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Zwölftes Kapitel.
Erlebnisse in Frankfurt

Von Darmstadt nach Frankfurt marschierte ich, und weiß nur noch, daß ich unterwegs in einem Bauernhause, das offen stand und in dem kein Mensch anzutreffen war, einen Schinken mitgehen hieß. Gegen Abend kam ich am Ziele meiner Reise an und begab mich sofort in die Judengasse zu dem bekannten Herbergsvater Langensenz. Ich brauche ja nicht erst zu sagen, daß ein rechter Stromer alle Klappen und Pennen im ganzen deutschen Reiche auswendig weiß. Bei diesem Langensenz wimmelte es von Männern und Weibern aller Art, fast lauter verdächtiges Gesindel. Ich wurde mit meinem Begleiter, dem Schinken, stürmisch begrüßt und gab denselben denn auch sofort zum Besten. Schließlich mußte ich noch »Bankarbeit machen«, d. h. die Nacht auf einer Bank zubringen und dafür noch sechs Kreuzer Schlafgeld zahlen, was mir so schlecht behagte, daß ich am andern Morgen diese schmierige und lüderliche Kneipe verließ, um mich anderswo einzuquartieren.

Ich begab mich in derselben Gasse zum Maier, wo es mir schon besser gefiel. Es sah sauber darinnen aus, Männlein und Weiblein saßen durcheinander, zechten und sangen, obschon es noch früh am Morgen war. Da wurde gesungen: O Freund, kennst du das Haus? Es stand ein Soldat auf dem Posten; Als ich noch Junggeselle war, nahm ich ein steinalts Weib und was dergleichen Vagabundenlieder mehr sind. Da flickte einer seine Hosen, dort schlug ein anderer gebettelte Kleidungsstücke an den Meistbietenden los, dort machten andere mit ihren »Führern« die Schlachtpläne für den Tag.

»Ich gehe zum Rothschild und gebe mich für einen Juden aus,« sagte einer, »und wenn ich auch wenig bekomme, fällt doch ein koscherer Gor (Gulden) ab, die nötigen Papiere hab ich dazu.«

»Und ich,« rief der Zweite, »gehe zum Galach (Pfarrer) nach Sachsenhausen und thue den ordentlich verkohlen und wenn er mir auch nicht viel giebt, so kriege ich doch eine »zünftige Weidling« (gute Hose) und eine klore Staude (ordentliches Hemd). Das giebt immer zwanzig Bleier (Groschen) und der Gallach spürt es nicht. Dann können wir zusammen Gamore (Karten) spielen bis Abend.

So wußte der Eine dies, der Andere jenes; allmählich gingen sie zu ihrer »Arbeit« und auch ich und ein Kollege, der mir nicht übel gefiel, machten uns auf den Weg. Auf der Zeil trennten wir uns, da er diese Straße abfechten, ich aber Rothschild heimsuchen wollte. Ich habe ihn nie mehr gesehen, denn er wurde, wie ich hörte, auf der Zeil verhaftet und soll schwarz angeschrieben gewesen sein. Er muß eine Ahnung von seinem Los gehabt haben, denn er sagte beim Abschied:

Sehen wir uns nicht mehr auf dieser Welt,
So sehen wir uns doch im »Klapperfeld«.

Zum Verständnis dieser Verse füge ich hinzu, daß das »Klapperfeld« das große, jedem Vagabunden wohlbekannte Gefängnis in Frankfurt ist.

Ich ging gerade zum Rothschild, der damals bayerischer Konsul war. Im Hause angelangt, sagte ich dem Bedienten, ob ich die Erlaubnis haben könnte, mit dem gnädigen Herrn zu sprechen.

»Wie ist Ihr Name?«

»Ich heiße Jakob Junker und bin ein Bayer, mit Gunst.«

Der Bediente ging, kam wieder und sagte: »Folgen Sie mir.« An einer hohen Thüre klopfte ich, ich muß gestehen, ich fühlte einige Bangigkeit, und ich wäre am liebsten wieder zurückgegangen. Doch das war nicht möglich, ich faßte mir deshalb Mut und trat dreist in die Stube, als es: »Herein!« hieß. Einen Schritt weit von der Thüre blieb ich stehen und wartete, bis ich angeredet wurde.

»Was ist Ihr Wunsch,« fragte Rothschild, ein ziemlich dicker Mann mit einer Platte, wenn ich mich recht erinnere.

