Bruno Frank
Cervantes
Bruno Frank

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Ana Franca

Sie behauptete, die Tochter eines Herrn vom Hofe zu sein, und nannte sich de Rojas, Ana Franca de Rojas. Wahrscheinlich aber war ihr Vater ein deutscher Soldat gewesen, die Leute behaupteten es, und ihr blondes Haar sprach dafür. Ihre Mutter verkaufte unechten Schmuck und billigen Weiberputz in einem Durchgang an der Calle de Toledo. Das wurde Cervantes gleich am ersten Abend ins Ohr geflüstert.

Er hütete sich sonst vor den Frauen im »Wappen von Leon«, aus Furcht, eine einladen zu müssen. Heute stieg er ohne Weiteres über zwei Männer hinweg, die neben ihr auf der Bank saßen, schob die Erstaunten beiseite und begann zu reden. Geschmeichelt von einer so augenscheinlichen Wirkung ihrer Person, lächelte die Blonde ihn an. Er ließ sie nicht erst zu Wort kommen, das hatte Zeit, und unterhielt sie in einem erprobten Ton zwischen Huldigung und Ironie. Er bestellte Früchte und Kuchen und dazu einen süßen Tarragona, und er tat es so ungezwungen, daß der Wirt zu der Meinung kam, er könne bezahlen, und alles herbeibrachte. Man war still geworden am Tische und hörte verwundert diesem sonst schweigsamen alten Soldaten zu, der eine lustige oder aufregende Geschichte nach der andern erzählte. Mit Entzücken atmete er ihre Nähe ein, den Duft ihrer hellen Haut und den eines billigen, etwas scharfen Parfüms, das ihm köstlich erschien. Sie war stolz zu sehen, in welche Unkosten sich dieser fremde Herr für sie stürzte, es dauerte keine Stunde, so fühlte er unterm Tisch ihr Bein an dem 250 seinen. Es durchfuhr ihn, daß er den Atem verlor und sich zurücklehnen mußte.

Im ersten Moment, noch unter der Tür, hatte er geglaubt, die Venezianerin Gina zu sehen, an die er gewiß zehn Jahre lang nicht gedacht hatte. Aber die Venezianerin Gina war jetzt schon alt. Die hier war jung, herrlich jung, keine zwanzig. Auch stellte sich die Ähnlichkeit gleich als oberflächlich heraus. Das helle Gesicht hier war nicht so breit, Nase und Mund viel eigenwilliger gezeichnet, auch das Blond war ein andres, ein trockenes Lichtgold. Etwas Verwandtes lag vielleicht in den graugrünen Augen oder vielleicht nur im Blick. Dieser Blick hatte eine sonderbar erregende, messende Kälte, von Güte sprach er nicht.

Es wurde spät. Die Posada war fast schon geleert. Sie standen miteinander auf. Als sie bei der Tür waren, näherte sich der Wirt mit einem fragenden, beinahe drohenden Gesicht. Miguel griff in die Tasche, raffte zusammen was da klapperte, und drückte es ihm in die klebrige Hand, ohne zu wissen, ob es zu wenig war oder zu viel.

Es war eine Septembernacht, und der Mond schien. Wie sie neben ihm herging, sah er, daß sie kleiner war, als er geglaubt hatte. Sie erschien schlank, aber unter dem alten Schal, in den ihre Büste gewickelt war, unter dem unmodisch engen Rock, ahnte man eine feste und volle Frau. Sie ging mit jener federnden Leichtigkeit, die Wollust verspricht. Als man vor dem schlechten Tor ihres Hauses angelangt war, blieb er vor ihr stehen 251 und umschlang sie. Sie leistete gar keinen Widerstand. Zum ersten Mal seit langer Zeit betrauerte er seine Hand. Es schien ihm bitter, nur mit der einen umfassen und streicheln zu können.

Man fand leicht zueinander und verließ einander leicht in diesen Gassen rund um die Lügenbank. Am dritten Tage schon wohnte sie in seiner Kammer am Matute-Platz, eine zweite, noch kleinere, die anstieß, hatte er hinzugemietet. Da der Hausherr Vorauszahlung wollte, schrieb er die beiden ersten Gesänge seiner »Galatea« ins Reine, eilte damit zu Robles und brachte zehn Taler zurück.

