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XXXII.
Die große Prüfung

Auf den Plüschpolstern einer Abteilung zweiter Klasse dehnte sich Frau Salomea Himmelhebers Leiblichkeit. Ihr gegenüber hielt Onkel von Arx den ersten Wogenprall ihrer Beredsamkeit auf der gemeinsamen Fahrt nach Rheineck aus. Obwohl Emils Mutter es durch ihren kleinen Handel mit den Jahren zu einem nicht unbeträchtlichen Vermögen gebracht hatte, war sie doch nie anders als dritter Klasse gefahren. Die ihr ungewohnt vornehme Umgebung hatte anregend auf ihr Bedürfnis zur enthusiastischen Aussprache ihrer Empfindungen gewirkt, und mit nicht mehr verhaltenem Stolz sang sie ihr letztes Loblied auf den Sohn. Denn bald würde der Schnellzug in Rheineck sein, wo sie sich zur Heimfahrt von Emils Gönner trennen mußte. Aber der alte Professor ließ ihr das Wort nicht bis zuletzt. Als Frau Himmelheber sich im Strom der Rede einmal schneuzen mußte, ergriff er die Gelegenheit und seinerseits das Wort, um seiner Begleiterin mit Nachdruck klarzumachen, was der Bräutigam in Sabine, seinem alten Liebling, für einen Edelstein erhalten werde. Kurz, die beiden Alten übertrafen sich im Lobpreis ihrer beiden Schützlinge, und als der Zug im Bahnhof von Rheineck einfuhr, bedauerte Emils Mutter schmerzlich, daß ihr jetzt erst gerade das Beste einfiel, was sie aus der Kindheit und aus der Studienzeit ihres Sohnes noch alles hätte erzählen wollen. Sie wechselte den Zug, sah den alten Haudegen noch galant seinen großen Kalabreser auf dem Perron schwingen und fuhr dann in einem Zustand der Beglückung, dem sie durch Ansprachen an Bauersleute, ihre nunmehrigen Reisegefährten dritter Klasse, nur mangelhaft Luft verschaffen konnte, der Heimatstadt Heitersberg zu.

Als die Alte noch am gleichen Nachmittag wieder mit strahlender Geruhigkeit hinter dem Ladentisch stand, da konnten sich die Kunden nicht genug wundern über ihr wissendes Lächeln. Auch den schlauest angelegten Fragen wich sie geschickt aus und wies die kühnsten Vorstöße neugieriger Nachbarinnen gelassen ab. Der Herr Doktor käme bald wieder zurück, und das andere werde man ja dann sehen – antwortete sie den ungeduldigen Kundinnen, füllte das Öl in die Flaschen, wog Zucker und Kaffee mit der ihr eigenen gelinden Freigiebigkeit und schwieg im übrigen.

Als der Professor von Arx aus dem Bahnhof von Rheineck heraus trat, hörte er die Zeitungsverkäufer mit lauter Stimme Extrablätter ausrufen: Der drohende Weltkrieg, zehn Centimes! Der alte Künstler, der in seinem Heim am See und während der Vorbereitungen für den Festzug die ganze Welt vergessen hatte, kaufte sich eine der Zeitungen und las mit wachsender Besorgnis die Nachrichten von der Kriegserklärung Österreichs an Serbien.

Diesmal wird's ernst! murmelte er vor sich hin, rückte mit einem scharfen Griff den breitrandigen Hut in die Stirn, winkte einen Einspänner herbei und fuhr hinauf auf den Platz vor dem Münster von Rheineck. Als ob durch den wankenden Weltfrieden auch dem von ihm begünstigten Werk der Liebe Gefahr drohe, so entschloß er sich während der Fahrt, alle Minen springen zu lassen, um Sabinens und Emils Glück so rasch als möglich zu sichern. An der Haustüre seines Schwagers Feuerstein führte er mit dem Messingklopfer einige feste Schläge und stand bald fuchtelnd und grüßend vor der würdevollen Erscheinung seiner Schwester, der Pfarrerin. Über den Grund seines unerwarteten Besuchs erklärte er sich erst aussprechen zu wollen, wenn man ihm als einem hungrigen Manne ein angemessenes Mittagessen vorgesetzt hätte, wozu er bereit sei, zwei Flaschen vom Edelsten, was sein Keller beherberge, beizusteuern. Mit diesen Worten tat er einen Griff in seine altmodische Reisetasche, die er mit einem Riemen umgehängt hatte, und überreichte der Schwester zwei Flaschen, deren ehrwürdiger Staub nach Möglichkeit geschont war. Der Schwager Feuerstein, der in seinem Studierzimmer den Besuch gleich am fröhlichen und in seinem Hause so ungewohnten Lachen erkannte, ging den Geschwistern auf der breiten dunkeln Holztreppe entgegen und freute sich nicht wenig über die angenehme Störung.