»Mit Erlaubnis, Excellenz, ich bin ein Bayer und befinde mich auf der Durchreise. Da ich ohne Mittel bin, möchte ich bei Excellenz um eine kleine Reiseunterstützung ansprechen.«

»Haben Sie Papiere und wohin wollen Sie reisen?«

Ich gab ihm meine gefälschte Legitimation und antwortete: »Ich möchte gern nach Würzburg, dort könnte ich in Kondition treten.«

Er beanstandete meine Papiere nicht, schenkte mir zwei Thaler und noch freie Fahrt bis zu dem von mir angegebenen Ziele. Dies wurde jedoch in meine Legitimation folgendermaßen eingeführt:

Inhaber wurde hier mit zwei Thalern unterstützt und mit freier Fahrt bis Würzburg.

Frankfurt 1871.
Unterschrift unleserlich.

Der ausfertigende Sekretär drückte auch noch ein Amtssiegel bei, so daß die Legitimation vollständig »versudelt« war und in Frankfurt nicht mehr benutzt werden konnte. Ich kehrte in meine Herberge zurück und hörte dort, eben sei ein Konstabler dagewesen, der habe die Sachen meines verunglückten Kameraden abgeholt mit dem letzten Gruß: er sage mir Lebewohl auf immer. Ich ertrug den Verlust mit jener Ruhe, die sich Vagabunden infolge häufigen Findens und Scheidens angewöhnen und lebte der festen Hoffnung, daß ich eine ähnliche Gesellschaft bald wieder finden würde, was in der That eintraf. Abends hatte ich auf meinem Zimmer Beschäftigung. Ich verstand nun vortrefflich das Anfertigen von Papieren und stellte mir, da Rothschild meine Legitimation unbrauchbar gemacht hatte, eine neue aus, diesmal auf den Bildhauer Bürkel aus Miesau, als welcher ich zehn Monate lang in Frankfurt mein Wesen ungestört trieb, ohne auch nur das Geringste zu arbeiten. Ich bettelte nach einem vorher entworfenen Plane alle Gassen der Stadt und alle reichen Familien der Stadt ab und kann sagen, daß ich mich dabei vortrefflich stand. Wohl wurde ich einige Male von der Polizei ertappt und auf einige Tage in das »Klapperfeld« geschickt, allein man verwies mich nicht aus der Stadt, sondern drohte nur: Wenn ich nicht binnen drei Tagen Arbeit hätte, müsse ich Frankfurt verlassen. Ich suchte natürlich weder Arbeit noch verließ ich die Stadt, sondern ließ es einfach darauf ankommen, ob sie mich wieder erwischen und wieder erkennen würden. Im Laufe dieser Monate kam mir einst der Gedanke: du könntest auch einmal in der Herberge zur Heimat übernachten, von der du schon so viel gehört hast. Gedacht, gethan; ich nahm mein Bündel, als wäre ich frisch zugereist und ging hinab nach dem Main, wo sich die genannte Herberge befindet. Ich setzte mich hinter einen Tisch und sagte zum Wirt: »Geben Sie mir ein Glas Bier und einen kleinen Schnaps.«

»Wissen Sie nicht, wo Sie sind? fragte er, »hier ist die Herberge zur Heimat, in der jeder Fremde drei Tage bleiben darf, wenn er die nötigen Mittel hat. Für Schnapslumpen und Raufbolde ist hier kein Platz. Sie können also keinen Branntwein erhalten und auch Bier nur nach Maß und Ziel.«

Dann fuhr er weiter fort: »Sind Sie fremd und was haben Sie für ein Geschäft?«

»Ich bin Bildhauer und möchte Kunst haben, wenn solche hier zu finden ist.«

»Eben ist nichts angesagt, aber Sie können ja drei Tage hier bleiben, wenn Sie wollen.«

Ich blieb, denn ich war gespannt, ob es hier auch so zugehe, wie in den anderen Herbergen, die ich bis jetzt besucht hatte.

Gegen acht Uhr abends kam der Vater herein und sagte: »Kinder, das Nachtessen ist so weit fertig und wenn einer was haben will, so kann ers bestellen. Es waren etwa vierzig Handwerksburschen da und die meisten aßen etwas. Ich ließ mir Suppe, Kartoffeln und Wurst geben. Ich erstaunte nicht wenig, als der Hausvater zur Thüre hereinrief: »Daß mir keiner etwas anrührt, ehe gebetet ist.«

Hierauf kam er herein und sagte: »In meinem Hause ist es so Sitte, daß man vor und nach dem Essen dem dankt, der uns die Speise giebt.« Hierauf sprach er ein kurzes Tischgebet und alle aßen zur Nacht, der Wirt mit. Mit Karten und Würfeln durfte man nicht spielen; ebensowenig wurde Fluchen, Pfeifen und Singen gestattet, wer sich der Ordnung nicht fügen wollte, mußte das Haus verlassen. Die erlaubten Spiele waren Domino, Damenbrett und Schach, aber auch damit durfte nicht um Geld gespielt werden.

