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Fünftes Kapitel.
Der Teufel bei der Arbeit

Am nächsten Morgen, nachdem Pasotti seinen Milchkaffee getrunken und den Feldzugsplan bis halb elf überlegt hatte, ließ er Frau Barborin kommen, die in einem andern Zimmer schlief, weil den Kontrolleur – so nannte sie ihn demütig – ihr Schnarchen belästigte. »Er hat recht,« sagte die arme Schwerhörige, »es ist eine abscheuliche Angewohnheit, die ich habe.« Sie war älter als ihr Gatte und hatte ihn aus liebebedürftigem Herzen in zweiter Ehe geheiratet, ihm ein kleines Vermögen in die Ehe bringend, auf das er schon lange ein Auge geworfen hatte und in dessen Genuß er sich's nun wohl sein ließ. Der Kontrolleur meinte es auf seine Art gut mit ihr, er zwang sie zu Besuchen, zu Ausflügen im Boot, zu Bergpartien, die eine Qual für sie waren, er machte sich lustig über ihre Taubheit, behängte sie mit Seide und Federn, wenn sie ausging, und im Hause ließ er sie arbeiten wie eine Magd. Trotz alledem verehrte und diente sie dem »Kontrolleur« wie eine Sklavin, mit großer Furcht und dennoch nicht ohne Liebe. Wenn sie nicht als »der Kontrolleur« von ihm sprach, so nannte sie ihn Pasotti. Niemals gestattete sie sich eine vertraulichere Anrede.

Pasotti befahl ihr mit den Gebärden und der herrischen Miene eines Satrapen, ein frisch gewaschenes Hemd aus der Kommode, aus dem Schrank einen Gehrock und ein Paar Stiefel aus dem Schubkasten zu nehmen; und als seine Frau, hin und her suchend, furchtbebend, sich alle Augenblicke umwendend, um den Augen und Winken des Herrn zu folgen, sich verschiedene Verwünschungen zuziehend und den Mund weit aufsperrend, um zu versuchen, das gesehene Wort zu hören, alles bereit gelegt hatte, streckte Pasotti die Beine aus dem Bett und sagte: »Da!«

Frau Barborin kniete sich vor ihm hin und begann ihm die Strümpfe anzuziehen, während der Kontrolleur, mit der Hand nach dem Nachttisch langend, die Tabaksdose ergriff und, nachdem er sie geöffnet, mit beiden Fingern im Tabak stöbernd, in seinen Meditationen von vorhin fortfuhr. Er beabsichtigte, einige Kundschafterbesuche zu machen, aber in welcher Reihenfolge? Nach dem, was ihm sein Pächter gesagt hatte, schien es, als müßte die Marianna bei Herrn Giacomo Puttini oder vielleicht Herr Puttini selbst etwas von Don Franco wissen; und etwas mußte man sicher in Castello wissen. Indessen Frau Barborin ihm das zweite Strumpfband knüpfte, fiel Pasotti ein, daß es Dienstag sei. Herr Giacomo ging jeden Dienstag mit andern Freunden zum Markt nach Lugano und eigentlich mehr noch in die Trattoria del Lordo, um dem alltäglichen Grimelliwein allwöchentlich ein Gläschen unvermischten Weines zuzugesellen; und häufig kam er in zärtlicher und aufrichtiger Stimmung heim. Es war also gut, ihn erst später aufzusuchen, zwischen vier und fünf. Pasotti bildete sich schon ein, ihn in seinen Krallen zu haben, ihn an seinem Drahte tanzen zu lassen. Er nahm die Finger aus der Tabaksdose mit boshaftem Lächeln, schnippte ein bißchen von der zu groß geratenen Prise auf den Boden, schnupfte mit aller Gemächlichkeit, ließ sich von der Gattin das Taschentuch reichen und lohnte es ihr, indem er mit wohlwollendem Gesicht, das Taschentuch zusammenlegend, murmelte: »Armes Weib! Arme Seele!«

Nachdem er nach halbstündiger Arbeit den Rock angezogen und zugeknüpft hatte, rief er allen Ernstes aus: »Gott, welche Anstrengung!« und ging zum Spiegel. Seine Frau wagte nur schüchtern zu sagen:

»Ich kann wohl jetzt gehen, nicht?«

Pasotti wandte sich um mit gerunzelten Brauen, winkte sie gebieterisch mit der Hand zu sich heran und zeichnete über und um ihre Gestalt mit vier ausdrucksvollen Gebärden einen Hut und einen Schal. Sie sah ihn mit offenem Mund an, sie verstand nicht; sie deutete mit dem Zeigefinger auf seine Brust, fragte mit den Augen, mit den gewölbten Augenbrauen, als zweifelte sie, daß er diese Dinge vonnöten hätte; worauf Pasotti ihr in derselben Art antwortete, indem er sie dreimal mit dem Zeigefinger tippte: »Du, du, du!« Dann mit der ausgestreckten Hand nach draußen zeigend, bedeutete er ihr, daß sie mit ihm ausgehen müsse. Sie zuckte vor Erstaunen und voll Widerspruch zwei- oder dreimal zusammen, riß die Augen unverhältnismäßig weit auf und fragte mit einer Stimme, die aus dem Keller zu kommen schien:

»Wohin?«

Der Kontrolleur antwortete nur mit einem niederschmetternden Blick und einer bedeutungsvollen Bewegung. »Marsch!« Er wollte sich auf keine andern Auseinandersetzungen einlassen.

Frau Barborin versuchte noch einen schwachen Widerspruch.

