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II.
Ein Soldatenkind und Zuchthausheld

»Wie gehts Euch, Schenk!« fragte ich im Spitale des Zuchthauses einen Sträfling, der in soldatischer Haltung vor mir stand.

»Gar nicht gut, Herr Pfarrer, meine Kräfte nehmen schnell ab, es wird bald aus sein. Kein Wunder, wenn man schon so viel durchgemacht hat, wie ich.«

Der mir so erwiderte, war ein alter Mann in den siebziger Jahren. Sein Anblick bleibt mir unvergeßlich, denn es ist mir nie ein häßlicheres und abstoßenderes Menschenantlitz vorgekommen. Er besaß einen mittelgroßen, kräftigen Körperbau und schleppte beim Gehen das eine Bein etwas nach, wie alle, die lange Jahre Ketten und Kugeln getragen haben. Sein Kopf war mit dünnen blonden und grauen Haaren bedeckt, die er immer noch sorgfältig scheitelte. Die eine Hälfte des Gesichtes war durch einen starken Schlaganfall vollständig verzerrt. Der halbe Mund und die runzelige Wange hingen schlaff herab, das eine blutunterlaufene Auge starrte glanzlos aus seiner Höhle. Das andere dagegen war hellgrau und scharf, der Ausdruck ein kriechender. Nichts gräßlicheres, als dieses Angesicht lachen zu sehen. Daß er in seinem Leben viel durchgemacht, mehr als die meisten Sterblichen, war wahr, die nachstehenden Zeilen werden dies bestätigen.

Übrigens hatte auch ich schon seit einiger Zeit bemerkt, daß die außergewöhnliche Kraft des Mannes gebrochen sei und da er wenig aß, sah ich sein baldiges Ende voraus. Er ließ sich das Abendmahl reichen und redete von der ewigen Heimat, auf die er hoffe, da er doch die irdische nicht mehr schauen dürfe. »Sie haben ja auch schon gepredigt, Herr Pfarrer, daß Gott nicht so rachsüchtig und grausam sei, wie die Menschen, so will ich in seine Hand fallen.«

Schenk war ein ungewöhnlich begabter Mensch, der viele Bücher gelesen hatte, alles leicht behielt, gewandt sprach, große Menschenkenntnis besaß und dem es oft gelang, durch meisterhaft gespielte Heuchelei die Beamten zu täuschen. Inwiefern es ihm in den letzten Augenblicken seines Lebens ernst war, kann ich natürlich nicht wissen.

Als ich wieder das Spital besuchte, lag er im Todeskampf. Als er mich erkannte, rief er: »Herr Pfarrer, nun reise ich ins andere Land, die Lampen sind schon angezündet!« Er wendete gerne Ausdrücke aus der Offenbarung Johannis an, die er aus seinem Lieblingsbuche wußte, einem Werke über die Erfüllungen der biblischen Weissagungen von dem Engländer Keith, das ihm einst ein Hausgeistlicher geschenkt hatte und das er zuletzt gerne und oft benutzte.

Er starb am 20. Juli 1871 und zwei Tage darauf habe ich ihn zur letzten Ruhestätte geleitet.

Ich erzähle die Geschichte dieses Mannes aus zweierlei Gründen. Einmal, um zu beweisen, daß Charaktereigenschaften und sittliche Gebrechen, wie Vorzüge, unter den Menschen forterben und dann, um den Lesern das Bild eines Zuchthäuslers aus der alten Zeit zu überliefern, denn diese Art ist bei der jetzigen Behandlung der Gefangenen ausgestorben.

Joseph Schenk war im Jahre 1798 in Berlin geboren. Er erzählte mir, seine Mutter habe aus Oberlustadt bei Germersheim gestammt und sei Marketenderin in einem preußischen Regiment gewesen. Die Preußen zogen bekanntlich in den neunziger Jahren oft durch die Pfalz und das leichtfertige Mädchen, das sich ihnen angeschlossen, hatte sie fortan auf ihren Kreuz- und Querzügen begleitet.

