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23.
Der Birma-Rubin

Wir standen alle auf, als Lady Renardsmere ins Zimmer trat. Wir waren durch ihr plötzliches Erscheinen so verblüfft, daß wir wie angewurzelt dastanden und sie anstarrten. Sie wandte sich plötzlich nach Joycey um, der sich grade zurückziehen wollte, und deutete mit einer gebieterischen Handbewegung auf das Fenster, durch das wir vor einer Stunde das Gesicht des Chinesen gesehen hatten.

»Lassen Sie die Jalousien herunter und ziehen Sie die Vorhänge vor!« befahl sie. »Schnell!«

Dann wandte sie sich an uns und bedeutete uns, uns zu setzen. Ganz wie Schulkinder, die jedem Wink ihres Lehrers gehorchen, setzten wir uns; sie selbst ließ sich in einen Stuhl an einer Seite des Tisches nieder.

»Gehen Sie hinaus und schließen Sie die Tür, Joycey«, fuhr sie fort, als der Hausmeister, nachdem er die Vorhänge zugezogen hatte, vom Fenster zurücktrat. »Kümmern Sie sich um diese Männer draußen, wenn sie etwas zu trinken haben wollen, geben Sie es ihnen, aber sehen Sie zu, daß sie die Halle nicht verlassen. Cranage, schließen Sie die Tür ab, wenn Joycey hinausgegangen ist! Nun«, fuhr sie fort, als ich den Schlüssel umgedreht hatte, »ich hoffe, daß Sie alle sich hier wohlfühlen, und daß man gut für Sie gesorgt hat. Das ist wohl der Amerikaner – freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen. Peggy Manson, Rippling Ruby ist doch hoffentlich in bester Form, und es wird doch wohl gut auf sie aufgepaßt?«

»Ja, Lady Renardsmere«, antwortete Peggy. »Ich sah sie selbst noch vor einer Stunde, sie wird streng bewacht, und wir werden das fortsetzen, bis das Rennen vorbei ist. Sie können sich selbst davon überzeugen.«

Lady Renardsmere erwiderte gar nichts hierauf; sie legte grade ihren schweren Mantel ab. Sie zeigte mit einer Hand auf den Tisch und sagte:

»Setzen Sie sich alle um den Tisch. Ich habe mit Ihnen zu reden. Deshalb bin ich überhaupt heute abend hierher gekommen.«

Unter dem Vorwand, Stühle für Miß Hepple und Peggy heranzurücken, brachte es Peyton fertig, ganz nahe an mich heranzutreten. Er flüsterte mir nur ein Wort ins Ohr.

»Verrückt!«

So ganz unrecht hatte er nicht. Lady Renardsmeres Augen hatten einen eigentümlichen Glanz, ihre Bewegungen waren merkwürdig abgehackt, überhaupt ihre ganze Art und Weise hatte etwas Seltsames. Doch sprach sie zusammenhängend, mit fester Stimme und in dem alten, uns so wohlbekannten, burschikosen Ton. Aber –

»Sie haben sich sicherlich alle gewundert, was ich getrieben habe, seit ich von Renardsmere fort bin«, sagte sie, als wir uns alle um den Tisch niedergelassen hatten. »Ich werde es Ihnen sagen. Ich habe mir etwas gesichert, das ich unbedingt haben mußte. Etwas, das mir morgen beim Derby unweigerlich den Sieg bringen wird. Dies!«

Mit einer raschen Handbewegung zog sie aus einer Falte ihres Kleides ein kleines Paket in Seidenpapier hervor und legte es auf den Tisch vor sich. Ebenso rasch riß sie das Papier ab. Ein schmaler, schlangenähnlicher Gürtel aus hellgrünem Leder kam zum Vorschein. In der Mitte war ein Medaillon aus reinem Gold angebracht. In diesem Medaillon war ein wundervoller, blutroter Stein eingefaßt. Als Miß Hepple ihn sah, rief sie:

»Ein Rubin!«

»Der Birma-Rubin!« sagte Lady Renardsmere. »Der schönste Rubin der Welt! So was hat es noch nie gegeben. Und er gehört mir! Sehen Sie sich ihn an – fassen Sie ihn an sehen Sie, wie er funkelt!«

Aber nicht einer von uns streckte seine Hand danach aus; ich glaube, die anderen fühlten genau dasselbe wie ich. Hier lag vor uns und funkelte unheildrohend im Licht der elektrischen Lampe der Gegenstand, um dessentwillen Mord verübt worden war. Vier Menschenleben hatte er gekostet!