Während die Frau Pfarrer in der Küche nach dem Rechten sah, weihte Onkel von Arx den Schwager mit wenigen Worten in die Situation ein, bat ihn aber, sich als gänzlich ununterrichtet zu zeigen, wenn er bei Tisch den Zweck seines Kommens erklären würde. Der Pfarrer Feuerstein hatte seine ehrlichen Bedenken gegen eine solche Taktik, aber der Künstlerschwager wußte mit einer sprudelnden Rede seinen Widerstand so hinwegzuschwemmen, daß seine stille Freude die Oberhand gewann über seine Pflicht als Mann und Gatte. Er überließ zunächst einmal dem Schwager ganz das Feld. Dieser begann nach dem Braten mit der Erzählung vom Festzug, jedoch ohne dabei Sabinens Rolle zu erwähnen. Einer solchen Situation wäre die Schwester noch nicht gewachsen gewesen. Beim Dessert ging er auf die neue Aushilfslehrkraft beim Landerziehungsheim, den Privatdozenten Emil Himmelheber über und rühmte ihn als einen Mann von unübertrefflichen Eigenschaften, der, wie er vom Schwager Josua soeben gehört, auch als Fachschriftsteller einen ausgezeichneten Namen habe. Nach einer schicklichen Pause holte er dann aus seiner inneren Rocktasche einen Brief Sabinens an ihre Mutter und überreichte ihn der Schwester mit einer fröhlichen Feierlichkeit, die sich äußerst vielversprechend ausnahm.

Da hielt es den Pfarrer Josua Feuerstein nicht länger. Er strich sich über den Bart und sagte mit einiger Verstellung: »Jetzt einmal grad heraus, Arx, hier scheint eine Verlobung im Gang zu sein!«

»Was könnte dem Kind Glücklicheres passieren, wenn es ein trefflicher rechtschaffener Kerl ist?« war die ruhige Antwort des guten Kupplers, und um keinen Zweifel mehr über die nahezu vollzogene Tatsache übrig zu lassen, vollendete er seinen Überrumpelungsversuch mit den Worten: »Ich lege die Hand ins Feuer, euer Sabinlein wird glücklich!«

Damit war das Gefecht eröffnet und nahm seinen ordnungsgemäßen Verlauf, wie es sich in der etwas schweren Luft eines Pfarrhauses gehört. Der Kaffee war schon längst kalt, als die Alten immer noch saßen und tief in den Nachmittag hinein die wichtige Angelegenheit besprachen. Unter den sprudelnden Reden des alten Haudegens, der es auch weder an sanfter Eindringlichkeit noch an kräftigen Kernworten fehlen ließ, wich der Widerstand des wohlgeordneten Wesens seiner Schwester, die zunächst einmal solche Schnelligkeit wider alles Herkommen fand. Auf alle Fälle schien es ihr unerläßlich, daß, bevor die Mitteilungen des Onkels irgendwie als in der Familie bekannt vorausgesetzt werden dürften, der Herr Doktor Himmelheber in den allernächsten Tagen sich einmal vorzustellen hätte; man müsse seine womöglichen Schwiegersöhne sich doch zunächst auch einmal ansehen. Sie hielt den Augenblick nicht für gekommen, jetzt schon zu sagen, daß der Bewerber um Sabinens Hand kein ganzer Fremdling in diesem Hause sei. Denn da sie einer solchen unerwarteten Lösung der Schwierigkeiten ihres Verhältnisses zu Sabine im Inneren gar nicht ablehnend gegenüberstand, wollte sie nichts tun, was den Gang der Dinge hätte stören können.

