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18.
Überrumpelt

Ich hätte vor lauter Freude schreien und tanzen können, als die Schurken vor uns so vollkommen überrumpelt dem Befehl der Polizisten gehorchten. Ihre Arme schossen nur so in die Höhe und blieben oben. Kein Wunder, denn fünf kräftige Männer umringten sie, und fünf gefährlich aussehende Revolver waren auf sie gerichtet. Nur der Anführer machte seinem Herzen Luft, kurz und giftig zischte er: »Verflucht! Überrumpelt!«

Diese zwei Worte drückten alles aus, was so ein Schurke in seiner schwarzen Seele empfinden kann: Haß, ohnmächtige Wut und Verzweiflung. Dann befahl der größte unserer fünf Retter:

»Durchsuchen Sie sie, Burton. Wenn einer von den dreien nur einen Finger bewegt, dann …«

Ich kannte die Stimme, es war die eines Polizeiwachtmeisters, eines früheren Feldwebels, der in der Nähe von Renardsmere stationiert war. Einer der Polizisten steckte seinen Revolver ein und durchsuchte gründlich und schnell die drei Gefangenen. In einer Minute, buchstäblich einer Minute, hatte er den Männern die Waffen, die Walker um sein bißchen Verstand gebracht hatten, aus den Seitentaschen genommen und mir zum Halten gegeben. Gleich darauf gab der Wachtmeister einen zweiten Befehl.

»Arme nach vorn strecken. Schnell – aber schnell!«

Wir standen und sahen atemlos zu, wie die Gefangenen ihre Arme fallen ließen und ihre Hände ausstreckten. Wir sahen etwas im Mondlicht schimmern, wir hörten das Knacken von Stahl … die Polizisten senkten ihre Revolver und traten einige Schritte zurück, aber trotzdem hielten sie ihre Waffen noch schußbereit in der Hand.

»Nehmen Sie ihnen die Masken ab, Burton«, befahl der Wachtmeister. »Wollen mal ihre Gesichter sehen.«

Ich trat näher an die drei Männer heran, obgleich Walker, immer noch zitternd, mich zurückzuhalten suchte. Auch ich wollte ihre Gesichter sehen. Ich hatte, wie schon gesagt, gedacht, einer der drei Banditen könnte ein Chinese sein. Aber als Burton die Masken geschickt heruntergerissen hatte, sah ich, daß keiner von ihnen ein Chinese war. Alle drei waren Europäer. Der Anführer war ein gut und vornehm aussehender Mann. Er machte einen klugen und gebieterischen Eindruck, aber ich hatte bisher noch nie in meinem Leben einen Menschen mit solch finsteren Augen gesehen. Der Wachtmeister trat nahe an ihn heran und sah ihm ins Gesicht. Er erwiderte den Blick und sagte plötzlich mit leiser höhnender Stimme:

»Sie haben mich noch nie in Ihrem Leben gesehen.«

»Ich werde noch viel von Ihnen zu sehen bekommen, eine Zeitlang wenigstens«, erwiderte der Wachtmeister. Dann wandte er sich an mich:

»Ist Ihnen und Miß Manson irgend etwas zugestoßen, Mr. Cranage?«

»Nein, danke Ihnen«, sagte ich. »Aber es ist ein Wunder. Diese Kerle …«

»Kümmern Sie sich jetzt nicht um die, Mr. Cranage«, unterbrach er mich. »Wir haben sie erwischt. Es ist Mr. Peyton zu verdanken. Nun, das ist doch wohl Ihr Wagen da unten. Wir entdeckten ihn, als wir hier heraufkamen. Unserer steht unten an der Landstraße. Diese Kerle haben einen Wagen hier irgendwo versteckt, aber wir werden uns jetzt nicht die Mühe machen, sie deswegen auszufragen. Hauptsache ist jetzt, sie hinter Schloß und Riegel zu setzen. Wir werden sie jetzt abführen. Kommen Sie dann auch nach Mallant. Wir werden Ihnen dort auf der Polizeiwache erzählen, wie es gekommen ist, daß wir hier sind. Nun, Sie drei da! Vorwärts mit Ihnen, und vergessen Sie nicht, daß wir alle bewaffnet sind! Sollten Sie den leisesten Versuch machen zu fliehen, so werden Sie erschossen! Los, los! Bis zur Straße 'runter, aber schnell!«

Im nächsten Augenblick zogen die Polizisten mit ihren Gefangenen ab und verschwanden in der Dunkelheit. Und wir drei, zurückgelassen, standen und starrten ihnen nach. Ich glaube, Walker murmelte ein Dankgebet, jedenfalls hörte ich, wie mir schien, andächtige Worte. Ich riß ihn aber aus seiner Versunkenheit.

