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13.
Miß Hepple greift ein

Manson Lodge war ein stattliches Haus, ganz nach dem Geschmack von Peggys Vater, dem verstorbenen berühmten Trainer, gebaut. Das Haus hatte mehrere Eingänge, und da ich mich dort bereits gut auskannte, ging ich sofort zu der Tür, die unter Peggys Schlafzimmer lag. An dieser Tür war eine elektrische Klingelleitung angebracht, die in Peggys Schlafzimmer führte, so daß sie zu jeder Nachtstunde zu erreichen war. Ich hatte grade gedrückt und das laute Klingelzeichen durch das halb geöffnete Fenster gehört, als ein großer, stämmiger Mann, der anscheinend aus dem Nichts auftauchte – in Wirklichkeit aus dem nahen Gebüsch – mich kräftig am Arm packte.

»He, Sie«, rief er.

»Wer zum Teufel sind Sie?« sagte ich und trat etwas zurück. »Lassen Sie mich los!«

»Nicht, bis ich weiß, wer Sie sind«, antwortete er. »Warum schleichen Sie zu dieser Nachtzeit hier herum?«

»Und was haben Sie hier auf diesem Grundstück zu tun?« verlangte ich zu wissen. »Sagen Sie mir das.«

»Das geht Sie gar nichts an«, erwiderte er. »Was haben Sie aber hier zu tun?«

»Das geht Sie auch nichts an«, sagte ich, »lassen Sie mich los oder …«

In diesem Augenblick erschien eine Figur in einer weißen Jacke am Fenster, und ich hörte Peggys Stimme.

»Was ist denn hier los?« rief sie. »Wer ist da?«

Ich sprach zuerst.

»Peggy«, rief ich, und nannte sie in meiner Aufregung beim Vornamen. »Ich bin es, Cranage. Kommen Sie, bitte, sofort herunter, und lassen Sie mich herein. Ich bin eigens von London mit einem Auto hergefahren, nur um Sie zu sprechen. Ich muß Sie sofort sehen. Kommen Sie herunter und wecken Sie auch Miß Hepple. Dann ist hier ein Mann, der auf Ihrem Grundstück herumschleicht.«

»Oh«, rief sie, »es ist gut, Robindale, das ist Mr. Cranage, Lady Renardsmeres Privatsekretär. Ich komme sofort!«

Robindale ließ mich jetzt los und brummte:

»Warum haben Sie nicht gesagt, wer Sie sind?«

»Warum haben Sie mir nicht gesagt, wer Sie sind? Und überhaupt, was haben Sie hier zu tun?«

Er trat einige Schritte zurück und brummte:

»Fragen Sie Lady Renardsmere.«

Immer noch brummend ging er weg, und ich stellte mich vor die Tür und wartete. Einige Minuten verstrichen, dann sah ich ein Licht durch die Glasscheiben. Der Riegel wurde zurückgeschoben, der Schlüssel umgedreht, die Tür öffnete sich, und vor mir standen mit vor Verwunderung großen Augen Peggy und Miß Hepple. Beide hatten Morgenröcke übergeworfen. Ich trat ein, schloß die Tür selbst ab und schob den Riegel vor.

»Wer ist der Mann da draußen?« fragte ich ganz unvermittelt. »Er hat mich so fest angepackt, daß ich blaue Flecken bekommen habe.«

Peggy, die mich immer noch ganz verwundert anstarrte, schüttelte den Kopf.

»Lady Renardsmere hat seit gestern, aus irgendeinem Grunde, den sie nicht verrät, mir zwei Privatdetektive aufgehalst«, antwortete sie. »Einer hat am Tage aufzupassen, der andere während der Nacht. Das war Robindale, er hat den Nachtdienst. Aber was wollen Sie denn hier?«

»Lassen Sie uns ins Eßzimmer gehen, und geben Sie mir erst etwas zu trinken. Ich bin so schnell als nur irgend möglich hierher gekommen, habe sogar ein Auto genommen. Ich muß mit Ihnen und Miß Hepple sprechen, bevor ich zu Lady Renardsmere gehe. Sie wissen ja gar nicht, wieviel ich Ihnen zu erzählen habe – es hängt alles mit dieser Geschichte in Portsmouth zusammen. Es sind schon Morde geschehen! Mein Gott, ich weiß gar nicht, was ich tun soll!«

»Kommen Sie ins Frühstückszimmer«, sagte Peggy.