Ana Franca hatte offenbar keinerlei Beziehung zu lösen gehabt, als er sie zu sich nahm. Alles ging rasch und verantwortungslos. Sie war eine von den losgerissenen Kreaturen, die die Männer einander zuwarfen wie bunte Bälle; mit fünfunddreißig war man dann plötzlich alt und erledigt, tat Hehler- und Kupplerdienst oder verkaufte Kram an den Ecken. Die Ana Franca brauchte eine ganze Weile, um zu erkennen, daß hier etwas Ernstliches vorlag, daß einer sie liebte.

Er saß in der Seitenkammer und schnitzte an seinem Roman. Zum Verzweifeln langsam ging diese Arbeit. Da gab es Sätze, die er siebenmal umschrieb. Und mit den Versen war es noch schlimmer. Was er da zusammenreimte, blieb holperig und ohne Melodie. Jedoch ein Dichter war nur, wer Verse zu schreiben wußte. Und also war er kein Dichter. Keine innere Beziehung zu 252 seinem Gegenstand stellte sich ein. Das war auch nicht möglich, und er verlangte es nicht. Er wollte Erfolg haben. Er wollte bezahlt sein. Er träumte von einem gestickten Reifrock für die Ana Franca, von einem Schminkkasten, den sie sich wünschte.

Sie lag nebenan im Bette und knabberte billiges Zuckerwerk. Das war die Existenz, die sie liebte, und darüber hinaus gab es nichts. Ihr war es fast schon zu viel, daß sie gegen Mittag aufstehen mußte, sich notdürftig ankleiden und Rüben, Gewürz und ein wenig Hammelspeck einkaufen, um dann auf der Herd-Ecke bei der Hausfrau irgendetwas zusammenzurühren.

Ihm schien es genug, daß sie da war. Ein nicht zu zähmendes Verlangen riß ihn immer von neuem zu diesem frischen und kernigen Frauenleib, den auch der Müßiggang nicht erschlaffte. Er trank sich nicht satt an ihrem Geruch, der von einer scharfen Süße war. Und der immer fremde und messende Blick dieser graugrünen Augen stachelte ihn zu langer Raserei, die kaum mehr seines Alters war.

Er legte sich nicht die Frage vor, ob dies dauern könne, was einstmals übrig bleiben werde nach dem Begehren. Es würde nicht verebben, dies war ewig. Er hatte die Frau seines Lebens gefunden. Er hielt das Glück.

Ihr armes und enges Gespräch unterhielt ihn wie Weisheit und Witz. Nie fiel es ihm ein, von seiner Beschäftigung zu ihr zu reden. Wochen vergingen, ehe er wußte, ob sie überhaupt lesen 253 konnte. Sie hatte es einmal gelernt und es beinahe wieder vergessen.

Es kümmerte sie nicht im Geringsten, was er dort drinnen trieb in der Kammer. Männer schaffen auf irgend eine Art das Geld zur Stelle, das die Frauen verbrauchen. Dieser schrieb mit der ihm verbliebenen Hand.

Anders verhielt es sich mit dem Theater. Das war ein Begriff für sie. Ein halbes Jahr war es her, da hatte sie bei Velazquez auftreten dürfen. Man hatte ihr eine englische Sklavin zu spielen gegeben, vermutlich ihrer blonden Haare wegen. Eigentlich war es kaum eine Rolle. Sie hatte nur halbnackt zu knien gehabt und Geißelhiebe zu empfangen, die eine eifersüchtige Favoritin ihr zudiktierte. Aber diese zehn Bühnenminuten an zwei Abenden hintereinander hatten genügt, um eine dauernde Lüsternheit nach dieser Welt in ihr zu hinterlassen. Theaterspielen, das hieß: in fremdartigen Gewändern oder noch besser entblößt da oben agieren, während ein heißgedrängtes Parterre von Männern die Augen aufriß und stumme Hochzeit mit einem feierte.

