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XXXXVIII

Ich will dir eine Geschichte erzählen, Mandolinchen ...

Ich habe geträumt ... fängt sie an. Alle Geschichten, die ich erzählen könnte, fangen so an, wie die Kindermärchen anfangen: es war einmal! ... weil sie wahr sind aber, hören alle auch so auf: ich habe geträumt!

 

Zwanzig Jahre, Mandolinchen, bin ich nun ein Wanderer im Land der Menschen, weil alles immer so anders war, als ich mir träumte!
und was ich träumte? ... sieh, es gibt Menschen, die überhaupt nicht träumen! die da leben, ohne Seele und Sehnsucht, wie Steine im Feld ...
und da ich die Welt, die ich träumte, nicht fand, so wollte ich mir eine schaffen, im Kleinen, so wie ich sie mir schön dachte ... nicht in den Wolken, sondern auf fester Erde und mit Menschen, von denen ich glaubte, daß sie die gleiche Sehnsucht hätten, wie ich selber ...
und ich warb um Freundschaft und Vertrauen und keine Mühe und kein Opfer war mir zu viel.

Aber so oft es Beweis und Tat galt, fielen sie ab und versagten, aus Bequemlichkeit und Lässigkeit oder aus Eifersucht und Mißgunst. Was ich nicht habe, sollst auch du nicht haben! und mir war nur darum zu tun, einen Weg zu finden aus all der Schwere hinaus und aus dem Kampf, den alle zu kämpfen hatten. Aber nirgends ein bißchen Freude, nirgends ein Zusammenhalten und Einstehen für den andern ...
und so wurde meine Seele einsam und ich blieb für mich, für mich zu machen, was ich mir schön dachte.

 

Aber auch das wollten sie nicht!

Sie kamen und nörgelten und witzelten und jeden Morgen mußte ich immer erst das Geröll bei Seite räumen, mit dem sie den Tag vorher mir den Weg verworfen ...
und was ich möglich gemacht habe, habe ich möglich machen müssen gegen sie und gegen Kopfschütteln und Abraten und kleinliches Mißwollen.

Nur wenn ich mich ins Joch beugen sollte und ein Unfreier werden, oder wenn etwas kam, das mich rückwärts gebracht hätte, redeten sie mir zu, bis auf zwei oder drei Getreue.

So lang ich unter ihnen bin, so oft ich zu ihnen kam und so weit ich alle meine Türen aufmachte, mein ganzes inneres Leben blieb ihnen fremd und unverständlich!

Es ist ein trauriges Lied, Mandolinchen!

 

Aber ... ich hab es überwunden! ich ereifere mich nicht mehr, weder in Groll noch in Leid:
die Menschen sind, wie sie sind! es war meine Schuld, sie anders zu denken!

 

Sie haben die schönsten Worte für alles! sie nennen es das Höchste: auf sich selbst zu stehen und sich ein eigenes Leben zu schaffen, einen eigenen Glauben, eine eigene Welt ...
doch wehe jedem, der da so vermessen wäre, es zu wagen!

Eitelkeit und Neid und Kleinlichkeit und Vorteilsucht sind häßliche Dinge bei ihnen ...
und in Wirklichkeit? in Wirklichkeit?!

 

Ihr ganzes Sinnen und Sehnen und Dichten und Trachten ist nichts als einen Punkt voraus zu haben vor den andern: einen höheren Rang, eine schönere Frau, ein begabteres Kind, einen grüneren Garten, ein fetteres Huhn ...

 

Freundschaft ist äußerliches Zusammensitzen! Kein Mitwandern auf des andern Wegen, kein Mitsuchen und Mitfinden, kein Sich-freuen an des andern Freude!

Liebe ist äußerliches Haben, Sinnlichkeit, Lärm! Prunksucht! Kein stilles Einander-treu-sein und Sich-Hinweg-Helfen über graue Stunden, kein Ausruhen und Mut-schöpfen, kein Hand in Hand zur Höhe schreiten und Sich-Freude-sein!