»Rippling Ruby wird das morgen tragen«, sagte Lady Renardsmere. »Sie soll es um ihren Hals tragen. Dann kann sie nicht geschlagen werden. Er ist ein Fetisch, der Stein hat Wunderkräfte! Selbst wenn sie nicht trainiert wäre, müßte sie gewinnen. Morgen soll sie ihn tragen!«

Ich blickte zu den anderen hinüber; Peggy und Miß Hepples Gesichter verrieten, daß sie anfingen, dasselbe wie Peyton von Lady Renardsmere zu denken. Sie starrten sie ganz betroffen und erschrocken an.

Ich selbst fürchtete mich, es flößte mir Grauen ein, mir schauderte vor dem, was noch kommen würde. Denn Lady Renardsmeres Haltung wurde von Minute zu Minute seltsamer und unheimlicher. Sie saß mit brennenden Augen da, sah von einem zum anderen und spielte unablässig mit dem grünen Ledergürtel und dem blutroten Stein.

»Hören Sie zu«, sagte sie plötzlich und beugte sich über den Tisch zu uns. »Ich will Ihnen alles erzählen. Dies war einst ein geweihter, ein heiliger Stein, er und ein anderer, der verlorengegangen ist, waren die Augen eines Götzenbildes. Er wurde aus einem Tempel in Birma geraubt und ging durch viele Hände, bis er zuletzt von einer Gruppe chinesischer Finanzleute zu einem hohen Preis gekauft wurde. Einer von ihnen, Cheng, der nach Europa geschäftehalber reiste, brachte ihn mit sich, um ihn einem englischen oder amerikanischen Millionär zu verkaufen. Cheng wurde in Paris von seinem Sekretär Chuh Sin bestohlen. Chuh Sin soll ein Mitglied einer fanatischen Sekte sein, die den Tempelraub rächen wollte. Jedenfalls nahm er den Stein mit nach Portsmouth, und dort wurde er ihm von einem Mann namens Holliment entwendet. Dieser hatte einen Komplicen, Quartervayne, und beide flohen mit dem Stein nach London. Hier zogen sie einen anderen, Neamore, in ihr Vertrauen. Neamore hatte mir schon einmal früher, unter einem anderen Namen, Diamanten verkauft; er kam zu mir und bot mir den Stein an. Ich kaufte ihn von ihm, Holliment und Quartervayne für zehntausend Pfund. Sie hatten mich betrogen; ich glaubte, sie hätten ein Recht, den Stein zu verkaufen. Aber die Strafe ereilte sie. Chuh Sin und seine Bande waren hinter Holliment, Quartervayne und Neamore her und ermordeten sie. Da erfuhr ich die Wahrheit – und holte den Rubin von Pennithwaite, dem ich den Stein zur Verwahrung geschickt hatte. Dann fuhr ich ab, um Cheng zu finden. Ich fand ihn in Paris. Ich bestimmte ihn, seine und seiner Freunde Rechte an dem Stein an mich zu verkaufen. Ich zahlte ihm vierzigtausend Pfund. Ich habe die Quittungen, in Englisch und Chinesisch geschrieben, hier in meiner Tasche. Und so gehört der Rubin jetzt mir! Mir! Und Rippling Ruby wird ihn morgen als Talisman tragen, und ich werde eine halbe Million Pfund Sterling gewinnen!«

Sie schob plötzlich den grünen Ledergürtel über den Tisch zu Peggy.

»Sie werden es ihr morgen nachmittag, wenn sie gesattelt ist, um den Hals hängen, Peggy Manson«, sagte sie in ihrer alten, herrischen Weise. »Dann …«

Miß Hepple erhob sich.

»Lady Renardsmere. Wenn Sie dieses Ding heute nacht hier im Hause behalten, verlasse ich dieses Haus sofort, und meine Nichte auch«, sagte sie ruhig. »Ich muß mich wundern, daß Sie irgend jemanden bitten können, dies anzusehen, geschweige denn anzufassen! Blut, Blut von vier Männern klebt daran! Peggy, daß du es mir nicht anfaßt!«

»Ich denke gar nicht daran, Tante Milly«, sagte Peggy. »Ich würde es um alles in der Welt nicht berühren.«

Peyton stieß mich unter dem Tisch an. Ich wußte, was er meinte. Rund heraus gesagt, die drei Damen würden sich in die Haare kriegen. Eine von ihnen, wie Peyton und ich dachten, war, wenn nicht vollkommen, so doch in einer Beziehung unzweifelhaft verrückt. Aber, waren sich die beiden anderen auch darüber klar?