Miguel glaubte ihr eine Freude zu machen, wenn er ihr einen Platz auf der vergitterten Galerie erstand. Aber sie kam jedesmal in schlechter Laune zurück und beklagte sich über die frechen Frauenzimmer, die sich nach vorne gedrängt hätten, so daß sie nichts hatte sehen können. Von den Stücken, die da gespielt wurden, wußte sie weniger zu sagen. Und als sich Cervantes eines Abends überwand und sie, nicht ohne eifersüchtiges 254 Herzklopfen, im »Wappen von Leon« dem großen Lope gegenübersetzte, da blieb dieser Berühmte ganz ohne Eindruck auf Ana Franca. Wahrscheinlich dachte sie, daß die lustigen oder traurigen Gespräche, die die Schauspieler da oben führten, von ihnen selber zusammengestellt würden. Denn die Komödianten, die in der Kneipe verkehrten, verfolgte ihr Blick mit scheuer Bewunderung, ihre tönenden Stimmen fand sie schön, ihre feierlichen Gesten von großer Vornehmheit. Und öfters tauchte in ihren Reden der Name eines gewissen Alonso Rodriguez auf, der eine Weile im Spielhof zum Kreuz aufgetreten war, aber nun nach Valencia abgegangen. Dieser Rodriguez hatte ihr damals auch die Statistenrolle verschafft, auf die sie als auf den glänzenden Höhepunkt ihres Daseins zurückblickte.

Ein Nachmittag kam und ein Abend, da kehrte Ana Franca nicht nach Hause zurück. Miguel wartete. Er verwartete auch den folgenden Tag, ratlos, trostlos, geschlagen. Es war kein Grund zu ersehen, kein Streit war vorausgegangen. Endlich am dritten Mittag erschien sie, das Gesicht notdürftig hergerichtet, fremden Geruch in den Kleidern. Sie verbitte sich jede Szene, erklärte sie augenblicklich und vorbeugend, dazu besitze er nicht das mindeste Recht. Er biete ihr nichts. Ob das eine Art sei, wie sie herumlaufen müsse. Wozu es tauge, da draußen in der Kammer zu hocken und immer mit tintenklecksigen Fingern ins Bett zu kommen, wenn sie heute, nach vier Monaten, noch kein neues Kleid, keinen Schal, keinen noch 255 so kleinen goldenen Ring aufzuweisen habe. Nein! er möge jetzt gefälligst seine eine Hand von ihr weglassen.

Es war klar, daß sie nachplapperte. Man hatte ihr eingeheizt, die Mutter vielleicht, eine Freundin, oder ein zufällig aufgetriebener Galan.

Und da fiel Cervantes das Elend an. Er zitterte vor Eifersucht und vor Beschämung, nicht geben zu können. Ihm kam zum Bewußtsein, an wen sein Herz da gefallen war. Aber es war zu spät, er konnte nicht los. Hier half kein Ruck und kein Schnitt. Und so begann er, zu reden. Niemals hätte er gedacht, daß er eines Tages so reden würde. Er drang in sie. Er rüttelte an ihr. Er suchte umsonst aus dieser verführerischen Form einen Funken zu schlagen. Sie schaute ihn aus ihren messenden Augen verwundert an. Sie verstand garnicht, was er meinte. Endlich zog sie ihn mit geringschätziger Gewährung an ihre feste, weiße Brust. Was konnte er mehr wollen, wovon sonst redete er. Und er, sogleich besiegt und voll Scham, nahm durstig, was sie ihm hinbot.

Als er am andern Tag über dem dritten Buch der »Galatea« saß, merkte er plötzlich, daß er eine Weile fast ohne Bewußtsein und Kontrolle fortgeschrieben hatte. Eine der üblichen zierlichen Liebesklagen hatte er einfügen wollen. Nun überlas er, was dastand, ein Gemisch aus drängender Prosa und kunstlos stockenden Versen. Eine Liebesklage war es geworden, gewiß, aber eine wirre und wilde, stoßweise hervorbrechend aus verwundeter Brust. Da umgirrte kein preziöser 256 Schäfer eine pedantische Nymphe. Da rüttelte und riß ein gefesselter Mann an der dumpfen Materie, im Wahn, sie zu tönendem Leben zu bringen.

