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Neuntes Kapitel.
Fürs Brot, für Italien und für Gott

Acht Monate später, im September des Jahres 1855, bewohnte Franco eine elende Dachkammer in der Via Barbaroux in Turin. Er hatte im Februar bei der »Opinione« eine Anstellung als Übersetzer gefunden mit einem Monatsgehalt von fünfundachtzig Lire. Später lieferte er auch Parlamentsberichte, und sein Gehalt wurde auf hundert Lire monatlich erhöht. Der Leiter der Zeitung, Dina, war ihm wohlgesinnt und verschaffte ihm ab und zu eine Extraarbeit, außerhalb seines Amtes, um ihm fünfundzwanzig oder dreißig Lire im Monat daneben zu verdienen zu geben. Franco lebte von sechzig Lire monatlich. Der Rest ging nach Lugano und von Lugano durch Ismaels treue Hände nach Oria. Um mit sechzig Lire im Monat auszukommen, dazu bedurfte es einer Seelenstärke, die Franco selbst sich zunächst nicht zugetraut hätte. Seine Amtsstunden, das Übersetzen, das für einen Menschen voller Skrupel und literarischer Bedenklichkeiten wie er eine sehr mühevolle Arbeit war, bedrückte ihn mehr als die Entbehrungen; sechzig Lire schienen ihm noch zu viel, und er machte sich Vorwürfe, daß er nicht mit noch weniger auskäme.

Er hatte sich mit sechs andern Emigranten, teils Lombarden, teils Venezianern, zusammengetan. Sie aßen zusammen, gingen zusammen spazieren, disputierten zusammen. Außer Franco und einem Udinesen waren alle zwischen dreißig und vierzig Jahre alt. Trotzdem sie alle äußerst bedürftig waren, hatte keiner von ihnen auch nur einen Soldo Unterstützung von der piemontesischen Regierung annehmen wollen. Der Udinese, der einer reichen, österreichfreundlichen Familie angehörte und von Haus nichts erhielt, spielte gut Flöte, gab vier oder fünf Stunden die Woche und spielte in kleinen Theaterorchestern. Ein Notar aus Padua kopierte im Bureau von Boggio. Ein Advokat aus Bergamo, der im Jahre 1849 in Rom Soldat gewesen, war Buchhalter in einem großen Schirm- und Stockgeschäft in der Via Nuova und wurde infolgedessen von seinen Freunden »Stockbube« genannt. Ein vierter, ein Mailänder, hatte den Feldzug von 48 unter Carlo Alberto mitgemacht; aus diesem Grunde und wegen einer gewissen mailändischen Prahlsucht, die ihm eigen war, hatte der Paduaner ihm den Beinamen »das Schlachtroß« zugelegt. Der Beruf des Schlachtrosses bestand darin, beständig mit dem Stockbuben in Streit zu liegen wegen Provinzeifersüchteleien, in zwei Instituten Fechtunterricht zu geben und im Winter hinter einem mysteriösen Vorhang in Lokalen, wo Polka getanzt wurde, zu zwei Soldi für den Tanz Klavier zu spielen. Die andern lebten von elenden Wechseln, die sie von ihren Familien bezogen. Außer Franco waren sie alle Junggesellen und alle heiteren Sinnes. Sie nannten sich »die sieben Weisen« und ließen sich auch von andern so nennen. Sie beherrschten in ihrer Weisheit Turin von der Höhe ihrer sieben Dachkammern aus, die über die ganze Stadt, vom Borgo San Dalmazzo bis zur Piazza Milano, zerstreut lagen.

Die allerelendeste war die Francos, der sieben Lire monatlich dafür bezahlte. Mit Ausnahme des Paduaners, dem eine Schwester des Portiers das Wasser unters Dach hinauf trug, hatte kein einziger von der Gesellschaft irgendwelche Bedienung; und der Paduaner würde den Eifer seiner ihm ergebenen Marga durch die lästigen Neckereien seiner Freunde redlich abgebüßt haben, wenn er nicht der friedliche Philosoph gewesen wäre, der er war. Alle putzten sie sich ihre Stiefel selbst. Franco besaß am meisten Handgeschicklichkeit, und ihm lag es ob, den Freunden die abgerissenen Knöpfe anzunähen, wenn sie sich nicht so weit demütigen und zum Paduaner und seiner Marga ihre Zuflucht nehmen wollten, die übrigens nicht selten eine ganze Prozession bei sich einbrechen sah, welche sie mit den Worten: »O, ich armes Weib!« empfing. Der Udinese hatte zwar eine Geliebte, ein kleines Grisettchen aus dem ersten Geschäft auf der Piazza Castello an der Po-Ecke; aber er war sehr eifersüchtig und erlaubte nicht, daß sie irgend jemand Knöpfe annähte. Die Freunde rächten sich dafür, indem sie sie »die Puppenmamsell« nannten, weil sie Hampelmänner und Puppen verkaufte. Er war übrigens dank seiner Puppenmamsell der einzige aus der Gesellschaft, dessen Kleider immer in Ordnung und dessen Krawatten stets mit besonderer Grazie geschlungen waren. Zum Essen gingen sie in eine Gastwirtschaft, die sie »die Wirtschaft zum Magenweh« getauft hatten, und wo sie für dreißig Lire im Monat zu Mittag und zu Abend aßen. Aber ihr großer Luxus war eine Mischung von Kaffee, Milch und Schokolade, ein Getränk, das sie für fünfzehn Centesimi bekamen. Sie tranken es des Morgens, die Venezianer im Café Alfieri, die andern im Café Fiori. Alle, außer Franco. Franco verzichtete auf das köstliche Getränk und auf den dazu gehörigen Kuchen für einen Soldo, um so viel zu ersparen, wie er zu einem Abstecher nach Lugano brauchte, und um Maria ein Geschenk mitbringen zu können. Im Winter gingen sie unter den Bogengängen am Po spazieren, unter denen der Sapienza, nach der Seite der Universität, nicht unter denen der Torheit, nach der Seite von San Francesco; und dann ließen sie sich in einem Café nieder, wo der Reihe nach einer eine Tasse Kaffee zu sich nahm, während die andern Zeitungen lasen und den Zucker einsteckten. Einmal die Woche krochen sie, um den Stockbuben zu befriedigen, statt ins Café zu gehen, in ein dunkles Loch in der Via Bertola, wo man den reinsten und trefflichsten Giambava trank.

Der Udinese ging gratis ins Theater, und durch seine Gnade ab und zu auch einer von den andern; immer ins Schauspiel, höchstens ins Rossini oder ins Gerbino. Vor den Theaterzetteln des Königlichen Opernhauses oder der andern Operntheater vorbeigehen zu müssen, war für Franco ein viel größeres Opfer, als sich seine Schuhe selbst zu putzen, oder seinen Appetit mit einem Eierkuchen zu stillen, fünf Zentimeter im Quadrat und gerade recht, um die Sonnenflecken hindurch zu beobachten. Glücklicherweise kannte er einen gewissen C., einen Venezianer, Sekretär im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, der ihn in der Familie eines ausgezeichneten Oberstabsarztes vorstellte, ebenfalls eines Venezianers, der ein Klavier besaß, abends stets einige Freunde empfing und sie mit einem vorzüglichen Kaffee, zu damaligen Zeiten in Turin fast ein Unikum, bewirtete.

