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I.
Der Vagabund


Erstes Kapitel.
Ein armes Kind

Ich heiße Joseph Kürper und bin geboren zu H. in der Pfalz am 14. Juni 1849, gehöre also zu denen, die im tollen Jahre zur Welt kamen und von denen der Volksmund behauptet, daß sie alle nichts nutz wären. Als ich das Licht erblickte, diente mein Vater als Soldat in Germersheim, allein er ließ sich, da ihn meine Mutter benachrichtigte, Urlaub geben zur Taufe, reiste nach Haus und erkannte mich als sein Kind an. Wie er hernach seinen Abschied erhalten hatte und heimkam, wollte er meine Mutter heiraten, allein er war protestantisch und sie katholisch, und so ging denn ein Gehetze und Gezerre an, bis beide für immer sich trennten, worauf ich das Los eines unehelichen Kindes in seiner ganzen Härte ertragen mußte.

Die erste Kindeszeit verbrachte ich bei meiner Mutter. Wie ich aber vier Jahre alt wurde, trat dieselbe in Dienst, und nun war ich allein auf meine Person angewiesen. Was sollte und konnte ich da anfangen? Ich ging eben von Haus zu Haus betteln um ein Stückchen Brod oder einen Teller Suppe. Wenn es Sommer wurde, brachte ich Tag und Nacht auf dem freien Felde zu und ernährte mich von den Früchten. Mehr wie einmal bin ich damals schlafen gegangen, ohne den ganzen Tag nur das geringste gegessen zu haben. Der Winter war die traurigste Zeit. Da durchstrich ich die umliegenden Dörfer, um nicht zu verhungern, und wer niemals Bettelbrod gegessen hat, weiß nicht, wie bitter das schmeckt. In dem einen Hause hieß es: Pack dich, es waren heute schon mehr als zehn da, in dem andern: Wir haben heute nicht gebacken, im dritten: Heute ist kein Gebtag, im vierten: Bello, allons, beiß ihn! und so trug ich manchmal noch Schläge und Bisse oder wenigstens große Angst davon. Die Kleider konnten mir die Hunde allerdings nicht zerreißen, denn die hingen nur in Fetzen um den Leib; daß ich damals je Schuhe besessen, kann ich mich nicht erinnern. Ein ebenso unbekanntes Ding war mir das Bett. Im Sommer schlief ich im Freien, im Winter mußte ich mir einen Unterschlupf in einem Stall, einer Scheune oder einem Misthaufen suchen, wo ich mir ein Loch machte, in dem ich unten warm lag. Da schlief ich denn ein, nachdem ich das Vaterunser gebetet, das mich meine Mutter gelehrt hatte. Des Morgens war ich oft steif gefroren, und hatte mich ganz durchnäßt. Da kam hie und da meine Mutter, eh' sie in Dienst ging und drehte mir die zerlumpten Höschen aus und dann weinten wir mit einander über unser Elend, daß es einen Stein hätte erweichen können. Dann gab sie mir oft ihr Neunuhrbrod, das zu Zeiten das einzige war, was ich während des ganzen Tages hatte. Es rückte allmählich die Zeit herbei, wo ich in die Schule mußte. Da wurde mein Leben noch trauriger. Ich fühlte nun zum ersten Male, wie verachtet die Armut ist. Wegen meiner zerlumpten Kleider und ihres Geruches setzte mich der Schullehrer an einen besonderen Platz, die anderen Kinder behandelten mich wie einen Aussätzigen und Ausgestoßenen und wenn ich mich manchmal im Walde umhertrieb, statt die Schule zu besuchen, wurde ich am andern Tage schrecklich mißhandelt. So blieb ich denn während der ganzen Schulzeit bei den A-B-C-Schützen und erschien manchmal trotz der angedrohten Prügel nur einmal im Jahre im Schulsaal, nämlich wenn bei der Prüfung die großen Doppelwecke ausgeteilt wurden. So verliefen meine Kinderjahre, die Zeit, die andere als die schönste ihres Lebens rühmen; mir ging es eben, wie einem armen Kinde, das von Gott und Menschen verlassen ist.


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