»Walker«, sagte ich, »können Sie den Wagen wieder in Gang bringen? Oder ist er …«

Er fuhr erschrocken zusammen, als ich meine Hand auf seine Schulter legte. Ich glaube, er hatte wahrhaftig das Automobil vergessen.

»Der Wagen, Mr. Cranage, der Wagen? O ja, ich kann ihn schon in Gang bringen«, stotterte er. »Ich mußte nur – o ja, Herr, ich kann ihn schon in Gang bringen. Aber großer Gott! Mr. Cranage, glauben Sie, daß sie wirklich fort sind; man braucht doch keine Angst mehr zu haben, Mr. Cranage, daß …«

»Machen Sie den Wagen fahrbereit! Wir wollen doch nicht Miß Manson hier die ganze Nacht über stehen lassen. Beeilen Sie sich!«

Er hatte sich mit einemmal von seinem Schrecken erholt und lief schnell zu dem Wagen; ich wandte mich an Peggy. Wir sahen uns einige Augenblicke schweigend an, dann sagte sie endlich:

»Eine gräßliche Geschichte, Jim!«

Ich schöpfte tief Atem.

»Ja, tatsächlich«, antwortete ich. »Es war wirklich gräßlich.«

Dann schwiegen wir wieder.

»Ich möchte wissen …« murmelte ich.

»Ich weiß, was Sie wissen möchten«, unterbrach sie mich. »Nämlich wie dieser Amerikaner Peyton sie aufgespürt hat.«

»Das werden wir schon erfahren«, antwortete ich. »Er hatte jetzt keine Zeit, mir das zu sagen. Aber sahen Sie nicht, daß er mir zunickte und winkte, als sie fortgingen? Und haben Sie nicht gesehen, wie er diese Banditen beobachtet hat – und den Revolver, den er hatte, und die große Tätowierung auf seinem Handgelenk, und – dabei habe ich ihn eine Zeitlang im Verdacht gehabt, nachdem er in Renardsmere gewesen war. Das ist alles rätselhaft. Lassen Sie uns nach Mallant fahren, um alles zu erfahren. Peggy!«

»Ja, was ist?« fragte sie, als wir den Pfad hinuntergingen.

»Fühlen Sie sich angegriffen?« fragte ich mit etwas zitternder Stimme.

»Nein, augenblicklich nicht. Aber morgen …«

»Na, es ist vorbei«, sagte ich. »Morgen …«

»Wir können abfahren«, rief Walker. Seine Stimme hatte sich noch immer nicht beruhigt. »Aber es ist nicht leicht, auf dieser Stelle zu wenden. Wenn Sie und Miß Manson bis zur Straße gehen würden –«

Wir machten uns auf den Weg. Grade als wir die letzte Biegung des Pfades, ein paar Meter von der Straße entfernt, hinter uns hatten, ergriff Peggy meinen Arm und zeigte nach vorn. In der Mitte des Weges stand ein Mann, halb im Schatten einer großen Ulme verborgen. Wir beide blieben stehen, er drehte sich um, sah uns, und rief aufmunternd:

»Kommen Sie nur heran, Mr. Cranage. Ich bin's, Peyton.«

Wir gingen sofort zu ihm hin und schüttelten ihm herzhaft die Hände, und obgleich ich bereits bis über die Ohren in Peggy verliebt war, hätte ich es ihr nicht übelgenommen, wenn sie ihn umarmt und geküßt hätte. Wie es nun mal die Art von Angelsachsen ist, zogen wir, bevor einer von uns etwas sagte, unsere Shagpfeifen hervor, stopften sie, setzten sie in Brand und rauchten.

»Sie könnten uns eigentlich miteinander bekannt machen«, sagte Peggy plötzlich.

Ich stellte sie einander vor, etwas formeller, als eigentlich nötig war, und bat sie, meine Unhöflichkeit zu verzeihen.

»In einer solchen Lage wie … wie eben«, fügte ich hinzu, »vergißt man leicht seine guten Manieren.«

Peyton deutete mit dem Kopf nach dem Admiral's Folly.

»Unangenehmes Erlebnis, das Sie da oben hatten, nicht wahr?« fragte er.