»Ich habe noch nicht gefrühstückt,« sagte sie. Ihr Mann nahm sie bei den Schultern, zog sie zu sich heran und schrie ihr in den Mund:

»Das kannst du nachher tun.«

Erst bei Albogasio Inferiore, auf dem Kirchplatz der Annunziata, teilte er ihr mit, indem er mit dem Stock nach dem Ort deutete, daß sie nach Cadate gingen, nach dem verlassenen alten Herrschaftshaus, zwischen Casarico und Albogasio am See gelegen und im Volksmund »der Palazzo« genannt, wo einsam in den Zimmerchen des obersten Stockwerks der Priester Don Giuseppe Costabarbieri und seine Magd Maria, genannt die Palazzo-Maria, lebten. Pasotti kannte beide als Leute, die ihre Ohren spitzten, aber ihre Zunge im Zaum hielten, und wollte ihnen gern einzeln und unbemerkt auf den Zahn fühlen und, wenn er den Boden nachgiebig fand, zugreifen. Er hatte die Frau mitgenommen, damit sie ihm bei der zarten Angelegenheit als Helfershelfer diene, indem sie sich abwechselnd mit einem von beiden beschäftige; und sie, die arme, unschuldige Seele, trottete mit kurzen Schritten hinter ihm her, die hundertneunundzwanzig Stufen herunter, die man die Calcinera nennt, ohne eine Ahnung von der perfiden Rolle zu haben, die man ihr zugedacht.

Der See war glatt wie Öl, und Don Giuseppe, ein treffliches Priesterlein, klein, dick, mit weißen Haaren und rotem Gesicht, mit blanken Äuglein, stand neben dem Feigenbaum seines Gartens mit einem schwarzen Strohhut auf dem Kopf und einem weißen Tuch um den Hals, um Gründlinge zu fischen, so eine Sorte pfundschwerer Gründlinge, alte und durchtriebene Herrschaften, die diese Stelle aus Liebe zu den Feigen langsam, langsam umkreisten, neugierig und vorsichtig, gleich dem Priester und der Magd, Gott weiß, wo diese sich jetzt aufhielt. Pasotti trat ein, da die Haustür offen stand, er rief Don Giuseppe, er rief Maria.

Da niemand antwortete, hieß er seine Frau sich auf einen Sessel setzen, stieg hinunter in den Garten und schritt direkt auf den Feigenbaum zu, wo Don Giuseppe, als er seiner ansichtig wurde, sich in krampfhaften Höflichkeitsbezeigungen erging. Er warf die Angelrute beiseite und rief, ihm entgegenkommend: »O Herr, o Herr! Ah, ich Ärmster! In diesem Zustand! Mein lieber Herr Kontrolleur! Wir wollen hinaufgehen! Gehen wir hinauf! Mein lieber Herr Kontrolleur! In diesem Zustand! Nehmen Sie's mir nur nicht übel, nein? Ich bitte tausendmal um Entschuldigung!«

Aber Pasotti wollte nichts von »hinaufgehen« wissen; er wollte durchaus dort unten bleiben. Don Giuseppe rief: Maria! Maria!«

Und das große Gesicht Marias ward an einem Fensterchen des obersten Stockwerks sichtbar.

Don Giuseppe rief ihr zu, einen Stuhl herunterzubringen. Nun offenbarte der Herr Kontrolleur die Anwesenheit seiner Gattin, worauf das Gesicht verschwand und Don Giuseppe einen neuen Höflichkeitsanfall bekam.

»Wie? Wie? Die Frau Barborin? Sie ist hier? Lieber Gott! Gehen wir hinauf!« Und mit stürmischer Dienstbeflissenheit eilte er davon, aber Pasotti zwang ihn wieder unter seinen Willen, zunächst indem er ihn tatsächlich am Arme festhielt und dann, indem er ihm erklärte, er wolle ihn erst zwei oder drei dieser Riesengründlinge fangen sehen, und wie Don Giuseppe nun auch seinerseits protestierte: »O, o! Da hat sich was fangen! Schufte sind's, diese Gründlinge!« – es half nichts, er mußte den Angelhaken werfen. Pasotti tat erst sehr interessiert, und dann warf auch er seinen Köder aus.

Er fing an, Don Giuseppe zu fragen, seit wie lange er nicht in Castello gewesen sei. Als er erfuhr, daß er erst am Tag vorher dort gewesen sei, um seinen Freund, den Kaplan Introini, zu begrüßen, pries der gute Tartüff, der Introini nicht ausstehen konnte, ihn in allen Tonarten. Eine Perle, dieser Pfarrer von Castello! Welch goldenes Herz! Und hatte Don Giuseppe auch bei Rigeys vorgesprochen? Nein, der Frau Teresa ging es zu schlecht. Nun Lobpreisungen auf Frau Teresa und Luisa. Welch seltene Geschöpfe! Welche Klugheit, welche Vornehmheit, welches Gefühl! Und die Sache mit Maironi? Rückte vorwärts, nicht wahr? War schon sehr weit gediehen?

»Weiß nicht, weiß nicht, weiß nicht,« antwortete Don Giuseppe kurz.

Bei diesem hastigen Leugnen glänzten Pasottis Augen. Er tat einen Schritt vorwärts. Es war unmöglich, daß Don Giuseppe nichts wußte, Teufel auch! Es war unmöglich, daß er mit Introini nicht davon gesprochen hatte! Wußte Introini nicht, daß Don Franco die Nacht im Hause Rigey zugebracht hatte?

»Weiß nicht,« wiederholte Don Giuseppe.

Pasotti bemerkte jetzt sententiös, daß gewisse bekannte Dinge verbergen wollen soviel hieße, wie sie mißbilligen. Zum Kuckuck! Don Franco war zweifellos mit den ehrlichsten Absichten in das Haus Rigey gegangen und ...

»Ein Fisch, ein Fisch, ein Fisch!« flüsterte Don Giuseppe hastig, sich über das Geländer beugend, die Rute der Angelschnur zusammenziehend und mit den Augen in das Wasser blickend, als ob ein Fisch anbeißen wollte. »Ein Fisch!«

Pasotti sah auch ärgerlich ins Wasser und sagte, daß er nichts sähe.

»Er ist entschlüpft, der Schuft, aber er war gerade darüber mit dem Maul; er wird den Stachel gefühlt haben,« sagte seufzend und sich aufrichtend Don Giuseppe, der, weil auch er den Stachel des Hakens gespürt hatte, zu entschlüpfen versuchte wie ein Fisch.