Sie eilte geschäftig hin und her, brachte mir einen Whiskysoda und Keks und bestand darauf, daß ich erst etwas tränke, bevor ich mit meiner Erzählung anfinge. Als sie sah, daß ich etwas ruhiger geworden war, nickte sie mir zu und sagte:

»Nun erzählen Sie uns alles in Ruhe – hier sind wir sicher!«

Wir drei saßen um einen Tisch, ich noch den Reisestaub in meinen Kleidern, Peggy in einem schönen, schicken Morgenrock, ihre Haare in Flechten um den Kopf gewunden, und Miß Hepple eingewickelt in zahlreiche Schals. Ich erzählte ihnen, was mir alles passiert sei, seit Spiller mich vor fast zwei Tagen von Schloß Renardsmere abgeholt hatte. Ich ließ nicht die geringste Kleinigkeit aus. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich alles berichtet hatte. Die Uhr schlug drei, als ich mit den Worten schloß:

»So, das wäre alles – was soll ich nun tun?«

»Eins verstehe ich nicht ganz«, sagte Peggy. »Warum haben Sie Scotland Yard nicht alles erzählt, was Sie über Neamore und von dem Mittagessen im ›Ritz‹ mit Holliment und Quartervayne und so weiter wußten? Es muß doch einmal herauskommen.«

»Möglich, aber ich wollte nicht, daß die Beamten es durch mich erfuhren«, antwortete ich. »Sehen Sie, hätte ich der Polizei sofort alles gesagt, wie konnte ich da wissen, ob nicht Lady Renardsmere, bevor ich sie warnen konnte, in Gefahr kam? Meine Angaben hätten durchsickern können, wären vielleicht in den Zeitungen veröffentlicht worden, und dann hätte dieser Chinese und seine Komplicen – denn Komplicen muß er haben – Tatsachen kennengelernt, die er, wie ich hoffe, bis jetzt nicht kennt.

»Er hat vollkommen richtig gehandelt«, sagte Miß Hepple ganz plötzlich. »Er muß Lady Renardsmere alles, was er uns eben erzählt hat, sagen, und es ihr überlassen, die Polizei von der ganzen Sache zu verständigen.«

»Warum?« fragte Peggy.

»Der Fall ist doch ziemlich einfach«, antwortete Miß Hepple, die, wie ich bemerkt hatte, meiner Erzählung mit der größten Aufmerksamkeit gefolgt war. »Wenigstens mir kommt es so vor. Mr. Cheng, der wohlhabende, sehr einflußreiche Chinese, wird in Paris von seinem Sekretär Chuh Sin bestohlen. Dieser entwendet ihm ein anscheinend sehr wertvolles Objekt – wir wissen nicht, was es ist. Chuh Sin flieht nach England und mietet sich in Holliments Pension in Portsmouth ein. Holliment und Quartervayne – ganz egal, was Quartervayne zugegeben oder verschwiegen hat – haben, darüber ist wohl gar kein Zweifel, dieses gestohlene Objekt an sich gebracht, Chuh Sin stellte ihnen nach, und höchstwahrscheinlich veranlaßte er einige englische Verbrecher, ihm zu helfen. Holliment wird nun aufgespürt und ermordet. Aber sie finden bei ihm nicht das gestohlene Objekt. Nun wird Quartervayne aufgespürt und ermordet. Aber«, sagte sie, und sah mich durch ihre Brille an, die sie trotz des schnellen Anziehens nicht vergessen hatte aufzusetzen, »fanden sie es nun bei ihm?«

»Das weiß ich nicht«, sagte ich. »Aber ich nehme an, nein.«

»Ich glaube nicht, ich glaube bestimmt nicht, daß sie es fanden«, sagte sie mit Betonung. »Darum –«

»Suchen sie immer noch«, warf ich ein.