Wer sein Vater gewesen war, wußte Schenk nicht, die Mutter vielleicht auch nicht. Es muß aber ein durch den Krieg verwilderter Soldat gewesen sein, der am Blutvergießen Freude gehabt hatte. Denn der Knabe schon zeigte einen unbändigen Sinn, seine Verbrechen waren gräßlicher Art, sein Wesen trieb ihn zu jeder Gewaltthat und im Alter noch zeigte er einen gefühllosen, blutgierigen Charakter. Die letzten Jahre hindurch durfte er als Invalide im Spitale zubringen und da gab es für ihn keinen größern Genuß, kein höheres Vergnügen, als wenn ihm der Hausarzt erlaubte, bei einer Sektion mitzuhelfen. Da war es wahrhaft schauerlich anzusehen, wie er mit einem gierigen Ausdruck im Angesichte wollüstig im Blute wühlte.

Die Mutter Schenks kam später mit ihrem Sohne nach Oberlustadt zurück, wo er seine Jugendzeit verlebte. Er lernte die Weberei und diente dann als Soldat im dritten bayerischen Chevauxlegersregimente. Von diesen Tagen hat er mir wenig erzählt. Jedenfalls genoß er eine sehr schlechte Erziehung und war bald der Schrecken der Gegend, denn das Verbrechen, das er 1824 beging, und von dem man noch heute bei Germersheim erzählt, läßt auf einen ausgemachten Bösewicht schließen.

Im Frühlinge des Jahres 1824 geriet die Bevölkerung in und bei Lustadt in große Aufregung, als rasch nach einander drei schwere Verbrechen in ihrer Nähe begangen wurden. Der Thäter war Schenk. Als man ihn gefesselt aus dem Dorfe führte, wendete er sich um und drohte mit erhobenen Fäusten, wenn er wieder heimkomme, werde er den roten Hahn auf die höchsten Dächer des Dorfes setzen. Er sollte nicht mehr heimkehren, die Bewohner von Oberlustadt aber haben ihm diese Drohung nicht vergessen.

Am 19. Juni 1824 wurde unter ungeheuerm Menschenzudrang vor dem Schwurgericht in Zweibrücken gegen Schenk verhandelt und derselbe wegen versuchter Notzucht, wegen eines Straßenraubes und wegen eines Mordes mit versuchter Beraubung zum Tode verurteilt. Unterm 26. September begnadigte der gutmütige König Max I. den wilden Verbrecher zu lebenslänglicher Kettenstrafe. Damals war das Zentralgefängnis in Kaiserslautern, der sogenannte Halbmond, erst im Bau begriffen, weshalb der Begnadigte im Kriminalgefängnis in Zweibrücken zur Erstehung seiner Strafe untergebracht wurde.

Hier begann er nun das zu werden, was ich nur mit dem Worte: Zuchthausheld bezeichnen kann, das heißt, er legte es darauf an, sich den Gefängnisbeamten furchtbar zu machen und durch seine gefährlichen, listigen und frechen Streiche die Bewunderung der Sträflinge zu erregen. Er hat mit mir oft und lange mit sichtlichem Wohlgefallen von jenen Zeiten gesprochen, wo er der »Zuchthauskönig«, wo keine Mauer für ihn zu hoch und zu dick war. Er zeigte mir seine mit Narben von erlittenen Schlägen bedeckte Haut und berichtete nicht ohne Stolz, wie er damals mit Leichtigkeit eine Kette und Kugel von 28 Pfund Gewicht getragen habe. Ich konnte keinen genauern Kenner des Zuchthauslebens finden als ihn, war er doch ein scharfer Beobachter, der die Sträflinge und die Hausbeamten durchschaute. Es gab nichts, was er nicht versuchte, um die Ordnung zu stören, die Autorität zu verhöhnen, und mit Gewalt sich die Freiheit zu verschaffen.

Im Jahre 1825 wurde das Zentralgefängnis in Kaiserslautern fertig und Schenk der größern Sicherheit wegen dorthin geschafft. Er sann unermüdlich darauf, etwas zu beginnen, was selbst in einem Zuchthaus nicht erhört war. Mit den Frauen, die damals noch in dieser Anstalt gemeinsam mit den Männern den Gottesdienst besuchten, spann er Liebesverhältnisse an; er schickte ihnen Briefe und Geschenke. Fiel es ihm gerade ein, so lachte er während der Predigt laut auf, oder verhöhnte durch Bewegungen den amtierenden Geistlichen, wodurch sein Ansehen bei den Gefangenen nicht wenig stieg. Mit den wachthabenden Soldaten stand er beständig im Verkehr, um sich von ihnen allerlei verbotene Dinge einschmuggeln zu lassen. Seine Mitgefangenen gehorchten ihm aufs Wort und brachten ihm, was er wünschte. So oft man bei ihm nachsuchte, hatte er irgend welche Werkzeuge, mit denen er einen Ausbruch versuchen wollte. Hiebe und Arrest ertrug er mit stoischer Geduld, was ihm vollends die Glorie des Märtyrertums verschaffte. Mit den Inspektoren verkehrte er, je nachdem dieselben beschaffen waren, bald kriechend freundlich, bald unverschämt frech und es glückte ihm, mehr als eine Klageschrift gegen dieselben heimlich nach München gelangen zu lassen.