Um acht Uhr waren die Billete zum Schlafengehen ausgeteilt worden. Die Preise waren verschieden, man konnte zu 18, 12 und 6 Kreuzern übernachten; jeder bekam sein Bett allein, was in anderen Herbergen nicht der Fall ist. Ich nahm mir ein Billet zu 12 Kreuzer und kam in den zweiten Stock zu liegen. Da mein Gepäck und meine Kleider anständig waren, brauchte ich nicht vorauszuzahlen; auch konnte niemand große Ausgaben machen, da man nicht mehr als drei Glas Bier bekam. Ich setzte mich allein in eine Ecke und schrieb mir alles genau auf, was ich da sah und hörte, denn so etwas hatte ich noch nie erlebt, weil ich nie in meinem Leben in ein solches Haus gegangen war. Ich mied jeden Ort, wo von Gott geredet wurde. Während meiner ganzen Gesellenzeit bin ich ein einziges Mal in der Kirche gewesen und zwar in Offenburg und als ich dort herauskam, habe ich kein einziges Wort mehr gewußt von dem, was drinnen gesagt worden war.

Um zehn Uhr kam der Hausvater und sagte: »So, Kinder, jetzt geht zu Bett, sonst kommt uns die Polizei über den Hals und das soll mir nicht passieren. Zuerst laßt uns aber Gott danken für den erlebten Tag und ihn bitten, daß er uns diese Nacht behüten möge.«

Wieder sprach er ein kurzes Gebet, dann führte er zuerst die Schlafgäste zu 18, dann die zu 12 und endlich die zu 6 Kreuzern zu Bette. Dann wünschte er allen: Gute Nacht und ging seiner Wege.

Die Betten, Schlafzimmer und alle Räumlichkeiten waren sehr reinlich und alles sehr billig. Um halb acht Uhr mußten alle aus den Betten sein, dann gings zum Frühstück, nachdem zuvor ein kurzes Morgengebet gesprochen war. Wie ich meine Rechnung verlangte, war ich sehr erstaunt, daß ich nur 39 Kreuzer zahlen mußte, bedankte mich und ging davon. Wahrlich, lieber Leser, solche Sitte und Reinlichkeit und solche Folgsamkeit habe ich noch nie auf der Reise und auf einer Herberge gefunden und waren doch Menschen aus allerlei Klassen hier beisammen.

Diese Herberge hat einen sehr tiefen Eindruck auf mich gemacht, allein – offen gestanden – gefallen hat es mir dort nicht. Warum? Es ging mir dort zu langweilig und anständig zu. Damals war ich am liebsten, wo lustige Brüder pfiffen und sangen und schlechte Gespräche führten. Ich machte mich denn auch schnell in die »Stadt Ludwigsburg«, wo ich solche treffen konnte.

Dort wurde ich sogleich von einigen Saufbrüdern in Empfang genommen. »Wo kommst Du her?« brüllten sie mir entgegen.

»Direkt von der Herberge zur Heimat« sagte ich.

»Wenn Du einer von denen bist, die auf christlichen Herbergen herumkugeln, so ist hier Deines Bleibens nicht! Hier sind keine Mucker – so nennen die Stromer die christlichen Leute – sondern lauter zünftige Kunden und Schixen, die nach dem Teufel nichts fragen. Willst Du zu uns gehören, mußt Du einen Schoppen Schnaps zum Besten geben.«

»Ach, schwätzt nicht,« rief ich scherzend, »wer ein echter Kunde werden will, muß alles im Leben mitgemacht haben, daß er davon erzählen kann. Wer nicht Hunger und Durst gelitten, nicht den Bauernkrieg mitgemacht und nicht die Bienen und den Barach gefegt hat, der ist kein jenischer Füßel! Damit Ihr aber seht, daß ich kein Geizhals bin, so laß ich einen Schoppen Soruff und ein Dutzend Rauchlin auffahren, dann wird die Herberge bald vergessen sein.« Und der Eindruck war in der That bald verwischt, es wurde den ganzen Tag gesungen, gepfiffen und Karten gespielt.

