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XXXVI

Von Hannie

Telegramm und Eilbrief wirst du wohl rechtzeitig erhalten haben. Mache dir kein Gewissen daraus, die Sache abzulehnen. Ja nicht, Liebster! Es wäre Streichholzfabrik! du kannst was Besseres tun, als ein Familienblatt herausgeben. Dazu wollen wir nicht gearbeitet und gewartet und Opfer gebracht haben! Das hätten wir immer haben können! Schon vor Jahren!

Und wenn sie dir noch so zureden und von allen Seiten, bleib fest, Jostel, und hör auf deine Hannie und sag: nein! Du würdest es nur meinetwegen tun und ich will nicht, daß du aufgibst, wofür wir bisher gelebt haben. Ich will das nicht und meinetwegen nicht, versteh mich wohl! Es muß ein Sieg sein, wenn wir heiraten, ein Sieg auf der ganzen Linie dessen, das du willst, kein Rückzug.

Es wird schon einmal etwas kommen, das nach vorwärts trägt, auch wenn der Plan, von dem du schriebst, nichts würde. Vergiß nicht, wie oft du selbst schon gesagt: Dinge, bei denen man dir derart von allen Seiten zurede, seien dir von vornherein schon verdächtig! man lauere ja doch nur, daß auch du endlich irgendwo unterkröchest, womöglich einem armen Mädel zu lieb! und diesen Gefallen ... tun wir ihnen noch lange nicht! gelt? Frag dich und mich! was andere sagen, ist gleichgültig. Es ist unser Leben und wir haben es zu leben!

und du bist die Hauptsache! nicht ich! du bist das Wichtigere! deine Seele, deine Kunst und das, was du willst, und daß du das zum Sieg bringst! ich bin Nebensache und habe gar nicht in Frage zu kommen! ich hab dich nur lieb und stehe hinter den Kulissen und halte Wache, daß du dein Ziel durchsetzt und erreichst!

Also! Schluß!

 

Ich habe vorige Woche hier für mich auch so entschieden. Denke dir, Frau Bürgli-Ermatingen, mit der wir sehr gut Freund geworden sind, hat mir einen Antrag gemacht, nach Zürich zu kommen. Sie hat dort ein großes Mädcheninstitut und eine Art Zweiganstalt in Genf und sagte neulich: sie käme mit ihrem einen Kopf nicht mehr durch! ob ich nicht Lust hätte, ihr zweiter zu werden? und zwei weitere Hände könne sie erst recht brauchen! Sie suche schon lange nach jemand, zu dem sie so unbedingtes Vertrauen haben könne, wie zu mir, so wenig sie mich schließlich kenne. Ich solle es mir überlegen und in den Sommerferien einmal kommen, mir die Sache anzusehen. Fünftausend Franken Gehalt und drei, vier Jahre Vertrag vorläufig. Stunden hätte ich nur ausnahmsweise zu geben. Ich hätte im wesentlichen bei der Leitung mitzuhelfen und Oberaufsicht zu sein.

Das Erste war, daß Hella mir um den Hals fiel und zu weinen anfing: ich dürfe nicht weggehen: was sie denn ohne mich machen solle!

das Zweite, daß ich selber ein paar Nächte lag und Für und Gegen abwog, bis ich am Dienstag endlich zu Frau Bürgli ging und ihr offen erzählte, wie die Dinge stünden und daß ich nicht von Berlin wegmöchte. Sie sagte sehr nett und liebenswürdig: sie hätte sich dergleichen halb und halb gedacht! und ist seitdem nur noch herzlicher, und Hella ... jubelt! und Jost hoffentlich auch!

 

Es wird hier tagtäglich frühlingshafter und schöner, aber ... es ist allmählich vorbei und ... wie es mir wohl vorkommt, wenn ich wieder ins Geschirr muß? Man gewöhnt sich unglaublich schnell an ein solches Nichtstun und In-Schönheit-faulsein, obschon wir jeden Tag regelrecht fünf Stunden fleißig sind. Zuerst jedoch machte es mich beinahe unruhig. Man steckt nun eben mal in der Arbeitstieranschauung, in der man aufgewachsen, aber ich denke öfter und öfter, wie du immer sagst: der Mensch müsse es überhaupt so haben. Er sollte arbeiten dürfen, nicht arbeiten müssen.

Und dann kam mir neulich ... es liegt in der gleichen Linie: ob so mancherlei Leid, das man sich macht, am Ende nicht daher kommt, daß man immer älter sein möchte, als man ist? ich meine: daß man immer Dinge haben will, die der Stufe, auf der man steht, vorausliegen?

 

Unser Privatdozent ist wieder hier für einige Tage. Es kam gestern zu einer förmlichen Schlacht mit ihm, auf deinen Satz hin: Mensch und Künstler sei nicht zu trennen.

Er behauptete: eine solche Auffassung bedeute letzten Endes die Einstellung aller Kunst auf unmittelbare Lebenszwecke. Alle Kunst müsse dann einen, wenn auch in höherem Sinne moralischen Zweck haben ... und so denke der Philister! Kunst habe keinen Zweck, als den: zu sein! und der Künstler müsse außerhalb der landläufigen Grenzen unseres bürgerlichen Daseins stehen dürfen und so weiter!

Ich hab dich lieb und küsse dich und sag: wir wollen bleiben, die wir waren!


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