»Richtig!« sagte Miß Hepple. »Und darum werden wir von noch einem Mord hören.«

Peggy holte mit einem Schaudern Atem; Miß Hepple und ich verzogen keine Miene.

»Der Nächste ist wohl Neamore?« fragte ich und sah Miß Hepple an.

»Das glaube ich auch«, antwortete sie. »Wenn sie wissen, was wir wissen.«

»Und wenn die Burschen sich alles rekonstruieren«, sagte ich, »dann, nun dann wird wohl Lady Renardsmere die Nächste sein.«

Aber Fräulein Hepple schüttelte den Kopf.

»Nein«, antwortete sie, »ich denke mir, wenn sie herausbekommen, wie alles zusammenhängt, wird der Nächste der Rechtsanwalt Pennithwaite sein. Denn ich habe nicht den leisesten Zweifel daran, daß dieses Objekt – es muß einen außergewöhnlichen Wert haben, wenn man bedenkt, was alles unternommen worden ist, um es wiederzuerlangen – jetzt in Pennithwaites Verwahrung sich befindet.«

»Sie denken, daß ich es ihm überbracht habe?« fragte ich.

»Ja«, gab sie zu. »Ich denke mir die Sache so. Holliment, Quartervayne und Neamore kannten sich schon, bevor diese Geschichte anfing. Nachdem Holliment und Quartervayne von Portsmouth nach London geflohen waren, erzählten sie Neamore, was sie bei sich hätten. Die drei beschlossen nun, daß Neamore es verkaufen sollte. Neamore hat augenscheinlich Verbindungen, auf jeden Fall ist es ganz sicher, daß er Lady Renardsmeres Schwäche kannte.«

»Was für eine Schwäche?« fragte ich. Miß Hepple blickte zu Peggy hinüber und lächelte.

»Gott, ich dachte, jeder wüßte das«, sagte Peggy. »Es ist doch überall bekannt!«

»Na, allem Anschein nach weiß Mr. Cranage nichts davon«, bemerkte Miß Hepple und wandte sich mir zu. »Lady Renardsmere«, fuhr sie fort, »ist direkt versessen darauf, kostbare Steine zu kaufen. Sie muß schon einen großen Teil des ungeheuren Vermögens, das Sir William ihr hinterlassen hat, dafür verwandt haben. Kein Mensch weiß, warum sie sie kauft. Sie trägt niemals welche, und auch kein Mensch weiß, wo sie sie aufbewahrt – vielleicht in ihrer Bank oder irgendeinem Safe. Einige ihrer Erwerbungen sind allgemein bekannt – ich hätte gedacht, Sie hätten davon gehört, Mr. Cranage. Sie kaufte vor einigen Jahren zu einem ungeheuren Preis einen berühmten Diamanten. Kein Mensch hat ihn seitdem gesehen. Sie besitzt die fabelhafteste Perlenkette der Welt, und um sie zu vervollständigen, kaufte sie vor einiger Zeit von irgendeinem ausländischen Händler für eine Riesensumme drei Perlen, die, wie man sagt, an Größe und Reinheit nicht ihresgleichen haben. Oh, das ist überall bekannt! Und ich glaube, daß dies gestohlene Objekt – wenn man an all die Verbrechen, die seinetwegen begangen worden sind, denkt – ein seltener Stein ist, und daß Neamore, Holliment und Quartervayne ihn ihr angeboten und verkauft haben. Ich glaube, daß sie ihn am Abend, als sie kürzlich von London zurückkam, mit sich nach Hause brachte, und daß sie Sie am nächsten Tage damit zu Pennithwaite schickte. Und dort befindet er sich«, schloß Miß Hepple und schlug leicht auf den Tisch auf; »und ich gebe zu, daß ich recht gern wissen möchte, was es für ein Stein eigentlich ist.«

»Ich auch?«, sagte Peggy. »Ich nehme an, wieder ein großer Diamant.«

Ich schwieg und überlegte mir alles einige Zeitlang.