»Eine Zeitlang war es sogar ziemlich unangenehm«, antwortete ich. »Es ist überhaupt ein Wunder, daß unser Chauffeur nicht vollkommen verrückt ist. Aber, wie der Polizeiwachtmeister uns sagte, sollen Sie unser Retter sein. Wie ist denn das gekommen?«

»Ich blieb zurück, um Ihnen alles zu erzählen«, sagte er. »Es ist vollkommen überflüssig, daß ich auf diese drei Banditen weiter mit aufpasse, sie sind ja gefesselt – einer der Schutzleute erzählte mir, diese neuen Handschellen seien ausgezeichnet – und schließlich genügen ja vier bewaffnete Männer zur Bewachung. Aber ich will gern mit Ihnen nach Mallant gehen. Wie alles sich zugetragen hat?« fuhr er fort. »Nun, es kam daher, daß ich mich für Ornithologie interessiere und noch nie in meinem Leben das Glück gehabt hatte, eine Nachtigall zu hören. Das ist der Grund, warum ich hier bin.«

»Erzählen Sie uns doch alles«, rief Peggy. »Was hat eine Nachtigall damit zu tun?«

»Nun«, antwortete er lachend. »Nachdem Mr. Cranage mich kürzlich im Schloß Renardsmere herumgeführt hatte, streifte ich ganz ziellos in der Gegend umher, und in einem Gasthof, wo ich heute abend einkehrte, irgendwo da drüben, kam ich mit einem Mann ins Gespräch, der wie ich ein Vogelliebhaber ist. Er erzählte, daß man hier in diesem Tal etwas unterhalb der alten Ruine massenhaft Nachtigallen schlagen hören könnte. So, als es nun dunkel wurde, fuhr ich mit meinem Rad hierher, sah mich nach einer geeigneten Beobachtungsstelle um, versteckte mein Fahrrad an einem sicheren Platz und setzte mich selber in ein Gehölz, da ich nicht nur eine Nachtigall schlagen hören, sondern sie auch beobachten wollte. Nun, um nicht weitschweifend zu sein, diese drei Männer kamen mit einem Auto an, sie hielten grade vor dem Gehölz, in dem ich lag, an, dann versteckten sie ihren Wagen, ich weiß, wo er ist. Sie setzten sich auf die Straßenböschung, und da sie keine Ahnung hatten, daß ich grade hinter der Hecke, buchstäblich nur einige Schritte von ihnen entfernt, lag, unterhielten sie sich mit lauter Stimme. Nicht alles, was sie sagten, war mir verständlich; aber so viel bekam ich doch heraus: sie wollten gern Lady Renardsmeres habhaft werden, aber da sie nun verschwunden sei, hatten sie sich etwas anderes ausgeklügelt, um ihren Sekretär noch heute abend in die Falle zu locken. Sie wollten ihm hier in der Nähe auflauern, wenn er von Winchester zurückkehrte, wohin sie ihn durch ein fingiertes Telegramm geschickt hatten.«

»Ah!« sagte ich. »Das haben die also abgeschickt?«

»Anscheinend«, antwortete Peyton. »Nun, ich hörte genug, um zu wissen, daß Sie und Miß Manson, die sie auch über Lady Renardsmere ausfragen wollten, in Gefahr wären. Glücklicherweise blieben sie nicht immer dort sitzen, sondern standen auf und gingen auf und ab. Es war auch ein Glück, daß ich mein Rad auf der anderen Seite des Gehölzes gelassen hatte. So schlich ich mich ganz leise hinüber – so was habe ich immer gut gekonnt – hob das Rad über die Hecke und fuhr so schnell, wie nur irgend möglich zum nächsten Dorf. Ich hatte das Glück, einen Schutzmann dort anzutreffen, der sofort alles Weitere in die Hand nahm. Wir riefen die Polizeiwache in Mallant an, es liegt nur wenige Meilen entfernt, und so traf eine halbe Stunde später der Wachtmeister mit den anderen, alle wohl bewaffnet, im Auto ein. Und … dann sind wir hierher gefahren. Sagen Sie mal, können Sie sich denken, wer diese Burschen waren? Seit ich in Renardsmere war, habe ich die Zeitungen gründlicher als sonst gelesen, und da ist mir ein Gedanke gekommen.«

»Und der wäre?« fragte ich.

»Ich denke, daß diese drei mit den Morden in London zusammenhängen«, antwortete er. »Es waren dunkle Andeutungen in ihrer Unterhaltung – und ein Name wurde erwähnt.«

»Was für ein Name?«

»Holliment. Das ist der erste, der ermordet wurde.«

»Ich glaube, darüber besteht gar kein Zweifel, daß diese drei Mitglieder der Bande sind. Ich war mir von dem Augenblick an, wo sie uns anhielten, darüber klar.«

»Ganz richtig«, stimmte er zu. »Das denke ich auch. Ich habe, wie ich Ihnen schon sagte, die Zeitungen gründlich studiert und diese Morde ganz besonders verfolgt. Angenommen, diese drei gehörten zu der Bande, so erhebt sich eine wichtige Frage, finden Sie nicht auch?«

»Bevor ich darauf antworten kann, möchte ich wissen, was Sie meinen. Um was handelt es sich?« fragte ich.

