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Fünftes Kapitel.
Immer noch nicht frei

Meine Träume von der goldenen Freiheit sollten so bald noch nicht in Erfüllung gehen. Bei meiner Entlassung aus der Erziehungsanstalt wurde ich mit zwei Anzügen gut ausgestattet und nach Lautern geschickt, wo ich mich bei Herrn Meuth, dem Vorstande des Besserungsvereins, vorstellen sollte. Es war ein sehr ernster, ja finsterer Mann, der mich recht eindringlich zu einem tugendhaften Wandel ermahnte und mit einem Schreiben zu dem Schuhmachermeister L. sandte, wo er mir eine Stelle ausgemacht habe.

Ich lebte fortwährend in dem Wahne, ich sei jetzt Geselle und benahm mich auch im Hause meines Meisters also, bis ich nach vierzehn Tagen in schrecklicher Weise über den wahren Stand der Sache belehrt wurde. Mein Meister war ein sehr ruhiger Mann, der wenige Worte machte und auch die Meisterin hatte sich augenscheinlich an die geräuschlose, aber trotzdem energische Thätigkeit gewöhnt. Während ich in den ersten Tagen mit den übrigen Gesellen ungeniert plauderte und scherzte, sah mich der Meister manchmal verwundert an und ein etwas bedenkliches Lächeln glitt über sein Antlitz, allein er sagte nichts. Als nach vierzehn Tagen die Gesellen des Samstags ihren Lohn bekamen, stellte ich mich auch dazu und hielt erwartungsvoll die Hand auf. Als endlich die Reihe an mich kam, sagte der Meister: »Was willst Du, Joseph?« – »Ei, meinen Lohn,« sagte ich keck. – »Komm, ich will Dir geben, was Du verdient hast«; mit diesen Worten griff er hinter seinen Stuhl, wo eine Art Hundspeitsche hing, und prügelte mich unter dem schallenden Gelächter der Gesellen schauerlich durch. »Morgen gehst Du mit mir zum Herrn Meuth, der Dich zu mir gebracht: der wird Dir sagen, was Du zu bekommen hast.«

Die Enttäuschung und Demütigung war für mich fürchterlich, ich weiß noch, daß ich die ganze Nacht hindurch vor Zorn weinte. Am Sonntag erfuhr ich denn auch mit dürren Worten, daß ich nichts weiter als Lehrling sei und noch zwei lange Jahre bei meinem Meister zu bleiben habe. Und ich blieb! Ich weiß selbst nicht, warum ich vor dem Manne einen so großen Respekt hatte. Ich glaube jetzt, daß es daher kam, weil er so still und so thatkräftig war. Ohne ein Wort zu sagen, griff er, wenn ich einen Fehler in der Arbeit gemacht hatte, hinter seinen Stuhl und ließ die Peitsche über meinen Rücken tanzen. Er ging nie in die Kirche, aber mich schickte er jeden Sonntag hinein, obschon ich gar keine große Sehnsucht darnach hatte.

Viel lieber saß ich bei den Gesellen und hörte ihren Gesprächen zu, die natürlich von der weiten schönen Welt, von der Wanderschaft, von den verschiedenen Meistern und von den Abenteuern handelten, die jeder draußen erlebt haben wollte. Namentlich prahlten sie viel mit ihren Eroberungen, die sie unter der Frauenwelt gemacht und wie viele Schätze sie da und dort gehabt hätten. Es fiel da manches Wort, das meine Einbildungskraft erregte und für mich unheilvoll geworden ist. Ich hörte dagegen niemals ein Wörtchen von Handwerksehre und Handwerksstolz, und daß man ein tüchtiger Kerl sein müsse, wenn man in der Welt weiter kommen wolle, nein, nur Schnurren, Späße, Zoten, wie da einer ein Mädchen, dort ein anderer seinen Meister oder Mitgesellen geprellt hatte. Doch manchmal horchte ich auf, wenn ein ziemlich aufgeblasener Norddeutscher von sich rühmte: »Mir kommt keiner nach, ich habe zünftig gelernt.« Die übrigen Gesellen ärgerten sich oft mächtig über diesen Hochmut, allein heute muß ich bekennen, daß wirklich keiner unter uns dem »Zünftigen« das Wasser reichte. – Daß ich den Gesellen dienstbar war und oft von ihnen schikaniert wurde, brauche ich nicht zu erwähnen; auch das ertrug ich geduldig mit dem Vorsatze, es später als Geselle an armen Lehrlingen wieder wett zu machen.

Ein Vorfall blieb mir bis heute in Erinnerung und ich muß ihn erzählen, weil er beweist, wie tief religiöser Spott schmerzt und wie schwer wir Unrecht vergessen, das uns geschieht, während das Unrecht, das wir anderen thun, spurlos aus dem Gedächtnis verschwindet. Mein Meister war protestantisch und pflegte sonst über religiöse Dinge nicht zu reden, noch weniger zu höhnen. Aber am Fronleichnamstag rief er mir plötzlich zu: »Joseph, Du gehst heute auch mit dem Kappenzug.« Das rohe Wort ärgerte mich entsetzlich, so daß ich ganz weiß wurde, allein ich sagte kein Wort – und ging. Als ich Mittags nach Hause kam, befahl mir der Meister: »Heute Mittag arbeitest Du wieder, ihr habt ja nur einen halben Feiertag.« Allein die Gesellen rieten mir, ich solle das nicht thun und so ging ich fort und hielt meinen ganzen Festtag. Wie ich Abends heimkehrte, warf sich der Meister wie ein wildes Tier auf mich und schlug mich, bis ich schwarz und blau und er müde war; dann griff mich die Meisterin und riß mich an den Haaren, wobei sie erschrecklich fluchte und einmal über das andere Mal schrie: »Du bist der allerschlechteste, den wir noch jemals gehabt haben; wenn Deine Lehrzeit herum ist, mußt Du mir sofort aus dem Haus, Du bringst uns um unser ganzes Vermögen.«

Ich hielt stille und die Lehrzeit ging richtig herum, aber das Wort der Meisterin habe ich nicht vergessen. Als der Tag der Freisprechung kam, sagte der Meister: »Joseph, Deine Zeit ist aus, Du bist nun in den Gesellenstand erhoben. Du hast Dich gut betragen und ich hab Dirs in Deinen Lehrbrief geschrieben. Du bleibst nun bei uns und bekommst einen Wochenlohn von zwei Gulden.« Das war ein lockendes Angebot, aber um keinen Preis der Welt wäre ich mehr einen Tag geblieben. Ich nahm den Lehrbrief, packte meine Habseligkeiten, verabschiedete mich kurz und kalt und wanderte als Geselle hinaus in die weite, schöne Welt!


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