Nachdem er schon mehrere Ausbruchversuche für seine Person versucht hatte, gelang es ihm, eine Anzahl von verwegenen Sträflingen zu einem Komplott zu vereinigen, um gewaltsam mit bewaffneter Hand sich die Freiheit zu verschaffen. Man wollte zuerst zwei »Aufpasser« – damals wurden in den einzelnen Sälen Sträflinge, gewöhnlich die geriebensten, zur Überwachung der Übrigen mitbenutzt – erdrosseln, dann über die Aufseher herfallen, ihnen die Schlüssel und Waffen abnehmen, hierauf die Sträflinge befreien und sich mit Gewalt durch die Soldatenwache durchschlagen.

Der Plan, von acht zu allem fähigen Menschen unternommen, gelangte am 18. Oktober 1827 zur Ausführung, scheiterte aber vollständig, da die Verschwörer die Aufpasser nicht geräuschlos umzubringen vermochten, vielmehr bei diesem Versuche von den Aufsehern und den herbeigeeilten Soldaten nach verzweifeltem Widerstande überwältigt wurden.

Zur Aburteilung dieser schwarzen That trat im folgenden Jahre ein Spezialgericht zusammen, das am 9. Juni 1828 Schenk mit zwei Genossen wegen bewaffneter Rebellion, wegen des Versuches eines gewaltsamen Ausbruches aus dem Zentralgefängniß zu Kaiserslautern und versuchten Meuchelmordes abermals zur Hinrichtung verurteilt, vollziehbar auf dem Markte zu Kaiserslautern.

Bei diesem Prozesse führte Schenk die Verteidigung, wobei er sich erdreistete, den Hausbeamten zu drohen, daß sie doch noch einmal der Tod ereilen würde.

Auch König Ludwig war kein Anhänger der Todesstrafe, so wurde denn Schenk, der zweimal den Tod ehrlich verdient hatte, abermals zu lebenslänglicher Kettenstrafe begnadigt. Er versicherte mir öfters, damals habe er die Hinrichtung verdient und erwartet und es sei tausendmal besser, rasch zu sterben, als endlose Jahre in einem Zuchthause zu schmachten. Ob er früher so gedacht, bezweifle ich, denn er hoffte sicher, daß ihm irgendwo einmal einer seiner verschlagenen Ausbruchsversuche gelingen müsse.

Nun begannen Schenks Wanderjahre; er wanderte nämlich der Reihe nach durch sämtliche Zuchthäuser Bayerns, in deren jedem er so lange sein Wesen trieb, bis der betreffende Vorstand erklärte, ihn wegen seiner Allgemeingefährlichkeit nicht mehr länger behalten zu können. Gewöhnlich hatte dann Schenk einen solchen Einfluß in der Strafanstalt erlangt, daß sämtliche vorhandenen Beamten ihm zusammen nicht mehr gewachsen waren.

Am 22. Januar 1829 verließ Schenk, mit Ketten belastet, von den drei zuverlässigsten Gensdarmen der Pfalz begleitet, Kaiserslautern und traf am 1. Februar in dem Zuchthause zu Würzburg ein.