Einen gleichgesinnten Freund hatte ich bald wieder gefunden, der mich nun auch gründlich in die Geheimnisse des Kümmelblättchens und Bauernfanges einweihte. Meinen ersten Versuch in der neuen Kunst machte ich in dem nahe bei Frankfurt gelegenen Orte Oberrad, wo wir in der bekannten Weise einen Bauersmann, der in der Stadt Geld eingenommen hatte, zum Spiel verlockten. Zuerst ließen wir tüchtig einschenken, dann ließen wir ihn gewinnen und zuletzt nahmen wir ihm seine ganze Barschaft ab. Der Mann mußte unterliegen, ob er wollte oder nicht, das Kümmelblatt kennt keine Schonung. Als er zuletzt in der Verzweiflung Lärm schlagen wollte, sagte ich zu ihm: »Hören Sie, ich will nichts von Ihnen gewinnen, hier haben Sie drei Karten, Herzaß, Ecksteinaß und Kreuzaß. Wir legen sie unter die Schiefertafel, dann gehe ich zehn Minuten hinaus und wenn ich hereinkomme, muß die Ecksteinaß in Schippenaß verwandelt sein. Ist das der Fall, so gehört das Geld mein, ists aber nicht so, dann gebe ich Ihnen alles wieder zurück.«

Der Bauer war damit einverstanden und legte mit eigner Hand die drei genannten Karten unter die Schiefertafel, ich aber schaffte meinen Hut verstohlen herbei und schob ihn in die Tasche. »Herr Wolf,« schrie ich, »noch eine Flasche Wein« und noch einmal wurde wacker gezecht. Dann trat ich meinem Kameraden unter dem Tisch auf den Fuß, machte ihm ein Zeichen und verließ das Zimmer, natürlich um es nicht wieder zu betreten. Bald saß ich wohlgemut und froh über den gelungenen Streich beim Maier in der Judengasse und überzählte meinen Gewinn. Gegen Abend traf auch mein Gefährte ein und erzählte mir, der Bauer habe lange auf mich gewartet. Er habe die Hand immerfort fest auf die Schiefertafel gehalten und nicht gewagt, dieselbe aufzuheben, bis endlich der Wirt ihm sagte: »Der hat Dein Geld und kommt nicht wieder. Das war ein Gauner, wie es hier so viele giebt«

Wir teilten nun unsere Beute, aber ich beschloß doch, für den Fall einer etwaigen Mobilmachung meine fahrende Habe, die ziemlich bedeutend war, zu verklopfen. Ich packte alles aus, legte es auf den Tisch und die Versteigerung begann.

»Wer bietet auf diese Streiflinge?« (Strümpfe).

Es erfolgten mehrere Angebote: da einer 6 Bleier (Groschen) für die vier Paar geben wollte, schlug ich sie ihm zu.

»Wer bietet auf diese zwei Stauden (Hemden)?«

»Ich gebe einen Flächs (Frank) für das Stück,« rief einer.

»Für 25 Bleier kannst Du sie beide haben.«

»Ich gebe nur 22, mehr keinen Zall.«

Ein anderer bot 24 Bleier und bekam die Ware.

»Hier sind noch zwei Paar gute Butschgeiem (Beinkleider), die ich zu 1 Ratt und 5 Bleier (1 Thaler 5 Groschen) ansetze.«

»Wenn Du die Kreuzspann (Weste) dazu giebst, biete ich 1 Ratt und 18 Bleier.«

»Du sollst sie haben, aber bare Zahlung!«

Jetzt blieb noch ein Paar Trittchen (Stiefel) und ein Wallmusch (Rock) übrig, die nach langem Handeln der Judenmaier selbst erwarb und zwar für 1 Thaler 10 Groschen und einen Schoppen Schnaps.

Kaum war die Versteigerung vorüber und das Nachtessen aufgetragen, als man im Gange lautes Gespräch hörte. Der Vater rief: »Kinder, wer schwarz ist, der schiebe schnell zur Hinterthüre ab, das ist die Schmier, ich kenne den Biermann an der Stimme.« Die Weiber machten sich ohne Ausnahme aus dem Staube. An meinem Tische saßen lauter Mannspersonen und das war diesmal mein Glück. Als die Thüre aufging, sah ich den Oberrader Bauer mit einigen Konstablern hereintreten, weshalb ich meinen Nachbarn zurief: »zwei Flaschen Schnaps bekommt Ihr, wenn Ihr mich nicht verratet,« worauf ich unter den Tisch kroch. Die andern rückten sofort fest zusammen, so daß keine Lücke blieb.

