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XXIX.
Vorbereitungen

Für Emil kamen nun Tage voller Wunder. Er trug das Flügelspannen seiner Seele mit verhaltenem Glück in sich und je dankbarer er zu Sabinen, wie zu einer königlichen Geberin aufsah, desto mehr fühlte sie ihren heimlichen Reichtum durch den Geliebten wachsen. Im Grunde war alles an der Liebe zwischen den beiden glücklichen Menschen so einfach. Bis dahin war Emil der kühl Umworbene und Gesuchte gewesen und jetzt warb und liebte er selbst.

Emil lernte im Landerziehungsheim immer mehr das eine Große, mit den Schülern vertraut zu sein, und sie zu gleicher Zeit das Gewicht seiner männlichen Reife so empfinden zu lassen, daß sie unter dem Druck dieser milden Wucht sich wohl fühlten. Segensreich zu wirken im hohen Sinne des Wortes, ja die Schüler geradezu segnen zu können, ohne irgendeine äußerliche Aufdringlichkeit oder Zeremonie, das schien immer mehr die Krone des Unterrichtes zu sein. Und diese Krone ward ihm heimlich gegeben durch Sabinens ungeteilte Liebe zu ihm.

Bei alledem konnte Emil nicht verhindern, daß gewisse störende Empfindungen über die Anstalt, an der er wirkte, Fuß in ihm faßten. Dieses halbe Hundert Knaben und werdende Jünglinge krankte bei all seiner Gesundheit und körperlichen Tüchtigkeit, die es der einfachen Kost, dem herzhaften Leben in Feld und Wald und dem klugen Unterricht verdankte, doch an etwas Besonderem. So nahe sie der reinen fruchtbaren Natur, lebten sie im Grunde doch isoliert und einsam. Das Empfinden für die ganze Welt, die Teilnahme am Leben des ganzen Volkes mit seinem belebenden, unterdrückenden, anspornenden und lähmenden Unterschieden von arm und reich, hoch und niedrig, das mußte ihnen künstlich beigebracht werden. Deshalb machten sie gelegentlich Ausflüge in große Städte und wichtige Industriegegenden und genossen so das werktätige Leben der Arbeiter in Fabriksälen, Bergwerken und Steinbrüchen als Vorübergehende aus einer angenehmen Distanz, auch nur als eine Art Anschauungsunterricht. Dafür wurde ihnen das Erleben des Stückes Welt, auf dem sie geboren waren, durch Berührung mit allen Kindern des Volkes genommen, und es blieb ihnen versagt, schon in frühester Jugend sich als Kinder einer Nation und als wachsende Glieder eines Volkes zu fühlen.

Aber all dies Unzulängliche, das in der ganzen Art der Landerziehungsheime begründet lag, verschwand jetzt vor den Vorbereitungen zum Festzug. An einem Tag, wo Doktor Imhoff gerade den erkrankten Lehrer besuchte, kam Onkel Arx vom Kloster über den See gefahren und konnte alle die Rollen, Mappen, Zeichnungen und Stoffmuster kaum schleppen, und nun begann an den Nachmittagen ein Schneidern, Malen, Drechseln und Schreinern, Versilbern und Vergolden, daß man später bekannte, daß das Anprobieren und Einstudieren fast so schön als der Zug selbst gewesen wäre. Die größte Schwierigkeit bereitete die Frage der im Zug nicht gering vorgesehenen Frauengestalten. Wo es einigermaßen ging, wurden die Knaben in Nymphen und Winzerinnen verwandelt. Aber der alte, seit Jahrzehnten bekannte Professor veranstaltete eine wahre Razzia auf Weibervolk, wie er das nannte, und es gelang ihm auch, die besseren Ehrendamen und Göttinnen mit Gefolge aufzutreiben.

Sabine lebte in all dem Trubel immer in der Stunde, die es gerade schlug, genoß die schönen Augenblicke so, wie sie kamen, und hatte sie, kaum waren sie vorbei, auch schon wieder vergessen. Auf leisen Sohlen ging sie still und froh durch die Gänge und Stuben, über Treppen und Speicher und wurde als der gute Geist des Hauses immer überall und nirgends gesehen.

Sie hatte sich mit Emil verabredet, ihren Vetter von ihrer heimlichen Verlobung erst nach dem Fest zu unterrichten, und hatte nun alle Mühe, das gleiche dem redefreudigen Onkel Arx einzuschärfen. Der kam nun öfters einmal herüber, um nach dem Stand der Vorbereitungen zu sehen, und an einem solchen Tag war er auch einmal unvermutet bei Emil in dessen Turmzimmer erschienen. Mit größerem Ernst als sonst setzte er den Zweck seines Kommens folgendermaßen auseinander:

»Herr Doktor, ich weiß nicht, ob Ihr ganz klar darüber seid, daß Ihr Sabinens Onkel vor Euch stehen habt?«

Emil wußte nicht, wo der alte Kauz hinaus wollte.

»Und den Bruder von Sabinens Mutter!« setzte der Professor mit komischem Ernst hinzu.

Emil wartete immer noch, was nun kommen werde.

»Ich weiß nicht, ob Ihr, Herr Privatdozent Himmelheber, je die Ehre hattet, mit meiner Frau Schwester näher, ich meine näher, bekannt zu werden.«

Emil schwieg und dachte leise erschauernd an den kurzen Besuch im Rheinecker Pfarrhaus.

