemach träumte er deutlich, der König habe ihm eine Flotte vertraut, um Afrika zu erobern. Algier, Dschidschelli, Tabarca, Tunis entriß er dem Halbmond... Er sah sich selber wie eine Galionsfigur auf seinem Admiralsschiff die Küste entlangfahren, und das rotgelbe Banner in seiner Faust streifte die Felsen.

Der König war in Lissabon, als Cervantes zurückkehrte. Er begab sich in das weitläufige, schlecht gebaute Palais. Ein Hofsekretär nahm ihm das Dankschreiben des Gouverneurs ab, schenkte Cervantes einen zerstreuten Bück und versah den Brief mit Aktenzeichen und Nummer.

Er zog sich zurück. Er wartete. Nichts mehr erfolgte. Er meldete sich. Er bat um Audienz. Er erhielt keinen Bescheid. Er suchte die oberen Ämter auf. Man kannte ihn nicht. Er stieg zu den Subalternen hinab. Man hieß ihn im Vorzimmer warten. Er saß viele Stunden wie vordem sein Vater.

Er erinnerte sich seiner adeligen Freunde. Sie waren kühl. Er suchte den Palastbeamten und seine Gattin. Sie waren zurück in Madrid. Er wechselte sein Quartier, suchte ein billiges auf, endlich eine Spelunke. Er ging umher im volkreichen Lissabon, ohne einen Maravedi in seiner Tasche. Die Spitzen an seinem Kragen gingen in Fetzen. 240 Er trennte sie ab. Er verkaufte seinen silbernen Degen und seinen silbernen Dolch, um das Reisegeld nach Madrid zu bekommen. Es reichte nicht. Er borgte mühselig, was noch fehlte.

Er war kein Botschafter gewesen, nur ein Briefträger. Mit 150 Dukaten galt er als endgültig abgefertigt. Wahrscheinlich war die ganze Mission nach Oran nur ein Vorwand gewesen, um die Zuwendung ordnungsmäßig buchen zu können. 241

 


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