»Ist hier alles fremd?« fragte der Polizeimann.

»Ja,« sagte der Wirt, »sie sind alle gegen abend zugereist.«

»Es war mir, als ob jemand eben zur Hinterthüre hinausgeschlüpft sei, Herr Maier.«

»Wohl möglich,« erwiderte der Wirt, »der wird schon wieder kommen. Ich habe nichts Verdächtiges im Hause.«

»Das glaube ich, allein wissen Sie denn, wen wir suchen?«

»Wie soll ich es wissen, Herr Biermann?«

»Nun, betrachten Sie sich alle Leute genau,« sagte der Schutzmann zum Bauern, ob Ihr Gauner dabei ist.«

Kleinlaut erwiderte der: »Ich habe sie alle angeschaut, er ist nicht darunter.«

»So können wir in der Sache nichts weiter thun,« begann barsch der Polizeidiener, »Sie werden doch nicht verlangen, daß ich dem Spitzbuben nachlaufe? Eigentlich wären Sie selbst strafbar, weil Sie sich in ein Glücksspiel eingelassen haben, was strenge verboten ist. Jetzt gehen Sie Ihre Wege und lassen Sie in Zukunft das Spielen bleiben, davon verstehen Sie nichts.«

Die Schutzmänner tranken noch ein Schnäpschen und verließen mit dem trübselig dreinblickenden Bauern das Haus.

Alsbald tauchte ich wieder aus meinem Versteck hervor, ließ die versprochenen zwei Flaschen auftragen und gab das Stückchen mit dem Bauern zum Besten, was großen Anklang fand und ungeheures Gelächter erregte. –

Eines Tages gewahrte ich in der »Stadt Ludwigsburg« eine Gesellschaft von zwei Herren und drei Damen, welche sich durch ihre Kleidung und Haltung merkwürdig von den übrigen Gästen unterschied. Sie plauderten eifrig miteinander, wobei sie mehrmals aufmerksam nach dem Tische herüberblickten, an dem ich ganz allein saß. Als sie fortgingen, schauten sie sich noch einmal nach mir um, so daß sich unsere Blicke wieder begegneten.

»Was mögen das für Leute sein?« fragte ich mich und versank in stilles Brüten.

Am andern Tage kamen sie wieder. Diesmal setzten sie sich an meinen Tisch; augenscheinlich hatten sie es auf mich abgesehen. Ein Gauner traut niemanden und ich beschloß sofort, auf meiner Hut zu sein. Eine der jungen Damen schlängelte sich an mich heran und begann ein Gespräch. »Logieren Sie in diesem Gasthaus?«

»Nein, gnädige Frau,« erwiderte ich.

»So dürfen Sie mich nicht heißen, ich habe noch keinen Mann.«

»Gut also, Fräulein, ich bin hier ganz fremd. Gestern Abend kam ich hierher und blieb über Nacht bei dem Langensenz in der Judengasse, aber dort gefiel es mir so schlecht, daß ich hierher übersiedelte und heute Nacht hier zu bleiben vorhabe.«

»Was haben Sie denn eigentlich für ein Geschäft, lieber Herr?«

»Ich bin Bildhauer, Fräulein.«

»Da werden Sie hier schwerlich einen Platz finden.«

»Dann gehe ich nach Würzburg.«

»Sehen Sie, denselben Weg haben auch wir vor. Wir wollen über Würzburg und Kissingen nach München, möchten aber vorher noch die Sehenswürdigkeiten der hiesigen Stadt in Augenschein nehmen.« Wie sie so sprach, rückte sie mir immer näher auf den Pelz und sah mich verliebt an, so daß es mir ganz heiß wurde. Sie fuhr fort: »Wenn Sie hier keine Stelle bekommen, könnten wir ja zusammenreisen.«

»Ich würde es mir zur großen Ehre rechnen, gnädiges Fräulein.«

Sie sah sich dann vorsichtig um und sagte: »Hier die Wirtschaft ist keine gute und dabei sehr teuer; ein junger, hübscher Mann, wie Sie, sollte nicht in so geringen Kneipen verkehren. Kommen Sie mit uns in unser Hotel, wir können Sie noch unterbringen.« Wieder warf sie mir einen vielverheißenden Blick zu.

»Wo logieren Sie, wenn ich fragen darf?«

»In der Stadt Washington.«

»Gut, Fräulein, ich verspreche Ihnen, morgen dahin zu kommen. Ich habe einmal dem Wirte versprochen, heute hier zu bleiben und mag nicht ohne weiteres fortlaufen. Morgen komme ich bestimmt.«

»Kann ich mich darauf verlassen?« sagte sie, indem sie mich fest und sinnverwirrend anschaute.

