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V.
Der Abenteurer

In dem Deutschen steckt ein gutes Stück von einem Zigeuner. Es ist ein merkwürdiger Gegensatz in unserer Natur, daß wir unsere Heimat so innig, so gefühlvoll lieben und besingen und doch so häufig verlassen, wie kein andres Volk. Der Wandertrieb ist heute noch so lebendig, wie vor anderthalbtausend Jahren und der Landsknecht, der heute unter dem Doppeladler ficht und morgen unter den Lilien, stirbt in unserer Mitte nicht aus. Wo ein fremder Potentat Kanonenfutter braucht, finden sich sofort Deutsche ein, und wo ein Krieg entbrennt, wäre es auch in Korea oder Patagonien, da müssen Deutsche dabei sein. Der richtige Typus eines solchen Abenteurers trat mir in der Gestalt des Gefangenen Friedrich Schröer von Sausenheim entgegen. Ein kleiner, breitschulteriger Kerl mit krummen Beinen, braunem Gesichte, hervorstehenden Backenknochen und dunkeln, tiefliegenden, seltsam blitzenden und stechenden Augen. Man erkannte in ihm auf den ersten Blick den Choleriker und – den Schnapstrinker. Er hatte sich, wie seine Mitgefangenen sagten, in Afrika die Leber verbrannt und da mußte er immerfort löschen. Als ich ihn zum ersten Male sah, barg er die Hände in den Hosentaschen und hielt sich genau so » legère«, wie man es heute noch bei jedem echten französischen Troupier bemerkt.

Aus verschiedenen Gründen ging es nicht an, denselben in gemeinschaftlicher Haft zu belassen. Einmal war er, wie erwähnt, ein außerordentlich jähzorniger Mensch, der sich nicht im geringsten beherrschen konnte. Dazu kam seine Tollkühnheit, die von jedermann gefürchtet wurde. Er griff die Größten und Stärksten rücksichtslos an und warf sie durch sein Ungestüm meistens über den Haufen. Wenn einer sich im Saale bei den Übrigen recht verhaßt gemacht hatte, so spielte er den Exekutor, der im Namen der öffentlichen Meinung und der göttlichen Gerechtigkeit das räudige Schaf gehörig durchprügelte. Er that sich darauf etwas zu Gute, daß er immer im Leben, wie er meinte, für die »gute Sache« gekämpft habe, und wenn er für derartige Lynchjustiz etliche Tage »Cachot« erhielt, so ertrug er dies stolz, wie ein »Märtyrer«, der für die Gerechtigkeit nicht nur zu streiten, sondern auch zu leiden versteht.

Aber es lag auch noch ein anderer Grund vor, denselben zu isolieren. Jeder erfahrene Strafanstaltsvorstand weiß, daß Fremdenlegionäre in gemeinsame Haft nicht gehören. Den Grund kann ich nur andeuten. Unter dem französischen Militär und namentlich in der Fremdenlegion sind geschlechtliche Verirrungen der unnatürlichsten Art im Schwange, von denen glücklicher Weise selbst der verdorbenste Deutsche nichts ahnt. Ein einziges Subjekt dieser Art kann binnen kurzer Zeit die Gesundheit einer ganzen Abteilung zu Grunde richten. Ob Schröer auch derartigen Lastern ergeben war, weiß ich nicht, allein man läßt es in solchen Fällen am besten auf den Beweis gar nicht ankommen. Diesem Umstand nun verdankte ich es, daß ich den Abenteurer genauer kennen lernte, was bei dem Bewohner einer Zelle viel leichter möglich ist, als bei den Sträflingen in gemeinsamer Haft. Er war nicht nur heftig, unverträglich, launisch, unstet, sondern auch offenherzig und gutmütig. Ich wunderte mich nun nicht mehr über die gepriesenen und unglaublichen Heldenthaten so mancher französischen Offiziere in Algier. Leute, wie Schröer, würden, namentlich in etwas angetrunkenem Zustande, einem verwegenen Hauptmanne unbedenklich zu jedem Wagnis folgen, gelte es selbst den Teufel aus der Hölle zu holen.