Wenn die sieben Weisen aus irgendeinem Grunde den Abend nicht zusammen verbrachten, so ging Franco ins Haus C. an der Piazza Milano, um zu musizieren, mit den jungen Damen über Kunst zu sprechen und über Politik mit der Frau vom Hause, einer stolzen venezianischen Patriotin von großem Verstande und antikem Geiste, die alle Härten und Bitterkeiten des Exils heroisch ertragen und ihrem Gatten, dessen erste Schritte sehr schwierig und sehr bitter gewesen waren, tapfer zur Seite gestanden hatte; denn die ehrenwerten, liebevollen, gütigen und harten Köpfe der gestrengen piemontesischen Verwaltung hatten von ihm, der bereits einer der angesehensten Professoren der Universität Padua gewesen war, nichts weniger verlangt, als daß er nochmals ein Examen ablegen müsse, wenn er Stabsarzt werden wollte.

Die Korrespondenz zwischen Turin und Oria spiegelte nicht den wahren Seelenzustand von Franco und Luisa wider: sie war einfach und herzlich, aber mit vielen Vorbehalten und Rücksichten von der einen wie von der andern Seite. Luisa hatte erwartet, daß Franco auf ihr Briefchen antworten und auf den großen Gegenstand eingehen würde. Da er niemals weder auf den Brief noch auf die Vorgänge jener letzten Nacht zurückkam, wagte sie eine Anspielung. Sie wurde nicht aufgenommen.

Tatsächlich hatte sich Franco zu verschiedenen Malen hingesetzt, in der Absicht, die Ideen seines Weibes zu widerlegen. Bevor er anfing zu schreiben, fühlte er sich stark und war ganz sicher, daß er bei ernstlichem Nachdenken leicht siegreiche Gegengründe finden würde. Es kamen ihm auch welche in die Feder, die ihm als solche erschienen; aber dann, wenn sie niedergeschrieben waren, entdeckte er sofort ihre Unzulänglichkeit, er staunte und ärgerte sich darüber, begann von neuem und immer mit demselben Erfolge. Und doch war seine Frau ganz im Unrecht; daran zweifelte er nicht einen Augenblick; so mußte es doch auch einen Weg geben, es ihr zu beweisen. Man mußte nachdenken. Wie? Auf welche Weise?

Er fragte einen Priester, dem er bald nach seiner Ankunft in Turin gebeichtet hatte. Dieser Priester, ein kleiner, verwachsener, leidenschaftlicher und sehr gelehrter Greis, erklärte sich mit Enthusiasmus bereit, ihm zu helfen, und riet ihm eine Masse Bücher an, teils um sie selbst zu lesen, teils um sie seiner Frau zu schicken. Er war selbst ein vorzüglicher Orientalist und großer Thomist, und es hätte nicht viel gefehlt, daß er Franco, dem er eine über die Wirklichkeit vielleicht hinausgehende Bildung und Geistesanlage zuschrieb, geraten hätte, Hebräisch zu lernen, und er wollte ihn durchaus dazu veranlassen, den heiligen Thomas zu lesen. Er ging so weit, ihm einen Entwurf zu einem Brief an seine Frau anzufertigen, mit den Einwänden, die er ihr entwickeln sollte.

Franco verliebte sich sofort in den enthusiastischen Alten, der auch in seiner äußeren Erscheinung die Reinheit eines Heiligen hatte. Er begann mit großem Eifer den heiligen Thomas zu studieren, aber er hielt nicht lange aus. Es schien ihm, als ob er sich in ein Meer ohne Anfang und Ende stürze, in dem er alle Herrschaft über sich verlöre. Diese scholastische Anordnung der Behandlungsweise, diese Gleichmäßigkeit der Form in der Beweisführung des Für und Wider, dies frostige Latein, gesättigt von tiefen Gedanken und dabei farblos an der Oberfläche, hatte ihm in drei Tagen seinen ganzen guten Willen zunichte gemacht. Die Auseinandersetzungen in dem Briefentwurf verstand er nur zum kleinsten Teil. Er ließ sie sich erklären, verstand sie besser, machte sich bereit, mit ihnen bewaffnet zu Felde zu ziehen, und fand sich behindert und verlegen wie David in Sauls Rüstung. Sie drückten ihn, er wußte sie nicht zu handhaben, er fühlte, daß sie nicht sein eigen wären und es auch niemals werden würden. Nein, er konnte nicht mit dem Dreispitz und dem Talar des Professors G. vor seine Frau treten, eine theologische Lanze zur Hand nehmen und sich mit einem metaphysischen Schilde decken. Er erkannte, daß es ihm in keiner Weise gegeben sei, zu philosophieren; es fehlte ihm dazu sogar das Organ für strenges, logisches Denken; oder zum mindesten wollte sein glühendes Herz, reich an zärtlichen und an bitteren Empfindungen, allzu lebhaft mitsprechen zugunsten oder zum Schaden, je nach der eignen Neigung.

Als er eines Abends im Hause C. mit bebendem Herzen und blitzenden Augen das Andante der Beethovenschen Sonate op. 28 spielte, passierte es ihm, daß er mit halber Stimme rief: »Ach der, der, der!«. ›Kein Priester und kein Gelehrter könnte das religiöse Gefühl so wecken,‹ dachte er, ›wie Beethoven.‹ Er legte, während er spielte, seine ganze Seele in die Musik, und dabei hätte er bei Luisa sein mögen, um ihr das göttliche Andante vorzuspielen, um sich mit ihr so betend in einer unaussprechlichen Verzückung des Geistes zu einigen. Und es kam ihm nicht in den Sinn, daß Luisa, die überhaupt Musik viel weniger lebhaft empfand als er, dem Andante eher die Bedeutung des schmerzlichen Konflikts zwischen ihrer Liebe und ihren Ideen untergeschoben haben würde.

Er ging zu G., brachte ihm den heiligen Thomas zurück und gestand ihm seine Ohnmacht mit so demütigen und bewegten Worten, daß der alte Priester nach einigem Stirnrunzeln und gereiztem Schweigen ihm verzieh.

»Ja, ja, ja,« sagte er, indem er resigniert seinen ersten Band der »Summa« wieder an sich nahm, »so empfehle man sich dem Herrn und hoffe auf den Himmel.«

So endeten Francos theologische Studien.

Das viele Nachdenken über Luisas Ideen und über seine eignen, vor allem aber der Rat des Professors, sich dem Herrn zu empfehlen, blieben nicht ohne Frucht. Er begann einzusehen, daß seine Frau nicht in allem unrecht habe. Ihr Vorwurf, daß er sein Leben nicht so führe, wie er es seinem Glauben gemäß hätte führen müssen, hatte ihn mehr verletzt als alles übrige. Jetzt verfiel er in einem edelmütigen Aufschwung in das andre Extrem, seine eignen Anfälle von Verdrossenheit, von Jähzorn und selbst von Freude am Essen zu übertreiben und sich für Luisas intellektuelle Irrtümer verantwortlich zu fühlen. Und er empfand eine wahre Sucht, es auszusprechen, sich vor ihr zu demütigen, seine eigne Sache von Gottes Sache zu trennen.