»Aber dann will ich Euch folgendes eröffnen, lieber Doktor. Ich mag Euch gut leiden, wenn auch meine Späße manchmal etwas derb ausfallen mögen. Aber ... das erachte ich einmal als Vorrecht meines Alters und Temperaments. Der Teufel hole alle Seifensieder.«

Emil konnte sich diesem Wunsche nur aus vollem Herzen anschließen. Onkel Arx fuhr in seiner Rede fort:

»Um auf den besagten Hammel zu kommen, will ich Ihnen, lieber Doktor Himmelheber, die Eröffnung machen, daß für Sabine im Falle ihrer ehelichen Vereinigung, an welchem Plan ich ernstlich festzuhalten mir ausbitte, ein oheimliches Legat frei wird, das sich jetzt mit Zinsen und Zinseszinsen beläuft auf die Summe Dreiundzwanzigtausendsiebenhundertachtundfünfzig Fränklein plus dreiunddreißig Rappen. Sie wird des ferneren eine nicht unansehnliche Aussteuer mitbekommen, und wenn es Euch, Herr Doktor, nicht uneben kommt, so würde es mir eine Ehre sein, bei der Auswahl eines ehrlich gebauten, menschen- und preiswürdigen, von der zahmen Verrücktheit des sogenannten modernen Stils unbeleckten Mobiliars als künstlerischer Beirat beigezogen zu werden.«

»Gut, also das trifft sich ausgezeichnet,« sagte der Professor, »daß ich Sabinlein ein Legat aussetzte, als es die Kühnheit besaß, erst nach sechs geldfressenden Buben die Welt zu betreten. Aber nun noch das Wichtigste, Doktorsmensch! Meine Schwester ist eine ausgezeichnete Hausfrau und nicht umsonst aus dem Geschlecht derer von Arx. Aber sie hat Eigenheiten, eh, der Tüfel, bedeutende Eigenheiten! Sie gibt immer nur nach vor dem fait accompli! Und derohalb halte ich es für strategisch richtig, Ihr beiden Jungen verlobt Euch zuerst niet- und nagelfest und ich übernehme das Amt, ihr die Nachricht zu überbringen. Ich bin der einzige Mensch der Welt, der Frau Wilhelmine Feuerstein geborene von Arx um den Finger wickeln kann. Dixi!«

Emil schüttelte dem treuen Alten die Hand.

»Halt, noch eins,« rief der Onkel Arx. »Ihr wollt wieder nach Deutschland, Herr Magister?«

Emil bejahte. Er war gefaßt auf starken Widerspruch, aber sah zu seinem angenehmen Erstaunen, daß er sich hierin geirrt hatte.

»Bravo! Doktorsmensch! Bravissimo, so ist's recht! Am Platz bleiben, sich dort schlagen und aushalten, das sind Männergrundsätze!« schrie der Professor, fuchtelte vergnügt mit den Händen in der Luft herum und fügte dann etwas leiser und vertrauter hinzu: »Unter uns gesagt, war es mir ja nur darum zu tun, daß Sabine und Ihr bleibt, bis ihr beide einig waret. Das ist ja mit einer überraschenden Schnelligkeit geschehen. Der Fritz, mein Neffe, ist ja ein netter Kerl, – alle Achtung! – aber er ist ein Junggeselle, und da sage ich: Junggesellen sind nur halbe Menschen. So ganz in aller brüderlichen Liebe hätte er das Prachtmädchen zur alten Jungfer und Institutsvorsteherin werden lassen aus purem Junggesellenegoismus. Der Teufel – Na, Schluß! Er ist sonst ein famoser Kerl, und ich wünsche ihm alles Gute. Im übrigen erlaubt Ihr wohl, mein lieber Schwiegerdoktor, daß ich über diesen Punkt selber mit Fritz spreche. Nicht als ob ich Eure Courage bezweifelte, aber ich weiß den alten Knaben besser zu fassen, und wozu Streit, wenn 's Glück im Haus ist! Die Hauptsache ist jetzt, daß es keinen Krieg gibt und daß der Herr Dozent anstatt in den Ehestand in den Wehrstand treten muß. Die Zeitungen berichten wieder allerhand.«

»Wer will denn heutzutag im Ernst noch Krieg?« antwortete Emil.

»Herr Idealiste, es gibt der hochgestellten Kanaillen mehr in der Welt, als Eure Schulweisheit sich träumen läßt!«

»Ich lasse mir meinen Glauben an die Vernunft der Menschheit nicht erschüttern, Onkel Arx!«

»Wir wollen 's Beste hoffen! A rivederci!«

Damit verabschiedete sich der Alte.

Die Abende am See wurden wieder kürzer und die Morgen nebliger, und als zwischen Frühlicht und Dunkel das Gestirn der Fruchtbarkeit immer glühender am wolkenlosen Himmel hinzog, reifte das Frühobst an den Bäumen des Landerziehungsheims so rasch, daß man nicht genug Stangen zum Stützen fand. Die Vorbereitungen zum Festzug schritten rasch voran, und in der Woche vor dem vierten Julisonntag schrieb Emil seiner Mutter einen Brief, welcher die Veranlassung zu einer aufsehenerregenden Mitteilung der Frau Salomea Himmelheber an ihre Kunden wurde.


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