Seine Laufbahn war eine wechselvolle und abenteuerliche. Zuerst hatte er bei den Bayern gedient, dann desertierte er und ging zu den Franzosen, die ihn nach Algier schickten. Als der Krieg mit Rußland ausbrach, wurde er nach der Krim gebracht, wo er Sebastopol belagern und den Malakoff stürmen half. Da die Zeit seines Engagements abgelaufen war, ging er zu den Engländern, die ihn nach dem Kap der guten Hoffnung schafften, wo es ihm gar nicht gefiel, weshalb er nach kurzer Frist davonlief. Ein holländisches Schiff nahm ihn mit nach Europa, wo er bei seiner Ankunft mit Freuden hörte, daß der Papst die Werbetrommel rühren lasst. Kurz entschlossen pilgerte er nach Belgien, wo er päpstliche Werber fand, die ihn nach der ewigen Stadt schafften. Dort behagte es ihm recht gut und er that, was er konnte, um dem heiligen Vater sein patrimonium zu erhalten. Er war bei jenen Jägern, die Perugia stürmten und sich dort heillose Ausschreitungen zu Schulden kommen ließen. Zum Lohne für seine Verdienste wurde ihm noch in das Gefängnis eine Denkmünze mit der Aufschrift: pro sede Petri nachgeschickt, auf welche er sich nicht wenig einbildete. – Die ganze Herrlichkeit nahm aber zu seinem Leidwesen ein jähes Ende, als der italienische General Cialdini plötzlich in den Kirchenstaat einrückte und das päpstliche Söldnerheer bei Castelfidardo gefangen nahm. Die Gefangenen wurden in ihre Heimat geliefert, wo gar mancher dem Gendarmen in die Hände fiel, der sein Signalement schon lange vergeblich mit sich geführt hatte. Zu diesen gehörte auch Schröer, der wegen Verkaufs gestohlener Gegenstände fünf Jahre hinter Schloß und Riegel mußte. Ab und zu hatte er früher schon wegen Schlägerei und Mißhandlung gesessen.

Schröer erzählte gern und gar nicht schlecht. Recht anschaulich konnte er die Kriegsweise der Beduinen schildern und mit welch erstaunlicher Schnelligkeit dieselben ihre Überfälle auszuführen pflegten. Gleich beim ersten Male, als er in der Nähe von hohem Schilfe Wache stand, tauchte plötzlich ein teuflisch aussehender schwarzer Kerl aus dem Rohre auf, und wie er noch Maul und Nase aufsperrte, hatte ihm derselbe schon über den Kopf gehauen, daß ihm Hören und Sehen verging. Als er aber das Blut aus den Augen gewischt hatte und schießen wollte, war der Feind spurlos verschwunden. Ebenso lebendig wußte er die schrecklichen nächtlichen Kämpfe in den Laufgräben vor Sebastopol darzustellen, wobei er in seiner Lebendigkeit jeden Bajonettkampf mit den entsprechenden Armbewegungen begleitete.

Nicht minder interessant waren seine Erzählungen aus Rom, namentlich über die Versuche, welche man dort angestellt, um ihn zum Übertritt zum Katholizismus zu bewegen. Irgend welche Zwangsmittel wurden dabei nicht angewendet, sondern nur allerlei lockende Versprechungen, denen er aber beharrlich widerstanden, was er sich zur hohen Ehre anrechnete. Als er sich einmal beim Kommandanten des Jägerbataillons über diese beständigen Bekehrungsversuche beschwerte, verschaffte ihm derselbe, ein rauher Soldat, mit derben Worten Ruhe vor den Versuchern. Den Sturm auf Perugia hat er mir mehrere Male geschildert. Da sich dort die Bevölkerung an der Verteidigung beteiligt hatte, wurden auch Weib und Kind nicht geschont und viele Häuser geplündert. Schröer schien das als etwas selbstverständliches anzusehen, und schaute mich groß an, als ich meinte, die Art, wie der Statthalter Christi seine Unterthanen zum Gehorsam zurückführe, scheine mir seinem Amte nicht ganz zu entsprechen.