Der andre ging noch einmal zum Angriff vor, aber umsonst. Don Giuseppe hatte nichts gesehen, hatte nichts gehört, hatte von nichts gesprochen, wußte von nichts. Pasotti schwieg, und der Geistliche zögerte nicht, ihm ebenfalls eine kleine, boshafte Spitze zu geben:

»Sie beißen, weiß Gott, nicht an, heute beißen sie nicht an; es ist, als läge Wind in der Luft.«

Indessen ging im Hause die Unterhaltung zwischen Maria und der Frau Barborin nach den ersten herzlichen Begrüßungen, die sehr gut ausgefallen waren, recht schlecht vorwärts. Maria schlug ihr durch Zeichen vor, in den Garten hinunterzugehen, aber mit gefalteten Händen beschwor die Pasotti sie, sie auf ihrem Stuhl zu lassen. Darauf nahm sich die dicke Maria auch einen Stuhl, setzte sich neben sie und versuchte, einige Worte an sie zu richten; da es ihr, wie sehr sie auch schrie, nicht gelang, sich verständlich zu machen, gab sie es auf, nahm ihre Katze auf den Schoß und sprach mit dieser.

Die arme Frau Barborin sah mit ihren großen, schwarzen, von Alter und Traurigkeit verschleierten Augen die Katze resigniert an. Endlich erschienen Pasotti und Don Giuseppe, der wieder anfing zu pusten:

»Ah, du lieber Himmel! Meine liebe Frau Barborin! Entschuldigen tausendmal!« Und als Maria dem Herrn Kontrolleur gestand, daß es seiner Frau und ihr nicht gelungen sei, sich zu verständigen, nannte er sie, aus Höflichkeit gegen Frau Pasotti, einen Dummkopf, und als sie sich dagegen verteidigen wollte, wies er sie klugerweise durch eine gebieterische Handbewegung und ein »Tatatata« zur Ruhe. Dann machte er ihr ein geheimnisvolles Zeichen mit dem Kopf, und sie ging hinaus. Pasotti ging ihr nach und sagte ihr, daß seine Frau, die den Rigeys einen Besuch schulde und wegen all der laufenden Gerüchte nicht wisse, wie sie sich benehmen solle, von der Maria gern Auskunft haben möchte, denn »die Maria wisse immer alles«.

»Was das für Redensarten sind!« antwortete Maria geschmeichelt. »Ich weiß nie was. Wissen Sie, zu wem Ihre Frau gehen muß? Zu Herrn Giacomo Puttini. Herr Giacomo, der weiß alles.«

›Gut!‹ dachte Pasotti, der diese Bemerkungen mit denen des Pächters in Einklang brachte und eine gute Spur witterte. Gleichzeitig zuckte er ungläubig die Achseln. Herr Giacomo wußte vielleicht, was auf dem Mond geschah, aber weiter nichts. Maria blieb bei dem, was sie gesagt; und der Fuchs begann mit Fragen zu arbeiten, weither geholten, äußerst vorsichtig, aber er fand sie unzugänglich und begriff, daß es verlorene Mühe wäre, und daß er sich mit diesem Wink begnügen mußte. Er schwieg also und kehrte halb befriedigt und präokkupiert in das Zimmer zurück, wo Don Giuseppe der Frau Barborin mit geeigneter Gebärdensprache erklärte, daß Maria für einen kleinen Imbiß Sorge trage. Und wirklich erschien das Mädchen mit einem viereckigen Glasgefäß voller in Spiritus eingelegter Kirschen, eine berühmte Spezialität des Don Giuseppe, der sie mit einer gewissen Feierlichkeit seinen Gästen vorzusetzen pflegte: »Darf ich Ihnen eine Kleinigkeit anbieten? Ein paar von meinen Kirschen? Vielleicht mit 'nem Bissen Brot? Maria, bring uns etwas Brot!«

Frau Barborin nahm auf den Rat ihres mephistophelischen Gemahls nur das Brot, während er nur die Kirschen nahm.

Dann gingen sie zusammen fort, und sie erhielt die Erlaubnis, nach Albogasio heimzukehren, während er sich auf den Weg zur Villa Gilardoni machte.

»Er ist ein Teufel, der Herr Pasotti,« sagte Maria, nachdem sie den Riegel vor die Haustür geschoben hatte.

»Nicht nur ein Teufel, der leibhaftige Satan ist er,« rief Don Giuseppe, an den Angelhaken denkend. Und mit dieser Benennung machten die beiden sanften Wesen sich Luft, entschädigten sie sich für all die ungern hergegebenen Dinge, die Umstände, das Lächeln und die Kirschen.

*

Der Professor Gilardoni las auf seinem Gartenbelvedere, als er Pasotti bemerkte, der hinter Pinella zwischen den Rüben- und Runkelrübenbeeten einherschritt. Er fühlte keine Sympathie für den Kontrolleur, mit dem er im ganzen nur zwei Besuche ausgetauscht hatte, und der in dem Rufe stand, ein »Österreicher« zu sein. Da er jedoch geneigt war, gut von allen zu denken, die er wenig kannte, so kostete es ihn keine Mühe, ihn mit derselben freundschaftlichen Artigkeit zu empfangen, die er gegen jedermann übte. Das Sammetbarett in der Hand, ging er ihm entgegen, und nach einem Scharmützel gegenseitiger Höflichkeitsbezeigungen, bei denen Pasotti den Vogel abschoß, kehrte er mit ihm zusammen zum Belvedere zurück.