Daselbst blieb Schenk bis zum 30. September 1833. Alle seine Gedanken waren auch hier darauf gerichtet, die Freiheit zu erzwingen. Bald rauft er mit anderen Gefangenen, die sich seinem Befehle nicht fügen wollen und die er durch seine herkulische Körperkraft überwältigt; bald wird er mit Feilen, Uhrfedern, nachgemachten Schlüsseln oder Messern erwischt; bald findet man die Eisenstäbe an seinem Fenster durchsägt oder irgend ein Schloß beschädigt, bald verrät ein Aufpasser oder falscher Freund ein neues Komplott zu einem gemeinsamen gewaltthätigen Ausbruchsversuche. Meisterhaft verteidigte er sich gewöhnlich in solchen Fällen; ein Kind konnte nicht reiner sein als er; wenn irgend jemand eine Schuld hatte, so war es lediglich der Staat. Man wird ordentlich mit Genugthuung erfüllt, wenn man hört, wie dem abgefeimten Menschen nach seiner Verteidigung hie und da fünfzehn oder fünfundzwanzig aus dem ff ad posteriora als einzig richtige Antwort appliziert werden. Im Herbste 1833 muß der Anstaltsvorstand in Würzburg erklärt haben, daß die dortige Anstalt nicht genügend fest gebaut sei, um Sicherheit gegen die fortgesetzten Versuche Schenks zu gewähren, denn derselbe wurde nun nach München geschafft, weil man dort bessere Gelegenheit habe, den gefährlichen Mann genügend zu verwahren.

Am 8. Oktober 1833 traf derselbe in München ein, wo man eine interessante Sammlung der gefährlichsten Subjekte aus ganz Bayern angelegt hatte, denen ein strenger, scharfsichtiger Anstaltsvorstand gegenüberstand. Derselbe äußerte einmal, als ihm aus Lichtenau ein besonders gewandter Ausbrecher, namens Mayer, zur bessern Aufbewahrung zugeschickt wurde, da habe er doch noch zwei andere Kerle, den Hummel und den Schenk; gegenüber dem erstern sei Mayer ein Jüngling, gegenüber dem letztern aber ein wahres Kind. Schenk erhielt hier eine lange Reihe von Strafen der schwersten Art, die er sich wegen Raufens, Unruhstiftung aller Art, Verletzung der Hausordnung, wegen wiederholter Komplotte zum Aufruhr, wegen thatsächlich verübter, mit größter Kühnheit und Verwegenheit ausgeführter, aber stets mißlungener Ausbruchsversuche zugezogen hat. Der Direktor meinte, Schenk sei der gefährlichste Verbrecher seiner Art und seiner Zeit; eine solche Mischung von bewundernswerter, kühner Verschmitztheit mit einer unvergleichlichen schamlosen Frechheit im Leugnen und einer unbegreiflichen heuchlerischen Verstellungskunst sei ihm in seiner sechsunddreißigjährigen Wirksamkeit nicht vorgekommen.

In München verweilte Schenk bis zum Jahre 1842, wo Minister Abel den bekannten, genialen Gedanken zur Ausführung brachte, konfessionelle Zuchthäuser in Bayern einzuführen. Das wäre an und für sich nun nichts gerade Schädliches gewesen, wenn man nicht den Sträflingen gestattet hätte, innerhalb der Zuchthäuser den Glauben zu wechseln. Wer nun den Aufenthalt in einem Hause satt war und sich gern einmal eine Veränderung machen wollte, trat zu einer andern Kirche über und wurde darauf in eine Anstalt verbracht, wo er seines neuen Glaubens leben konnte. Diesen seinen Glauben konnte aber einer auch öfters wechseln und es erfüllt den Leser wahrhaft mit Ekel, wenn er findet, wie in jenen Jahren langjährige abgefeimte Verbrecher alle paar Jahre bald katholisch, bald protestantisch werden und infolge dessen von einem Zuchthaus in das andere wandern.

Schenk rühmte sich mir gegenüber öfters, daß er einer solchen Charakterlosigkeit nicht fähig gewesen sei, weil er stets viel auf seinen Protestantismus gehalten habe. Allein in München war seines Bleibens nun nicht länger, denn dieses wurde jetzt ein katholisches Zuchthaus und Schenk ward Anfangs 1842 nach St. Georgen bei Bayreuth übergeführt.

In diesem Zuchthause gelangte er auf den Höhepunkt seines Ruhmes und Einflusses. Es muß dort in den Jahren 1848 und 1849 ein junger, ängstlicher Mann als Amtsverweser die Anstalt geleitet haben, welchen Schenk durch sein Auftreten so einzuschüchtern wußte, daß er eigentlich der thatsächliche Herr im Hause war. Selten oder nie hat wohl der Sträfling in einem Zuchthause eine solche Stellung eingenommen, wie Schenk in seiner Glanzperiode zu Bayreuth. Mehr wie einmal erzählte er mir, daß er dort öfters vom Vorstande des Hauses zum Kaffee eingeladen worden sei, wobei sie über die Maßregeln beraten hätten, die bei der Leitung der Anstalt zu ergreifen seien. Sonderbar, ja höchst komisch muß es ausgesehen haben, wenn dann der Sträfling in Ketten auf dem Sopha saß und der furchtsame Direktor, der für sein Leben Angst hatte, den schrecklichen Untergebenen mit Speise und Trank bediente. Daß Schenk in jener Zeit keine Strafen erhielt, ist wohl selbstverständlich, ebenso, daß er damals mit seiner Lage sehr zufrieden war.

