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Antonio Fogazzaro

Antonio Fogazzaro

Biographische Skizze von E. Gagliardi.

Unter den Dichtern der Neuzeit mag es wenige geben, denen die schönsten Gaben der Natur und des Lebens in so reichem Maße und in so idealer Vereinigung zuteil geworden sind wie dem edeln und feinsinnigen Manne, in dem die Italiener ihren größten Prosaschriftsteller seit Manzoni verehren: Antonio Fogazzaro. An der Schwelle des Greisenalters stehend, doch noch von jugendlichem Feuer durchglüht und im Vollbesitz seiner herrlichen Geisteskräfte, beglückt durch ein schönes Familienleben, das er in seiner schwärmerisch geliebten engeren Heimat genießt, blickt Fogazzaro von der Höhe seines Schaffens und seines Ruhmes auf ein übrigens noch keineswegs abgeschlossenes dichterisches Lebenswerk zurück, das seinem Namen einen dauernden Platz in der Weltliteratur sichert.

Das Städtchen Vicenza bei Venedig, wo er am 25. März 1842 geboren wurde, gleicht einem Schmuckkästchen. Jedem Goethekenner ist diese Stadt des Palladio mit ihren von edelster Harmonie zeugenden Bauwerken vertraut. Dem ausgesprochenen Kunstsinn seiner Bewohner und ihrem Hang zu geistigen Spekulationen und literarischen Erörterungen verdankt das Städtchen den Beinamen des oberitalienischen Athen. Mit dieser seiner Heimat ist der Dichter aufs innigste verwachsen; unzertrennlich gehören sie zusammen.

Mariano Fogazzaro, der Vater des Dichters, dessen vornehmes Heim der Sammelpunkt der geistig hervorragenden Persönlichkeiten nicht nur der Stadt, sondern der ganzen Umgegend war, lebte in der großen Zeit, die der Befreiung des Vaterlandes voranging. Als die Revolution von 1848 ganz Italien in einen Freiheitstaumel versetzte, war der Dichter erst sechs Jahre alt. Aus der Zeit seiner glücklichen Kindheit hat sich am nachhaltigsten bei ihm die Erinnerung an die Freudigkeit eingeprägt, mit der sein Vater sich an der Verteidigung Vicenzas gegen die Österreicher beteiligte, während die Mutter dreifarbige Kokarden für ihre Landsleute und Verbandzeug und Linderungsmittel, auch für den Feind, emsig vorbereitete.

Mit der glühenden Vaterlandsliebe verbanden die Eltern des Dichters eine reine Frömmigkeit. In ihrem Hause wurde das Interesse für die schöne Literatur und die Musik und die Liebe zur Natur gepflegt. Jeder menschenfreundlichen Anregung war man zugänglich, und die Bemühungen der Eltern, diese edeln Eigenschaften auch in ihrem Sohn zu erwecken, fielen auf fruchtbaren Boden. Der Vater, ein Mann von gewähltem literarischem Geschmack, dichtete selbst in Prosa und Versen und erzog seinen Sohn zum Kultus der großen italienischen Dichter. Außerdem war er ein schwärmerischer Verehrer deutscher Musik und ein vorzüglicher Klavierspieler. Schon früh wurde das Ohr des Sohnes an die erhabenen Klänge eines Bach, Beethoven, Haydn und Mozart gewöhnt. Die Mutter sang mit unendlich zarter, glockenreiner Stimme allerlei Volkslieder und Opernmelodien. Auf ihrem Grabstein wird ihr besonders » un dolcissimo eloquio« – ein berückender Vortrag – nachgerühmt.

Ein Onkel des Dichters, ein Geistlicher, der sich noch lange an den Erfolgen des Neffen hat freuen dürfen und erst vor kurzem in hohem Alter gestorben ist, nährte in ihm nicht nur den Hang zu positiven Studien, sondern führte ihm durch das lebendige Beispiel vor Augen, wie schön die Pflichten des geistlichen Standes und leidenschaftliche Vaterlandsliebe sich ergänzen und fördern können.

Im Jahre 1859, als Napoleon III. die Hoffnungen der Venetianer durch den überstürzten Frieden von Villafranca so arg enttäuschte, wanderte Mariano Fogazzaro, um nicht weiter unter österreichischer Herrschaft zu leben, mit den Seinen nach Turin aus. Dort empfing der junge Antonio im persönlichen Verkehr mit den Trägern der Nationalidee Eindrücke, die ausschlaggebend auf ihn wirken sollten.

