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Zehntes Kapitel.
Ich werde arbeitsscheu

Trotz meines großen Leichtsinns und bei allen nichtsnutzigen Streichen besaß ich doch bis jetzt auch noch einige gute Eigenschaften, vor Allem eine Art von Ehrgefühl und Freude an der Arbeit. Unter den Stromern habe ich das Alles nach und nach eingebüßt. Ich kam da in eine ganz andere Lust und lernte das Leben von einer ganz andern Seite betrachten. Bisher hatte ich gemeint, der Mensch sei zum Arbeiten da, und ohne Arbeit könne und solle er nicht leben; deshalb habe ich gearbeitet und mir, so oft ich außer Arbeit kam, in gewisser Zeit immer wieder eine Beschäftigung gesucht, mit welcher ich mich ernährte. Jetzt wurde ich anders belehrt; man lachte mich aus wegen meiner altfränkischen Ansichten: »Der Mensch ist da,« sagten sie, »um das Leben zu genießen. Die Narren arbeiten, die Gescheiten lassen sich von den Anderen füttern. Was sollen wir arbeiten, wenn es so viele gute Leute giebt, die sich ein Vergnügen und ein Verdienst daraus machen, uns zu unterhalten?« Ich fand bald Geschmack an dem Müßiggang und ich kann aus eigener Erfahrung versichern: Wer das Arbeiten einmal gründlich verlernt hat, der lernt es sein Lebtag nicht mehr.

Mein erster Versuch fiel, wie mein Begleiter, der Baron, versicherte, vielversprechend aus und ich habe es, wie ich in einem andern Kapitel erzählen werde, in diesem Fache zu einer wirklichen Virtuosität gebracht. Man darf nur die rechte Stadt wählen, wo recht viele vornehme und reiche Leute wohnen, z. B. Darmstadt, Mannheim und vor Allem Frankfurt, so kann es einem anstelligen Stromer nicht fehlen. An letztgenanntem Orte habe ich einmal zehn Monate zugebracht und hatte immer vollauf Geld, ohne einen Finger zu rühren.

Als wir zum Fang ausrückten, wollte ich zur Herzstärkung noch einen Schnaps hinter die Binde gießen, allein der Baron verbot es strengstens. »So etwas,« sagte er, »thut nur ein armseliger Pennbruder. In den vornehmen Häusern haben sie feine Nasen und sobald Du nach Branntwein stinkst, sind sie bald mit Dir fertig und nun vorwärts marsch!«

Der Baron zeigte mir aus einer gewissen Entfernung das Haus, wo nach den gemachten Erfahrungen voraussichtlich etwas abfallen werde und bezeichnete mir den Ort, wo er auf mich warten wollte. Unser erster Gang war zu einer Baronesse, die in einem schönen Palais nicht weit vom Schlosse wohnte. Ich schellte, worauf ein Bedienter kam und mich fragte, was mein Begehren sei? Ich überreichte ihm ein großes verschlossenes Schreiben, in welchem sich eine falsche Legitimation, ein ebenfalls gefälschtes Krankheitszeugnis und ein rührender Bettel- oder Kohlbrief befanden und bat ihn, denselben an Ihre »Durchlaucht« abzugeben.

»Warten Sie auf Antwort?«

»Wenn es der gnädigen Frau beliebt,« sagte ich bescheiden.

Es dauerte zehn Minuten, da kam der Bediente zurück, gab mir meinen Brief wieder und dabei einen harten Thaler mit dem Bemerken, die gnädige Frau könne leider nicht mehr thun. Mir war es gerade genug und siegestrunken eilte ich die Treppe hinab. Am angegebenen Platze fand ich den Baron, der eine Anzahl von Briefcouverten bei sich trug, um den aufgerissenen Umschlag jedesmal zu ersetzen. Unser zweiter Gang war zum bayerischen Gesandten, wo ich einen Gulden und ein ganz gutes Hemd bekommen habe. So machten wir die ganze Stadt durch bis zum Abend, worauf wir mit reicher Beute in unsere Herberge zurückkehrten. Hier wurde nun das Ganze gemustert, sortiert, taxiert und dann der Herbergsmutter zur Aufbewahrung übergeben. Wir hatten achtzehn Gulden, zwanzig Hemden und zwei Dutzend Strümpfe und der Baron meinte schmunzelnd, für den Anfang könne man damit zufrieden sein. Mit großer Sachkunde schätzte er die Ware ab und wußte genau, was die »Kostgänger« für ein jedes Kleidungsstück geben würden. Wir ließen uns Fusel geben, aßen etwas und vertrieben uns die Zeit mit Kartenspiel, bis die Abendgäste allmählich einrückten. Nun verwandelte sich das Zimmer in einen wahren Trödelkram. Nicht nur wir verkauften, sondern auch noch Andere, die ebenfalls ihr Glück in der Stadt probiert hatten. Ich erstaunte nicht wenig, daß unter denen, die boten und kauften, sogar ein Gensdarm war, der auch »Kostgänger« hielt, wie er sagte. Unter meinen Hemden waren noch ganz neue und da der Mann des Gesetzes die erste Wahl hatte, suchte er sich die besten Sachen aus und machte auch mit einem gewissen unwiderstehlichen Blicke die Preise. Nachdem seine Bedürfnisse befriedigt waren, kamen die andern an die Reihe und nach einer Stunde hatten wir alles losgeschlagen. Unsere Barschaft war um ein Erkleckliches gewachsen und wurde nun in drei Teile geteilt. Ich bekam immer noch mehr für den einzigen Tag, als ich sonst mit saurer Arbeit in einer Woche verdient hatte.

Nun ging das Pokulieren und das Jubilieren an bis tief in die Nacht. Ein großes Glas Schnaps nach dem andern wurde gebracht und sie stießen an auf mein Wohl und meine Findigkeit und meine große Zukunft. Ich fing an stolz zu werden auf meine Fähigkeiten und das Lob und der Branntwein stiegen mir gleicherweise in den Kopf. Wir machten Pläne für den morgigen Tag und welchen Raub wir da heimschleppen wollten und ich prahlte und schwadronierte so lange, bis ich endlich besinnungslos unter den Tisch fiel.

Ich habe hier nur noch eine Frage: Wer ist eigentlich schuld daran, wenn heutzutage ein Fleißiger zum Faulenzer und ein Arbeiter zum Stromer wird?

Wer anders, als diese gutmütigen Leute, mit ihrer leichtfertigen Wohlthätigkeit.


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