Als er die Anstellung an der »Opinione« bekam und seine Ausgaben ordnete, um seiner Familie einen Zuschuß schicken zu können, schrieb seine Frau ihm, daß dieser Zuschuß im Verhältnis zu seinen Einnahmen viel zu groß sei. Das Bewußtsein, daß er in Turin mit sechzig Lire monatlich lebe, verbittere ihr Speise und Trank. Darauf antwortete er ihr, und das wohl nicht ganz aufrichtig, daß er vor allem niemals Hunger litte, daß er im übrigen glücklich sein würde, selbst zu fasten, denn das bewiese den brennenden Wunsch, sein Leben zu ändern, den früheren Müßiggang, die den Blumen und der Musik überflüssig gewidmete Zeit mit inbegriffen, wieder gut zu machen, wieder gut zu machen auch alle frühere Verweichlichung und alle früheren Schwächen, inbegriffen die für eine verfeinerte Küche und für ausgewählte Weine. Er fügte hinzu, daß er Gott wegen seines früheren Lebens um Vergebung gebeten habe, und daß er glaube, auch sie jetzt um Vergebung bitten zu sollen. Schließlich meinte der Paduaner, dem er sich in großer Freundschaft angeschlossen hatte, und der ihn dies Bruchstück seines Briefes gleichsam wie eine Bekräftigung früherer Berichte hersagen hörte: »Es klingt wirklich wie das Gebet Manasses, Königs von Juda.«

Luisa schrieb sehr liebevoll, gewiß, aber mit weniger Hingebung. Francos Schweigen über den Gegenstand ihrer peinvollen Unterredung kränkte sie; und es schien ihr nicht angebracht, einem so beharrlichen Schweigen gegenüber ihrerseits den Anfang zu machen.

Seine guten Vorsätze betreffs der Arbeit und der Opfer rührten sie tief; als sie seine Sündenbeichte las, nebst der Bitte um Vergebung, lächelte sie und küßte den Brief, denn sie fühlte, daß es ein Akt der Unterwürfigkeit war, ein demütiges Zugeständnis der strengen Kritik, die ihn beim ersten Aussprechen so bitter gereizt hatte. Armer Franco, das waren die Ergüsse seiner edlen, großmütigen Natur! Aber würden sie von Dauer sein? Sie antwortete umgehend; aber wenn in der Antwort ihre Rührung durchschimmerte, so schimmerte auch ihr Lächeln durch, womit Franco nicht einverstanden war. Den Schluß bildeten folgende Sätze:

»Als ich die Anklage las, die Du Dir machst, habe ich mit Reue an die gedacht, mit denen ich Dich in jener trüben Nacht überhäufte, und ich habe gefühlt, daß auch Du daran dachtest, als Du schriebst, obgleich Du weder in einem Briefe noch in irgendeinem Deiner früheren darauf zurückgekommen bist. Ich bereue diese Anklagen, mein Franco, aber über die andern Gegenstände, über die ich in meiner Einsamkeit so viel nachdenke, möchte ich, daß wir als gute Freunde noch sprechen könnten!«

Luisas Wunsch blieb eitel. Über diesen Punkt ging Franco stillschweigend hinweg; auch war sein nächster Brief etwas kühl. So kam Luisa auf den Gegenstand nicht wieder zurück. Nur einmal, als sie von Maria sprach, schrieb sie:

»Wenn Du nur sehen könntest, wie sie morgens und abends ihr Vaterunser betet, und wie sie sich Sonntags bei der Messe benimmt, so würdest Du zufrieden sein.«

Er antwortete:

»Was Du mir über Marias religiöse Übungen schreibst, erfreut mich, und ich danke Dir dafür.«

Luisa sowohl wie Franco schrieben fast jeden Tag und schickten die Briefe einmal wöchentlich ab. Ismaele ging jeden Dienstag nach Lugano auf die Post, brachte die Briefe der Frau hin und holte die des Mannes ab. Im Juni hatte Maria die Masern, im August erblindete Onkel Piero fast plötzlich auf dem linken Auge und war hierdurch längere Zeit ganz verstört. Während dieser beiden Perioden wurden die Briefe aus Oria häufiger. Im September kehrte die Korrespondenz wieder zu den wöchentlichen Abständen zurück. Ich greife aus dem Bündel von Briefen die letzten heraus, die zwischen Franco und Luisa kurz vor dem Hereinbrechen jener Ereignisse gewechselt wurden, die Ende September eintrafen.

 

Luisa an Franco.

Oria, 12. September 1855.

»Der brave Herr Ismaele hat uns lange auf Deinen letzten Brief warten lassen; denn anstatt von Lugano direkt nach Oria zu kommen, ist er mit einigen Freunden von sich und von den östlichen Mächten nach Caprino gegangen, um die Einnahme von Sebastopol in Scarselons Keller gebührend zu feiern; dort hat er einen ›Tropfen‹ getrunken, und dann ist er nach Lugano zurückgekehrt, wo er einen zweiten ›Tropfen‹ getrunken hat, worauf er bis Mittwoch früh wie ein Murmeltier schlief. Er hat sogar verbummelt, Dir den Topf mit Wichse zu schicken, und so mußt Du entweder eine volle Woche darauf warten, oder, wenn Dein Vorrat zu Ende ist, in Turin einen viel höheren Preis dafür zahlen. Ich ärgere mich sehr darüber.

Wenn Dina Dir angeboten hat, ab und zu ein Theaterfeuilleton zu schreiben, um so besser. Auf diese Weise kannst Du gratis ein bißchen Musik hören; obschon auch ich eigentlich der Meinung Eures Schlachtrosses bin, daß man die italienische Musik auf die Trommel reduzieren sollte. Was die Affäre Valle Intelvi anbetrifft, so lobe ich Deine Vorsicht. Diese ist aber so überaus groß gewesen, daß ich nicht ganz sicher bin, ob ich Dich richtig verstanden habe. Ich habe verstanden, daß, um im Kriegsfalle eine Bewegung hinter dem Rücken unsrer Tyrannen vorzubereiten, einige zuverlässige Personen nötig sind, an die man sich mit den erforderlichen Mitteilungen aus Turin wenden könnte, sei es direkt, oder sei es auf dem Umwege über das Komitee in Como. Auf jeden Fall will ich gleich morgen selbst nach Pellio Superiore gehen, wo der Bezirksarzt ein guter und äußerst zuverlässiger Freund von V. ist. Mit ihm will ich einstweilen sprechen. Um Dein zerrissenes Futter brauchst Du Dich nicht zu grämen. Bringe nur den Rock mit nach Lugano, wenn Du hinkommst. Ich werde dafür sorgen und verspreche Dir auch, die Ärmel mit Seide zu füttern, dank einem Unterrock, von dem meine Mutter mir erzählte, er sei im vergangenen Jahrhundert aus der Familie Affaitati in die Familie Ribera gekommen, einem gelben Rock mit roten Blumenranken, den sicherlich weder ich noch Ombretta jemals tragen werden.

Ombretta geht es ausgezeichnet. Seit drei Tagen, seitdem die Hitze nachgelassen hat, kommt ihre Farbe wieder zurück. Heute morgen habe ich ihr die erste Lesestunde nach der Methode Lambruschini gegeben.