Die Jugendzeit Fogazzaros weist manche Analogien mit derjenigen Goethes auf. Ihr Entwicklungsgang war durch die äußeren Verhältnisse – ein seltener Fall bei Dichtern – begünstigt. Mit derselben zärtlichen Liebe wie Goethe an seiner Mutter hing der Italiener an seinem Vater. Wie Goethe, so suchte auch Fogazzaro sich selbst lange, ehe er sich an die Öffentlichkeit wagte. Es geschah dies im Jahre 1874 mit » Malombra«, einem Roman, an dem er volle sechs Jahre gearbeitet hatte. Unter dem Einfluß spiritistischer Studien stellte er in Marina, der Heldin des Buches, ein überspanntes, hysterisches Mädchen dar, das, unter der Einwirkung eines Traumes stehend, sich dem Wahn hingibt, in ihr lebe die Seele ihrer Großmutter fort, und sich vornimmt, das der Großmutter geschehene Unrecht zu rächen. Trotz der sehr verworrenen Handlung und der allzu krassen Effekte erzielte das Werk dank der wunderbar feinen Charakterisierung der einzelnen Figuren und den vielen eingestreuten stimmungsvollen Gedichten einen großen Erfolg und hat es auf sechszehn Auflagen gebracht. Das nächste Werk Fogazzaros, der Roman »Daniele Cortis«, machte den Dichter vollends bekannt und berühmt. Das Buch brachte es in kurzer Zeit auf zwanzig Auflagen und wurde in alle Kultursprachen übersetzt. Der Titelheld des Romans zeigt eine so auffallende Ähnlichkeit mit dem Verfasser, daß man ihn wohl als eine Art Selbstporträt ansehen darf. Von tiefster Religiosität erfüllt, von ritterlicher, hochherziger Gesinnung, macht sich Daniele Cortis in der italienischen Kammer zum Wortführer einer Partei, die die Verschmelzung hoher Religiosität mit glühender Vaterlandsliebe zum Heile Italiens aus ihre Fahne geschrieben hat. Als Gegner stellt er Daniele Cortis einen Typus jener kleinlichen, intoleranten Geistlichen gegenüber, wie sie in seinem alpinen Wahlkreis aufgestellt wurden. Wiewohl ein Vertreter der alten Schule der Idealisten, steht Fogazzaro in der Charakteristik seiner Gestalten doch auf ganz realem Boden. Die Helden, Elena und Cortis, sind zwei außergewöhnliche, aber mit menschlichen Leidenschaften und Empfindungen ausgestattete Wesen. Man könnte sogar dem Buch vorwerfen, daß die Charaktere allzu minutiös nach dem Leben geschildert sind, wie zum Beispiel die unheimliche Gestalt der alten Mutter Danieles.

Eine Reise nach Deutschland im Jahr 1885 gab dem Dichter die Anregung zu dem Buch » Il Mistero del Poeta«. »Eine duftige Selbstbiographie, teils in Prosa, teils in Versen geschrieben, eine Art Rast im Reiche der Träume, in der das Geheimnis aller Dinge die Seele des Dichters bewegt und erschüttert« – so kennzeichnet es Molmenti, der Freund und Biograph Fogazzaros. Einen ganz besonderen Reiz verleihen diesem Werk die Naturschilderungen; die Poesie des Rheins, den Reiz der mittelalterlichen deutschen Städte, das in den Jurabergen verlorene Altmühltal weiß er in gemütvoller Weise dem Leser vor Augen zu zaubern, wie wohl überhaupt kein romanischer Dichter dem deutschen Geist so nahe steht und für deutsches Wesen und deutsche Gefühlsweise ein so überraschendes Verständnis besitzt wie Fogazzaro.

Wie Fontane mit der Mark, so ist Antonio Fogazzaro mit seinen heimischen Alpenseen verwachsen, die er wie keiner liebgewonnen und besungen hat. Und diese seine zweite Heimat Valsolda bildet den Schauplatz seines nächsten Romans, der künstlerisch auf der Höhe des »Daniele Cortis« steht, ihn aber durch gedankliche und tief empfundene Schönheiten noch übertrifft. » Piccolo Mondo antico« ist das Buch, das innerhalb Italien Fogazzaros größten Erfolg bedeutet; es erschien 1895 und hat – für italienische Verhältnisse ein außerordentlicher Fall – bis jetzt vierundvierzig Auflagen erlebt.

In diesem Werke verwebt sich das nationale Drama mit dem intimen in vollendeter Weise: Die Sehnsucht der norditalienischen Provinzen, sich von dem Joche der Österreicher zu befreien, die Anstrengungen Österreichs, dem elementaren Ereignis der Wiedervereinigung Italiens Einhalt zu tun, das Emigrantentreiben in Turin, die Vorbereitungen zum Nationalkrieg, das ist der historische Hintergrund, auf dem sich der Roman abspielt. Das sich darin entwickelnde psychologische Drama ist von größter Schlichtheit.