Arbeit ist Notwehr, Last und Muß! Sie arbeiten nicht, um ihre Kräfte zu entfalten und sich zu freun an ihrem Können, sie arbeiten, um sich zu vergessen. Sie haben ein Wort erfunden: Arbeiten und nicht verzweifeln! ein Wort, das man totschlagen sollte, denn es ist ein Spruch nur für Hörige!

Nicht: Arbeiten und nicht verzweifeln! ... sondern: Arbeiten und froh sein! Nicht einer ihrer Tage aber ist ein Sein in Fröhlichkeit!

Sie stehen dem Leben gegenüber, wie etwas, dem sie untertan sind und gehorchen müssen, wie Schulkinder einem Lehrer. Sie hassen ihn, weil er mächtiger ist und sie strafen kann, anstatt hinzugehen und sich ebenso mächtig zu machen ...
anstatt ... ach nein! es wäre doch vergebens!

 

Sie seufzen und seufzen und klagen und klagen und suchen überall die Quelle ihres Trübsals, nur nicht bei sich selbst und in ihrer Bequemlichkeit und Engseeligkeit!

Sie jammern und jammern und stöhnen und stöhnen über ihre Hilflosigkeit und rühren keine Hand, daß etwas besser würde!

Und wenn ein Gott vom Himmel käme und sich kreuzigen ließe ... sie stünden verständnislos neugierig dabei und frügen: warum tut er das? und wenn Propheten riefen: für euch! zuckten sie die Achseln und gingen heim und wären, wie sie immer waren!
und wenn mein Herz nicht so stark in seinen Wurzeln und so reich an Glauben, Liebe und Zuversicht, sie hätten es mir längst zerbrochen und ich wäre längst geworden, wie sie alle ...

Das Leben ist die schwerste Kunst!

 

Sing mir was, Mandolinchen!

*

Ich möchte still am Wege stehn
und möcht es Frühling werden sehn!
ich könnt noch immer wie als Kind
bei jeder kleinen Knospe säumen ...
und klänge in den kahlen Bäumen
ein Vogeltriller ... ach, ich könnt,
ich könnt noch immer wie als Kind
mir einen ganzen Sommer träumen
voll Klang und Glanz und Sonnenschein
              und glücklich sein!

*

Ich will alles nun noch einmal durchdenken und erwägen, ob es nicht doch nur Groll, der mir den Blick trübt? ob sie nicht doch am Ende recht haben, von irgend einem Punkt aus, den ich vielleicht übersehe ...
und wenn ich finde, daß sie recht haben, Mandolinchen ... dann ...
dann . will . ich . mich . beugen! und will sagen: Ich war ein Narr! ich habe mein Leben verloren an Träume!
und will die Schellenkappe aufsetzen und ein Fest halten im Schlosse meiner Väter, wie man keines noch erlebt an Glanz und Pracht und Narretei! Von allen Türmen sollen Feuer strahlen und in allen Sälen soll Musik sein, und wer da kommt, soll haben dürfen, was er will und mag!

 

Und wenn die Uhren Mitternacht schlagen und die Masken fallen, will ich sagen:
nun geht! es ist genug! ich will allein sein! ...

Und wenn es still geworden ist ...
will ich
die Fackeln nehmen und sie in die Hallen werfen, daß sie aufflammen
und die Krone auf dem Haupte und den Hermelin um dabeistehen und lachen
und lachend
sie mit mir zusammenstürzen sehen!

*

Und . wenn . ich . finde . daß . sie . nicht . recht haben, Mandolinchen ...
dann will ich, wenn es Frühling wurde und wenn die Glocken läuten in der Osterfrühe, mir das Schwert umgürten,
mein altes Schwert ›Bleib-dir-treu‹
und hinaufgehen
den Weg an dem verfallenen Mutter-Gottes-Kapellchen vorüber, zum Waldsaum oben, wo der steinerne Roland steht, als Hüter des Tals ...
und Fahnenträger sollen mitkommen und sich am Kreuzweg aufstellen mit der alten weißblaugoldenen Standarte
und man soll die Hörner blasen
und das Volk zusammenrufen ...
und ich will ihm sagen:

 

Nein!
nein! ihr habt nicht recht! ihr habt nicht recht!