»So wahr ich lebe, Fräulein.«

»Dann auf Wiedersehen.« Damit drückte sie mir fest die Hand und verschwand mit der Gesellschaft.

Wieder fragte ich mich: Was mögen das für Leute sein? Was haben sie mit dir vor? Sollst du zu ihnen gehen? Lange grübelte ich vergebens, was sie mir rauben möchten oder was ich ihnen nützen könne, kam aber zu keinem Ende. Endlich siegte das verführerische Auftreten des Mädchens und ich dachte: schlechter wie du können sie nicht sein, also vorwärts, das giebt ein Abenteuer.

Auch der Wirt hatte die Leute mit Interesse beobachtet und fragte mich, was das für eine noble Gesellschaft wäre.

»Die Eine,« sagte ich, »ist Köchin bei Rothschild, die andern sind zwei Kellnerinnen im Englischen Hof und die Herren meine Brüder, die ich hierher bestellt habe.«

Am andern Morgen hing ich meinen Geldbeutel an einer langen Schnur um den Hals, wie ich es in kritischen Augenblicken immer zu machen pflegte und machte mich in die »Stadt Washington«.

Das ist ein vornehmes Gasthaus, ganz verschieden von den Kneipen, wo ich bis jetzt verweilt hatte. Meine Gesellschaft saß frühstückend um einen Tisch, als ich eintrat. Das Fräulein, das mich gefesselt hielt, stieß einen Freudenschrei aus, als sie mich sah, stürzte auf mich zu, gab mir die Hand und stellte mich den Übrigen vor, von denen ich überaus freundlich empfangen wurde. Die junge Dame erklärte dem Wirte, ich sei ihr Bruder, eben frisch angekommen und werde nun ihr Logis teilen. Nun wurde beraten, wie man den Tag verbringen wolle. Wir betrachteten einige Sehenswürdigkeiten der Stadt, wobei sich das Fräulein immer fest bei mir einhängte. Dann gingen wir nach Sachsenhausen, nahmen einen Fiaker und machten eine Spazierfahrt nach Offenbach, wo wir im Gasthof zum Adler abstiegen. »Hier haben wir einige Geschäfte,« sagten die Herren, »wenn wir bis sechs Uhr nicht da sind, fahren Sie mit den Damen per Bahn nach Frankfurt, im Gasthof treffen wir uns sicher wieder.«

Das ganze Verhalten der Fremden hatte etwas Sonderbares, Geheimnisvolles. Ich bemerkte an ihren Blicken, daß wir nicht des Vergnügens wegen hierher gefahren waren. Ich machte meine Beobachtungen, sagte aber nichts. Wir tranken im Freien Kaffee, scherzten und lachten; die Damen erzählten allerlei Reiseabenteuer und meine Freundin spann ihr Netz um mich immer fester.

Es wurde sechs Uhr und die Herren kamen nicht. Ich bemerkte keine Unruhe bei den Damen. Eine sagte: »Wer sie stiehlt, bringt sie wieder.« Wir fuhren mit der Bahn nach Frankfurt, gingen in den Gasthof und warteten, bis sich endlich die Vermißten einstellten. Sie sahen sehr befriedigt drein, als hätten sie einen guten Fang gemacht.

Des Abends ging es überaus lustig zu; die Herren ließen die feinsten Weine auftragen, wir zechten tüchtig, Anekdoten wurden erzählt, kurzum ich fand, daß ich noch selten, in einer so feinen, witzigen und nobeln Gesellschaft gewesen sei.

Das Mädchen, meine Freundin, hatte mit dem halb Berauschten leichtes Spiel. Ich war jetzt nicht mehr ihr Bruder, sondern eher ihr Mann …

Manchmal überlief es mich aber heiß, ich fragte mich: Träumst du oder wachst du? Geht das mit rechten Dingen zu? Wie wirds enden? Ich muß gestehen, es war mir nicht recht geheuer und die ganze Herrlichkeit nahm denn auch bald ein Ende mit Schrecken. In derselben Nacht noch klopfte es heftig an unsere Thür, eine Stimme rief: »Aufgemacht, die Polizei ist da!«