»Sie mögen recht haben, Miß Hepple«, sagte ich. »Und für mich ist es wohl das beste, wenn ich Lady Renardsmere alles erzähle, was ich Ihnen eben berichtet habe. Nicht wahr?«

»Selbstverständlich!« antworteten sie beide. »Was anderes kommt nicht in Frage. Und das augenblicklich!«

»Dann«, sagte ich, und wandte mich an Peggy, »kommen Sie bitte mit! Es ist nicht, daß ich Angst vor ihr habe, aber ich möchte ganz gern noch jemanden dabei haben.«

»Nein!« antwortete Peggy. Sie zeigte über den Tisch hinweg. »Miß Hepple wird mit Ihnen gehen! Sie ist grade die Richtige! Wenn Sie Lady Renardsmere alles erzählt haben, wird Miß Hepple ihr die Moral der Geschichte auseinandersetzen. Nehmen Sie sie mit.«

»Würden Sie die Liebenswürdigkeit haben?« fragte ich.

»Ich werde Sie begleiten«, sagte sie bereitwillig. »Wir gehen sofort nach dem Frühstück hin. Und in der Zwischenzeit, da es schon halb vier Uhr ist, schlage ich vor, daß wir zu Bett gehen. Kommen Sie mit, Mr. Cranage, ich werde Sie im blauen Zimmer einquartieren.«

Die paar Stunden bis zum nächsten Morgen schlief ich ausgezeichnet. Miß Hepples vernünftige Ansicht über all diese Geschehnisse hatte mich sehr beruhigt, und ich träumte auch nicht von Holliment oder Quartervayne. Als wir uns alle am nächsten Morgen um neun Uhr beim Frühstück trafen, war ich fest entschlossen, mit Unterstützung von Miß Hepple Lady Renardsmere eindringlichst klarzumachen, in welcher Gefahr alle schwebten, die irgendwie mit diesem vermaledeiten Etwas zu tun hatten.

»Warum sind diese Detektive Ihnen aufgedrängt worden?« fragte ich Peggy, als ich einen von ihnen mit Bradgett über die Weide gehen sah. »Eine Idee von Lady Renardsmere, nicht wahr?«

»Selbstverständlich«, antwortete sie. »Sie hat mich nicht einmal gefragt, sondern ließ mir sagen, daß von nun an, bis zum Derby, diese beiden Männer hier sein würden, einer, um während des Tages, der andere, um während der Nacht aufzupassen, und daß Rippling Ruby Bei Tag und Nacht bewacht werden sollte.«

»Befürchtet sie, daß der Stute irgend etwas zustoßen kann?« fragte ich.

»Habe keine Ahnung, was sie sich denkt«, sagte Peggy. »Ach werde schon dafür Sorge tragen, daß nichts geschieht. Mein Gott! als ob Bradgett und ich nicht all die Monate auf diese Stute aufgepaßt hätten. Nein, ich habe keine Ahnung, was sie sich denkt, aber ich weiß etwas anderes.«

»Was?« fragte ich.

Unwillkürlich flüsterte Peggy.