Die Männer gerieten von den Familienangelegenheiten noch auf das Gebiet der Politik und der drohenden Kriegsgefahr. Josua Feuerstein, der Optimist, neigte zu der Ansicht, daß der Kriegsbrand auf seinen Herd da hinten im Balkan beschränkt bleiben würde. Der Schwager von Arx gehörte aber zu denen, die an die Notwendigkeit vulkanischer Ausbrüche im Leben der Völker zu Reinigungszwecken glaubten, und zwar so alle Halbjahrhundert einmal. Josua Feuerstein fand, das seien grauenhafte Ansichten. Aber unbeschadet ihrer Meinungsverschiedenheiten priesen sich die beiden Männer glücklich, in einem kleinen Lande zu wohnen, dem durch seine geschützte Lage und durch den herzhaften Sinn seiner Bürger auch mitten im Kriegsgetümmel der andern Nationen ein dauernder Friede beschieden sei.

Nicht wenig erleichtert über das verhältnismäßig gute Gelingen seiner Fahrt und bei alledem beschwert durch die drohenden Kriegsnachrichten, verließ der Professor von Arx gegen Abend das Haus seines Schwagers. Am Bahnhof fiel ihm der aufgeregte Fremdenverkehr auf, der aber ganz im Gegensatz zu der Gewohnheit der jetzigen Hochsommerzeit sich in der Richtung nach Deutschland anstatt wie sonst nach den Bergen zu ergoß.

Spät in der Nacht traf er zu Hause am See ein, gönnte sich keinen langen Schlaf und fuhr schon in der Morgenfrühe mit gutem Wind und einem alten Schiffer hinüber nach der Landzunge, von der die Zwiebeltürme des Erziehungsheims im Sommernebel herüberglänzten.

Emil sah vom Rektoratszimmer aus das weiße Segel auf dem Wasser immer größer werden. Aber er ahnte nicht, daß der Onkel von Arx schon von Rheineck zurück sei. Imhoff hatte ihn für heute mit seiner Stellvertretung beauftragt, um nach dem kranken Kollegen in der Stadt sehen zu können und bei dieser Gelegenheit einige große deutsche Zeitungen zu kaufen. So war Emil seit Tagesanbruch an der Arbeit gewesen, hatte eine Menge des vor Schulschluß drängenden Materials hinter sich gebracht und eben seine erste Zigarre angezündet, als Sabine mit Telegrammen in der Hand durch die hohe Türe eintrat.

»Ich weiß nicht, ob ich etwas Gutes bringe, Liebster!« sagte sie, als er ihr entgegenging und sie auf die strahlenden Augen und den reinen Mund küßte.

»Was kann uns jetzt noch geschehen, Kind?« antwortete Emil, indem er die Telegramme ungeöffnet und sorglos auf den Tisch legte. »Ich habe so viel und so Schweres durchmachen müssen, bis ich bei dir ankam und dich gewann, daß jetzt das Glück bei mir bleiben muß, ob es will oder nicht.«

Und wirklich, das Glück stand dicht bei ihm, als er so im tiefen Atmen der kommenden Erfüllung zur Braut sprach. Aber er vernahm es nicht, als das Glück unhörbar leise noch einmal sagte: »Geduld, Geduld!«

Dann ging Sabine auf den Tisch zu und bat ihn, die Telegramme zu öffnen. Ihr Inhalt war fast ganz gleich. Drei Väter von Schülern der Anstalt baten, wegen der drohenden Kriegsgefahr ihre Söhne sofort nach Hause, nach Norddeutschland, abreisen zu lassen, da im Falle einer Mobilmachung die Heimreise wochenlang verzögert würde. Einer der Väter, ein sehr hoher Beamter der Reichshauptstadt, der sehr wohl unterrichtet sein konnte, schloß sein Telegramm mit den Worten: »Lage wenn auch nicht hoffnungslos, so doch sehr ernst.«

Emil reichte Sabine die Depesche hin. Sie las sie ganz ruhig. Nur eine rasche Blässe veränderte ihr Gesicht.

»Jetzt kommt unsere große Prüfung«, sagte sie und sah den Geliebten an. Bitterkeit wollte sich in ihnen beiden erheben wie ein Feind und würgte sie im gleichen Augenblick am Hals. Aber das Licht ihrer Augen versank ineinander und durchleuchtete und festigte ihre Herzen in einer wortlosen Einigung. So standen sie einander gegenüber, mitten im Glück erschüttert von einem drohenden Schicksal, und gaben sich stumm die Hände, wie um Hilfe beieinander zu finden.