Pasotti seinerseits empfand eine lebhafte Antipathie gegen den Professor Gilardoni, nicht sowohl, weil er ihn als liberal kannte, als weil Gilardoni, obschon er nicht wie er selbst zur Messe ging, wie ein Puritaner lebte, weder den Tafelfreuden huldigte, noch Geschmack am Trinken, am Rauchen, an gewissen freien Reden fand, und weil er nicht Tarock spielte. Eines Abends, als er im Garten mit Don Franco über die solennen Freß- und Saufgelage sprach, die Pasotti und seine Freunde häufig in den Weinausschänken von Bisgnago vereinten, hatte der Professor ein hartes Wort gebraucht, das von dem dicken Priester, der, im See fischend, mit seiner Barke hart an der Mauer vorüberglitt, gehört wurde. »Erzflegel!« hatte der liebenswürdige Kontrolleur mit dem Gesicht eines galligen Teufels ausgerufen, als ihm davon berichtet wurde. Dem Wort hatte er ein verächtliches Knurren folgen lassen, und dann hatte er ausgespuckt. Das hinderte ihn jedoch nicht, sich jetzt in tausend Entschuldigungen zu ergehen wegen des so unverzeihlich lange hinausgeschobenen Besuches, wie es ihn nicht hinderte, sofort nach dem Buche zu spähen, das auf dem ländlichen Tischchen des Belvedere lag. Gilardoni fing diesen Blick auf, und da es sich um ein von der Regierung verbotenes Buch handelte, nahm er es, sobald die Unterhaltung in Fluß gekommen war, fast instinktiv und hielt es so auf seinen Knien, daß der andre den Titel nicht lesen konnte. Diese Vorsicht störte Pasotti, der das Häuschen und den Garten in allen seinen Teilen in der für jeden einzelnen Teil geeigneten Tonart rühmte, die Zuckerrüben mit liebenswürdiger Familiarität, die Agaven mit ernster, staunender Bewunderung. Ein Zornesblitz funkelte in seinen Augen und erlosch sofort.

»Sie Glücklicher!« sagte er seufzend. »Wenn meine Verhältnisse es mir gestatteten, würde ich auch gern in Valsolda leben.«

»Es ist eine friedliche Gegend,« entgegnete der Professor.

»Ja, es ist eine friedliche Gegend; und dann, wer der Regierung gedient hat, der ist jetzt in der Stadt nicht gut angeschrieben, da ist nichts zu sagen. Die Leute verstehen nicht zu unterscheiden zwischen einem guten Beamten, der sich nur um das kümmert, was seines Amtes ist, wie ich es getan habe, und einem Polizeispitzel. Wir sind gewissen Verdächtigungen, gewissen Demütigungen ausgesetzt ...«

Der Professor wurde dunkelrot und bereute, daß er das Buch vom Tisch genommen hatte. In der Tat war Pasotti trotz aller seiner demütigen Mätzchen viel zu stolz, sich zum Spion herzugeben, und sei es wegen dieses Stolzes, sei es aus irgendeiner guten Regung seines Herzens, er hatte es niemals getan. Es war also in seinen Worten ein Gran von Aufrichtigkeit, ein Körnchen Gold, das genügte, ihnen den Klang des edeln Metalls zu verleihen. Gilardoni war gerührt davon, er bot seinem Gast ein Glas Bier an und stieg eiligst hinunter, Pinella zu suchen, um einen Vorwand zu haben, das Buch auf dem Tisch zurückzulassen.

Kaum war der Professor fort, so stürzte sich Pasotti auf das Buch und warf einen neugierigen Blick hinein, dann legte er es an den Platz zurück, stellte sich oben an die Treppe mit der geöffneten Tabaksdose in der Hand, im Tabak stöbernd und zwischen Bewunderung und Seligkeit den Bergen, dem See, dem Himmel zulächelnd. Das Buch war ein Giusti, unter dem falschen Druckort Brüssel, ja sogar Brusselle herausgegeben und unter dem Titel: »Auszug italienischer Gedichte aus einem gedruckten Manuskript.« In einer Ecke des Titelblattes stand mit schräger Schrift geschrieben: »Mariano Fornic.« Es bedurfte nicht einmal des Scharfsinnes eines Pasotti, um sofort aus diesem wundersamen Namen das Anagramm von Franco Maironi zu erraten.

»Welche Schönheit! Welches Paradies!« sagte er halblaut, während der Professor die Treppe heraufstieg, gefolgt von Pinella mit dem Bier.

Er beichtete dann zwischen einem Schluck und dem andern, daß sein Besuch nicht ganz uneigennützig sei. Er gab vor, ganz verliebt in die blühende Wand zu sein, die den Gemüsegarten Gilardonis vorn gegen den See stützte, und daß er den Wunsch hege, sie in Albogasio Superiore nachzuahmen, wo, wenn auch der See fehlte, allzuviel kahle Mauern seien. Woher hatte sich der Professor diese Agaven, diese Kapernsträucher, diese Rosen verschafft?

»Was meinen Sie!« antwortete treuherzig der Professor. »Maironi hat sie mir zum Geschenk gemacht.«

»Don Franco?« rief Pasotti. »Ausgezeichnet. So werde ich mich an Don Franco wenden, der mir sehr wohlgesinnt ist.«

Er zog die Dose. »Armer Don Franco!« sagte er, den Tabak ansehend und mit der Zärtlichkeit eines gerührten Teufels klopfend. »Armer Junge! Zuweilen ein bißchen hitzig, aber ein sehr guter Junge! Ein vortreffliches Herz! Armer Junge! Sie sehen ihn oft?«

»Ja, recht oft.«

»Möchten ihm wenigstens seine Wünsche in Erfüllung gehen, armer Junge! Ich meine seinetwegen und auch ihretwegen. Die Sache wird doch nicht zu Wasser werden?«

Pasotti äußerte diese Frage als großer Künstler, mit herzlicher, aber diskreter Teilnahme, ohne mehr Neugier an den Tag zu legen, als schicklich war, er wollte das verschlossene Herz Gilardonis erst ölen und weich machen, damit es sich ganz allmählich von selbst auftue. Aber statt sich unter dieser zarten Berührung zu öffnen, zog Gilardonis Herz sich zusammen, schloß sich.

»Ich weiß es nicht,« antwortete der Professor, zu seinem Ärger fühlend, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg, und dadurch noch tiefer errötend. Pasotti notierte sofort in dem Taschenbuch seines Geistes die verlegene Antwort und das Erröten. »Er täte unrecht,« sagte er, »das Spiel aufzugeben. Es ist begreiflich, daß die Marchesa Schwierigkeiten macht, aber im Grunde ist sie gut und liebt ihn sehr. Eine Angst hat sie ausgestanden, die vorletzte Nacht, die arme Frau!«

Er blickte den Professor an, der schwieg, unruhig und finster, und er dachte: ›Du sprichst nicht? also weißt du.‹ »Sie begreifen,« fuhr er fort. »Nicht zu sagen, wohin man geht! Meinen Sie nicht auch?«

»Aber ich weiß nichts, ich begreife nichts!« rief Gilardoni, immer verdrossener, immer unruhiger.