Er sah von einem zum anderen, und in dem Mondlicht fielen seine scharfgeschnittenen Züge noch mehr auf.

»Wo steckt der Chinese?« sagte er. »Der Chinese, der in Holliments Laden in Portsmouth einbrach und seitdem vollkommen verschwunden ist. Denn der Chinese steckt hinter all diesem. Er ist der Führer, die anderen sind bloß seine Werkzeuge.«

Walker kam mit dem Wagen. Man merkte ihm an, daß er darauf brannte, abzufahren, und ich wußte auch, warum. Die Gegend war ihm unheimlich; nie wieder würde Walker, wenn er es irgendwie vermeiden konnte, nach Admiral's Folly gehen. Er war immer noch ängstlich und mißtraute sogar Peyton. Er hatte die Unverfrorenheit, mich mit dem Ellenbogen anzustoßen. Peyton sah das und wandte sich an ihn.

»Beruhigen Sie sich, mein Lieber«, sagte er lächelnd, »kein Bandit schleicht mehr hier herum. Und sollte doch noch einer dasein, ich habe eine nette kleine Waffe in der Tasche, die ihn schon in Schach halten würde. Bringen Sie Ihren Wagen nur hübsch ruhig an den Fuß des Abhangs. Sie werden dort ein Gehölz sehen, mein Fahrrad ist gleich hinter der Hecke, schnallen Sie's hinten auf, wir werden in einer Minute bei Ihnen sein. Nun«, fuhr er fort, als der Chauffeur fort war, »ich meine, Miß Manson und Mr. Cranage, wo ist der Chinese? Diese drei Kerle sind seine Werkzeuge und seine Komplicen, aber er ist der Anführer. Die Polizei hat die drei erwischt, aber er treibt sich noch herum. Und solange er das tun kann … nicht wahr?«

»Ganz recht«, stimmte ich ihm bei, als wir langsam den Hügel zu Walker hinunter gingen. »Es ist gar kein Zweifel, daß der Chinese hinter diesem Vorfall steckt. Aber Sie scheinen in mancher Hinsicht mehr zu wissen als ich. Ich zum Beispiel hatte keine Ahnung, daß soviel über den Chinesen veröffentlicht worden war.«

Er blieb stehen und sah mich ganz überrascht an.

»Was?« rief er aus. »Da haben Sie also die Londoner Abendzeitungen nicht gelesen? Nein? Na also, ich kaufte mir welche um sieben Uhr heute abend, als ich am Bahnhof in Mallant vorbeiging. Das Polizeipräsidium in London – Scotland Yard – hat alles veröffentlicht. Die ganze Geschichte wird gebracht – Sie sind auch dabei – von Anfang bis zu Ende. Der Chinese ist ein Kerl namens Chuh Sin, er war als Sekretär bei einem vornehmen Landsmann, Cheng, angestellt, und er soll diesem in Paris einen wertvollen Gegenstand, vielleicht ein Schmuckstück, entwendet haben. Dann ist Chuh Sin nach England entflohen, hier ist es ihm gestohlen worden, und nun hat er eine Bande um sich geschart, die es wiedererlangen will und dabei vor keiner Tat zurückschreckt. Chuh Sin! Ein Chinese, der die untere Hälfte seines linken Ohrs eingebüßt hat!«

»Ah!« sagte ich und dachte an Jifferdene und meine Unterhaltung mit Mr. Cheng im Langham-Hotel. »Das steht also alles in den Zeitungen?«

»Ja, und noch viel mehr«, antwortete er. »Ich habe zwei Zeitungen in der Tasche. Offenbar ist die Polizei zu der Einsicht gekommen, daß ein unterrichtetes Publikum ihr helfen könnte, und hat die Presse um Veröffentlichung gebeten. Es ist ein riesenlanger Artikel, nimmt gar kein Ende! Alles wird berichtet, von Ihrem Abenteuer in Portsmouth an bis zum letzten Mord. Na, die Geschehnisse von heute abend werden ja wieder genügend Stoff zu weiteren Artikeln geben. Diese drei Kerle sind die Komplicen des Chinesen, zumindestens sind sie Mitglieder der Bande. Aber … wo steckt er? Denn solange er lebt …«

Er machte eine Handbewegung, und wir sahen ihn fragend an.