Da rannte es in unseren zwei Zimmern durcheinander und jeder suchte einen Weg zur Flucht. Wieder donnerte es an die Thüre: »Sofort aufmachen oder wir stoßen die Thüre ein.« Endlich machte ich auf und eine Reihe finsterer Polizeileute stand im Gange. Wir durften uns ankleiden, wurden dann immer zwei und zwei zusammengekettet und in einem vergitterten Wagen auf die Polizeiwache geschafft. Am andern Morgen kamen wir vor den Untersuchungsrichter, wo sich herausstellte, daß meine Gesellschaft eine gefährliche und berüchtigte Bande von Bauernfängern und Hochstaplern waren, die sich anschickten, in die großen Bäder zu reisen, um dort Geschäfte zu machen. Ich wurde als unbeteiligt entlassen, weiß aber heute noch nicht, was diese Menschen eigentlich mit mir beabsichtigt haben.

Allerdings fing die Polizei jetzt an, mich schärfer ins Auge zu fassen; der Untersuchungsrichter hatte mich bei der letzten Festnahme für ein verdächtiges Subjekt erklärt, ich mußte mich sehr in Acht nehmen, denn es war mir gedroht, man werde mich unerbittlich aus Frankfurt ausweisen, sobald ich wieder in die Hände der Schutzmänner fiele. Das trug sich früher zu, als mir lieb war. In einer der folgenden Nächte hatten wir uns – zwei Pärchen, eine sehr gemischte Gesellschaft – einen Strohhaufen in einem Garten zu Sachsenhausen zum Nachtquartier ausgesucht. Etwa um Mitternacht hörte ich auf einmal ein Gemurmel von Männerstimmen und leise Tritte. Eine Stimme sprach: »In diesem Strohhaufen müssen sie sein.« Sie fingen nun an, denselben genau zu untersuchen, traten – es waren ihrer acht – auf ihm herum und nicht nur auf ihm, sondern auch auf mir, ohne daß ich einen Laut von mir gab. Endlich entdeckten sie meinen Nebenmann und zogen ihn und seine Begleiterin aus dem Stroh heraus.

»Sind Sie allein hier in diesem Haufen?«

»Nein – ja – nein, ich und die da,« stotterte der Unglückliche hervor. Die Polizeileute zogen nun ihre Säbel und stachen in das Stroh; einer traf mich in den Rücken, worauf ich laut aufschrie, was unbändige Heiterkeit erregte. Bald war auch ich mit meiner Gefährtin ans Licht gefördert.

»Aha,« sagten sie, »zwei Pärchen, das macht sich ja recht schön. Wer seid ihr und wo kommt ihr her?«

»Wir sind hier fremd und kamen spät an, und weil wir keine Unterkunft mehr gefunden, haben wir hier unser Nachtlager gesucht.«

»Das kennt man schon,« schrie einer, »nicht wahr, des Abends in den Anlagen herumstreunen, und den Herren auflauern und wenn die Geschäfte gemacht sind, in die Strohhaufen kriechen, das ist Eure Art. Übrigens kommt mir Ihre Stimme ganz bekannt vor, ich meine, Sie wären erst vor ein paar Tagen aus dem Klapperfeld entlassen worden.«

»Ach was Klapperfeld,« rief ich, »ich weiß nicht, was das ist, wir sind alle fremd hier und waren noch nie eingesperrt, jetzt machen Sie ein Ende und gehen Sie Ihrer Wege.«

»So haben wir nicht gewettet,« lachte einer und zog eine Schließkette hervor, »nehmt sie fest, ich will die Pärchen hübsch zusammenbinden, daß sie sich in der Nacht nicht verlieren.«

»Seht Euch vor,« sagte ich, »was Ihr thut, ich lasse mich nicht schließen, ich habe nichts gemacht.«

»Wenn Sie jetzt nicht ruhig sind, bekommen Sie eine ordentliche Maulschelle,« mit dieser Drohung trat der Schutzmann auf mich zu und hob den Arm. Ich aber nahm meinen Ziegenhainer und traf ihn damit so an den Kopf, daß er rücklings zu Boden stürzte. Nun fielen alle über mich her, banden mir die Hände auf den Rücken und schlugen mich wie einen Hund. Während dieser Rauferei hatten meine drei Genossen das Weite gesucht. Ich blutete aus mehreren Wunden und verlangte, sofort zu einem Arzt gebracht zu werden. Als die Schutzleute sahen, wie die Sache stand, erschracken sie, denn derartige Mißhandlungen sind strengstens verboten. »Den eigentlichen Verbrecher habt Ihr laufen lassen und einen armen unschuldigen Menschen habt Ihr bis aufs Blut geschlagen,« greinte ich.