Natürlich konnte dieses skandalöse Verhältnis nicht lange dauern. Der ängstliche Verweser, der zu allem andern eher paßte, als zu einem solchen Posten, wurde entfernt und ein Nachfolger ernannt, der als streng und furchtlos bekannt war. Schenk, dessen Herrlichkeit nun zu Ende ging, geriet in hellen Zorn über die Entfernung seines Freundes, der nach seiner Ansicht in allein richtiger Weise für die Sträflinge gesorgt hatte. Er erzählte den Sträflingen, was der neuernannte Inspektor für ein Wüterich sei und machte denselben angst und bange vor dem bevorstehenden Wechsel der Dinge. Sie beschlossen deshalb, den neuen Direktor mit einem offenen Aufruhr zu begrüßen und ihm so einen schlagenden Beweis von ihrer übeln Laune und ihrem Mißtrauen zu geben. In der That, als der neue Vorstand am 7. Februar 1850 die Anstalt betrat, brach eine allgemeine Empörung der Sträflinge aus, die nur mit Mühe und Waffengewalt niedergeschlagen werden konnte.

Die schönen Tage von Aranjuez waren nun für Schenk für immer vorbei. Der neue Anstaltsvorstand kam bald darüber ins Klare, wer der Anstifter des Aufruhrs und sein gefährlichster Gegner im Hause sei. Er schritt mit großem Mute gegen Schenk ein, der nun statt Kaffee Hiebe und statt eines Sophas eine hölzerne Pritsche bekam. Man darf aber nicht glauben, daß er deswegen etwas von seiner unbeschreiblichen Frechheit verlor. Es gelang ihm, eine Klageschrift wider den neuen Direktor heimlich an die Regierung zu befördern, worin er diesen einen Bluthund nannte, der es auf sein Leben abgesehen habe, obschon er ein ganz friedliebender, gutmütiger Mensch sei, der kein Wässerlein trübe, auch zu dem frühern Amtsvorstand im schönsten, ungetrübtesten Verhältnis gestanden hätte. Der Direktor schenkte der Regierung über die Sachlage klaren Wein ein und der Denunziant erhielt wieder eine wohlverdiente Tracht gesalzener Prügel. Der Krieg zwischen beiden dauerte so noch eine Zeitlang fort, bis endlich die bisher eiserne Gesundheit Schenks zu wanken anfing.

Nun bekam er Heimweh nach der Pfalz. Er entdeckte plötzlich, daß er gar nicht in ein jenseitiges Zuchthaus gehöre, sondern in ein pfälzisches. Er setzt mit großer juristischer Spitzfindigkeit auseinander, daß im jenseitigen Bayern ganz andere Gesetze und Einrichtungen seien, wie in der Pfalz, die sich des Segens der frühern französischen Herrschaft noch erfreue. Von Rechtswegen müsse ein in der Pfalz verurteilter Pfälzer zur Verbüßung in einer pfälzischen Strafanstalt untergebracht werden. Daß man ihn so ohne Grund in der Welt herumschleppe, sei eine grobe Rechtsverletzung. In seinen öfters wiederholten Gesuchen betont er auch, daß sein Magen jetzt schwächlich geworden sei und daß man in der Pfalz besser zu kochen verstehe, wie in Franken, nämlich französisch.

Wie Schenk fühlte, daß infolge der vielen Strafen seine Kraft nachließ, bekam er Angst für sein Leben und wurde merkwürdig zahm, so daß die Zeit bis 1860 eigentlich als eine stille, der Erholung gewidmete bezeichnet werden muß.