Kein Wort war zu brauchen. Das ganze dünne Gewebe seines Romans wäre in Fetzen gegangen. Er zerriß die drei Blätter.

Es war wieder einmal kein Kupferstück mehr im Hause. Er schlich umher um die Lügenbank, stellte den Kollegen nach, kleinen Literaten, die ehrgeizig waren und Geld hatten, und bot ihnen Lobverse mit ihrem Namen an, die er unterbringen würde in seinem Werk. Er werde sie mitnehmen in seine Unsterblichkeit. Er sprach wirklich von Unsterblichkeit, ungläubig und voller Hohn, um fünf Realen zu verdienen. Aber es reichte doch niemals. Mit bedauernder Entschiedenheit lehnte der Buchhändler Robles es ab, neuen Vorschuß zu gewähren. Das sei in des Autors eignem Interesse, der ja sonst nichts mehr zu erwarten habe, wenn das Buch endlich erscheine.

Da ging Miguel zu seiner Schwester Andrea. Sie lebte mit ihrem Töchterchen in etwas geregelteren Umständen, in zwei reinlichen Zimmern, die ein Mann ihr bezahlte. Sie war ganz stolz auf ihre Häuslichkeit, sah etwas gealtert und ordentlich aus, wie eine kleine Bürgersfrau. Aber Geld war wenig im Haus, der Freund gab ihr nur eben das Nötige und rechnete wöchentlich genau mit ihr ab.

Andrea kniete vor ihrem Schranke nieder und holte tief aus seinem untersten Fach mehrere 257 Rollen Stoff hervor. Kniend, mit einem guten Lächeln, hielt sie eine davon auf ihren Armen dem Bruder hin. Es war ein schöner, besonders dauerhafter Tafft, das wertvolle Geschenk eines früheren Liebhabers, das sie als eine Art Notreserve verwahrte. Der Genuese Napoleone Lomelin, der auf Pfänder lieh, würde bestimmt zwanzig Dukaten dafür geben, dreißig vielleicht. Er kannte die Rollen; sie waren schon einmal bei ihm gewesen.

Cervantes borgte sich in der Nachbarschaft einen kleinen Ziehwagen aus, denn die fünf Ballen waren zum Tragen zu schwer, und fuhr sein Pfand zu dem Kaufmann. »Bringt Ihr's zum Fahnenmacher?« fragten ihn die Straßenjungen unterwegs, denn der Tafft war rotgelb gestreift. Er hätte zu fünfzig kastilischen Bannern gereicht.

Es gab neue Wäsche für Ana Franca, die Schulden im Viertel wurden bezahlt, auch die im »Wappen von Leon«, wohin sie sich nicht mehr getraut hatten. Ana Franca war guter Laune. Jener bedenkliche Ausflug wiederholte sich nicht. Es waren für Cervantes Wochen eines armen, kleinen, elenden Glücks.

In der üblichen Weise begann er für sein Buch noch vor dem Erscheinen Reklame zu machen, las daraus vor, ließ Teile in Abschrift zirkulieren und suchte nach einem Gönner in hoher Stellung, der geneigt wäre, die Widmung anzunehmen und später zu honorieren. Er fand ihn, nach manchen Versuchen, in Ascanio Colonna, Abt von Sankt Sophien, aus dem römischen Fürstenhaus, einem 258 etwas zimperlichen Herrn, der hauptsächlich durch die Mitteilung gewonnen wurde, Cervantes habe vor Jahren in der Hofhaltung des verewigten Aquaviva einen Posten innegehabt. Dies müsse, verlangte er, in der Widmung ausdrücklich hervorgehoben werden. Cervantes versprach es.

Als er in der Freude über seinen Erfolg heimkehrte, fand er Ana Franca in kalter Wut. Sie war schwanger.

Ihr Zustand war schon weit vorgeschritten. Beschwerden hatte sie wenig gehabt, auch wohl ihre Augen verschlossen, seit heute herrschte nun Klarheit. Ihr Gefühl war ganz eindeutig: nichts sah sie vor sich als Entstellung, Schmerzen und Last.

