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16.
Der Überfall

Ich war nur wenige Schritte gegangen, als mich Holroyd zurückrief. Er kam mir entgegen und sah mich vielsagend an.

»Das scheint Ihnen ja vollkommen die Sprache verschlagen zu haben, Mr. Cranage, Sie sind ja ganz bestürzt, nicht wahr?«

»Nun«, sagte ich, »das hat mich doch etwas verwirrt, Holroyd. Gestern nachmittag kam ein junger Mann, der sich als Amerikaner ausgab. Er sagte, er wäre auf einer Radfahrtour von Winchester nach Chichester und hätte in dem Dorfgasthof zu Mittag gegessen, und er wäre auf Veranlassung des Wirts nach Schloß Renardsmere gekommen, um sich die Sammlung anzusehen. Nun gibt es im Dorf keinen anderen Gasthof als den Ihrigen.«

»Nein, in fünf Meilen Umkreis gibt's keinen anderen«, sagte er. »Wer ein amerikanischer Tourist oder jemand anders, auf den Ihre Beschreibung paßt, ist gestern nicht hierhergekommen. Ich kann mich auf jeden besinnen, der gestern bei mir war. Aber dieser Radfahrer war nicht da. Sie sind angeführt worden, Mr. Cranage. Das muß jemand gewesen sein, der in irgendeiner bestimmten Absicht nach Schloß Renardsmere kam.«

Ich befürchtete das auch und fing an, mich zu erinnern, daß ich ein wenig unvorsichtig im Gespräch gewesen war und dem Fremden von Lady Renardsmeres Schwäche für kostbare Steine erzählt hatte. Holroyd redete aber schon wieder.

»Ich will Ihnen sagen, was los ist, Mr. Cranage«, sagte er. »Letzthin sind Fremde hier in der Gegend gewesen. Einer oder zwei waren bei mir, ich konnte nur nicht erklären, was sie hier suchten. Geschäftsreisende kommen nicht nach Renardsmere – wozu denn auch? Selbstverständlich ab und zu mal der Reisende für die Brauerei, aber den kennen wir ja. Wer diese beiden waren hier ganz fremd, ich will Ihnen sagen, was ich mir denke. Die wollten etwas, irgend etwas über die Stute von Lady Renardsmere, über Rippling Ruby 'rausbekommen. So ist es.«

»Es sind Privatdetektive angestellt, um Rippling Ruby zu bewachen«, sagte ich.

»Ja, aber die kenne ich«, antwortete er und schüttelte den Kopf. »Sind zwei, Robindale und Williamson. Sie kommen ab und zu hierher, natürlich niemals zusammen, weil sie ja abwechselnd Dienst haben. Aber die meine ich nicht. Ich habe ein- oder zweimal fremde Gäste gehabt, und in dieser abgelegenen Gegend sehen wir nie viel Fremde. Neulich kam, sogar noch spät abends, ein Mann zu mir. Was hat ein Fremder hier, viele Meilen von irgendeiner Stadt und der nächsten Bahnstation, um zehn Uhr abends zu suchen? Und – man kann sie doch nicht fragen.«

»Da mögen Sie recht haben, Holroyd«, sagte ich. »Es gibt wohl Leute, denen sehr daran gelegen ist, möglichst viel über einen Derbykandidaten in Erfahrung zu bringen?«

»Das wollte ich meinen«, sagte er und lächelte ironisch über meine Unerfahrenheit. »Ja, die setzen alles daran, etwas herauszubekommen. Dann gibt's noch andere, die würden Himmel und Erde in Bewegung setzen, um sich an etwas heranmachen zu können.«

»An was denn?« fragte ich.

»Na, an die Stute selbst«, sagte er lachend. »Merkwürdige Dinge geschehen vor einem Pferderennen, Mr. Cranage! Das ist ganz richtig von Lady Renardsmere, daß sie Rippling Ruby so sorgfältig bewachen läßt. Wenn sie mir gehörte, ich würde sie, bis sie am Startpfosten steht, nicht einen Augenblick unbewacht lassen. Dann erst ist sie sicher!«

Kurz darauf verließ ich ihn und ging den Hügel zu Peggy Mansons Haus hinauf. Ich traf Peggy in ihrem Garten und sah sofort, daß ihre Laune nicht grade die allerbeste war. Sobald sie mich zu Gesicht bekommen hatte, fuhr sie mich an:

»Haben Sie heute früh ein Telegramm von Lady Renardsmere bekommen?«

»Ja«, sagte ich. »Sie wohl auch?«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Nun, Sie sind nicht grade in guter Laune«, antwortete ich. »Was ist los?«

Sie starrte mich für einen Augenblick an und schlug dann mit einem Hieb ihrer Reitgerte, die sie fast immer bei sich hatte, einem harmlosen Löwenzahn den Kopf ab.