Alles in unserm Hause wird umgewandelt und dem Fortschritt untertan gemacht. Diesem Geschick fiel gestern die alte Tombolatafel anheim, zu Cias stummem, aber offenkundigem Schmerz. Ich habe sie geopfert, um außer fünf kleinen Vierecken für die Vokale noch ein paar größere Vierecke zurechtzuschneiden, auf die ich die Gestalten von Son-ne, Mond, Och-se, E-sel – Du kannst Dir denken wie! – gezeichnet habe. Maria hat die Vokale genügend schnell gelernt. Während der Stunde kam Onkel Piero herein und rief: ›Ach, ich Ärmster!‹ Dann hat er, trotz meines Widerspruchs, Maria sehr beklagt. Aber sie antwortete, sie lerne, um an Papa schreiben zu können. ›An Papa schreiben‹ ist ihre fixe Idee, und ich glaube, ich würde, wenn ich ihr beim Schreiben die Hand führte, vielleicht den stärksten Sporn, dessen ich mich als ihre Lehrerin bedienen kann, verlieren; denn sie weiß, daß sie vor dem Schreiben lesen lernen muß. Ihre Liebe zu Dir äußert sich immer mit einem Zusatz von Eigenliebe. Sie spricht, als wäre es nicht ein Bedürfnis von ihr, sondern von Dir, von mir, daß Ombretta Pipi an Papa schreibt. Neulich hörte sie, wie ich Veronika zankte, weil sie die schlechte Gewohnheit hatte, das schmutzige Wasser aus der Küche auf den Johannisbrotbaum zu schütten, der dadurch verkümmert. Ich erinnerte Veronika natürlich daran, wie lieb Dir der Johannisbrotbaum ist. Maria hörte, wie sie vor sich schimpfte auf den armen Johannisbrotbaum, weil er der Küche die Sonne nähme, und wie sie den Wunsch aussprach, er möchte eingehen. ›Schweig!‹ schrie Maria sie mit unbeschreiblicher Gewalt an. ›Wenn du nicht schweigst, schicke ich dich fort!‹ Die andre fuhr sie derb an, und Maria brach in Tränen aus. Ich hörte sie und lief herzu. ›Warum weinst du?‹ – ›Weil Veronika so häßliche Worte zu Papas Baum gesagt hat.‹ Du hättest nur ihr empörtes Gesichtchen sehen sollen! Jetzt bewacht sie den Baum, geht niemals fort, ohne Veronika eine Predigt zu halten, und setzt Dir eine so wichtige Miene auf, als ob das Leben des Johannisbrotbaums ihr anvertraut wäre. Jeden Morgen, wenn sie ins Gärtchen kommt, läuft sie hin und fragt: ›Geht's dir gut, Baum?‹ Heut hat sie viele Tränen vergossen, weil ein starker Wind den Baum arg schüttelte, und als sie dann ihre gewohnte Frage an ihn richtete, sagte ich: ›Siehst du nicht, daß es dem Baum nicht gut geht? Siehst du nicht, daß er nein antwortet?‹ Später fragte sie mich, ob der Johannisbrotbaum, wenn er stirbt, ins Paradies kommt. Ich antwortete ihr, daß er nicht ins Paradies kommen könnte, da er ja Veronika durch den Schatten, den er in die Küche wirft, ärgere. Da schwieg sie gekränkt.

Onkel Piero hat sich jetzt über den Verlust seines Auges ganz getröstet. Er vergleicht sich mit einem Altar, wo man die Messe liest, und wo der Meßdiener während des letzten Evangeliums bereits eine der beiden Kerzen ausgelöscht hat. Nach dem Essen haben Maria und er lange Unterhaltungen in der Loggia, die durch den Lauf des jetzt in Vergessenheit geratenen Mississippi nicht mehr unterbrochen werden. Onkel erzählt ihr eine Masse uralter Geschichtchen, die er nicht einmal mir je erzählt hat. Ich gehe dann nie in die Loggia, denn ich glaube, daß er sich lieber mit der Kleinen allein ausspricht. Sie haben sich sehr lieb, aber sie küssen und liebkosen sich nie, oder fast nie, als ob Maria eine erwachsene Person wäre.«

 

13. September.

»Heut morgen habe ich Veronikas Schwester Leu, die sehr bleichsüchtig ist, mitgenommen, um sie zu einer Konsultation zum Doktor nach Pellio zu führen: Du verstehst! Wir haben von Osteno aus zwei und eine halbe Stunde gebraucht. Du hättest mit Enthusiasmus die Schönheit der Gegend und des Morgens genossen. Ich hingegen war nur einen Augenblick davon gerührt, zwischen den alten Kastanienbäumen von Pellio Superiore, von denen aus man, wenn man sich umdreht, um ins Tal hinunterzuschauen, im Grunde dieses großen grünen Trichters Porlezza gewahrt und ein Stückchen See, eine kleine Schale lebendigen Wassers, ebenfalls ganz grün. Erinnerst Du Dich, daß wir dort unten zusammen gefrühstückt haben zu der Zeit, als ich noch Mädchen war, und daß Ester etwas gemerkt hat aus der Art, in der Du zu mir von meiner Mutter sprachst.

Ich fand den Bezirksarzt am ›Pell Sora‹-Brunnen, mitten unter den Schafen, wie einen Patriarchen. Ich ließ ihn zuerst Leu untersuchen, und dann, nachdem ich sie fortgeschickt hatte, sprachen wir miteinander. Er wußte nicht, daß Du in Turin bist, und beim bloßen Namen Turin nahm er meine Hände und drückte sie, als ob die Frau eines, der in Turin ist, schon eine Art Heldin wäre. Ferner glaubte er, weil ich mit Turin korrespondiere, müßte ich Cavours Pläne in der einen Tasche und die Napoleons in der andern haben. Er ist ein so enragierter Bonapartist, daß ihm das englische Bündnis ganz zuwider ist, und er sagt ›das perfide Albion‹. Er hält übrigens den Krieg zum Frühling für absolut sicher, und es mißfiel ihm, zu hören, daß noch Zweifel bestehen. Ich glaube, daß er mich daraufhin sofort weniger bewundert hat. Was das Handeln im richtigen Moment betrifft, so meint er, daß sie sich in Vall' Intelvi, wenn's nötig wäre, in Stücke schneiden ließen. Er macht nicht den Eindruck eines Prahlhanses. Als er davon sprach, mit den Kroaten handgemein zu werden, wurde er röter als das Coeur-As und zitterte über und über wie ein Jagdhund, wenn man ihm ein Stück Brot zeigt. ›Den Brenta,‹ sagte er, ›haben sie auch noch auf dem Kerbholz.‹ Du weißt, daß die Österreicher Brenta erschossen haben; der bleibt ihnen noch zu rächen. Kurz und gut: wenn meine Aufgabe beim Ausbruch des Krieges nicht wäre, Dame Peppina zu befreien und ihren Carlascia den Gründlingen vorzuwerfen, so würde ich an der Seite des Doktors von Pellio in den Kampf ziehen.