»Manches kommt mir und Bradgett zu Ohren. Lady Renardsmere hat ungeheuer viel auf Rippling Ruby, in der Hoffnung, ein großes Vermögen zu gewinnen, gesetzt. Man hat mir gesagt, daß es kaum einen Buchmacher gibt, mit dem sie nicht deswegen in Verbindung getreten wäre. Es ist noch nie so etwas dagewesen.«

»Nun, Sie sagen ja auch, daß Rippling Ruby das Rennen todsicher gewinnen muß«, sagte ich. »So –«

»Ich bin so sicher, wie es überhaupt ein Mensch sein kann«, antwortete sie schnell. »Wenn es ein Pferd gibt, das schneller als Rippling Ruby laufen kann, wird das gewinnen, aber ich glaube, es gibt keins. Die Stute wird im Kanter gewinnen. Ich würde meinen letzten Penny wetten – nein, das ist noch gar nichts, ich wollte sagen, ich würde alles auf sie setzen, alles, was ich überhaupt habe – Geld, Haus, Land, und würde nicht einen Moment Angst haben. Aber ich setze niemals und –«

»Nun?« fragte ich, da sie schwieg, »was ist es?«

»Zwischen Lipp' und Kelchesrand schwebt der finstern Mächte Hand«, zitierte sie. »Man kann nie wissen, was eintreten wird. Was ich vorhin sagen wollte, war: vorausgesetzt, daß alles normal verläuft, muß Rippling Ruby das Derby gewinnen, so wahr ich Peggy Manson heiße.«

»In welchem Falle Lady Renardsmere – – –«

»Ein fabelhaftes Vermögen einheimsen wird«, ergänzte sie. »Merkwürdige Frau! daß Sie beide ihr aber fest gegenübertreten! Machen Sie ihr all die Gefahren klar.«

»Ich freue mich, daß Miß Hepple mit mir geht«, sagte ich. »Ich freue mich, ist eigentlich nicht richtig, ich bin ihr aufrichtig dankbar dafür, und ich fühle mich wirklich erleichtert. Bei einem so außergewöhnlichen Fall wird es nicht leicht sein, mit Lady Renardsmere fertig zu werden.«

Bald darauf machten Miß Hepple und ich uns auf den Weg. Wir unterhielten uns über Lady Renardsmere, während wir durch das Tal auf das Schloß zugingen.

»Sie müssen sich über einen gewissen Charakterzug von Lady Renardsmere, der hier mit hineinspielt, klar werden, Mr. Cranage«, sagte meine Begleiterin. »Ich erzählte Ihnen heute früh, ich nähme an, daß irgendein wertvoller Stein hinter dieser ganzen Sache steckte, und daß Lady Renardsmere ihn von Neamore gekauft haben muß. Nun will ich Ihnen etwas erzählen, das überall bekannt ist; Lady Renardsmere ist in bezug auf Edelsteine abergläubisch, direkt krankhaft abergläubisch. Und wenn sie diesen Stein erworben hat, und irgendein Aberglauben hängt an ihm, dann können Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt werden, aber sie wird sich nicht von dem Stein trennen.«

»Nicht einmal durch die Angst, ermordet zu werden?« rief ich aus.

»Ich glaube nicht, daß sie überhaupt weiß, was Furcht ist«, sagte Miß Hepple. »Tragen Sie stark auf, wenn Sie Ihre Londoner Erlebnisse schildern.«

Wir trafen Lady Renardsmere in ihrem Büro an. Sie schien überrascht zu sein, Miß Hepple zu sehen, aber als ich ihr erklärte, Miß Hepple sei auf meine ausdrückliche Bitte, und um mit ihr zu reden, mitgekommen, wurde sie außerordentlich liebenswürdig und erklärte, sie sei nicht nur bereit, sondern auch neugierig, zu erfahren, um was es sich handle.

»Schließen Sie die Tür, Cranage, setzen Sie sich beide und schießen Sie los«, sagte sie. »Ich wollte eigentlich Beete umgraben, aber das kann warten. Um was handelt es sich?«

Ich erzählte ihr alles, es dauerte genau eine Stunde, zwanzig Minuten. Sie hörte mich, ohne mich einmal zu unterbrechen, an, nur rauchte sie ununterbrochen schwere russische Zigaretten. Als ich geendet hatte, nickte sie beifällig.