»Ich wünsche, Lady Renardsmere würde mich erst fragen, bevor sie etwas anordnet«, rief sie. »Ich bin doch nicht ihr Dienstmädchen! Außerdem denkt sie nicht an die Unannehmlichkeiten, die sie mir durch ihre Rücksichtslosigkeit macht.«

»Ich weiß immer noch nicht, was Lady Renardsmere verbrochen hat.«

»Verbrochen? sie hat mir noch vier Männer aufgehalst«, klagte sie. »Das erste, was ich heute morgen bekomme, ist ein Telegramm von ihr, daß vier weitere Privatdetektive heute ankämen, und den beiden, die schon hier sind, untergestellt werden sollen. Und dann gibt sie noch ausführliche Anordnungen wegen Rippling Rubys Sicherheit. Lächerlich! Als ob sie nicht ganz sicher wäre. Bradgett und ich wissen schon, was wir tun!«

»Hm, ich weiß nicht so recht«, sagte ich. »Merkwürdige Dinge geschehen jetzt. Ich habe selbst soeben ein Abenteuer erlebt …« und ich erzählte ihr von dem Besucher gestern nachmittag, und was Holroyd mir grade eben gesagt hatte. »Was halten Sie davon?« schloß ich.

»Hat gar nichts mit Rippling Ruby zu tun«, sagte sie ganz bestimmt. »Aber ich denke mir, es hat sehr viel mit der anderen Geschichte zu tun. Wahrscheinlich war das einer von der Bande.«

»Meinen Sie?« sagte ich. »Was – einfach ins Schloß zu kommen!«

»Warum nicht?« antwortete sie. »Er hat Sie hinters Licht geführt! Das ist doch gar nicht so schwer. Selbstverständlich habe ich recht. Er kam, um Lady Renardsmere zu sehen und sich im Schloß umzuschauen.«

»Warum nur?« fragte ich.

»Jim Cranage«, rief sie aus. »Sie sind wohl schwer von Begriff? Warum? – Großer Gott! Ahnen Sie nicht warum?«

»Bis jetzt nicht«, gab ich zurück.

»Warum? weil sie herausgefunden haben, daß Lady Renardsmere jenes Etwas hat«, antwortete sie mit einem Aufblitzen ihrer grauen Augen. »Ich sollte doch annehmen, daß jemand mit einem Funken Verstand das sofort begreifen würde. Die Ermordung Holliments, und auch wahrscheinlich die Quartervaynes hat der Bande nichts genützt, aber höchstwahrscheinlich haben sie bei Neamore irgendein Schriftstück gefunden, in dem das Geschäft, das zwischen ihm und Lady Renardsmere abgeschlossen wurde, erwähnt wird. Nun sind sie hinter ihr her.«

»Na, sie ist wenigstens verreist«, sagte ich nach kurzem Nachdenken. »Woher kommt denn Ihr Telegramm?«

»Von Dover«, antwortete sie. »Spät gestern nacht dort aufgegeben.«

»So, auch meins«, sagte ich. »Aber es stand nichts weiter darin, als daß ich ihre Korrespondenz erledigen sollte. Dover! Wissen Sie, was ich denke?«

»Habe keinen Schimmer«, antwortete sie.

»Ich denke, Lady Renardsmere ist nach dem Kontinent gefahren, um den alten Chinesen, Mr. Cheng, aufzusuchen«, sagte ich, und versuchte, sehr weise auszusehen.

»Gott, sind Sie klug!« rief Peggy ironisch. »Aber ich und auch meine Tante, Milly Hepple, sind schon vor Ihnen darauf gekommen. Ätsch!«

Ich glaube, ich muß ziemlich niedergeschlagen ausgesehen haben, so niedergeschlagen, daß ihre schlechte Laune plötzlich in Lustigkeit umschlug, und sie anfing, mich mit ihrer Reitgerte in die Rippen zu stoßen.