Dies steigerte sich. Mit kaum verhohlenem Haß betrachteten ihre graugrünen Augen den Mann, der Urheber dieses Mißgeschicks war, den Einhändigen, den Habenichts, den Papierverderber. Eines Tages kam sie halbtot nach Hause; sie hatte, in so vorgerückter Phase noch, versucht die Bürde abzuwerfen, und es war natürlich mißglückt. Der Arzt und die Heilmittel verschlangen das letzte Geld. Doch sie gesundete. Die Natur bestand darauf, die Unmütterliche zur Mutter zu machen.

Cervantes pflegte sie. Er war von unermüdbarer Sanftmut. Ganz heimlich freute er sich. Da es denn sein sollte, so würden sie heiraten. Vielleicht wurde sein Kind ein Sohn. Ein kleiner Sohn, der ihm gehörte, viel mehr als der Mutter. Er würde ihn belehren, ihn formen. Er würde ihm 259 auch die Abenteuer seines Lebens erzählen, die sonst keiner mehr hören wollte, von Don Juan d'Austria, von Dali-Mami, vom König von Algier. Ein kleiner Sohn, das war eine kleine Unsterblichkeit, da er ja von der großen längst nicht mehr träumte.

Aber in den Wochen, die der Geburt vorangingen, packte ihn wieder, so stark wie noch nie, die Angst um das Brot. Solange man einsam schweifte, mochte man arm und verschuldet sein; aber ein bettelnder Familienvater war unter dem Himmel das elendeste Geschöpf. Wie nun, wenn der Buchhändler nichts mehr bezahlte. Wenn Colonna noch absprang. Er fürchtete auch die abfällige Mundkritik, die einen Autor zu töten vermochte, vor allem die giftig zustechenden Zungen der Kollegen. Dem mußte vorgebeugt werden. Da kam ihm ein Einfall...

Alle miteinander wollte er ködern. Nicht bloß den einen und andern mit Lob einfangen in seinem Roman, sondern Alle auf einmal! Ein ungeheures dampfendes Weihrauchfaß würde er aufstellen für die ganze spanische Literatur. Wenn dann jedem Einzelnen, noch dem albernsten Reimer, die dicken Schwaden um die Nase zogen, dann würde sie sich zum Grinsen verziehen, und die »Galatea« war gerettet!

Er machte sich wirklich ans Werk. Mit saurer Mühe stellte er eine Liste zusammen, grub in seinem Gedächtnis nach, ergänzte immer von neuem. Dann ging er ans Reimen. Im letzten, dem sechsten Buch seines Romans ließ er im 260 Mondschein die Muse Kalliope auftreten und vor versammelten Schäfern und Schäferinnen zur Harfe das Lob der spanischen Dichtkunst singen...

Es wurden einhundertelf Oktaven, 888 gereimte Verszeilen ganz genau. Jeder Autor bekam seine eigene Strophe, jeder dieser Baca, Bivar, Garay und Vargas, dieser Pariente, Romero und Maldonado. Auch der große Lope bekam nicht mehr als die andern. Er wohnte in der einundvierzigsten Strophe. Er hieß nicht einmal »Orpheus« oder »Neuer Euripides,« an ihm war eher gespart. Vielleicht wollte der arme Lobschreiber das wirkliche Talent durch diese ehrerbietige Nüchternheit auszeichnen.

Das Ganze war beinahe großartig in seiner Gottverlassenheit. Die unwürdigste Waffe in der Hand rannte er gegen Übergewaltiges an, gegen Mißgunst, Bosheit und Dummheit, die über den Weg jedes wahren Menschen ihre riesenhaft wechselnden Schatten werfen.

Unversehens war Ana Francas Stunde herangerückt. Und was Natur so vielen mütterlichen Frauen nur gegen Blutzoll und zerreißende Qualen gewährt, gab sie ihr mit schenkender Hand. Ganz leicht waren die Wehen und kurz. Dann lag neben der kaum Ermatteten ein grüngeäugtes Geschöpf mit einer adlerhaft gebogenen, kleinen Nase und schrie beinahe nicht. Es war ein Mädchen.

