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Dreizehntes Kapitel.
Ich werde ein »blauer Teufel«

In Stuttgart angekommen, ging ich gerades Wegs in die »Deutsche Flotte«, die mir als General-Penne empfohlen worden war. Als ich hineintrat, wurde ich vom Kopf bis zu den Füßen beschaut, vermutlich, ob man mir trauen könne. Kaum saß ich am Tische, als einige Fremde sich heranmachten und mich ausfragten, wo ich herkäme, was ich für ein Geschäft hätte u. s. w. Als sie sich überzeugt hatten, daß ich zu ihnen passe, setzten sie ihr vorheriges wüstes Treiben fort. Alsbald erscholl das Lumpenlied, von dem ich zwei Verse hierhersetze:

Mein Hut sieht karambolisch aus,
Die Haare schauen zum Dach heraus:
O ich Lump, o ich Lump, o ich lüderlicher Lump.

Früher hatt' ich Hemden Dutzendweis
Und heut hab ich nur eins
Und das ist voller Läus:
O ich Lump, o ich Lump, o ich lüderlicher Lump.

Ich habe in meinem langem Stromerleben keine Herberge gefunden, auf der es so gemein und sittenlos zuging, wie in dieser schmierigen »Deutschen Flotte«. Die fahrenden Dirnen trieben sich da herum, wie ein Bienenschwarm vor seinem Stand und wehe dem armen, unerfahrenen Burschen, der in ihre Hände fiel. Hier traf ich zum ersten Male auf Juden und zwar gleich fünf Pärchen, alte und junge, die sich wenigstens sechs Wochen hier herumgetrieben haben. Sie hielten sich meist für sich und ich glaube, daß sie unter einander Gütergemeinschaft hatten. War die Kalle alt, so ging sie von morgens bis abends zu den Landsleuten in der Stadt betteln und ich sah, wie sie manchmal mit Chaime (Stolz) des Abends ganze Hände voll Geld ihrem »Manne« in den Schoß legte. War dagegen die Kalle jung und hübsch, so machte sie Abendspaziergänge in gewissen Anlagen und kehrte nie ohne mehrere große Silbermünzen, ja sogar Goldstücke zurück. Ich erinnere mich noch, daß eines Abends eine solche Kalle ausblieb, worauf der verlassene Gatte hin und her lief wie ein Wahnsinniger und sich die Haare ausraufte. Als sie nach einigen Tagen nach einem größern Ausfluge, den sie mit einem jungen Herrn gemacht, lächelnd in die Stube trat, fiel er ihr laut schreiend um den Hals und rief: »Ich habe mir bald die Augen ausgeweint vor lauter Schiewerlef! (Herzeleid).«

Stuttgart ist für die Stromer eine gute Stadt, denn es wohnen da viele Pietisten und das sind gute, mitleidige Menschen, bei denen niemand umsonst anklopft. Ich blieb denn auch vier Wochen dort und machte sehr gute Geschäfte. Ich hatte hier Papiere als Schriftsetzer, mit denen ich mich sogar dem bayerischen Gesandten vorstellte. So schwindelte ich schweres Geld und eine Masse von Kleidungsstücken zusammen, wie man sie selten sah. Als die vierte Woche zu Ende ging und ich eben in der Königsstraße meine Thätigkeit entwickelte, trat plötzlich ein in Zivil gekleideter Mann auf mich zu und erklärte mich für verhaftet. Ich wollte mich zwar anfangs widersetzen und fragte ihn keck, was er denn für eine Vollmacht habe, freie Leute mir nichts dir nichts festzunehmen, allein er hatte etwas in seinen Augen und Bewegungen, das mir gar nicht gefiel, weswegen ich alsbald nachgab und folgte. Der Polizeiaktuar erkannte auf vierzehn Tage Haft und Stadtverweis, worauf ich in das Stuttgarter Gefängnis abgeführt wurde. Dort empfing mich ein großer Mann mit rauhen Worten, wie denn die Schwaben überhaupt gröber sein können, wenn sie wollen, als alle anderen Deutschen. Sonst hatte ich mich aber gerade hier über Kost und Behandlung gar nicht zu beklagen. Ja ich fand das erste Mittagessen, bestehend aus Suppe und Brot, Spätzles und Sauerkraut, wohlschmeckend und besser als in mancher Herberge.