Ich sah Lady Renardsmere schnell von der Seite an, das merkwürdige Glitzern ihrer Augen war verschwunden, und sie sah wie früher herrisch und rechthaberisch aus. Noch einmal schob sie den grünen Ledergürtel zu Peggy hinüber.

»Rippling Ruby wird das morgen tragen«, sagte sie. »Sie werden es ihr umhängen, wenn Medderfield aufgesessen ist.«

»Nein!« sagte Peggy bestimmt. »Das tue ich nicht!«

Lady Renardsmere fing an, mit ihren beringten Fingern auf den Tisch zu trommeln; sie trug immer eine Menge Ringe, aber heute abend mehr als sonst, und die Steine glitzerten und funkelten, als sie die Hände bewegte.

»Sie sind meine Angestellte!« zischte sie.

»Nein, das bin ich nicht!« gab Peggy zurück. »Ich bin Ihr Trainer, aber ich weigere mich ein für allemal, irgend etwas mit diesem Stein zu tun zu haben.«

Wieder trommelte Lady Renardsmere auf den Tisch, dann wandte sie sich plötzlich an mich.

»Cranage, sagen Sie diesem Mädel, daß sie verrückt ist!«

»Nein«, sagte ich ganz fest, »das ist sie nicht.«

»So, Sie auch?« rief sie aus. »Dann –«

Sie drehte sich plötzlich zu Peyton um und sah ihn ganz fest an; dieser hielt ihrem Blick stand und erwiderte ihn.

»Sie sehen mir wie ein vernünftiger Mann aus, Sie sind Amerikaner«, sagte sie. »Reden Sie mal ein vernünftiges Wort mit diesen Leuten.«

Peyton faltete die Hände, setzte sich ganz aufrecht, und sah Lady Renardsmere lange und ruhig an.

»Nun, wenn Sie nichts dagegen haben, Lady Renardsmere«, sagte er ruhig, »werde ich mal ein vernünftiges Wort mit Ihnen reden. Sie wissen, wie Sie selbst zugegeben haben, daß der Chinese Chuh Sin, um diesen Stein wieder in seinen Besitz zu bringen, Männer ermordet hat. Sie erwähnten drei Namen: Sie müßten einen vierten hinzufügen – Ihren Rechtsanwalt Pennithwaite. Und dieser Chinese treibt sich hier draußen herum; es sind keine zwei Stunden her, seitdem er durch dieses Fenster hereinsah. Und da ich nun einmal ein vernünftiges Wort reden soll, so möchte ich Miß Manson raten, bei ihrem Entschluß zu bleiben und nichts, auch gar nichts mit dem Stein zu tun zu haben. Er ist verflucht!«

»Ich werde nichts mit dem Stein zu tun haben«, sagte Peggy. »Wahrhaftig, lieber löse ich jede Verbindung mit Lady Renardsmere auf!«

Auf das, was nun folgte, war ich nicht vorbereitet gewesen. Plötzlich, und mit einer Schnelligkeit, die einer jüngeren Frau alle Ehre gemacht hätte, sprang Lady Renardsmere auf, lief zur Tür, schloß sie auf und klingelte. Eine halbe Minute später stand Joycey vor ihr. Mit einer Handbewegung zeigte sie auf uns.

»Joycey, werfen Sie die Leute aus meinem Haus heraus! Jeden! Hinaus mit ihnen! Geben Sie ihnen zehn Minuten, ihre Sachen zu packen, und dann 'raus!«

»Gnädige Frau«, sagte Joycey in sanftesten Tönen. »Wenn gnädige Frau –«

»Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe! 'raus mit der ganzen Gesellschaft!«

Dann riß sie den grünen Ledergürtel an sich, steckte ihn in die Tasche, rauschte in die Halle hinaus und winkte ihrer Leibwache, ihr in ein anderes Zimmer zu folgen. Alle drei verschwanden.

Wir verloren keine Zeit, und in kürzerer Frist, als Lady Renardsmere sie uns gestellt hatte, hatten wir unsere Handkoffer gepackt und waren aus dem Haus. Gleich darauf saßen wir in Peggys Wagen, fuhren die Anfahrt hinunter und bogen in die Straße ein.

»Wohin?« fragte Miß Hepple, als der Chauffeur sich nach uns umwandte.

»Sagen Sie ihm, er soll uns nach London fahren, Jim«, sagte Peggy. »Wir werden schon irgendwo unterkommen.«


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