Hier riskierte Pasotti, der wohl wußte, daß der Professor schon seit langer Zeit aufgehört hatte, die Rigeys zu besuchen, aber den Grund hierfür nicht kannte, als Neuling in der Späherkunst einen Schritt vorwärts.

»Man müßte sich in Castello darnach erkundigen,« sagte er mit einem etwas malitiösem Lächeln.

Bei diesem Punkte schäumte Gilardoni, in dem es schon lange kochte, über:

»Haben Sie die Güte,« sagte er gereizt, »lassen wir diese Unterhaltung, lassen wir diese Unterhaltung!«

Pasotti verfinsterte sich. Höflich, schmeichlerisch, süßlich wie er war, duldete es doch sein Stolz nicht, ein unziemliches Wort sich ruhig ins Gesicht sagen zu lassen; er nahm es über alle Maßen übel. Er sprach nicht mehr, und nach einigen Minuten verabschiedete er sich mit würdevoller Kälte und zog sich, seine Wut hinunterwürgend, über Zuckerrübenbeete und Rüben zurück. Als er sich wieder in der Straße dei Mal'ari befand, blieb der Satansjünger eine Weile, das Kinn in der Hand, nachdenklich stehen, dann nahm er den Weg nach dem Ufer von Casarico, er ging langsam und gebückt, aber mit den leuchtenden Augen eines Hundes, der in der Luft die verborgene Nähe einer Trüffel wittert. Der erschreckte Widerspruch Don Giuseppes, der hartnäckige Widerspruch der Maria, die Verlegenheit und der Zornesausbruch des Professors sagten ihm, daß die Trüffel vorhanden war und noch dazu eine große. Erst hatte er daran gedacht, nach Loggia zu gehen, wo der Paolin und der Paolon, beide wohlunterrichtete Leute, wohnten; dann war ihm eingefallen, daß es Dienstag sei und er sie wahrscheinlich nicht antreffen würde. Nein, es war besser, von Casarico direkt nach Castello hinaufzusteigen, dort in der Wohnung einer gewissen Frau Cecca zu wittern und zu wühlen, einer vortrefflichen Dame, die ganz Herz war und berühmt wegen der unermüdlichen Wachsamkeit, mit der sie von ihren Fenstern aus mittels eines gewaltigen Fernrohrs das ganze Valsolda beobachtete. Sie vermochte jeden Tag Auskunft zu geben, wer mit dem Bootsmann Pin und wer mit dem Bootsmann Panighèt nach Lugano gefahren sei, sie verfolgte die Zusammenkünfte des armen Pinella mit einer gewissen Mochèt auf dem Kirchplatz in Albogasio auf einen Kilometer Entfernung; sie wußte, in wieviel Tagen der Herr Ingenieur Ribera das Füßchen Wein ausgetrunken hatte, das seine Barke von dem Haus in Oria leer nach der Kellerei von S. Margherita zurücktrug. Ob Franco im Hause Rigey gewesen war, mußte Frau Cecca wissen.

In dem gedeckten Gang, der von Casarico nach dem Wege von Castello führt, hörte Pasotti jemand eiligen Schrittes hinter sich herkommen, in dem er, als er ihn im Dunkel überholte, einen gewissen Herrn zu erkennen glaubte, der wegen seiner immer eiligen Gangart den Beinamen »gehetzter Hase« führte. Dieser brave Mann übertraf an Neugier noch Pasotti, ein vortrefflicher Mensch, der die Dinge nur der Wissenschaft halber gern wissen wollte, ohne Nebenzwecke; er ging immer allein, war überall, erschien und verschwand wie ein Blitz bald an einem Ort, bald am andern, wie gewisse große, geflügelte Insekten, die plötzlich aufschnellen, schwirren, mit den Flügeln schlagen, dann still sind; – man hört sie nicht, man sieht sie nicht, bis sie plötzlich wieder aufschnellen, wieder schwirren und wieder mit den Flügeln schlagen. Er hatte die Pasottis in den Palazzo eintreten sehen, und die ungewöhnliche Stunde hatte ihn argwöhnisch gemacht. Auf einem Feld versteckt, hatte er Frau Barborin nach Hause gehen sehen und den Kontrolleur den Weg nach Casarico einschlagen, war ihm von weitem gefolgt und hatte sich während seines Besuches bei Gilardoni hinter einem Pfeiler des Bogenganges von Casarico verborgen; und jetzt war er, die Dunkelheit benützend, an ihm vorbeigeglitten, um nach Castello zu laufen, ihn dort zu erwarten und von einem guten Beobachtungsposten zu überwachen. In der Tat sah er ihn bei Frau Cecca eintreten.

Die alte, mit einem Kropf behaftete Dame stand in ihrem Salon. Mit der linken Hand hielt sie ein kleines Bürschchen, das an ihrem Halse hing, während sie mit der freien Hand ein übermäßig langes Rohr aus Pappe dirigierte, das, mit Bindfaden schräg im Fenster befestigt, wie eine kleine Kanone auf den funkelnden See, auf ein weißes, windgeschwelltes Segel gerichtet war. Bei Pasottis Eintritt, der, sich verneigend, den Hut in der Hand, mit strahlendem, honigsüßem Gesicht näher trat, legte die gute, gastfreundliche Dame eiligst diese lange, ungeheuerliche Pappnase nieder, die sie in die fernliegendsten Angelegenheiten andrer zu stecken liebte, wo ihr eignes pergamentenes, nicht gerade klein ausgefallenes Riechorgan nicht ausreichte. Sie empfing den Kontrolleur, wie sie einen wundertätigen Heiligen hätte empfangen können, der gekommen wäre, sie von dem Kropf zu befreien.

»Ach, mein lieber Herr Kontrolleur! Mein lieber Herr Kontrolleur! Ah, wie mich das freut! Wie mich das freut!«

Sie bat ihn, Platz zu nehmen, und erstickte ihn mit liebenswürdigen Anbietungen.