Vaterlandsliebe und Religion, das sind die beiden treibenden Elemente dieses Buches. Das tiefreligiöse Empfinden des Dichters offenbart sich in dem jungen, leidenschaftlichen Helden, dessen Kult für seine Religion das Motiv zu dem Konflikt mit seiner edeln, aber freidenkenden Gattin ist. Wenn bei der ergreifenden Schilderung vom Tode der kleinen Maria die Mutter der Verzweiflung anheimfällt und der Vater sich an seinem frommen Glauben aufrichtet, so fühlt man, mit wem der Dichter es hält. Die tiefempfundene Schilderung der mitternächtlichen Weihnachtsmesse in der kleinen Kirche von S. Mamette, die wundervolle, in ihrer Art vollendete Episodengestalt des Ingenieurs Ribera, Luisas Onkel, kräftig gezeichnet, ohne Sentimentalität, und doch von so reiner Herzensgüte, von so kindlicher Religiosität und wahrhaft weiser Weltanschauung, dürften das ganz besondere Interesse des Lesers erregen.

Zehn Jahre hat sich Fogazzaro mit diesem Werk getragen, zehn volle Jahre innerlich daran gearbeitet, und man darf wohl sagen, daß er dem Ziele, das jedem wahren Künstler vorschwebt, sehr nahe gekommen ist. Seine Menschen sind Wesen, die leben und fühlen, sie prägen sich wie bildnerische Werke dem Gedächtnis ein. Ein gutes Stück italienischer Volksseele lebt in diesem Buch. Es wirkt wie eine intime Geschichte ihrer moralischen und poetischen Wiedergeburt. »Seit den ›Promessi Sposi‹« – sagt Molmenti – »ist in Italien kein Roman erschienen, der sich diesem an die Seite stellen läßt.«

Eine Art Fortsetzung zu diesem Buche bildet der 1901 erschienene Roman » Piccolo Mondo moderno«, aus dem eine gewisse Resignation spricht. Die kommende Generation hat nicht gehalten, was die für ihre leuchtenden Ideale Kämpfenden erträumten.

Den dritten abschließenden Band dieser Romantrilogie bildet der vielbesprochene, im Jahre 1905 erschienene »Heilige«, der in der Zeit von noch nicht einem Jahr die stattliche Zahl von siebenundzwanzig Auflagen in Italien erlebte.

Eine gewisse Familienähnlichkeit, die man seinen Romanen nicht ganz mit Unrecht vorgeworfen hat, entspringt der Idee des Dichters, seine Helden und Heldinnen durch menschliche Wirrnisse und Trübsale stets dem Gipfel näher zu führen. Und dieser ideale Zug hebt ihn weit empor über die Menge der Tagesschriftsteller und hat ihn zum Philosophen gestempelt. Es ist nicht möglich, an dieser Stelle auf die Ansichten und Erörterungen einzugehen, die er in zahlreichen Abhandlungen und Vorträgen seit Jahren niedergelegt hat. Es genüge, hier hervorzuheben, daß er den Entwicklungsgedanken auch für den inneren Menschen und für das sittliche, geistige und religiöse Leben gelten lassen will.

Zum Schluß sei noch der leidenschaftliche Hang Fogazzaros zur Musik erwähnt. Nicht nur verdankt er dieser göttlichsten aller Künste viele der schönsten Stellen seiner Werke, sondern er ist vielleicht der einzige Dichter, der es unternommen hat, in einem Zyklus von Gedichten in rhythmischer, man könnte beinahe sagen in phonischer Weise die Eigenart altertümlicher Reigen und Weisen, Balladen, Gavotten, Menuette und Minnelieder zum Ausdruck zu bringen.

Liebenswürdig und lebensfroh wie seine Kunst ist Fogazzaro auch im persönlichen Verkehr, obschon ihm der Ernst und die Kümmernisse des Lebens nicht erspart geblieben sind. Der Tod seines einzigen, hoffnungsvollen, im neunzehnten Lebensjahr stehenden Sohnes hat über ihn und um ihn etwas wie einen Flor gebreitet. Aber seine Kunst ist ihm der beste Lebenströster gewesen. Denn Fogazzaro legt seine ganze Seele in seine Bücher, und »wie eine Rose im Kristallkelch« – so schrieb jüngst einer seiner wärmsten Verehrer – »durch das Wasser neu belebt ihre süßesten Düfte ausströmt, so offenbart diese durch die Kunst geläuterte Seele in ihren Büchern ihre verborgensten Mysterien.«


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