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Zweites Kapitel.
Die ersten Versuche

Von Haß gegen die übrigen Menschen, namentlich die Besitzenden, die mich also behandelten, wußte ich lange Zeit nichts. Endlich aber begann ich den Krieg gegen die menschliche Gesellschaft, indem ich mich hier rächte, dort in der Not wegnahm, was ich bekommen konnte. Ich hatte einmal entsetzlichen Hunger, so daß ich es nicht mehr aushalten konnte und bei dem Bauern, bei dem meine Mutter diente, heimlich durch das Fenster stieg und mir ein Stück Brod nebst 12 Kreuzern, die dabeilagen, holte. Das war der erste Diebstahl in meinem Leben und er ist mir schlecht bekommen. Der Bauer und meine Mutter fragten mich nach dem Geld und ich gestand, daß ich es genommen habe, worauf ich so zerschlagen wurde, daß ich vierzehn Tage nicht stehen noch liegen konnte. Zur Rache schmiß oder schlug ich nun dem Manne alle paar Tage ein Huhn tot und er ahnte merkwürdigerweise nichts vom wahren Thäter. Er rief mir im Gegenteil manchmal: »Joseph, schaff mir mal das Hinkel fort, der Mardel (Marder) muß es heunt totgebissen haben.« Ich schleppte dann das Tier innerlich lachend in den Wald, machte ein Feuerchen an, briet und verzehrte es nach und nach mit wahrem Heißhunger. So ging das fort, bis die Hühner alle waren und der Mardel nichts mehr zu holen hatte. Ich weiß noch, daß ich mich damals des Possens recht freute, den ich dem Bauersmann für seine Schläge gespielt.

Meine Mutter geriet später auch auf einen schlimmen Weg. Sie bekam noch ein zweites uneheliches Kind, unsere Katharina, und als dieses notdürftig laufen konnte, zog sie es vor, statt zu arbeiten, sich von uns durchbetteln zu lassen. So nahm ich denn Morgens mein kleines zerlumptes Schwesterchen am Händchen und dann gingen wir auf das Heischen in die umliegenden Ortschaften bis nach Neunkirchen, St. Wendel und Baumholder. Zuvor drohte uns noch unsere Mutter schrecklich, wir sollten nur nicht heimkommen, ohne etwas Ordentliches mitzubringen. Da standen wir oft zitternd und Zagend vor dem Hüttchen und getrauten uns nicht hinein, wenn der Streifzug schlecht ausgefallen war. Ich schickte dann manchmal das arme Kind hinein, damit es die ersten Schläge erhalten sollte; hernach habe ich mich aber doch geschämt und bin tapfer vorausgegangen und habe die Zähne über den Streichen fest zusammengebissen wie ein Held.

Aus Furcht vor diesem Empfang nahm ich nun hie und da in einem Dorfe einem Kinde seine Peitsche, sein Messerchen oder seine Spielsachen weg und verhandelte sie im andern Orte wieder gegen Kartoffeln oder ein Stück Brod. Es war an einem kalten Novembertage, als wir in trauriger Stimmung heimtrollten, denn wir hatten einen schlechten Tag gehabt. An der letzten Höhe vor dem Orte standen wir stille; mein Schwesterchen weinte und ich blies mir die erstarrten Hände. Da fuhr ein Wagen an uns vorbei, auf dem ganz hinten ein zusammengerollter Mantel lag. Nun schoß mir ein Gedanke durch den Kopf. »Warte,« rief ich meiner Schwester zu, »ich will sehen, ob der Fuhrmann Brod in seinem Mantel hat.« Ich schlich mich hin und warf den Pack herab, ohne daß der Mann etwas merkte. Wir gingen beiseite, öffneten den Mantel und fanden dort einen Laib Brod und Schinken. Wir waren herzlich froh, aßen uns satt und brachten das Übrige der Mutter. »Wo habt ihr den Mantel her?« rief sie, als wir unsere Habseligkeiten in ihren Schoß schütteten. »Den haben wir gefunden, Mutter,« sagten wir mit einem Munde. Da lachte sie und dieses Lachen war vielleicht an meinem Untergange schuld. Hätte sie mich damals exemplarisch abgestraft, ich wäre möglicherweise geheilt worden. So aber verzehrten wir Brod und Schinken und dann ging meine Mutter zum Ortsvorstand und zeigte dort an, ihre Kinder hätten einen Mantel gefunden. Der Fund wurde im Blatte bekannt gemacht, der Eigentümer meldete sich und meine Mutter bekam einen Gulden Finderlohn. Was Wunder, daß ich unter solchen Umständen auf diesem Wege weiterschritt?


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