»'n bißchen Torte! 'n bißchen Mandelkuchen! Mein lieber Herr Kontrolleur! Bißchen Wein! 'n bißchen Rosenlikör! Entschuldigen Sie nur,« fuhr sie fort, da das Würmchen zu gnauzen anfing. »Es ist mein Enkelchen; ja doch, 's ist mein Herzblatt.«

Pasotti machte Umstände, denn außer Don Giuseppes Kirschen hatte er auch schon Gilardonis Bier im Magen; aber schließlich blieb ihm nichts übrig, als an so einem verwünschten Mandeltörtchen zu knabbern, während der Kleine sich am Kropf der Großmutter festhielt.

»Arme Frau Cecca! Zweimal Mutter!« sagte pathetisch bei diesem Anblick der boshafte Fuchs und lachte sich ins Fäustchen. Nachdem er sich nach dem Gatten und der Deszendenz bis in die dritte Generation erkundigt hatte, führte er Frau Teresa Rigey ins Treffen. Wie ging es der armen Dame? Schlecht! Wirklich so schlecht? Aber seit wann? Lag irgendeine besondere Ursache vor? Irgendeine Aufregung? Irgendeine Unannehmlichkeit? Ihre alten Sorgen kannte man ja, waren neue hinzugekommen? Vielleicht wegen Luisina? Wegen dieser Heirat? Franco kam niemals nach Castello? Bei Tag, nein, das stimmte; aber ...

Wie der Kranke bei der Untersuchung, wenn der Arzt vorsichtig nach der schmerzenden Stelle tastet, immer kürzer antwortet, je näher die prüfende Hand dem wunden Punkt kommt, und, sobald er berührt wird, sich ihm zitternd entwindet, so wurden die Antworten der Frau Cecca immer kürzer und vorsichtiger, und bei diesem aber, das sanft die kritische Stelle berührte, rief sie plötzlich:

»Noch 'n Stückchen Torte, Herr Kontrolleur! Die Mädels haben's gebacken!«

Pasotti verwünschte im Innersten seines Herzens »die Mädels« und ihren Kuchen aus Honig, Teig und Mandelöl, aber er hielt es für praktisch, noch ein zweites Stückchen hinunterzuwürgen, und berührte, nein, drückte noch einmal dieselbe Stelle.

»Ich weiß von nichts, von nichts, von nichts!« rief Frau Cecca. Versuchen Sie, mit Puttini zu sprechen! Mit dem Herrn Giacomo! Mich fragen Sie nur nichts mehr!«

Wieder! Pasottis Gesicht strahlte bei dem Gedanken, den bös hereingefallenen Giacomo in den Krallen zu haben. So würden die Augen eines übermütigen Falken funkeln bei dem Gedanken, einen Frosch zu packen und als Spielzeug und Zeitvertreib in den Fängen zu halten. Bald darauf empfahl er sich, mit allem zufrieden, außer mit der schweren Torte, die ihm im Magen lag.

*

Die Villa Puttini, deren kleine, herrschaftliche Fassade dem kleinen, alten Besitzer glich, der darin im schwarzen Rock und großer weißer Kravatte herrschte, lag nur wenig unterhalb des stolzen Massivgebäudes der Pasotti, auf dem Wege nach Albogasio Inferiore. Am Nachmittag gegen fünf Uhr machte sich der Falke mit boshaftem Gesicht auf den Weg dorthin. Er klopfte an die Tür und horchte. Er war da, der unglückliche Frosch war zu Hause, er zankte wie gewöhnlich mit der widerspenstigen Magd.

»Mach auf!« sagte Herr Giacomo; aber Marianna verspürte keine Lust, hinunterzugehen und zu öffnen. »Mach auf! Mach auf! Ich bin hier der Herr!«

Umsonst. Pasotti klopfte von neuem, er klopfte wie eine Wurfmaschine.

»Verwünscht, wer ist da?« schrie Puttini, und keuchend »hpff! hpff!« kam er herunter und öffnete. »O, mein verehrter Kontrolleur!« sagte er, mit den Augen blinzelnd und die Augenbrauen pathetisch in die Höhe ziehend. »Verzeihen Sie! Diese unselige Person! Ich habe den Kopf verloren! Ich kann Ihnen gar nicht sagen, was in diesem Hause vorgeht.«

»'s is nich wahr!« schrie Marianna von oben.

»Schweig!« Und Herr Giacomo begann nun seine Leiden zu klagen, wobei er alle Augenblicke den Widerspruch der unsichtbaren Dienstmagd zurückweisen mußte. »Stellen Sie sich vor, heute morgen gehe ich nach Lugano. Ich komme nach Hause, so ungefähr gegen drei Uhr. An der Tür, sehen Sie hier, da sind Tropfen. – Schweig! – Ich achte nicht darauf, ich gehe vorwärts. Ich bin am Treppenabsatz, um in die Küche zu gehen; da sind Tropfen. – Still da oben! – ›Was hat sie vergossen?‹ denke ich. Ich bücke mich, ich wische mit dem Finger auf der Erde; ich fühle, es ist Fett; ich rieche, es ist Öl. Nun gehe ich den Tropfen nach. Ich taste, ich rieche, ich taste, ich rieche. Alles Öl, verehrtester Kontrolleur. Entweder ist es gekommen, oder es ist fortgebracht, sage ich mir. Wenn es gekommen ist, so hat's der Verwalter gebracht, und dann müssen die Tropfen, die vor der Tür verschüttet sind, bis hinauf führen; ist es fortgebracht, dann hat diese verwünschte Person ... schweige sie! ... es zum Verkauf nach S. Mamette getragen, und die Tropfen müssen dann bis hinunter führen. Und ich kehre um und gehe den Tropfen nach, immer den Tropfen nach, ich komme zur Tür; mein verehrtester Kontrolleur, die Tropfen gehen nach unten. Diese Person ...«

Bei diesem Wort ging die Stimme der Magd wie der Wecker einer Uhr los, keine »Still«-Rufe vermochten diesen kreischenden, unaufhaltsamen Strom wutentbrannter Worte zu unterbrechen.

Pasotti versuchte es; da es ihm nicht gelang, geriet auch er in hellen Zorn.