In diesem Jahre setzte er seine Wanderung fort: er hatte ja die Plassenburg noch nicht gesehen. Dort war er anfangs wieder der alte Schenk, der durch sein verwegenes, gefährliches Benehmen die Beamten einzuschüchtern und den Sträflingen zu imponieren suchte. Dort gelang es ihm auch, einmal mit mehreren Genossen wirklich auszubrechen. Allein einer hatte das Bein gebrochen, die anderen wurden beim nächsten Dorfe von den Bauern wie wilde, ihrem Käfig entronnene Tiere eingefangen. In Plassenburg scheint seine Hauptbeschäftigung das Abfassen von Bittschriften gewesen zu sein. Bald wünschte er Begnadigung, bald Versetzung in das Zentralgefängnis Kaiserslautern. Es wird herüber und hinüber geschrieben, allein keiner seiner Wünsche geht in Erfüllung. Blos eine leichtere Kette erhält er und einige Berücksichtigung in Bezug auf Arbeit und Kost.

Im Jahre 1863 wurde wenigstens ein Wunsch Schenks erhört; er kam wegen Überfüllung des Zuchthauses Plassenburg mit einer größern Anzahl anderer Sträflinge nach vierunddreißigjähriger Wanderschaft wieder nach Kaiserslautern. Auch jetzt besaß er noch großen Einfluß auf die Gefangenen, obschon seine Körperkraft gebrochen war. Stumm und bewundernd lauschten sie, so oft er von seiner märchenhaften Vergangenheit, seinen großen Thaten, seinen Leiden und Strafen erzählte. Wenn er auch nicht mehr mitthat, so verstand er doch das Hetzen immer noch vortrefflich. Im Januar des Jahres 1864 brach im Zuchthause Kaiserslautern ein heftiger Aufruhr aus, bei dem Schenk zwar nicht aktiv beteiligt war, wohl aber tüchtig geschürt hatte.

Als ich mit ihm bekannt wurde, ging all sein Dichten und Trachten auf Begnadigung. Mehr wie einmal rief er aus: »Wenn ich nur einen Tag noch einmal die Freiheit genießen könnte, wollte ich gerne sterben.« Als einstmals bei ihm angefragt wurde, was er denn in der Freiheit beginnen wolle und ob er jemand habe, der ihm Aufnahme gewähre, kam er wieder zu mir und bat mich, ich solle ihn nehmen. »Ich bin ein anstelliger Mensch,« sagte er, »ich kann alles schaffen, auch kochen, ich bin Ihr Bedienter und wo Ihr Hund schläft, schlafe ich auch.« Der alte Bursche dauerte mich und ich versprach ihm, wenn sonst nichts seiner Begnadigung im Wege stände, ihn zu nehmen. Verhehlen kann ich mir nicht, daß er wohl fähig gewesen wäre, in einem unwiderstehlichen Anfall von Blutgier mir einmal im Schlafe ein Beil auf den Kopf zu schlagen. Der schöne Plan kam nicht zu stande. Als die Bewohner Oberlustadts hörten, daß Schenk begnadigt werden solle, gedachten die alten Leute dort seiner Drohung und in tiefstem Schrecken eilte nun eine Deputation nach Zweibrücken, um gegen die Freilassung des Gefürchteten Verwahrung einzulegen. So wurde Schenks Hoffnung abermals getäuscht, er sollte die Freiheit nicht mehr sehen. Als er diese Nachricht erhielt, bäumte sich seine Riesennatur noch einmal gewaltig auf. Er machte 1869 vom Spital aus, wo er als eine Art von Pfründner weilte, den letzten seiner unzähligen Ausbruchsversuche, der wieder mißlang. Siebenundvierzig im Zuchthaus, im beständigen Kampfe wider jede Autorität verbrachte Jahre gehörten dazu, um diesen in psychologischer Hinsicht höchst merkwürdigen Menschen auf die Bahre zu strecken.

Wenn der Leser nun über ihn sein Urteil fällt, möge er, um nicht ungerecht zu werden, auch bedenken, daß zu jener Zeit der gemeinsamen Haft, der Ketten und Kugeln und der zweifarbigen Kleider überhaupt ein finsterer, trotziger Geist durch unsere Zuchthäuser ging. Das war eine Zeit, wo viele Direktoren mit Pistolen im Gürtel, oder einem Säbel, mit Schweißhunden im Gefolge, ihre Runde im Hause machten, wo das Zuchthaus lediglich eine Fabrik darstellte und wo man die Zwangsarbeit als das einzige Besserungsmittel des Gefallenen betrachtete.


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