Wir kamen um drei wieder heim. Onkel spielte mit dem Pfarrer, mit Pasotti und Herrn Giacomo Tarock. Der Pfarrer hatte die ›Gazetta Ticinese‹, und man hatte viel über Sebastopol gesprochen. Es versteht sich, daß Pasotti wütend ist wie alle Deutschenfreunde. Herr Giacomo hingegen war voller Zärtlichkeit für seinen ›Babusche‹, und der Pfarrer schlug vor, eine Flasche auf das Wohl Babusches zu trinken. Darauf fragte Onkel Piero ihn, ob er als Priester sich nicht schäme, die Glücksfälle des Türken zu feiern. ›Es war mir des Trinkens wegen,‹ brummelte der Pfarrer. ›Es ist gut, daß es weiter nix ist,‹ meinte Onkel. Und als der Pfarrer noch stärker als zuvor brummte, hielt ihm Onkel eine gelehrte Abhandlung über lombardische Dialekte und schloß mit den Worten: ›Es ist nix, es ist gar nix, es ist absolut nix.‹«

 

14. September.

»Ich glaube, daß Pasotti unser Haus nicht mehr betreten wird. Es tut mir leid wegen dieser armen Barborin, die, wie ich fürchte, auch nicht mehr wird kommen dürfen; aber ich bereue das, was ich getan habe, keineswegs.

Er weiß seit einiger Zeit ganz genau, daß Du in Turin bist, wie es hier alle wissen. Sogar mit dem Einnehmer hat er darüber gesprochen, wie mir Maria Pon erzählt hat, die sie, während sie bei der Kapelle Romit stand, eifrig sprechen hörte, als sie von Albogasio Superiore herunterkamen. Wenn er zu uns kam, hat er immer so getan, als ob er es nicht wüßte, und hat mit seiner gewohnten Affektation von Freundschaft und Sorge nach Dir gefragt. Heute findet er mich allein im Gärtchen und fragt mich, wie lange Du noch fortbleiben wirst, und ob Du gegenwärtig in Mailand bist. Ich antwortete ihm kurz, daß ich mich über seine Frage wundere. ›Warum?‹ sagte er. ›Weil Sie herumgehen und sagen, daß Franco ganz wo anders ist.‹ Er verwirrt sich, protestiert, wird wütend. ›Protestieren Sie nur,‹ sagte ich. ›Es ist ganz unnötig. Ich weiß, was ich weiß. Im übrigen befindet sich Franco sehr wohl da, wo er ist. Sagen Sie das immerhin, wem Sie mögen.‹ – ›Sie beleidigen mich!‹ sagte er. Ich überlegte nicht lange und erwiderte: ›Mag sein!‹ Darauf ging er schnell auf und davon, ohne sich zu verabschieden, düster wie das Pique-As, da ich einmal bei diesen Vergleichen bin. Ich bin sicher, daß er heut abend nach Cressogno geht.

Cüstant hat uns einen wundervollen Schlei zum Geschenk gemacht, den er heut früh gefangen hat, zur großen Wut von Biancon, der den ganzen Tag angelt, nichts fängt und rast, weil die Schleie, die braven, auf S. K. K. M. und ihren Carlascia pfeifen. ›Armer Kerl!‹ sagte Dame Peppina. ›Er ärgert sich noch die Gelbsucht an den Hals!‹ Er wird's verwinden, er wird's verwinden.

Milder Sinn und holder Friede
Füllt das edle Herz zum Rand;
Gott erhalte und beschütze
Unsern Kaiser Ferdinand.«

 

15. September.

»Ich habe die Episode Pasotti Onkel Piero erzählt, und er war recht unzufrieden damit. ›Du wirst einen schönen Nutzen daraus ziehen!‹ sagte er. Armer Onkel, man könnte ihn für einen Utilitarier halten; aber er ist ein Philosoph. Im Grunde ist sein Hauptargument gegen meine Verachtung all der häßlichen Dinge auf dieser Welt: ›Nimm's, wie's ist!‹

Heut war das Hochamt in Albogasio Superiore. Als ich mit Maria die Kirche verließ, traf mich ein ganz verzweifelter Blick der armen Pasotti, die augenscheinlich Befehl hat, mich zu meiden. Dafür ist Ester mit mir heruntergegangen und auch mit in unser Haus gekommen, wo sie mir unter vier Augen eine Rede gehalten hat, die ich schon seit einiger Zeit erwartete. Sie fing mit der Bitte an, ich möchte nicht lachen, und dabei lachte sie selbst. Schließlich verstand ich so viel, daß der Professor so nach und nach doch einigen Eindruck gemacht hat. Es ist so, wenn auch Ester behauptet, daß sie ihre eignen Gefühle nicht entwirren kann. Ich sehe den ganzen Weg, den er in ihrem Herzen zurückgelegt hat. Zuerst nannte sie ihn – Du wirst dich erinnern – auf gut valsoldeskisch den Ollen, das Alterchen, den Kahlkopf, das Langohr, den Nasenkönig, den Rotbart. Als sie seine Zuneigung bemerkte, gebot ein Gefühl der Dankbarkeit ihr, all diese Titel fortzulassen, ohne sie jedoch mit seinem glänzenden Schädel, noch mit seinen abstehenden Ohren, noch mit dem rötlichen Fell, noch mit der blühenden Nase ihres Anbeters zu versöhnen. Jetzt spricht man von den ersten drei Schmerzen gar nicht mehr; auf diesen drei Punkten hat der Freund die Schlacht gewonnen und kann sie im Triumph tragen. Einzig um den vierten Punkt tobt noch der Kampf. ›Nein, über diese Nase!‹ sagte Ester heute morgen und lachte und lachte und verbarg ihr hübsches, glänzendes Gesichtchen. Mir kommt vor, als ob diese skandalöse Nase in fatalster Weise immer mehr gediehe und sich färbte und zunähme an Größe und Dicke.

Dieser herzenseinfältige Mensch vertraute mir kürzlich, vermutlich, damit ich es Ester wiederholte, daß er auch in seiner Jugend immer nur Wasser getrunken habe, und daß die Röte und Geschwollenheit seiner Nase von häufigen Schleimhautentzündungen herrührten. Ich fürchte, dieser neue Gesichtspunkt verbessert in keiner Weise die Situation. Ich glaube aber, daß die Freundin schließlich auch noch dies große und dicke Hindernis überwinden wird. Tatsache ist, daß seine Leidenschaft den Gipfel erreicht hat. Er hat ihr eine Generalbeichte von dreißig Seiten geschrieben, hat sein ganzes Herz vor ihr ausgeschüttet und es um und um gewendet, in einer Art und Weise, um selbst einen Kroaten zu erweichen. Ich habe bei Ester seine Sache geführt, sie will sich in zwei Tagen entscheiden und wünscht, daß ihre Antwort ihm durch mich zugestellt werde. Ich verstehe das so, daß die Gelehrsamkeit des Professors sie bedrückt, und daß sie große Angst vor kleinen Orthographieschnitzern hat. Ein gutes Zeichen!«

 

18. September.

»Ich habe Dir seit drei Tagen nicht geschrieben, aus Angst, ich könnte meine Feder nicht beherrschen, könnte meine Gedanken nicht in Worte zwängen, die ein gegebenes Maß haben sollen, und nicht mehr. Jetzt kann ich's tun, und ich tue es. Wisse aber, Franco, daß ich nicht dafür einstehe, ob ich immer Herrin meiner selbst bleiben kann!