»O du Nichtswürdige,« rief er, und fuhr fort, ihr Schimpfworte an den Kopf zu werfen, von denen jedes einzelne von einem halblaut geäußerten Wort der Anerkennung seitens des Herrn Giacomo begleitet wurde:

»Sehr gut gegeben, dreistes Mundwerk, bravo. Ihnen sehr verpflichtet. Ja, Hexe, bravo. Lästige Person, ausgezeichnet. Bin Ihnen sehr verpflichtet, verehrtester Kontrolleur, bin Ihnen wirklich verpflichtet.«

Als Marianna endlich ausgetobt zu haben schien und verstummte, sagte Pasotti zu Herrn Giacomo, daß er ihn sprechen müsse.

»Ich habe keinen Kopf,« entgegnete das Männchen. »Sie werden mir verzeihen, mir ist nicht wohl.«

»O, ich hab' keinen Kopf, ich hab' keinen Kopf,« äffte die wieder munter gewordene Marianna ihm nach. »Wenn er's sagt, dann wird er den Kopf wohl verloren haben, wie er bei Nacht die Frauensleute in Castello besucht hat!«

»Schweig!« brüllte Puttini; und Pasotti mit teuflischem Grinsen:

»Wie, wie, wie?«

Als er sah, daß der andre in Wut geriet, hielt er ihn an einem Arm fest und zog ihn unter friedlichem und liebevollem Zureden mit sich fort, schleppte ihn nach seinem Hause, rief seine Frau, und um den armen Frosch zu beruhigen, um ihn gemächlich in seine Krallen zu nehmen, arrangierte er ein Tarock zu dreien.

*

Wenn Frau Barborin schlecht spielte, so spielte Herr Giacomo, grübelnd, überlegend, schnaubend, noch schlechter. Er war ein sehr zaghafter Spieler und spielte niemals allein gegen die beiden andern. Heute hielt er, kaum daß sie angefangen hatten, so außerordentliche Karten in der Hand, daß er in einem Anfall von Mut sich ordentlich ins Zeug legte.

»Gott weiß, was für ein Spielchen er hat,« murmelte Pasotti.

»Ich sage nichts ... ich sage nichts ... meine Mönche gehen in Pantoffeln spazieren.«

Herrn Giacomos »ich sage nichts« bedeutete, daß er wunderbare Karten in der Hand hatte; und die Mönche in Pantoffeln waren in seinem Jargon die vier Könige des Spiels.

Während er sich zum Ausspielen anschickte, indem er jede einzelne Karte befühlte und überlegend ansah, nahm Pasotti die Gelegenheit wahr – nebenbei hoffend, daß er ihm das Spiel abgewinnen würde – und sagte:

»Also, erzählen Sie ein bißchen. Wann sind Sie des Nachts nach Castello gegangen?«

»O Gott, o Gott! Lassen wir das!« entgegnete Herr Giacomo tief errötend und mehr als je mit den Karten angebend.

»Ja, ja, jetzt spielen Sie nur aus. Wir sprechen nachher. Außerdem weiß ich ja schon alles.«

Armer Herr Giacomo, er hatte gut spielen mit diesem Stachel im Fleische! Er befühlte die Karten, er schnaubte, er spielte aus, was er hätte behalten müssen, er irrte sich beim Zählen der Tarocks, verlor ein paar der Mönche mit den entsprechenden Pantoffeln, und trotz seines ausgezeichneten »Spielchens« ließ er einige Marken in Pasottis Krallen, der vergnüglich grinste, und auf dem Schälchen der Frau Barborin, die mit gefalteten Händen wiederholte:

»Was haben Sie nur gemacht, Herr Giacomo, was haben Sie nur gemacht?«

Pasotti nahm die Karten an sich und fing an zu mischen, wobei er mit sardonischem Ausdruck Herrn Giacomo anblickte, der nicht wußte, wo er seine Augen lassen sollte.

»Gewiß,« sagte er. »Ich weiß alles. Die Frau Cecca hat mir alles erzählt. Im übrigen, mein teurer politischer Deputierter, werden Sie vor dem K. K. Kommissär von Porlezza Rechenschaft ablegen.«

Bei diesen Worten reichte Pasotti das Kartenspiel dem Puttini, damit er abhebe. Aber kaum hatte er diesen bedrohlichen Namen gehört, begann Puttini zu stöhnen:

»O Gott, o Gott, was sagen Sie da, ich weiß nichts ... o Gott ... der K. K. Kommissär ... Ich sage ... ich wüßte nicht, weshalb ... pff!«

»Gewiß!« wiederholte Pasotti. Er wartete auf ein Wort, das ihm Aufschluß geben sollte; und er machte seiner Frau ein Zeichen, indem er mit dem Daumen erst auf die Tür und dann auf ihren eignen Mund deutete, daß sie etwas zu trinken bringen sollte.

»Muß auch dieser verwünschte Ingenieur ...!« rief, fast wie zu sich selbst sprechend, Herr Giacomo.

Wie der Fischer mühsam die lange, schwere Angelschnur an sich zieht, wenn er glaubt, daß der langersehnte große Fisch angebissen, und er zieht und zieht und sieht endlich aus dem Grunde zwei große Umrisse von Fischen statt eines einzigen auftauchen, und wie er dann klopfenden Herzens die Vorsicht und die Geschicklichkeit verdoppelt, so Pasotti, als er den Namen des Ingenieurs hörte; er war im höchsten Grade erstaunt, sein Herz klopfte, und er war entschlossen, mit so zartem Griff wie nur möglich das Geheimnis des Herrn Giacomo und des Ribera herauszuziehen.

»Gewiß,« sagte er. »Er hat unrecht getan.« Herr Giacomo schwieg.