Dem Führer der Patrouille wurde die Geschichte immer bedenklicher und er verlegte sich nun auf gute Worte. »Im Zorn thut der Mensch viel,« sagte er, »und Sie haben uns durch Ihren Schlag zum Zorn gereizt. Übrigens wollen wir die Sache gütlich abmachen. Wir nehmen Sie mit und Sie erklären, Sie hätten in einem Wirtshause Streit gehabt, wären auf die Straße geworfen und von uns mitgenommen worden. Dann sind Sie bis morgen wieder frei.«

Ich war mit allem einverstanden und machte demgemäß meine Aussagen vor dem Untersuchungsrichter, der mich sehr mißtrauisch betrachtete. »Sie sind erst vor drei Tagen entlassen worden und schon wieder hier?«

»Ich schäme mich selbst, Herr Kommissar, allein ich traf einen Bekannten, der mich in ein Wirtshaus mitnahm und dort betrunken machte. Ich muß dabei Streit angefangen haben, denn als ich zum Bewußtsein kam, haben mich die Schutzmänner in der Straßenrinne aufgehoben.«

»Das mag sein, aber warum sind Sie so zerschunden und zerkratzt, als wären Sie unter die Mörder gefallen?«

»Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben, Herr Kommissar.«

»Ich ahne, wie die Sache ist, Sie wollen nichts sagen, wahrscheinlich hat man Sie bestochen. Wenn ich einmal einer Gewaltthat von seiten der Schutzleute auf die Spur komme, dann Gnad' ihnen Gott. Jetzt aber sage ich Ihnen zum letzten Male: Suchen Sie Arbeit, sonst müssen Sie aus der Stadt.«

Planlos schlenderte ich in der Stadt umher und kam auch auf die Messe. Da redete mich plötzlich ein Menageriebesitzer an, ob ich nicht als Recommandeur, d. h. als Ausrufer in sein Geschäft treten wolle.

»Warum nicht,« sagte ich, »jede Arbeit ist mir recht, die Geld einträgt.«

»Sie bekommen 1 fl. 30 kr., wenn Sie Ihre Sache gut machen.«

Ich machte meine Sache wohl gut, allein die Menagerie selbst war schlecht, lauter halbverhungerte, traurige Exemplare. Die Musikanten spielten: »Der Hauptmann, der Hauptmann, der ist ein braver Mann,« dann trat ich hinaus und schrie: »Meine Herrschaften treten Sie näher und nehmen Sie Platz. Erster Platz 18 Kreuzer, zweiter Platz 12 Kreuzer, dritter Platz 6 Kreuzer! Hier sind zu sehen sämtliche Raubtiere der Welt! Und wer noch nie einen Menschenfresser gesehen hat, der versäume die Gelegenheit nicht, die nie mehr wiederkommen wird. Die Vorstellung wird sogleich ihren Anfang nehmen!« Ich sprang, da die Leute kalt blieben, unter die Menge hinein, und drückte jedem einen Zettel in die Hand. »Nehmen Sie Anteil am Gastmahl der Raubtiere, meine Damen und Herren, wenn ein einziger die Menagerie unzufrieden verläßt, erhält er sein Geld bei Heller und Pfennig wieder zurück.« Aber ich konnte mir die Kehle heiser schreien, es half nichts, ich griff die Leute am Arm, um sie hineinzuziehen, es half auch nichts. »Geben Sie sich keine Mühe«, war die gewöhnliche Antwort, »solchen Schwindel haben wir genug hier.« Das wollte mir doch nicht gefallen, weshalb ich alsbald meinen Abschied verlangte und erhielt. Am nämlichen Abende wurde ich von einem Manne namens Reis, der ein Kasperltheater hatte, auf die Meßdauer angestellt. Bei diesem bekam ich mehr Lohn und mehr Zulauf, und bald hatte ich mich daran gewöhnt, den bunten Kasperl auf dem Theater tanzen zu lassen. Da ich demselben ein paar neue Witze in den Mund legte, war die Bude immer von einer großen Menge Menschen umlagert und mein Herr hatte eine schöne Einnahme. Es ist das übrigens ein Geschäft, zu dem Witz, heiterer Sinn und Unerschrockenheit gehören, Eigenschaften, die ich damals als lustiger Bayer noch besaß, die mir aber bald vergehen sollten. Als die Messe herum war, hatte ich schönes Geld beisammen und so beschloß ich, Frankfurt den Rücken zu wenden und mein Glück in Stuttgart zu probieren.


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