Aber er wollte nicht nur erzählen, sondern stets auch Neues hören. Die Fragen: Herr Pfarrer, giebts nicht bald Krieg? oder: Ist nicht irgendwo Krieg? hat er mehr als einmal an mich gerichtet. Wenn sich dann einmal der Horizont dunkel umwölkte, oder im fernsten Winkel irgendwelche Raubstaaten auf einander schlugen, dann horchte er hoch auf und ich mußte ihm ein Buch verschaffen, um über jene Völker und Länder nachzulesen. Dann wurde er in seiner engen Zelle unruhig, dann seufzte er über seine lange Strafzeit, er hatte das Ansehen eines Zugvogels, der in seinem Käfig lebendig wird und mit den Flügeln schlägt, wenn die Brüder in der Freiheit ihre große Herbstreise antreten.

Schröer hat viel gelesen, aber nur Kriegsgeschichten und Reisebeschreibungen. Vor nichts hatte er mehr Respekt als vor dem persönlichen Mute. Keinen verachtete er mehr als den Feigling. Immer machte er Pläne, wohin er fahren und wem er seine Dienste anbieten wolle, wenn er die Freiheit erlangt habe. Einmal bekam er auch ein Buch in die Hand, das die schwere Berufsarbeit eines Missionars lebendig schilderte. Da war er mehrere Wochen sehr nachdenklich, bis endlich ein wichtiger Entschluß in ihm gereift schien. Diese Mühen und Gefahren und Reisen der Missionare lockten ihn; da gerade kein Krieg in der Welt war, wollte er unter die Streiter des Christentums treten. Ganz ernsthaft teilte er mir seinen Vorsatz mit und bat mich, die nötigen Einleitungen zu treffen, damit er sofort beim Austritt aus dem Zuchthaus in eine Missionsanstalt übertreten könne. Es kostete mich große Mühe, bis ich ihm endlich beigebracht hatte, daß man ihn wegen seiner Vergangenheit nicht zum Missionär brauchen könne, was er lange nicht begreifen konnte. Er that mir dabei leid, denn meine Mitteilungen erfüllten ihn mit Niedergeschlagenheit. Innerlich mußte ich allerdings manchmal lachen, wenn ich mir vorstellte, in welcher Weise der heißblütige, gewaltthätige Mann etwa die Neger zum Christentum bekehrt haben würde. Ich glaube, er hätte manchen armen Teufel in sehr drastischer Weise »genötigt« einzutreten und wenig Federlesens mit den Zauderern und den Verstockten gemacht. Ob allerdings seine Bekehrungen von nachhaltiger Wirkung gewesen wären, ist eine andere Frage.

Trotz dieses Zwischenfalls blieben wir auf gutem Fuße. Er nahm sich sogar meiner einmal beim Spaziergang im Hofe öffentlich an, indem er einen Sträfling, der irgend eine abfällige Äußerung über mich that, windelweich prügelte, was mich zu seiner Verwunderung nicht einmal sonderlich erfreute. Endlich kam das heißersehnte Ende seiner Strafzeit, deren letztes Jahr ihm in Gnaden erlassen wurde. »Sie werden sehen, Herr Pfarrer,« sagte er jetzt oft, »es bleibt nicht mehr lange Frieden, der Kaiser – damit meinte er Napoleon – und der Bismarck vertragen sich nicht zusammen.« Solche Hoffnungen hegte er nur, weil er vorhatte, wieder im Kriegsdienste sein Glück zu versuchen. »In Deutschland bleib ich nicht,« erklärte er beim Abschiede, »Sie werden übrigens von mir hören.« – Nach einigen Monaten kam er abgerissen und schwindsüchtig von Metz zurück und suchte mich auf. Er klagte mir betrübt, man habe ihn bei der Legion zurückgewiesen, weil er so krank aussehe. Wenn er seinen Husten los sei, werde er sich abermals in Lyon stellen. Wenige Wochen darauf starb er in seiner Heimat: er war dorthin gewandert, wo auch der unsteteste Mensch und unruhigste Geist endlich Ruhe findet.


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