Da unterbrach Emil, als wollte er eine Lähmung von sich schütteln, barsch die seltsame Stille ihrer inneren Gewißheit:

»Das sind ja alles vorerst nur Befürchtungen und Vermutungen, keine Gewißheit. Keine Regierung und kein Monarch kann die Verantwortung für den Krieg auf sich nehmen, den es jetzt gäbe. Solange nur Deutschland Frieden hält, ist auch der Weltfriede gesichert, und der Friedenswille der Regierung und des Kaisers sind ehrlich. Ich glaube nicht an den Krieg, Sabine. Komm, lassen wir uns nicht die Köpfe verdrehen!«

Sabine atmete über die kräftigen Worte auch wieder auf und wollte sich eben wegen ihres Kleinmuts schelten, als es an der Tür klopfte und Onkel von Arx mit den Worten hereintrat:

»Gute Nachrichten habe ich und böse Nachrichten. Es ist halt kein Glück so verdient, daß nicht der Tüfel hineinspucken dürfte.«

Er warf den Kalabreser auf den Tisch, setzte sich und berichtete von seiner Mission. Dann zog er einen Brief aus der Tasche für Sabine von ihrer Mutter. Sie öffnete rasch den Umschlag, und so kurz dem Lesen nach der Brief auch ausgefallen war, so gegen alle Erwartung günstig mußte sein Inhalt gewesen sein. Denn Sabinens Blässe verschwand während der Lektüre, und der scharfäugige Onkel konnte gut bemerken, wie einmal der Strom des Blutes unter der hellen Haut emporstieg.

»Gelt, Sabinlein, ich habe meine Sache nicht schlecht gemacht?« lobte er sich schmunzelnd, wurde aber gleich darauf wieder ernster, als er sagte, indem er sich an Emil wandte:

»Zunächst habe ich etwas nachzuholen. Ich biete dir, Herr Privatdozent Doktor Himmelheber, das Schmollis an.«

»Fiduzit!« antwortete Emil kurz und herzlich und umarmte den biedern Alten. Dann schüttelten sie sich die Hände und sagten zu gleicher Zeit zueinander: »Also Du!«

Dann fuhr der Onkel nach dem kurzen Intermezzo fort:

»Also Emil, du hast dich am Donnerstag bei Sabinens Eltern einzufinden und offiziell um ihre Hand zu bitten. Frack wird nicht verlangt. Ich würde aber an deiner Stelle angesichts der ernsten Zeitläufte gleich ganze Arbeit machen. In welchem Militärverhältnis befindest du dich eigentlich?«

»Vizefeldwebel der Reserve,« antwortete Emil, »höher hab' ich's nicht gebracht. Im Kriegsfall habe ich am vierten Tag der Mobilmachung mich in der Infanteriekaserne von Heitersberg zu stellen.«

Der Onkel sah eine Weile stumm vor sich auf den Boden, räusperte sich einmal bedeutungsvoll, ging auf die beiden zu und nahm ihnen die Hände wie Kindern.

»Ihr zwei lieben jungen Menschen,« sagte er mit fester Stimme, »euer nicht gerade in allen Dingen auf den Kopf gefallener Onkel und Gönner Urs von Arx empfiehlt euch, bevor ihr an die Eltern herantretet, es euch wohl zu überlegen, um was ihr sie in Wirklichkeit bitten wollt. Soviel ich weiß, gibt es in Kriegszeiten sogenannte Nottrauungen.«

Er griff nach dem Hut und schloß: »Ich als Mohr habe meine Schuldigkeit getan und muß nun gehen. Addio!«

Draußen war er.

Da läutete die Glocke zum Stundenanfang durchs Haus. Emil, für dessen besinnliche Natur die Dinge sich nun etwas rasch entwickelten, sagte mit einiger erzwungenen Kühlheit zu Sabine:

»Wir müssen nach Tisch doch einmal ernstlich über die Zukunft im Falle meiner plötzlichen Abberufung zur Armee reden!«

Sabine verbarg ihr heimliches Lächeln, ahmte seine Stimme nach und vollendete Emils Satz mit komischer Feierlichkeit, als ob sie zu sich selbst spräche: »Und in diesem Falle würde ich dich natürlich nicht an mich fesseln!«

Dann sprang sie mit lautem Lachen Emil an den Hals und rief:

