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Drittes Kapitel.
Ein kleiner Vagabund und Taugenichts

An einem schönen Frühlingsmorgen des Jahres 1860 – ich war nun elf Jahre alt – gingen meine Schwester und ich nach gewohnter Weise auf den Bettel aus. In dem Dorfe Cottweiler kamen wir in ein Haus, das vollständig von seinen Bewohnern verlassen war. An der Wand sah ich eine Cylinderuhr hängen, die ich rasch und ohne Bedenken herabnahm und zu mir steckte. Von da durchstrichen wir das Osterthal und kamen nach zwei Tagen mit unserer Beute zurück. Zu Haus angelangt, machte ich mich sogleich ans Werk und zerlegte die Uhr in alle ihre Teile. Sobald ich nun Hunger hatte, verkaufte ich an die Dorfkinder irgend ein Stück, die Kette, die Rädchen, das Gehäuse, das Glas um ein kleineres oder größeres Stück Brod. Lange wurde davon gesprochen, es sei in Cottweiler eine silberne Uhr gestohlen worden, allein es kam merkwürdigerweise nichts heraus und ich schwieg natürlich mäuschenstill. – Da ich sah, daß mir meine Streiche gelangen, setzte ich meine Versuche keck fort. Als wir einmal durch das Dorf Obermoor kamen, sah ich in einem Bäckerhause wieder eine Uhr hängen, die ich mit frecher Hand wegnahm. Allein diesmal wurde ich ertappt, tüchtig durchgeprügelt und nach Cusel vor den Landrichter gebracht. Derselbe veranstaltete ein Verhör mit mir, bei dem ich weinend alles gestand, worauf ich wieder nach Hause gehen durfte. Wie ich dort empfangen wurde, läßt sich denken. Die gesamte Ortsobrigkeit ließ ihren Zorn in Gestalt von Hieben an mir aus, so daß mein Körper schwarz und blau aussah. Um das Unglück voll zu machen, hatte meine Schwester den ersten Uhrendiebstahl in Cottweiler auch ausgeplaudert und genau berichtet, woher die vielen Rädchen u. s. w. stammten, die sich in den Händen der Ortsjugend befanden. Richtig wurde ich am andern Morgen bei guter Zeit wieder von einem Polizeidiener in Empfang genommen und abermals nach Cusel geführt. Dort behielt mich diesmal der Landrichter und nach einigen Tagen sprach er mir das Urteil, welches dahin lautete, daß ich wegen meiner Jugend auf zwei Jahre in die Erziehungsanstalt nach Speier verbracht werde solle.

Auf die Bitte meiner Mutter, die der Verhandlung beiwohnte, durfte ich sie noch einmal in die Heimat begleiten. Da war es mir sehr angst vor dem Hause in Speier, ich weinte oft, ich bereute meinen Leichtsinn, allein es half nun nichts mehr, die Stunden vergingen und die gestellte Frist lief ab. Als die Gensdarmen sich dem Orte näherten, um mich wegzuführen, wurde es mir rasch hinterbracht und eilends, wie ich ging und stand, ergriff ich das Hasenpanier. Ich lief über die preußische Grenze und fühlte mich erst einigermaßen sicher, als ich in St. Wendel angelangt war. Dort trieb ich mich einige Zeit bettelnd umher, dann arbeitete ich bei einem Bauern in der Nähe ein halbes Jahr für die Kost. Unterdessen kam mir meine Mutter, die mich überall suchte, auf die Spur und wollte mich eines Tages abholen, als ich sie rechtzeitig gewahrte und abermals davonlief. Wieder suchte ich mir Arbeit in St. Wendel, fand dieselbe auch, wurde aber für das armselige Stück Brot oft schwer mißhandelt. Ich machte mich heimlich fort und nahm zur Rache dem rohen Manne die Uhr mit, die ich für einige Silbergroschen losschlug. Nun verlegte ich mich auf das Gepäcktragen am Bahnhofe, wo ich den ganzen Tag herumlungerte und den Reisenden auflauerte. Mit großer Keckheit wußte ich namentlich den Frauen ihre Taschen abzunehmen und ihnen den Lohn für meine Mühe vorzuschreiben. Einmal trug ich einem Manne den Koffer in eine Restauration, wo ich beim Hinausgehen die Einschenke leer fand; rasch öffnete ich die Geldschublade, griff eine Hand voll Thaler und machte mich aus dem Staube.