Am Abend des fünfzehnten also ist der Bevollmächtigte Deiner Großmutter zu mir gekommen. Da die halbjährliche Rate Deiner Zinsen am sechzehnten fällig ist, dachte ich, er brächte die fünfhundert Zwanzigerl, und sagte ohne weiteres, ich wolle gehen, um die Quittung für ihn zu schreiben. Darauf erklärte mir der sehr ehrenwerte Herr Bellini, meine Quittung könne ihm in keiner Weise genügen. ›Wie,‹ erwiderte ich, ›wenn sie Ihnen am 16. März genügt hat?‹ – ›Aber,‹ sagte er, ›meine Befehle!‹ – ›Aber Franco ist nicht hier.‹ – ›Ich weiß es.‹ – ›Zu welchem Zweck sind Sie dann überhaupt gekommen?‹ – ›Ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen, daß Don Franco sich bei der Verwaltung der Frau Marchesa in Brescia vorzustellen hat, wenn er das Geld erheben will.‹ – ›Und wenn er nicht nach Brescia kommen kann?‹ Hier machte Bellini eine Bewegung, als wollte er sagen: Das ist Ihre Sache. Ich antwortete ihm, es wäre gut, ließ ihm Kaffee bringen und sagte ihm, daß ich den Wunsch hätte, der Frau Marchesa die Bücherschränke in Deinem alten Studierzimmer in Cressogno abzukaufen. Bellini wurde gelb und entfernte sich ganz geduckt wie unser alter Hund Pato im Haus Rigey, wenn er etwas gestohlen hatte.

Ich bin ganz sicher, daß Herr Pasotti seine Hand in diesem unsauberen Spiel hat.

Gestern war der Präfekt der Caravina hier und erzählte mir, daß am Abend des vierzehnten Pasotti ziemlich spät nach Cressogno gegangen und in das Haus Deiner Großmutter gerade gekommen ist, als man den Rosenkranz betete, so daß er nicht umhin konnte, noch daran teilzunehmen. Das brachte den Präfekten zum Lachen, denn seiner Meinung nach geht Pasotti zur Messe, weil er Beamter ist, aber von Gebeten sagt er nur das, wovon ich gar nicht weiß, was es ist. Er erzählte weiter, als die andern fortgingen, wäre Pasotti geblieben, um mit der Großmutter zu klatschen, und Bellini wäre auch dabei gewesen. Bellini war an demselben vierzehnten aus Brescia gekommen. Wahrscheinlich hatte er das Geld für Dich gebracht.

Bis Oktober, wenn Dein Geld kommt, haben wir zu leben. Weiter sage ich nichts.

Das Alpenveilchen, das Du hier eingeschlossen finden wirst, schickt Maria Dir. Das muß ich Dir doch erzählen! Du kannst Dir denken, in welcher Verfassung sie mich sieht. Sie hört mich auch oft mit Onkel den Gegenstand besprechen. Onkel bleibt immer Onkel. In seinem ganzen Leben hat er einzig jene Unternehmer für Schufte erklärt, die ihm Geld angeboten hatten, und dann einen andern Onkel, seinen direkten Antipoden, der, nachdem er seinen Neffen jahrelang ausgesogen hatte, ihm auch nicht einen roten Heller hinterließ. Andre Schufte hatte er nie gesehen und will er auch jetzt nicht sehen. Wenn ich mich nun also jetzt mit ihm ausspreche, möchte Maria immer zuhören. Ich schicke sie fort, aber so und so oft bemerke ich es nicht, daß sie ganz leise wieder zurückkommt. Heut morgen sagte sie ihre Gebete auf. Ach, Franco, Deine Tochter ist sehr religiös in Deinem Sinne! Das letzte, das sie spricht, ist ein Gebet für die Seelenruhe der armen Großmutter Teresa. ›Mama,‹ sagte sie hierauf, ›jetzt will ich auch für die Großmama von Cressogno beten.‹ Ich antwortete, was ich nun einmal antwortete, bittere Worte; ich habe unrecht getan, wenn Du willst, und ich gestehe es. Maria sieht mich an und meint: ›Ist die Großmama von Cressogno wirklich böse?‹ – ›Ja.‹ – ›Und weshalb sagt denn Onkel Piero, daß sie nicht wirklich böse ist?‹ – ›Weil der Onkel so gut ist.‹ – ›Und du, bist du denn nicht so gut?‹ Meine geliebte kleine Unschuld, ich bedeckte sie mit Küssen, ich konnte wahrhaftig nicht anders. Als ich sie frei ließ, begann sie sofort wieder: ›Du kommst nicht in den Himmel, weißt du, wenn du nicht sehr gut bist.‹ Das mit dem Paradies, das ist ihre fixe Idee. Armer Franco, daß Du sie nicht bei Dir haben kannst, Du, der Du so glücklich über sie sein würdest! Du bringst ein großes Opfer! Wenn es Dir Freude macht, so möchte ich Dir sagen, daß die einzige Möglichkeit für mich, Gott zu lieben, in diesem Kinde liegt, denn in ihr wird mir Gott sichtbar und begreiflich. Adieu, Franco; ich umarme Dich.

Luisa.

P. S. Ich teile Dir noch mit, daß ich Veronika für den ersten Oktober gekündigt habe. Erstens aus Sparsamkeit; dann aber auch, weil ich dahinter gekommen bin, daß sie eine Liebschaft mit einem Finanzwächter hat. – Ach, und dann vergaß ich auch noch: Vor einer halben Stunde kam Ester zu mir, um mir zu sagen, daß sie sich zum Jawort entschlossen hat, aber noch einen Tag warten will, bevor sie den Professor sieht. Sie hat also die Nase geschluckt, aber noch nicht ganz verdaut.«

 

Franco an Luisa.

Turin, 12. September 1855.

»Gestern abend schickte mich Dina ins Angennes-Theater, wo man eine Oper ›Marin Faliero‹, die mir gar nicht gefiel, recht schlecht gab. Dazu kam die quälende Vorstellung, nachher einen Bericht darüber schreiben zu müssen; und Du wirst verstehen, daß es für mich nicht eben ein Fest war. Ein Kollege machte mir den Vorschlag, mich in einer Loge, in der zwei auffallend elegant gekleidete Damen saßen, vorzustellen. Ich glaube, es geschah auf Dinas Wunsch, denn er zögerte und warf einen raschen Blick auf meine Kleider, die die Schwindsucht meiner Börse offen bekunden. Du kannst Dir vorstellen, wie angenehm es mir war, mich aus der Verlegenheit zu ziehen!

Alte Kleider,
Treu und schäbig,

ich schulde euch auch dafür eine Dankbarkeit, die ich euch nicht vorenthalte.

Im Theater war von nichts die Rede wie von Sebastopol. Die meisten glauben, daß der Friede noch nicht abgeschlossen und daß England die Waffen nicht niederlegen wird, ehe es nicht für die nächsten fünfzig Jahre den Russen die Lust auf Eroberungen ausgetrieben hat. Beim Ausgang aus dem Theater hörte ich, wie der Abgeordnete B., ein heftiger Gegner der Expedition, zu jemand sagte: ›Sie haben ihr Grab erobert! Ein kleiner Napoleon, ein kleines Moskau!‹ Ich sagte sehr laut: ›Sie haben Verona erobert.‹ B. sah mich mit blitzenden Augen an, und ich erwiderte den Blick, ohne die meinen zu senken. Er zuckte die Achseln und ging weiter. Ich stieg in meine Dachkammer und schrieb meinen Bericht auf den Rand einer alten Zeitung, um kein Papier zu vergeuden.