Vier Tage danach wurde es auf den Namen Isabella getauft. Die Mutter war weit genug hergestellt, um selbst in der Kirche zugegen zu sein. 261 Ihre starre Miene fiel sogar dem Geistlichen auf. Daheim dann mußte Miguel sie erinnern, als es Zeit war, die Kleine zu stillen.

Er war dennoch fröhlicher Laune. Das Erscheinen seines Buches stand unmittelbar bevor, und es schien ihm von glücklicher Vorbedeutung, daß so zwei Geburten beinahe zusammenfielen. Vielleicht war Galatea doch besser, als er zu glauben gewagt hatte, und trug seinen Namen ein Stück weit in die Zukunft.

Der Buchhändler Robles erwies sich als ein gewissenhafter Geschäftsmann. Für einen Mittwoch im Mai war das Erscheinen in Aussicht genommen: am Montag bezahlte er den ganzen Rest des Honorars, einhundertsiebenundsechzig Taler. Cervantes bekam die Summe in Silber, in einem Ledersäckchen.

Sein erster Gang war zu Andrea. Sie nahm weniger an, als ihr zukam, und umarmte ihn unter freudigen Tränen.

Mit dem stattlichen Rest siegerhaft rasselnd trat er bei Ana Franca ein. Sie saß völlig angekleidet auf einem Stuhl und schaute aus ruhigen Augen gerade vor sich hin. Neben ihr auf dem Tisch lag in einem Kissen die kleine Isabella, und blickte aus denselben grünen Augen ebenso ernsthaft umher.

Ana Franca nickte nur, als sie das Geld sah. Seine Freude sank. Er warf den Beutel klappernd in die Schublade des Tisches, auf dem das Kind lag.

Am Mittwoch war er schon früh in der Buchhandlung. Noch waren die Exemplare der 262 »Galatea« nicht da, aber sie mußten jeden Augenblick kommen. Herr Robles erwartete sie mit der fahrenden Post von Alcala, wo sie gedruckt worden waren. Endlich hielt wirklich der Karren vor dem Hause, bis oben vollgepackt mit den Büchern. Alle machten sich an das Ausladen, der Kutscher, zwei Angestellte der Firma, Herr Robles selbst und auch Miguel, soweit er sich nützlich machen konnte mit seiner einen Hand. Der ganze Verkaufsraum füllte sich mit den dicken und schweren Quartbänden.

Dann saß Cervantes mit einem von ihnen im Hinterzimmer des Ladens, einem Bretterverschlag nur, und genoß jenes Glück, das jedem Autor bekannt ist. Er genoß es mit schlagendem Herzen, denn dies war im eigentlichen Sinne sein erstes Buch, die früheren Publikationen waren nicht mehr als löschpapierene Hefte gewesen.

Blas de Robles und sein Drucker hatten das Ihre getan. Gutes Papier, ein klares, schönes Druckbild, nicht zu viel Text auf der Seite, Prosa und Vers geschmackvoll voneinander abgesetzt. Auf dem Titelblatt groß das Familienwappen des Gönners Colonna: die Fürstenkrone über dem Säulenschaft, mit der stolzen Devise in schlechtem Latein: »Frangi facilius quam flecti«. Cervantes blätterte in seinem Buch, las ein paar Sätze hier, dort eine Strophe. Er war zu kleinmütig gewesen... alles war schön! Nur als sich am Ende des Bandes jener »Canto de Calliope« von selber aufschlug, verweilte er nicht, sondern blätterte hastig zurück.

263 Er kam nach Hause, sein Buch in den Händen. Ana Franca war nicht da. Eigentümlich leer wirkten die Zimmer. Er blickte sich um. Er öffnete den Schrank. Ana Francas Kleider und Handgerät waren verschwunden. Er öffnete auch die Schublade unter dem Tisch. Die Hälfte des Geldes war fort, genau abgezählt nach Taler und Real. In einer Ecke auf dem Fußboden lag im Kissen die kleine Isabella und blickte aus ihren grünen Augen ernsthaft zu ihm empor. 264

 


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