»Was bist du doch für ein großer Junge, Emil, bei all deiner Gelehrtheit!«

Sie küßte ihn heftig und lief schnell weg, bevor er sehen konnte, wie ihr die Tränen aus den Augen stürzten. Emil aber stand stumm und allein im Zimmer und blinzelte gedankenlos die nächste Wand an wie einer, der ein Glück zusammenstürzen sieht und sich nur langsam an die Wirklichkeit gewöhnen will. Dann nahm er seine Bücher und ging in die Klasse zum Unterricht. Aber es war keine Möglichkeit, Schule zu halten. Zu den drei Telegrammen kamen bald noch vier andere mit dem gleichen Wunsch um dringende Abreise einiger Schüler nach Deutschland. In der ersten Pause gab es auf dem Hof eine gewaltige Prügelei zwischen einem Deutschen und dem einzigen Russen der Anstalt, der große Reden über die Schläge gehalten hatte, welche die Deutschen bekommen würden. Schon um Mittag kam der Direktor Imhoff anstatt mit dem Schiff in einem Auto an und brachte viele Hiobsposten. Die Schatten von einem Ungeheuern, das sich in der Welt vollzog, legten sich über das stille Land am See und über das Haus der frischen Knaben. Nach dem Mittagessen las Imhoff Abschnitte aus den mitgebrachten Zeitungen vor und schilderte seinen Zöglingen, wie in den Straßen der europäischen Großstädte die Menschen sich drängten und stumm ihr Schicksal erwarteten aus der Hand unsichtbarer Mächte, die hinter den schweren Vorhängen der Gesandtschaftspaläste durch den Draht miteinander verhandelten.

Der Tag und der folgende vergingen in der Unordnung, die die überstürzte Abreise der deutschen Schüler ins Haus brachte. Es gab soviel Unerwartetes in aller Eile zu tun, daß Sabine und Emil keine Minute zum Alleinsein fanden. Am vierten Abend der verhängnisvollen Woche brachte Imhoff die Nachricht aus dem Dorf, am Rathaus sei ein Extrablatt angeschlagen, daß in Deutschland die Erklärung des Kriegszustandes kurz bevorstände. Immer höher türmten sich am Horizont von Europa die bleigrauen Sturmwolken auf. Emil radelte täglich nach der Stadt, um sich in großen Zeitungen über die Entwicklung der Dinge zu unterrichten. Die Wogen der Politik hatten bisher nur selten in das stille Reich seiner Arbeit geschlagen, aber jetzt wurde ihm eines rasch klar: es ging wirklich um Deutschland, um die deutsche Erde und um den deutschen Geist! Und was er immer tief und fast schamhaft verborgen in sich getragen, wenn die anderen laut davon sprachen, die Liebe zum Vaterland, die stand jetzt in ihm auf wie ein geharnischter Erzengel.

Am letzten Abend seines Aufenthalts im Landerziehungsheim saß er mit Sabine in der Laube auf der äußersten Spitze der Landzunge. Die sinkende Sonne zitterte rot in den kurzen Wellen.

»Ich zweifle nicht mehr, daß uns die nächsten Tage die Mobilmachung bringen,« sagte Emil, »und da müssen wir doch wissen, was aus uns werden soll.«

»Was dieser Krieg von uns und unserem Glücke will, du Lieber,« erwiderte Sabine, »das weiß ich nicht; ich weiß nur, daß, wenn er kommt, ich deine Frau heißen will, ehe du gehst!«

Er atmete auf im Glück und küßte der Braut die Hände, den Mund und die Augen. Er hatte das Wort von Sabine zwar leise erhofft, aber er durfte es nicht erwarten und nicht wecken.

» Heißen!« wiederholte er dann bestätigend mit verstehendem Glück.

Sabine nickte, ohne ihn anzusehen.

»Und dann, wenn ich wiederkomme?«

»Dann sein

Und Sabine sah fest zu ihm auf, lehnte sich eng an ihn, und sie erschauerten beide. So standen sie, und die untergehende Sonne goß ihren Glor über ihre verschlungenen Gestalten aus.

»Du kennst das Buch Tobias, Sabine?«

Sie nickte leise, und sie erschauerten von neuem.

»Wir fahren morgen zusammen zu deinen Eltern nach Rheineck.«

»Ja, zusammen,« sagte sie.

Dann gingen sie miteinander aus der Laube durch den Garten wieder ins Haus zurück.


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