Ich schrieb und strich aus, schrieb wieder und strich wieder aus und war endlich um vier Uhr morgens damit zustande gekommen. Sie finden hier, daß meine Perioden einen zu klassischen Aufbau haben, und daß ich zu viel toskanische Wörter und Wendungen gebrauche. ›Ach Sie, mit Ihrem Giusti!‹ sagte mir neulich D. Sein Schmerz ist, daß ich nicht piemontesisch schreibe, wie es ihm vielleicht gefiele. Inzwischen habe ich einen wundervollen, glänzenden Scudo, frisch von der Münze, verdient, mit einem so sprechend ähnlichen Viktor Emanuel darauf, daß Ihr vor Rührung ohnmächtig werden könntet, so wie vorgestern im Hotel Liguria eine venezianische Dame ohnmächtig wurde, als sie an der Spitze seiner Infanteriekolonne den General Gianotti vorbeikommen sah, den sie wegen der riesigen Schnurrbartspitzen für den König hielt. Ich werde diesen Scudo aufheben und ihn Euch nach Lugano mitbringen. Du mußt ihn beiseite legen, und er soll den Grundstein zu Ombrettas Mitgift bilden. Ist's so recht? Diese Idee ist mir heut morgen durch einen Traum gekommen, kaum daß ich eingeschlafen war, in der Stunde, in der die Seele

›Fast göttlich ist mit ihren Eingebungen.‹

Ich träumte, ich wäre mit Dir und Maria, die groß und schön und bräutlich gekleidet war, in der Kirche San Sebastiano in Oria; der Bräutigam war Michele Steno, und Onkel Piero legte Talar und Stola an, um die Ehe einzusegnen; und Michele Steno erhob sich vom Betschemel, um mir zu sagen: ›Es ist alles recht und gut, aber wie steht's mit der Mitgift? Wie steht's mit der Mitgift?‹

Meine süße, süße Maria, es wird auch für dich der große Tag der Mitgift kommen; und wenn du dann auch viele Goldstücke neben diesem Silberscudo zur Verfügung hättest, du würdest doch den Scudo am höchsten halten!«

 

14. September.

»Der Stockbube läuft Gefahr, von seinem Prinzipal entlassen zu werden wegen des wahrhaft erbärmlichen Zustandes seiner Kleidung. Er ist, um die Wahrheit zu sagen, ein rechter Verschwender und hat noch nicht gelernt, duris in rebus, eine Kleiderbürste zu handhaben; aber schließlich haben die übrigen Weisen beschlossen, eine Woche mal nicht zu frühstücken, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich etwas herauszumustern. Siehe die Niedrigkeit des menschlichen Herzens! Der Bube hat sich tief gerührt bedankt, und dann schickte er sich an zu frühstücken, als ob nichts vorgefallen wäre. Das haben wir ihm aber gelegt. So sind wir denn heut, anstatt ins ›Magenweh‹ zu gehen, ein halbes Stündchen am Po entlang nach Valentino zu gebummelt, um das Wasser steigen zu sehen. Der Udinese hatte seine Flöte mitgenommen, denn zu einer idealen Mahlzeit, bei der man sich die leckersten Bilder von Speise und Trank leistet, gehört notwendigerweise auch Musik. Er hatte einen Brief von zu Haus mit den lockendsten Anerbietungen, falls er in den Stall zurückkehren will. Bis zu einem Reitpferd verstiegen sie sich. Er erzählte uns, er hätte ihnen geantwortet, sie würden ihn bald auf einem Pferde Viktor Emanuels heimkehren sehen. Darauf entgegnete der Paduaner, der ein großer Spötter ist, mit seinem ganzen Phlegma: ›So, so, du Held, du bläst also auch die Posaune?‹ Der Udinese wurde zuerst wütend, aber zum Schluß spielte er uns doch sein wackeres Stücklein auf der Flöte. Das sonderbare ist, daß keiner von uns etwas von Hunger verspürt hat. Als die Sitzung aufgehoben wurde, kamen wir überein, daß die Toilette des Stockbuben vereinfacht werden sollte, und daß er sehr gut sein Kamisol, modern ausgedrückt, Weste, entbehren könnte.

Ach, wir würden auch gern das Mittagessen entbehren, um im April 1856 mit dem König den Tessin überschreiten zu können. Wir sprachen darüber, als wir von unserm Phantasiefrühstück heimkehrten. Der Paduaner bemerkte, daß im April das Wasser noch zu kalt wäre, und daß wir lieber bis zum Juni warten sollten. Und man sprach darüber, wie groß Italien ohne die Deutschen sein würde. Ich versichere Dir, daß wir alle trotz des leeren Magens voller Enthusiasmus waren. Alle, mit Ausnahme des Paduaners natürlich, der aber, zu seiner Ehre sei's gesagt, lieber Hunger leidet, oder doch beinahe, nur um keinen Österreicher sehen zu müssen, und der, obgleich er ausgangs der Vierziger steht, sich besser schlagen wird als mancher Junge, der jetzt täglich zum Frühstück einen Kaiserlichen verspeist und zum Mittag zwei. Er glaubt, daß wir wieder in den Zustand von Hund und Katze zurückverfallen werden. ›Also,‹ sagte er, ›verstehen wir uns recht. Nach Abzug der Deutschen verschließt sich jeder in sein Haus, und wehe euch, wenn ihr nach Padua kommt, um meinen Hausfrieden zu brechen!‹ Ich glaubte Onkel Piero zu hören, wenn wir zu Haus in Oria ebenfalls von Italiens zukünftiger Größe und Pracht sprachen. ›Ja, ja!‹ sagte er dann, ›ja, ja! Der See wird eitel Milch und Honig werden und der Galbiga Parmesankäse!‹

Wir werden ja sehen, wir werden sehen!«

 

21. September.

»Dein Brief hat einen Sturm von Gefühlen in mir erregt, die sich nicht beschreiben lassen.

Mich schmerzen ganz gewiß sowohl die Handlungsweise der Großmutter wie Pasottis hämische Winkelzüge; aber tiefer betrübt mich noch Deine allzu heftige Entrüstung. Wenn ein Bevollmächtigter von mir sich in Brescia vorstellt, kann man ihm die Auszahlung nicht verweigern. Es ist wahr, Du bist als Frau nicht verpflichtet, diese Dinge zu wissen. Auch Deinen Zorn verzeihe ich Dir, denn selbst ich konnte anfangs nicht kühl bleiben. Dann aber habe ich mir gesagt: Über wen entrüstest du dich, und was überrascht dich? War dir dieses Übelwollen nicht bekannt, und hast du nicht schlimmere Beleidigungen erduldet?

