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Achtzehntes Kapitel.
Unterhaltung in den Amtsgerichtsgefängnissen

Die Schilderung meiner Verbrecherlaufbahn wäre unvollkommen, wenn darin nicht auch der Haftlokale Erwähnung geschehe. Dieselben spielen im Leben des werdenden Verbrechers eine größere Rolle als mancher glaubt und tragen zu dessen Entwickelung wesentlich bei. Während der Staat den Zuchthäusern die größte Aufmerksamkeit zuwendet, werden die kleinen Gefängnisse oft in kläglicher Weise vernachlässigt. Würde für diese besser gesorgt, so wären weniger teure Zuchthäuser nötig. Dort lungern die Vagabunden und schmieden ihre Pläne, dort lernt und erfährt ein Dieb vom andern die Schliche und Pfiffe, dort werden die Herzen verdorben und für die Verbrecherlaufbahn und deren Reize gewonnen. Das Verderbliche in diesen meist schmutzigen Behältnissen ist einmal die gemeinsame Haft, daß man die zur Haft Verurteilten ohne Unterschied zusammensperrt und dann der oft trostlose Mangel an jeder Beschäftigung. In großen Städten geht es noch an; in Frankfurt gab es immer Kaffee zu belesen, Roßhaare zu zupfen, Düten zu kleben, aber an kleinen Orten fehlt es völlig an Arbeit, wenn die Zeit des Holzspaltens vorüber ist. Was soll ich aber von solchen Haftlokalen sagen, wo man jede Beschäftigung, ja sogar das Bücherlesen geradezu verbietet? Da darf es niemanden wundern, wenn sich da Unterhaltungen folgender Art entspinnen:

»Du, wo ist denn eben die Fulder Marie?«

»Sie treibt sich auf schlechtem Wege in Frankfurt herum.«

»Und die Würzburger Greth?«

»Die streunt mit dem Germersheimer Sepp.«

»Und wo hält sich die bayerische Tine auf?«

»Die ist auf der Generalpenne in Maxdorf und macht abends kleine Ausflüge nach Frankenthal und Ludwigshafen, wobei sie schönes Geld verdient.«

Mit solchen Gesprächen vertreibt man sich die Zeit und wer die meisten und gediegensten Lumpenstückchen erzählen kann, ist der Held der Gesellschaft. Das hört aber auch mancher unerfahrene Bursche, der dabei sitzt und auch er gewinnt Freude am Gaunerleben, bei dem es augenscheinlich hoch hergeht und das Geld leicht erworben wird.

Kommt zu allem dem noch ein roher Aufseher oder ein bestechlicher Verwalter, dann ist das Gefängniß geradezu eine Verbrecherschule. Bei dem Antritte einer Haftstrafe in X. wurde ich von dem Aufseher also begrüßt:

»Kerl, hast Du Läuse?«

»Nein, Herr Aufseher.«

»Ich will einmal nachsehen und wenn Du Reichskäfer hast, mußt Du sie fressen.«

Er durchsuchte mich genau, fand aber nichts, als einen Floh, über den er folgendes Urteil fällte:

Du bist ein Tier ganz winzig klein,
Nun stichst du mir nicht mehr ins Bein
Du bist ein Floh und keine Kuh
Nun drück ich dir die Augen zu
Und allweil mußt du sterben.

Mit diesen Worten schnitt er dem Floh den Kopf ab.

In einer andern Stadt durfte man nicht lesen, nicht arbeiten, nicht die freie Luft atmen. Wir lagen aus der faulen Haut und prahlten mit dem, was wir ausgeführt hatten oder noch ausführen wollten. Alsbald machte die Frau des Verwalters das Guckloch in der Thüre auf und fragte, ob keiner etwas nötig habe. Ich sagte sofort: »Mutter, seien Sie so gut und bringen Sie mir Tabak, Käse und einen Liter Bier.«

»Wenn Sie Geld haben, will ich Ihnen alles besorgen, aber Sie dürfen meinem Manne nichts davon sagen.«

Ich holte aus meinem Verstecke das nötige Geld, wofür wir – natürlich gegen hohe Bezahlung – alles erhielten, was wir nur wollten. Das war natürlich ein fideles Gefängnis und so ist es nicht zu wundern, daß wir eines Mittags auf ein gegebenes Zeichen in allen Räumen begannen, aus voller Kehle ein Lumpenlied anzustimmen. Die Spaziergänger im benachbarten Schloßgarten blieben stehen und lachten; endlich stürmte auch der Verwalter die Treppe herauf und brüllte: »Ihr Lumpen, Ihr Stromer, Euch muß …; ich werfe Euch alle in den Keller, daß Ihr …!« Allein als er aufschloß, lagen wir alle auf den Pritschen und schliefen fest, so daß er nichts herausbrachte. Ich vermute, daß er überhaupt nichts herausbringen wollte und deshalb um so mehr tobte, denn wie kann ein Mann streng einschreiten gegen Gefangene, von denen die Frau einen sträflichen Gewinn nimmt?

Etwas anders gestaltete sich die Unterhaltung in Baumholder, wo ich zu einem Raubmörder, namens Koch, gesperrt wurde. Derselbe war aus einem preußischen Zuchthause ausgebrochen, hatte unterwegs einen armen Arbeiter erschlagen und demselben die Kleider und seine paar Pfennige abgenommen. Eines Abends saß der unheimliche Mensch brütend da und seine Augen begannen sonderbar zu glühen.

»Höre,« begann er, »wenn morgen früh der Verwalter kommt, so wird er hereingezogen; Du hältst ihn fest und ich schneide ihm den Hals ab.«

»Nein,« sagte ich, »da helfe ich nicht mit, ich habe vierzehn Tage und die gehen herum.«

»Du weißt, Joseph, wie meine Karten stehen; hier sitze ich unter fremdem Namen; komme ich an den Ort, den ich als meine Heimat angegeben habe, so weiß man sofort, wer ich bin. Ich muß also bei Zeit frei werden, sonst bin ich verloren.«

»Du kannst machen, was Du willst, aber mich laß in Ruhe; ich gebe mich zu solchen Sachen nicht her.«

»Gut,« erwiderte er kurz, »dann wird etwas anderes gemacht und gehst Du nicht darauf ein, so bist Du verloren.«

Dabei sah er mich so sonderbar an, daß es mir heiß den Rücken herunterlief und ich zitterte wie Espenlaub. Verraten wollte ich ihn nicht, aber mein junges Leben auf solche Weise einzubüßen, hatte ich nicht im Sinn. Als er meine Erschrockenheit sah, reichte er mir die Branntweinflasche und rief: »Sei nicht so traurig, junger Bursche, es geht noch nicht ans Halsabschneiden, aber an etwas anderes und zwar heute Nacht.« – Wir versuchten nun auszubrechen, rissen den Ofen ab, machten ein großes Loch, stießen aber plötzlich auf einen breiten Balken, so daß wir von unserm Vorhaben abstehen mußten. Wir hatten Mühe, unsere Arbeit vor den Augen des Verwalters, mittelst eines weißen Lappens, den wir mit Brot vor das Loch pappten, zu verbergen. Bei meiner Entlassung mußte ich dem Menschen versprechen, ihm eine Uhrfeder zu verschaffen. Was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht.«

Ich könnte noch weit mehr von derartigen Erlebnissen in diesen Häusern erzählen; ich denke aber, das Gesagte wird genügen, um sich über dieselben ein Urteil zu bilden.


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