»Ausgezeichnet berichtet!« sagte sie. »Geschickt, präzis, logisch vorgetragen. Sie hätten eigentlich Rechtsanwalt werden sollen. Darüber werden wir uns noch mal unterhalten, denn Sie sind ja immerhin noch sehr jung. Aber nun, was soll ich zu Ihrer Geschichte sagen?«

Als sie diese Frage an mich richtete, war ich wie vor den Kopf geschlagen, ich wußte auch nicht, was für eine Antwort ich eigentlich von ihr haben wollte.

»Ich … ich wollte, daß Sie über alles Bescheid wüßten, Lady Renardsmere«, stammelte ich.

»Nun, jetzt weiß ich Bescheid, und ich gebe auch ohne weiteres zu, daß ich etwas von diesen drei Männern gekauft habe, da ich glaubte, sie hätten ein Recht, es zu verkaufen.«

»Was war es?« fragte ich unbesonnen.

»Das geht nun niemand etwas an. Ich kann genau so gut schweigen wie Ihr Mr. Cheng. Ich werde niemand etwas sagen.«

»In diesem Falle werden diese Burschen – es müssen mehrere sein, mit Chuh Sin als Anführer – jedem einzelnen von uns nachstellen, Lady Renardsmere, der irgendwie mit der ganzen Angelegenheit etwas zu tun gehabt hat. Und wir können uns jetzt schon darauf vorbereiten, erdolcht zu werden.«

»Das ist ja eine nette Geschichte«, sagte sie, ironisch lächelnd. »Aber das macht keinen Eindruck auf mich, Cranage; ich bin nicht ängstlich.«

»Ich habe große Angst«, erwiderte ich mit Betonung; »und ich schäme mich auch gar nicht, es zuzugeben. Wenn Sie alles gesehen hätten, was ich gesehen habe, nun … Sie würden sicherlich das Ding, was es auch sein mag, in den nächsten Graben werfen.«

Sie lächelte und sah Miß Hepple an, die bisher noch nichts gesagt hatte.

»Ihrer Ansicht nach«, sagte sie, »würden diese Kerle, wenn ich das täte, mich auch erstechen, nur um herauszubekommen, in welchen Graben ich es geworfen habe. Ach, Unsinn! Was meint Miß Hepple dazu? Sie sind eine außerordentlich lebenskluge Frau, Miß Hepple, nicht wahr? Sind Sie das nicht?«

»Ich möchte gern einige Worte mit Ihnen unter vier Augen sprechen, Lady Renardsmere«, sagte Miß Hepple. »Mr. Cranage wird das sicherlich nicht übelnehmen, er kennt mich ja schon etwas.«

Ich verließ sie und ging auf die Terrasse. Miß Hepple blieb eine ganze Zeitlang bei Lady Renardsmere; als sie herauskam, warf sie mir einen zuversichtlichen Blick zu.

»Wir haben uns ausgesprochen«, sagte sie. »Ich glaube, sie kann alles zur Zufriedenheit regeln. Ich an Ihrer Stelle würde nichts mehr sagen und auch nichts mehr tun. Lassen Sie die Polizei ruhig allein den verschiedenen Spuren nachgehen, Sie tun nichts dazu. Machen Sie sich keine Sorgen, sie hat keine Angst. Gehn Sie ruhig wieder an Ihre Arbeit!«

Sie ging fort; Lady Renardsmere kam zu mir heraus.

»Sie haben der Polizei nichts von mir gesagt, Cranage? Nein? Das war recht von Ihnen. Nun gehen Sie ruhig wieder an Ihre Arbeit, es ist sowieso eine Angelegenheit, die Sie nichts angeht.«

Ich lebte mich einigermaßen wieder ein; drei Tage vergingen und nichts geschah. Dann, an dem vierten Morgen, schlug ich die Zeitung auf und las, daß Neamore am hellen Tag, gestern nachmittag um drei Uhr, in Kensington Gardens ermordet worden war.


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