Pasotti blieb dabei:

»Er hat sehr unrecht getan.«

Frau Barborin trat, ganz Lächeln, mit einem Tablett, einer Flasche und Gläsern ein. Der Wein ist von dunkelroter Farbe, durchsichtig wie Rubin, und Herr Giacomo macht ihm, wenn noch kein zärtliches, so doch ein wohlwollendes Gesicht. Der Wein strömt ein Aroma von herber Kraft aus, und Herr Giacomo zieht den Duft tief empfundenen Gemüts in die Nase, er betrachtet ihn gerührt, er zieht wieder ein. Der Wein ist von jener süffigen Fülle, die Gaumen und Seele wohlgefällig ist, der Wein ist in Wirklichkeit von jener guten, starken Herbheit, wie sein Aroma sie ankündigt, und Herr Giacomo schlürft ihn in dem Wunsche, er möge nicht flüssig und vergänglich sein, er kaut ihn, er schwelgt darin, er schmatzt mit den Lippen; und wenn er von Zeit zu Zeit das Glas auf den Tisch setzt, so läßt er es weder aus der Hand noch aus den feucht glänzenden Augen.

»Der arme Ingenieur!« rief Pasotti. »Armer Ribera! Er ist ein guter, anständiger Mensch, aber ...«

Und er zog und zog, der unglückliche Herr Giacomo saß schon fest und kam hinter Angel und Faden zum Vorschein.

»Ich wollte eigentlich nicht,« sagte er. »Er hat mich dazu getrieben. – ›Kommen Sie,‹ sagte er; ›warum wollen Sie nur nicht kommen? Es geschieht kein Unrecht, es ist eine ehrliche Sache.‹ ›Ja,‹ sage ich, ›das scheint mir auch so, aber dieses Geheimnis!‹ ›Aber! Die Großmutter!‹ sagt er. ›Ich verstehe,‹ sage ich, ›aber es ist mir nicht angenehm.‹ ›Mir auch nicht,‹ sagt er. ›Welche Rolle spielen wir dann,‹ sage ich, ›Sie und ich?‹ ›Die Rolle des Narren,‹ sagt er in seiner gutmütigen, altmodischen Art, ›was wollen Sie? Das liegt nun mal in meinem Temperament.‹ ›Dann komme ich,‹ sage ich.«

Hier hielt er inne. Pasotti wartete ein wenig, dann zog er vorsichtig die Schlinge zu. »Das schlimme ist,« sagte er, »daß in Castello darüber gesprochen wird.«

»Ja, lieber Herr, und ich habe es mir gleich gedacht. Die Familie hat geschwiegen, der Ingenieur hat geschwiegen, ich habe selbstverständlich geschwiegen, aber der Pfarrer wird nicht geschwiegen haben, und der Sakristan wird nicht geschwiegen haben.«

Der Pfarrer? Der Sakristan? Jetzt verstand Pasotti. Er war starr; ein so großes Geschäft hatte er sich nicht versprochen. Er goß dem in seine Fänge geratenen Herrn Giacomo zu trinken ein, holte ihn mit Leichtigkeit über alle Einzelheiten der Eheschließung aus und versuchte, über die Pläne des jungen Paares einiges aus ihm herauszubringen; aber das gelang ihm nicht. Er mischte die Karten, um das Spiel fortzusetzen, und Herr Giacomo sah nach der Uhr und fand, daß noch neun Minuten an sieben fehlten, der Zeit, um die er seine Wanduhr aufzuziehen pflegte. Drei Minuten auf den Weg, zwei Minuten für die Treppe, – blieben ihm nur noch vier Minuten, um sich zu verabschieden.

»Verehrtester Kontrolleur, ich habe Ihnen die Rechnung gemacht, Sie entschuldigen, es stimmt genau.«

Frau Barborin, die glaubte, es handle sich um einen Streit, fragte ihren Gatten. Pasotti legte seine Hände vor den Mund und schrie ihr ins Gesicht: »Er will zu seiner Liebsten gehen!«

»Nicht doch, nicht doch!« entgegnete der arme Herr Giacomo, dessen Gesicht in allen Regenbogenfarben spielte; und die Pasotti, die wunderbarerweise verstanden hatte, sperrte ihren großen Mund auf und wußte nicht, ob sie glauben sollte oder nicht. »Die Liebste? Ach, was für ein Geschwätz! 's ist doch nichts wahr davon, Herr Giacomo, sind bloß Redereien? Sie könnten es ruhig übelnehmen, ich sage ja nicht, daß Sie zu alt sind, aber immerhin!« Als sie begriffen, daß er fortgehen wollte, versuchte sie, ihn mit Maronen von Venegonno, die am Feuer kochten, zurückzuhalten. Aber weder die Maronen noch Pasottis kränkende Bemerkungen konnten Herrn Giacomo von seinem Entschluß abbringen, und er empfahl sich mit dem Gespenst des K. K. Kommissärs im Herzen und gleichzeitig mit dem Bewußtsein einer unbehaglichen Empfindung, einer unbestimmten Unzufriedenheit mit sich selbst, die er sich nicht zu erklären vermochte, mit dem instinktiven Gefühl, daß die Injurien der boshaften Magd schließlich den Schmeicheleien Pasottis noch vorzuziehen seien.

Pasottis Augen waren indessen noch funkelnder als gewöhnlich. Er wollte sogleich nach Cressogno gehen. Ein unermüdlicher Fußgänger, berechnete er, daß er bis um acht Uhr dort sein könnte. Der Gedanke, mit seiner großen Entdeckung zu der Marchesa zu gehen, den Geheimnisvollen zu spielen, mit suggestiven Worten in kleinen Dosen herauszurücken und das übrige sich entreißen lassen, der Gedanke behagte ihm sehr. Und er bereitete zu seinem eignen Vergnügen schon eine kleine versöhnliche, gemütvolle Rede vor, die er der unbeugsamen Dame auf die Wunde legen wollte, so daß sie nicht imstande wäre, sie zu verbergen, und daß niemand, nicht einmal Franco, sich über ihn beklagen könnte. Er ging in die Küche, ließ sich die Laterne anzünden, denn es war eine sehr dunkle Nacht, und machte sich auf den Weg.

In der Tür begegnete er seinem Pächter, der hereinkam. Der Pächter grüßte, trug einen großen Korb mit Früchten in die Küche, half der Magd, sie an Ort und Stelle legen, setzte sich ans Feuer und sagte mit größter Seelenruhe:

»Eben ist die Frau Teresa aus Castello gestorben.«


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