»Was denn?« fragte Peggy.

»Es wird weitere Morde geben!« antwortete er. »Diese Schlauheit und Listigkeit … aber wir wollen zusehen, daß wir nach Mallant kommen, um zu erfahren, ob die Polizei irgend etwas aus den drei Männern herausbekommen hat.«

Walker, der vor jedem Schatten auf der mondhellen Straße erschrak, brachte uns in einer halben Stunde nach Mallant. Die kleine Stadt schlief schon; kein Schritt war auf den Straßen zu hören, und die Lichter in den Fenstern der merkwürdigen alten Häuser waren schon längst gelöscht. Aber die Polizeiwache war hell erleuchtet, und dort war noch alles auf den Beinen.

Wir wurden bei unsrer Ankunft gleich in das Zimmer des Wachtmeisters geführt, der mit zwei andern vor einem Tisch saß. Auf diesem lag ein Haufen der verschiedensten Dinge, ich erriet schon, woher sie stammten, bevor der Wachtmeister es uns sagte.

»Diese Sachen haben wir bei ihnen gefunden, Mr. Cranage«, sagte er. »Viel Bargeld, wie Sie sehen, Uhren usw. Aber dies ist das Wichtigste«, fuhr er fort und hob ein winziges Notizbuch hoch. »Dies haben wir bei dem Anführer gefunden. Es stehen Bemerkungen über Holliment, Quartervayne und Neamore und ihre Londoner Adressen darin, ebenso einige Notizen über die drei, die wir noch nicht entziffern konnten; dann steht noch einiges über Lady Renardsmere und Sie darin. Jedenfalls besteht kein Zweifel, daß diese drei mit den Londoner Morden etwas zu tun hatten.«

»Das können Sie getrost annehmen«, sagte ich. »Darüber bin ich mir seit den letzten zwei Stunden klar. Aber – wer sind sie?«

»Das werden sie uns bestimmt nicht verraten, Mr. Cranage«, sagte er. »Das müssen wir selbst herausfinden. Natürlich weigerten sie sich, Namen und Adressen anzugeben; aber, obwohl er es nicht weiß, ist der Anführer schon identifiziert worden.«

»Identifiziert?« rief ich aus. »Schon?«

»Ja, jetzt schon«, antwortete er. »Einer unsrer Polizisten, der früher in Portsmouth diente, kennt ihn, erkannte ihn sofort, als er hereingeführt wurde. Er war einige Zeitlang Assistent eines Arztes in Portsmouth – – –«

»Ach, dann ist er selber Arzt!« sagte ich erstaunt.

»Ganz recht, Mr. Cranage, ein junger Arzt. Er ließ sich etwas zuschulden kommen und wurde aus dem Ärztestand ausgeschlossen. Unser Beamter erzählte, er hätte seit der Zeit sich in Portsmouth herumgetrieben. Man sah ihn immer, verstehen Sie, in Gesellschaft zweifelhafter Personen. Ich denke mir, er wird sich mit dem Chinesen zusammengetan haben, von dem heute abend in den Londoner Zeitungen berichtet wird. Die andern beiden sind zweifellos Komplicen – wir wissen noch nicht, wer sie sind. Aber wo steckt nur der Chinese?«

»Diese Frage haben wir uns auch schon gestellt«, sagte ich.

»Na, diese drei hätten wir«, sagte er mit einem Blick auf seine Kollegen. »Die sind in Nummer Sicher! Nun, Mr. Cranage, begleiten Sie Miß Manson nach Hause und kommen Sie, bitte, alle drei morgen früh um halb elf hierher. Diese Männer sollen vernommen werden, und dann werden sie in Untersuchungshaft gebracht, und dann … na, die Zeitungen werden wieder mal etwas zu schreiben haben!«

Wir gingen fort. Ich brachte Peggy nach Manson Lodge und nahm Peyton nach Schloß Renardsmere mit. Am nächsten Morgen gingen wir alle wieder zur Polizei in Mallant; die drei Männer wurden vorgeführt, verweigerten aber die Aussage. Wir wurden noch über einiges gefragt, und dann wurden die Gefangenen unter strenger Bewachung abgeführt. Wir gingen alle nach Hause. Peyton kam wieder mit mir nach Renardsmere. An diesem Tag und auch an dem darauffolgenden geschah nichts. Aber am dritten Morgen war das erste, was ich sah, als ich die Zeitungen aufschlug:

 

Wieder ein geheimnisvoller Mord!

Bekannter Londoner Rechtsanwalt
in seinem Büro erstochen aufgefunden!


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