 

Ich kam zu euch und erzählte euch meine Gedanken und ihr schaltet mich Träumer und Sonderling und nanntet Torheit, was ich wollte!
und ich verglich es mit dem, das ihr dafür als Ziel aufstelltet, und mit dem, das um mich herum geschah, und sah ein, daß ich wie ein Kind nach Sternen greifen wollte, und schalt mich Träumer und nannte Torheit, was ich wollte, und warf es zurück
und beugte mich ... allen euern Notwendigkeiten und kam euern Forderungen nach und ließ mich knechten von euern Nüchternheiten ...
freiwillig!

Jahre, Jahre, Jahre lang!

 

Ich habe alle eure Einwände und Bedenken aufgenommen und erwogen und gesucht, daraus zu lernen und mir klar zu werden ...
ich habe still gehalten bei euern Nörgeleien und alle eure Trübseligkeiten über mich ergehen lassen ...
ich habe euch eure Witze machen lassen über das Heiligste, das ich hatte, und alles in mir niedertreten, das mir lieb war, und sagte: ist es gut und hat es Kraft, hebt es sich doch wieder hoch und wächst nach! ...
ich habe euer Leid getragen, als ob es das meine wäre und habe zu helfen gesucht, wo ich konnte, und mit Tat, nicht mit bloßen Worten ... ich war immer ein guter Freund und vor allem auch hinter dem Rücken ...
ich habe zugesehen und gewartet und gewartet, ob ihr mit dem, das ihr wolltet, ob ihr auf eure Weise, auf eurem Weg ein Leben zu schaffen vermöchtet, das über den Alltag, an dem ihr leidet, hinaustrüge ...

Jahre, Jahre, Jahre lang!

 

Ich habe geschwiegen zu dem Hochmut, mit dem ihr eure kleinen Verdienste herumschriet und zu großen Dingen aufbliest ...
ich habe geschwiegen, wenn ihr mit tönenden Reden aufs Podium tratet und euch für dies oder das begeistertet ... und es war nichts, als Eigensucht und Geschäft ...
ich habe geschwiegen zu all den kleinen Drehereien, mit denen ihr in den Vordergrund schobt und stütztet, was euch und eurem Vorteil dienlich sein konnte, ob es noch so windig war und faul! und mit denen ihr alles zurückdrücktet und entwertetet, das auf anderer Seite stand ...
ich habe geschwiegen und gewartet und gewartet und immer wieder Glauben gehabt …

Jahre, Jahre, Jahre lang!

Ich habe meine ganze Jugend dafür hingegeben ... meine Haare fangen an grau zu werden ... ich schweige jetzt nicht mehr ... einmal mußte diese Stunde kommen! ... und ich sage jetzt:

 

Ich habe recht, nicht ihr!

Euer ganzes Dasein ist bloßes Geschwätz und Scheinmacherei!
ihr wollt gar nicht hinaus über eure Kleinlichkeiten! es ist euch wohl dabei! ihr wollt gar nichts anderes!
und all die hohen Dinge, die ihr im Munde führt und als Aushängeschild und Deckmantel gebraucht:
es ist euch niemals Ernst damit gewesen!

Ich sage das euch allen und der ganzen Welt! ich habe mir das Recht dazu erlitten: Es ist euch niemals Ernst damit gewesen!

 

Aber bleibt bei eurem Kram! bleibt bei eurem Schwindel! treibt es weiter, wie ihr mögt! Seid und werdet, wer und was und wie ihr wollt!
ich will endlich werden, der ich bin!
und gehe jetzt den Weg, den ich für den rechten halte!
und wenn es auch nur Zwei sind oder Drei, die mit mir kommen ... ich schaffe meine Welt jetzt über euch hinweg!
mein Glaube ist stolzer, als der eure! und er ... siegt!


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