»Nur Mut!« sagte sie neckend. »Vielleicht denken Sie sich eines Tages etwas aus, worauf noch kein anderer gekommen ist. Aber, allen Ernstes, Sie wissen …«

»Warum nennen Sie mich nie beim Vornamen, Peggy?« unterbrach ich sie. »Bitte, tun Sie es doch!«

»Nun gut – Jim«, antwortete sie mit halb verführerischem, halb schüchternem Lächeln. »Allen Ernstes, Jim, jeder, der Lady Renardsmere so gut kennt wie meine Tante und ich, weiß sofort, was sie in einer solchen Lage tun würde. Ohne Zweifel hat sie irgend etwas von Neamore gekauft. Nachher findet sie heraus, daß er gar kein Recht hatte, es zu verkaufen, denn es war gestohlenes Gut. Gestohlenes Gut oder nicht, es war etwas, das sie haben wollte, das ihr so gut gefiel, daß sie es auf jeden Fall behalten wollte. Da nun Lady Renardsmere Millionärin oder, wie ich glaube, Multimillionärin ist, was wird sie nun in so einem Fall tun? Selbstverständlich sofort zu dem hinfahren, dem es wirklich gehört, und es ihm abkaufen. Das ist der Grund, warum sie so unvermittelt abgereist ist. Sie ist hinter Mr. Cheng hergefahren.«

»Allerdings, sie hat ja von Mr. Cheng gehört«, sagte ich nachdenklich.

»Natürlich! Sie haben ihr doch alles in Gegenwart meiner Tante erzählt«, sagte Peggy. »Sie wird Mr. Cheng schon finden, ganz egal, ob er in Antwerpen oder Amsterdam, in Brüssel oder Paris ist, und sie wird ihn schon dazu kriegen, ihr diesen geheimnisvollen Gegenstand, den sie bereits besitzt, zu verkaufen. Und dann wird sie stolz nach Hause kommen.«

»Und vielleicht unterwegs ermordet werden«, warf ich ein.

»Was das betrifft, Jim, so wäre es das beste, sie gäbe den ganzen Kauf öffentlich bekannt«, sagte sie. »Wenn die Bande erfährt, daß Lady Renardsmere Eigentumsrechte erworben hat, gibt sie vielleicht die Jagd nach diesem Etwas auf.«

»Was? Nachdem sie drei Männer ermordet hat, um den Gegenstand wieder in ihren Besitz zu bekommen?« rief ich aus. »Das will mir nicht in den Kopf.«

»Ich weiß nicht«, entgegnete sie. »Ich glaube es doch. Sie wußten, daß weder Holliment, noch Quartervayne, noch Neamore ein Eigentumsrecht daran hatten, und so haben sie jedem einzelnen nachgestellt. Aber ein gesetzliches Recht …«

»Juristische Spitzfindigkeiten verstehe ich nicht, Peggy«, unterbrach ich. »Ich möchte nur wissen, wer zu dieser Bande gehört. Der Chinese, den wir als Chuh Sin kennen, muß der Führer sein. Wer sind die anderen? Sollte der Besucher von gestern nachmittag dazugehören, so könnte ich diesen jedenfalls leicht wiedererkennen.«

»Wieso?« fragte sie.

»Sein Handgelenk ist tätowiert«, antwortete ich. »Seine Rockärmel waren zu kurz, und so konnte ich die Tätowierung sehr gut sehen. Er war ein netter, wohlerzogener, kluger Kerl, es würde mir wirklich leid tun, wenn er zu der Bande gehörte.«'

»Bitte, werden Sie nur nicht sentimental, Jim. Ungeziefer muß vernichtet werden. Diese Bande, wie Sie sie nennen …«

In diesem Augenblick kamen die Zeitungen an, jeder von uns griff nach einer und sah nach, ob irgend etwas Neues über die Ermordung Neamores darin stand. Die Zeitung meldete bloß, daß die Polizei den Fall gründlichst untersuchte, aber sich entschieden weigere, über den Stand der Nachforschung irgend etwas der Öffentlichkeit mitzuteilen. Es würde nichts unversucht gelassen, und man dürfte in kürzester Zeit sensationelle Enthüllungen erwarten.

Die Ankunft der vier neuen Privatdetektive zwang Peggy, sich um ihre Unterkunft zu kümmern, und so verließ ich sie und ging nach Haus, um mich wieder an meine Arbeit zu begeben. Als ich am Gasthof Renardsmere vorbeiging, steckte plötzlich Holroyd seinen Kopf durch das offene Fenster des Gastzimmers und rief mir zu. Ich ging zu ihm hin.

