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Zwanzigstes Kapitel.
Am Ziel

Am 4. Juli des Jahres 1873 ging ich über den Marktplatz zu Mannheim, als ich eine Stimme hinter mir rufen hörte: »Joseph, Joseph!« Ich war gar nicht neugierig, wer mich da rufe und drehte mich auch nicht um, denn ich dachte: »In Mannheim wird es mehr als einen Joseph geben.« Allein plötzlich rief es nicht mehr: »Joseph,« sondern: »Kürper!« und jetzt konnte wohl niemand anders, als ich, gemeint sein. Ich wendete mich um und siehe da, ich stand vor einem alten Jugend- und Leidensfreund, namens Sch., mit dem ich einstmals in der Erziehungsanstalt zu Speyer auf Zuchthaus studiert und den ich seit jener Zeit nicht mehr gesehen hatte. Das Wiedersehen war ein sehr herzliches, wir gingen Hand in Hand in den »Schwan«! Da wurde dann vieles aus vergangenen Tagen erzählt und ich vernahm, daß er ganz dieselben Wege gewandelt war, wie ich, nur ging bei ihm der Krug nicht so lange zum Brunnen, wie bei mir, bis er brach. Er hatte schon zweimal längere Gefängnisstrafen wegen Diebstahls verbüßt. Nach langem Plaudern beschlossen wir, jetzt eine Zeit lang zusammen zu bleiben und das war der Anfang vom Ende.

»Ich weiß Dir eine Gelegenheit,« sagte er, »wie sie sobald nicht wiederkehrt, reiche Beute und nicht die geringste Gefahr.«

»Laß es für heute gut sein,« erwiderte ich, »morgen wollen wir weiter davon reden.«

Am folgenden Tage spazierten wir im Mannheimer Schloßgarten und besprachen uns über die Art, wie der von Sch. geplante Diebstahl am besten auszuführen sei.

»Die Sache macht sich ganz leicht,« erklärte er. »Das Haus steht in einer menschenleeren Seitenstraße und ist von einer Mauer umgeben. Im untern Stocke wohnt ein lediger Herr, der Geld verdient und alle seine Sachen in einem schweren ledernen Koffer verwahrt. Er geht jeden Abend von neun bis zwölf Uhr aus und bis er heimkommt, haben wir reine Arbeit geschafft. Den Koffer tragen wir durch den Schloßgarten über die Rheinbrücke, erbrechen ihn in Ludwigshafen, vergraben ihn dann und fahren mit dem Inhalt nach K., wo ich mich auskenne und die Sachen an den Mann bringe.«

Die Sache war augenscheinlich gefahrlos und leuchtete mir ein. Da gerade Neumond war, beschlossen wir, sofort zur That zu schreiten.

»Ich meine,« begann ich, »wir sollten aber nicht soviel hier herumbummeln und uns von den Leuten angaffen lassen. Giebt es morgen Lärm, so heißt es gleich: ›Habt ihr die zwei verdächtigen Gestalten nicht beobachtet, die gestern den ganzen Tag im Schloßgarten herumstrichen?‹«

Sch., der Erfahrung besaß, nickte; »selbstverständlich halten wir uns so weit als möglich vom Schauplatz unseres Unternehmens auf. Gehen wir über den Neckar und machen wir dort ein Spielchen.«

Abends um dreiviertel auf zehn verließen wir etwas angetrunken die Wirtschaft und gingen der bewußten Straße zu. Als wir dieselbe betraten, pochte mir das Herz im Leibe, ich fühlte es, daß ich dem Verderben näher sei, als früher, allein ich konnte nicht mehr zurück. Sch. wußte genau, wo der Herr des Koffers einkehrte, ging an die Wirtschaft und überzeugte sich, daß derselbe wie gewöhnlich bei seinem Kartenspiele saß.

Die Straße war ziemlich still, so daß wir ganz unbemerkt über die Mauer kamen. Sch. hob mich hinauf und ich zog ihn nach. Von da sprangen wir in den Hof und traten in das Haus. Mein Geselle war sehr ortskundig und ging gerades Weges auf das Zimmer zu, in dem der gewichtige Koffer richtig stand. Wir griffen ihn bei den Ohren und schleppten ihn in den Hof. Sch., der die Sache kaltblütiger nahm, wie ich, ging noch einmal in das Zimmer und nahm einige Sachen mit, die herum hingen und lagen, während ich langsam das verriegelte Hofthor öffnete. Sch. streckte den Kopf hinaus und blickte die Straße auf und nieder: Kein Mensch war zu sehen.

»Jetzt rasch hinaus, die Gegend ist sauber.«

Wir zogen das Thor langsam zu und eilten nun behende in den Schloßgarten, der uns bald schützend aufnahm. Über die Rheinbrücke, wo vielfach Polizei verkehrt, gingen wir langsam und sicher; in Ludwigshafen schwenkten wir links zur Stadt hinaus gegen Mundenheim, wo sich auf freiem Felde ein Weiher mit einem hohen Damm befindet. Dort öffneten wir den schwergefüllten Koffer, entleerten denselben und vergruben ihn so gut, daß die Gendarmerie trotz genauer Angabe später vier Wochen suchen mußte, bis sie ihn fand.

In derselben Nacht marschierten wir mit unserer Beute nach Rheingönheim, von wo wir morgens nach K. fuhren. Hier entwickelte Sch. eine bewundernswerte Thätigkeit. Innerhalb einiger Stunden waren alle gestohlenen Gegenstände um einen annehmbaren Preis versilbert. Siegestrunken betraten wir einen Biergarten, wo uns infolge des Biergenusses und des gelungenen Unternehmens alsbald der Gedanke kam, einen neuen Handstreich zu wagen. Gedacht, gethan, wir drangen am hellen Tage bei Kaufmann Sch. in ein leeres Zimmer und räumten dasselbe vollständig aus. Alles wurde verkauft, nur eine Weste brachten wir nicht an. Diese sollte unser Verderben werden. Sch. trug sie halbtrunken, wie er war, auf offenem Markte einem Dienstmann an, während die Polizei bereits in Bewegung war und nach uns suchte. Richtig bogen auch schon zwei Polizeidiener um die Ecke, die uns trotz unserer Ausreden sofort verhafteten.

Nun ging es in der Untersuchungshaft ans Lügen und Leugnen. Allein wir waren hier von einander getrennt und bald gerieten wir in Widerspruch. Sch. begann sofort einzugestehen mit dem Bestreben, die ganze Schuld auf mich zu schieben. Als ich diese Erbärmlichkeit begriff, hielt ich mit der Wahrheit auch nicht länger zurück.

Am 4. Dezember 1873 wurden wir geschlossen in den Schwurgerichtssaal in Zweibrücken verbracht. Ich war weiß, wie die Wand, und in der Untersuchungshaft vor Angst zu einem Gerippe abgemagert. Mein Verteidiger, ein Rechtspraktikant, machte seine Sache so ungeschickt, daß ich bat, meine Verteidigung selbst übernehmen zu dürfen. Allein auch das half nichts, wir wurden zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Wir legten gegen das Urteil Kassation ein, die aber verworfen wurde.

Es war am 5. Februar des Jahres 1874, als sich die dunkele, unheimliche Thür des Zuchthauses Kaiserslautern klirrend hinter mir schloß.


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