Ich begriff wohl, daß das Lungern und Lagern am Bahnhof nun ein Ende habe, ich schlug mich deshalb in die Richtung des bekannten Wallfahrtsortes Marpingen, in dessen Nähe mich ein Bauer aufnahm, dem ich wieder um die Kost arbeitete. Ich blieb da einige Monate, allein der Mann war hart und die Arbeit schwer. Von morgens bis abends sollte ich in der Scheuer stehen und dreschen und das konnte ich zuletzt nicht mehr aushalten. Ich beschloß deshalb, mich davon zu machen. An einem schönen Sonntag waren der Bauer und die Bäuerin auf den Markt in die Stadt gegangen, welche Gelegenheit ich zur Ausführung meines Vorhabens benützte. Ich hatte bei meinem Eintritt dem Dienstherrn einige von jenen gestohlenen Thalern zur Aufbewahrung übergeben, die ich durchaus nicht zurückzulassen gedachte. Ich holte ein Brecheisen, sprengte die Kiste auf, in welcher ich aber an Wertsachen nichts fand, als ein Terzerol und ein großes Stück gelbes Geld, wie ich noch keines gesehen.

Ich lief nun fort bis Ottweiler, wo ich mir für mein fremdes Geld etwas zu essen verlangte. Allein der Bäcker sah mich befremdet und verdächtig an, drehte das Stück in der Hand hin und her, gab es mir aber wieder mit den Worten: »Das ist ein Doppellouisd'or, der geht hier nicht.« In verzweifelter Stimmung steckte ich das Geldstück ein, das für mich gar keinen Wert hatte. Ich setzte mich an den Saum eines Wäldchens und sann, wie ich mir Geld verschaffen könnte, denn ich war sehr hungerig. Da fiel mir ein, daß ich daheim oft vom Schinderhannes und andern Räubern erzählen gehört hatte und wie leicht und rühmlich dieselben zu Geld gekommen waren. Ich dachte, ein solches Leben wäre sehr verführerisch und beschloß ein Räuber zu werden. Gedacht, gethan; ein Pistol hatte ich ja im Besitz und so verfügte ich mich sofort an die Landstraße, nachdem ich noch zwei Kieselsteine in die Waffe geladen hatte. Da stand ich denn am Waldrande zwischen Wörschweiler und St. Wendel und blickte die Straße auf und nieder, ob nicht irgend ein Opfer für mich herannahe.

Endlich kam ein Mann rasch daher geschritten mit einem Sack auf dem Rücken, ich glaube, es war ein Jude. Ich zog mich nun etwa zwanzig Schritte hinter einen Baum zurück und wartete mit klopfendem Herzen, bis der Fremde vorüber ging. Nun zielte ich, zweimal drückte ich los und zweimal entlud sich das Doppelterzerol, allein ich hatte nicht getroffen, der Jude lief eilig und unverletzt davon, was mich nicht wenig in Verwunderung setzte.

Nachdem dieser erste Versuch des Räuberlebens fehlgeschlagen war, ging ich nach St. Wendel, wo Viehmarkt war und ich mich bei dem Transport von Ochsen nach dem Bahnhof beteiligte. Dabei verdiente ich einige Groschen, die ich sofort in einem Wirtshause verzehrte. Ein Bäuerlein saß neben mir und da das Gedränge groß war, dachte ich, er werde es nicht spüren, wenn ich ihm das Portemonnaie leis aus der Tasche hole. Ich zupfte dasselbe richtig heraus, zahlte meine Zeche und machte mich mit der Beute von einigen Thalern davon.

So vagabundierte ich weiter, brach in dem Dorf Linksweiler einen Wandschrank auf, nahm wieder einige Thaler mit und gelangte endlich nach Neunkirchen. Da stand vor der Stadt ein Gensdarm, der mich scharf und durchdringend anschaute. Dann winkte er mir, ergriff mich, ohne ein Wort zu sagen und führte mich auf die Polizei, wo ein Steckbrief gegen mich vorlag. Nun war ich in festen Händen und wurde richtig in die Erziehungsanstalt in Speier abgeliefert.


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