»Ich hab' 'rausgefunden, daß ich mich heute früh geirrt habe, Mr. Cranage«, sagte er und lächelte entschuldigend. »Ein junger Mann war doch gestern nachmittag hier, er könnte vielleicht der Amerikaner sein, den Sie erwähnten. Sehen Sie, ich und meine Alte waren gestern nachmittag ein paar Stunden fort, und mein Kellner vertrat mich. Ich wußte bis jetzt nichts davon, daß ein Mann, wie Sie ihn beschrieben haben, hier gewesen war. Daß niemand hier gestern ein richtiges Mittagessen bestellt hat, wußte ich, aber ein Radfahrer war doch hier, während wir aus waren, und der hat sich Butterbrot und Käse und eine Flasche Mineralwasser bestellt, wenn Sie das ein Mittagessen nennen. Der Kellner erzählte ihm vom Schloß Renardsmere und hat ihm auch gesagt, er wurde wohl schon, wenn es auch kein Besuchstag wäre, hereinkommen können. Das wird der schon sein, Mr. Cranage. Er muß meinen Kellner für mich gehalten haben – hat gedacht, der wäre der Wirt.«

Ich freute mich, denn der Besucher hatte mir gut gefallen, und es hätte mir aufrichtig leid getan, glauben zu müssen, er gehöre dieser Mörderbande an. Obgleich ich nicht erwartete, Mr. Elmer Peyton jemals wiederzusehen, so ging ich doch sehr erleichtert nach Hause.

Am Nachmittag besuchte mich Spiller, der Portsmouther Detektiv. Er wollte noch weitere Einzelheiten über den Einbruch in Holliments Laden wissen. Nachdem ich ihm alles erzählt hatte, fing er an, über die letzten Geschehnisse zu sprechen. Er war gestern in London wegen Quartervaynes Ermordung gewesen, und er teilte mir etwas sehr Angenehmes mit. Es würde nicht nötig sein, daß ich der Gerichtsverhandlung über Quartervaynes Ermordung beiwohnen müßte. Quartervayne hatte sowohl in London wie auch in Portsmouth Verwandte, die ihn identifizieren konnten; über seine Beziehungen zu Holliment brauchte ich erst in der vertagten Verhandlung über Holliments Ermordung aussagen.

»Dies ist überhaupt ein zu merkwürdiger Fall, Mr. Cranage. So etwas ist mir noch nicht vorgekommen. In gewisser Hinsicht ist her Fall ja ganz klar – dieser Chinese Chuh Sin hat Mr. Cheng in Paris etwas gestohlen – ich habe Jifferdene vor einiger Zeit gesehen, und er hat mir alles über Mr. Cheng erzählt – und dieser Holliment, mit Hilfe von Quartervayne, stiehlt es von Chuh Sin und verduftet, wie man so sagt, damit nach London. Das ist ganz klar. Aber hinterher, Mr. Cranage, hinterher?«

Ich konnte ihm anmerken, daß er sich eine eigene Ansicht über den Fall gebildet hatte, und bat ihn darum.

»Nun«, sagte er, »diese Kerle da in Scotland Yard – Jifferdene und die anderen, haben, wie immer, eine vorgefaßte Meinung. Chuh Sin soll englische Komplicen haben, und diese sollen Holliment, Quartervayne und Neamore in der Hoffnung, den gestohlenen Gegenstand wiederzubekommen, ermordet haben. Der muß einen kolossalen Wert haben, Mr. Cranage, wenn man daran denkt, was alles darum angestellt worden ist. Großer Gott! Man könnte denken, es sei der Kohinur oder der Culliman-Diamant. Ja, das ist die offizielle Ansicht, der ich mich keineswegs restlos anschließe.«

»Nun, was ist Ihre Ansicht, Spiller?« sagte ich. »Sie haben doch eine?«

Er nickte und antwortete:

»Ich halte nicht viel von diesen Chinesen. Reich oder arm, hoch oder niedrig, das ist alles eine verschlagene Bande. Wir hatten mal einen in unserer Korporalschaft, der gern Gedichte vortrug – es nahm übrigens kein gutes Ende mit ihm – und der liebte ganz besonders ein Gedicht, in dem so ein heidnischer Chinese vorkam. Das Gedicht hatte ganz recht, nach allem, was ich von ihnen weiß. Wir können uns nicht in sie hineinversetzen, wie der Verfasser des Gedichtes sehr richtig sagte. Darum scheint es mir, wenn überhaupt jemand hinter der ganzen Sache steckt, so ist es dieser Cheng.«

»Da mögen Sie recht haben, Spiller«, sagte ich.