Unendlich traurig hat es mich gemacht, daß Du es nicht über Dich vermochtest, Maria Deine Empfindungen zu verbergen, unendlich rührt es mich, daß Du diese Wallung bereust, und unendlichen Trost gewährt es mir, daß Du in dem Kinde den Herrn liebst, und daß Du es mir schreibst. Um die Wahrheit zu sagen, Liebste, sollte ich darüber noch nicht frohlocken; denn Himmel und Erde laden uns ein, Gott zu lieben, und er wird uns sichtbar in jedem Lichtstrahl, faßlich in der ganzen Natur! Aber Du beginnst endlich, seine Stimme zu vernehmen! Ich habe in meinen Briefen niemals diesen Punkt berührt, weil ich meine Unfähigkeit fühlte, würdig und zugleich wirksam mit Dir darüber zu sprechen. Und jetzt soll Gott durch das Kind weiter zu Dir sprechen, und ich kehre zu meinem Schweigen zurück. Du magst aber wissen, daß ich klopfenden Herzens lausche, daß ich bete und hoffe.

Kann ich Dir sagen, was ich für Maria empfinde? Wer könnte diese Rührung beschreiben, diese unendliche Zärtlichkeit, diese Sehnsucht, die mich packt, sie wenigstens einen Augenblick, einen einzigen Augenblick nur, an mein Herz zu drücken? Glaubst Du, daß ich bis November warten kann? Nein, ich will Kritiken schreiben und abschreiben und für andre auf Wache stehn, aber ich komme früher nach Lugano! Küsse sie inzwischen für mich und sage ihr, daß Papa seine Ombretta immer im Herzen trägt und sie segnet, und frage sie, was ich ihr mitbringen soll, und schreibe es mir dann, ohne an meine Armut allzusehr zu denken.

Ich umarme Dich von ganzer Seele, meine Luisa.

Franco.«

 

Luisa an Franco.

24. September 1855.

»Endlich! Seitdem Du fort bist, habe ich immer gewünscht, Du möchtest diesen Punkt berühren. Wie mag ich mich in jener Nacht, in meiner schmerzlichen Erregung ausgedrückt haben? Wie magst Du mich in der Deinen verstanden haben? Seit Monaten und Monaten fühle ich das Bedürfnis, mit Dir darüber zu sprechen, und immer habe ich es aus Mangel an Mut unterlassen.

Siehst Du, zum Beispiel. Du hast mich in jener Nacht des Stolzes bezichtigt. Ich flehe Dich an, mir zu glauben, daß ich nicht stolz bin; ich kann eine solche Anklage nicht einmal begreifen!

Ich glaube aus Deinen Briefen zu verstehen, daß Du annimmst, ich sei zum Glauben an Gott zurückgekehrt. Aber habe ich Dir je gesagt, daß ich nicht an Gott glaube? Ich kann Dir das nicht gesagt haben, denn die Geschichte meines Denkens ist in mein Gedächtnis eingegraben, und der schreckenvolle Gedanke, das Entsetzen, vielleicht nicht mehr an Gott glauben zu können, ist mir erst nach Deiner Abreise gekommen, ich weiß genau Tag und Stunde. Ich hatte in San Mamette von einem großen Gastmahl sprechen hören, das Deine Großmutter in Brescia gegeben hatte, und ich konnte unserm geliebten Onkel absolut das Regime an Speisen und Wein nicht verschaffen, das der Doktor, der für das rechte Auge fürchtete, vorgeschrieben hatte. Ich habe mit den finstern Mächten gekämpft, Franco, und ich habe gesiegt. Es ist wahr, der Sieg gebührt zum großen Teil unsrer Maria. Ich will damit sagen, daß, wenn so viel schwarze Wolken mir das Walten einer höheren Gerechtigkeit verbergen, ein Strahl davon mich trotz alledem in Maria trifft; und dieser Strahl macht mich an das Gestirn glauben, auf dasselbe hoffen. Denn es wäre zu fürchterlich, wenn nicht eine göttliche Gerechtigkeit das Weltall regierte!

In jener Nacht habe ich Dir folglich nur sagen können, daß ich die Religion anders verstehe wie Du, daß die Vorschriften des christlichen Glaubens und das Gebet mir nicht unbedingt zur religiösen Idee zu gehören schienen, hingegen Liebe und Aufopferung für die, die da leiden, unbedingt! Und Empörung und Auflehnung gegen die, die Leiden verursachen, unbedingt!

Und Du willst nun weiter schweigen? Nein, nein, das sollst Du nicht. Du fühlst Dich schwach, sagst Du. Dich schwach oder Deinen Glauben? Laß uns darüber sprechen, uns klar werden. Du mußt zugeben, daß ihr Gläubigen euern Glauben auch deswegen liebt, weil er ein so bequemes Ausruhen für den Geist gewährt. Ihr wiegt euch darin behaglich wie in einer Hängematte, die in der Luft schwebt, deren Fäden von Menschenhänden gearbeitet, von Menschenhänden miteinander verknüpft sind. Ihr befindet euch recht wohl darin, und wenn jemand sie untersuchen, mit der Hand auch nur einen einzigen dieser Fäden prüfend betasten will, dann werdet ihr unruhig und habt Angst, er könnte reißen, denn nach ihm würde sich leicht auch der nächste lösen, und nach diesem wieder ein andrer, und schließlich würde zu eurem Schreck und eurem Schmerz das ganze zerbrechliche Lager aus der Luft auf die Erde stürzen. Ich kenne diesen Schreck und diesen Schmerz, ich weiß, daß man auf diese Weise die Wohltat zahlen muß, später auf festem Grunde zu wandeln; und deswegen lasse ich nicht davon ab, mit Dir über eine Frömmigkeit zu verhandeln, die ja falsch wäre. Aber vielleicht täusche ich mich, und Du bist derjenige, der mich hinaufhebt in sein Lager aus zerbrechlichen Fäden und Luft. Das kann Maria nicht tun. Wenn Maria mir den Glauben an Gott gibt, so will das nicht sagen, daß sie mir auch den Glauben an die Kirche geben kann. Und Du, Du glaubst vor allem an die Kirche! Versuche also, mich zu überzeugen, und auch ich will Dir klopfenden Herzens lauschen; und wenn ich nicht bete, so hoffe ich wenigstens; denn mehr als je sehne ich mich jetzt darnach, mit Dir völlig eins zu sein. Ich fühle jetzt neben der alten Liebe zu Dir noch eine neue Bewunderung, eine neue Dankbarkeit.

Wird Dich dieser mein Erguß verletzen? Bedenke, daß es acht Monate sind, daß Du in Deiner Reisetasche einen Brief von mir gefunden haben mußt, und daß ich acht Monate lang auf die Antwort gewartet habe!

Der Professor und Ester sehen sich jetzt als Brautleute in unserm Hause. Die sind wenigstens glücklich. Sie geht in die Kirche, er geht nicht, und weder er noch sie machen sich mehr Gedanken darüber als etwa über die Verschiedenheit ihrer Haarfarbe. Und so machen es neunhundertneunundneunzig auf tausend Gatten, glaube ich.

Ich umarme Dich. Schreib mir lang und ausführlich.

Luisa.«

 

Dieser Brief ging erst am 26. September von Lugano ab, und Franco erhielt ihn am 27. Am 29. bekam er folgendes Telegramm, ebenfalls aus Lugano:

 

»Die Kleine schwer erkrankt. Komm sofort.

Onkel.«


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