In einem großen Zimmer saßen oder lagen vielmehr mehrere Kollegen, die mich anfangs, wie vornehme Leute zu thun pflegen, gar nicht beachteten. Einer, ein alter Knabe, der schon manchen Sturm erlebt haben muß, saß regungslos da, wie ein Türke und stierte an die Wand. Endlich kam er von seinem tiefen Sinnen zu sich, warf einen gnädigen Blick auf mich und fragte endlich herablassend: »Was bist Du für ein Landsmann?«

»Ein Bayer.«

»Was hast Du gemacht?«

»Gebettelt.«

»Wo haben sie Dich gekriegt?«

»In der Königsstraße.«

»Wer hat Dich verhaftet?«

»Ein Civilist.«

»Wie lange hast Du?«

»Vierzehn Tage.«

»Was hast Du für eine Religion?«

»Schriftsetzer.«

»Schönes Geschäft,« murmelte er, »trägt schwere Mesummes ein.«

»Wie mans nimmt,« sagte ich.

»Bist Du im Verband?«

Ich verstand die Frage nicht und brummte etwas unverständlich: »Schon mehr wie einmal.«

»Wie lange bist Du in Stuttgart?«

»Vier Wochen.«

»Wo hast Du logiert?«

»In der Deutschen Flotte.«

»Pfui Teufel! Lausige Schixenpenne; sie werden Dir Deinen Denkzettel noch geben, wenn Du ihn nicht schon hast. Junge Leute,« murmelte er kopfschüttelnd.

Dann blickte er wieder sinnend an die Wand, als ob er einen schweren Entschluß fassen wolle. Endlich flüsterte er mir zu: »Morgen früh wecke ich Dich, ich habe Dir etwas Wichtiges mitzuteilen!«

Um drei Uhr – es war Sommer – stieß er mich leise und führte mich in eine Ecke. »Höre,« raunte er mir zu, »Du gefällst mir, ich will Dein Glück machen. Du bist zwar schon »zünftig«, aber Du weißt nicht, was eben bei den Leuten zieht. Gegenwärtig, nach dem Kriege, spielen die, welche Palm (Soldat) waren, die erste Rolle. Nun besitze ich ein eisernes Kreuz und eine echte Legitimation für den Inhaber. Und diese paßt sehr gut auf Dich, denn sie rührte von einem Bayer her. Ich bin ein alter Kerl und kann sie nicht brauchen, wenn Du mir drei Thaler giebst, sollst Du sie haben.«

Meine Augen glänzten vor Freude, ich begriff den Wert dieser Gabe, die mir reichen Gewinn einbringen mußte. Ich zahlte dem Alten mit zitternder Hand drei Thaler, die er genau betrachtete und mit zufriedenem Lächeln einsteckte. Dann zog er ein Päckchen aus der Tasche, das ein richtiges eisernes Kreuz und eine echte Legitimation enthielt, ausgestellt auf den Johann Hutzer aus B. in Mittelfranken. Ich griff hastig darnach und barg es auf der bloßen Brust. Einschlafen konnte ich nicht mehr, ich sah mich in Gedanken, wie ich mit dem eisernen Kreuz auf der Brust als »blauer Teufel« stolz in manches Schloß trat und von der Hand des schönen Fräuleins, das mich bewundernd nach meinen Heldenthaten fragte, eine reiche Gabe entgegennahm. Bald waren auch in Gedanken einige Bravourstücke fertig, die ich bei Wörth oder Sedan verrichtet hatte.


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