»Cheng«, wiederholte er kopfnickend. »Man müßte hinter die Gedanken dieser alten Sphinx kommen. Aber, wie ich höre, ist es das schwerste in der Welt, einem Chinesen etwas zu entlocken. Da Sie doch ein gebildeter Mensch sind, Mr. Cranage, werden Sie mehr darüber wissen als ich.«

»Es ist eine harte Nuß«, antwortete ich.

»Ja«, bemerkte er, »es gibt Nüsse und Nüsse, aber ich habe noch nie von einer Nuß gehört, die sich nicht knacken ließ. Sie müssen nur, wenn der gewöhnliche Nußknacker nicht genügt, einen guten Hammer dazu nehmen.«

»Dann, Spiller, würden Sie höchstwahrscheinlich den ganzen Kern zerquetschen, wir möchten ihn aber ganz behalten.«

Er sagte noch, mit der Zeit würde alles ans Tageslicht kommen, und mit dieser klugen Bemerkung ging er fort. Als er einige Schritte gegangen war, rief er noch über die Schulter zurück, das könnte nächstes Jahr, oder nächsten Monat, oder morgen sein, aber todsicher würde etwas herauskommen.

Drei Tage verstrichen und nichts war herausgekommen. Aber früh am vierten Abend – es war der fünfte seit der Abreise von Lady Renardsmere – und gerade, als ich mich zu meinem einsamen Abendbrot hinsetzte, trat Peggy Manson herein, nicht, wie gewöhnlich, in ihrem Reitanzug, sondern in einem eleganten Kostüm. Ich war so erstaunt, daß ich sie nur anstarren konnte. Sie warf mir ein Telegramm auf den Tisch.

»Das Neueste«, bemerkte sie lakonisch.

Ich faltete es auseinander und sah, daß es um halb sechs Uhr heute nachmittag im Bahnhof Viktoria in London aufgegeben worden war. Es lautete:

Ich wünsche Sie und Cranage um halb zehn heute abend im George Hotel Winchester zu sehen Walker soll Sie beide im Rolls-Royce hinfahren sollte ich bis zehn nicht erscheinen fahret wieder nach Hause und erwartet Telegramm morgen früh

Helena Renardsmere

»Wir müssen wohl hingehen«, sagte ich, und sah Peggy an. Diese zog ein Gesicht und antwortete nur mit einem Achselzucken.

»Gut, ich werde Walker Bescheid sagen. Aber was soll es nur bedeuten?«

»Ach!« rief Peggy. »Warum darüber nachdenken. Eine ihrer Schrullen.«

Wir fuhren etwas vor acht Uhr ab. Winchester lag nur fünfundzwanzig Meilen entfernt, und so waren wir vor der Zeit da. Wir warteten im George bis viertel nach zehn; Lady Renardsmere erschien nicht. Wir hatten nach ihrem Befehl gehandelt und konnten nun wieder nach Hause fahren. Keiner von uns kam auf den Gedanken, daß das Telegramm fingiert sein könnte, wir dachten nur, Lady Renardsmere wäre irgendwie verhindert gewesen, oder sie hätte sich's anders überlegt.

Es war eine wundervolle Mondnacht, und Peggy und ich genossen unsere Heimfahrt. Wir vergaßen alles andere und unterhielten uns ausgezeichnet – die Zeit verging so rasch, daß ich ganz erstaunt war, schon Admiral's Folly zu sehen, einen verfallenen, einsamen Turm, der ungefähr sieben Meilen von Renardsmere entfernt auf einem bewaldeten Hügel liegt. Er war ein Wahrzeichen: jeder in der Umgebung kannte ihn.

»Donnerwetter!« sagte ich. »Wir sind ja fast zu Hause. Da ist ja schon Admiral's Folly. Ich wünschte …«

Ich wollte ihr grade noch sagen, ich wünschte, wir hätten noch hundert Meilen zu fahren, als der Wagen so plötzlich anhielt, daß wir nach vorn geschleudert wurden. Ich sah zum Fenster hinaus, und mir wurde ganz unbehaglich zumute. Drei Männer standen auf dem schmalen Weg – schwarze Masken vor dem Gesicht und einen Revolver in der Hand.


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