Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Seitdem Hanna nicht mehr in die Schule ging, schien es, als wäre die Einigkeit zwischen ihr und Donia ein wenig gestört.

Vielleicht hatte Max schuld, der behauptet hatte, Donia hätte am Konfirmationstage viel hübscher ausgesehen als Hanna.

»Das weiß ich,« hatte Hanna gesagt, aber es schien ein Stachel in ihrem Herzen zurückgeblieben zu sein. Dazu kam, daß Frau Köpke jetzt häufiger mit ihr schelten mußte, denn Hanna war nicht die Anstelligste in der Wirtschaft, und Frau Köpke war sehr eigen.

»Mit mir schiltst du immer,« sagte Hanna, »aber die süße Donia –?«

Frau Köpke war starr, war böse, war bekümmert. »Das ist ja wohl die reine Eifersucht,« sagte sie. »Hanna, Kind. Du bleibst doch immer meine Tochter. Meinst du am Ende, deine Mutter hätte dich nicht ebenso lieb?«

»Ja, ebenso,« sagte Hanna empfindlich.

»Nein, Hanna, so was darfst du nicht sagen. Das glaubst du deiner Mutter ja wohl noch, daß sie dich am liebsten hat?« Und Frau Köpke nahm Hanna in ihre Arme, was sie sonst nie tat.

»Sieh, Kind, du mußt nicht vergessen, daß Donia keine Mutter mehr hat,« sagte sie.

»Doch hat sie ja noch ihren Vater,« meinte Hanna.

»Ja, den hat sie wohl, aber was für einen? Möchtest du auch lieber solchen Vater haben?«

»Egitt,« sagte Hanna.

»Pfui, Hanna; das mußt du nicht sagen. Er ist doch immer ihr Vater. Und dann –, was hat der Mann alles durchgemacht. Und in seiner Art hat er Donia doch auch sehr lieb. Das hab ich so recht gemerkt, als Donia krank war. Nein, Hanna! Egitt darfst du nicht zu ihm sagen. Wenn Donia das hörte!«

»Ich sage es ja auch gar nicht zu ihm,« entschuldigte sich Hanna. »Ich meine ja nur. Und furchtbar gern magst du ihn doch auch nicht leiden.«

»Nein, furchtbar gern mag ich ihn auch nicht leiden. Aber das ist ja auch nicht nötig. Sieh mal, was seine Frau war, als die so auf dem Krankenbett lag, und ihr der Tod so aus den Augen sah – das hab ich nie vergessen können. Und sie war doch meine Schulfreundin. Und da hab ich mir gesagt, für ihre kleine Tochter willst du sorgen, darum hat dich der liebe Gott ja wohl zu ihr geführt. Es war ja der reine Zufall. Ich hatte ja keine blasse Ahnung davon.«

»Ja, aber Herrn Purtaller hast du doch nur durch die Annonce bekommen?« sagte Hanna. Frau Köpke war etwas verblüfft durch diesen Einwand.

»Das hab ich,« sagte sie. »Aber das ist eine Sache für sich. Und wer weiß, ob der liebe Gott das nicht auch gewollt hat.«

Hanna sagte nichts mehr, aber sie dachte: Alles soll immer der liebe Gott getan haben!

Ein wenig beruhigt war sie seitdem darüber, daß die Mutter Donia nicht lieber hatte als sie. Auch bemühte Frau Köpke sich, kleine Eifersüchteleien nicht mehr aufkommen zu lassen, ohne daß Donia ein verändertes Betragen merkte.

Ach, Donia lebte überhaupt seit einiger Zeit wie in einem Traum und zeigte wenig Aufmerksamkeit für Dinge, die sie nichts angingen.

»Du gehst ja wohl noch ganz in deiner Musik auf,« sagte Frau Köpke. »Treib es nur nicht zu arg.«

»Ich muß doch vorwärts kommen, Mutter,« sagte Donia.

»Das mußt du wohl. Aber Herr Peters ist auch so zufrieden mit dir. Der Mann strahlt ja förmlich, wenn er von dir spricht.«

»Und Donia erst!« rief Hanna dazwischen.

Donia wurde ganz rot.

»Ich strahle doch nicht,« sagte sie.

»Nein, nein,« rief Hanna ironisch.

»Was du nur hast, Hanna,« erwiderte Donia gekränkt. »Daß ich Herrn Peters gern leiden mag, leugne ich gar nicht. So viel wie ich bei ihm lerne. Ich bin eigentlich jetzt erst musikalisch geworden. Viel mehr wie bei Herrn Mellini.«

»Was man mit Liebe betreibt,« warf Hanna hin.

»Ich verbitte mir das!« fuhr Donia heftig auf, erschrak selbst, wurde rot und lief hinaus.

»Du mußt sie nicht immer necken,« sagte Frau Köpke. »Du hast doch auch für Herrn Peters geschwärmt.«

»Ich? für den?«

Hanna wollte sich ausschütten vor Lachen.

»Laß dein dummes Lachen sein,« schalt Frau Köpke. »So'n Görenkram mag ich nicht leiden.« –

Donia war empört auf ihr Zimmer gelaufen. Diese Hanna! Was fiel ihr nur ein?

Sie war sich nicht bewußt, »gestrahlt« zu haben. Und sie nahm sich vor, nie, auch nicht im geringsten zu strahlen, wenn von Herrn Peters die Rede wäre. Und sie selbst würde sich hüten, je in Hannas Gegenwart wieder von Herrn Peters zu sprechen.

Und Donia achtete strenge auf sich.

Selbst Herrn Peters gegenüber war sie anders als sonst, war gemessen, fast abweisend.

Wenn Herr Peters sie dann verwundert ansah und ebenso zurückhaltend war, dachte sie: Ach, heute habe ich ihn gewiß gekränkt. Und er tat ihr leid.

Manchmal ärgerte sie sich auch, daß er sich so von ihrem Wesen beeinflussen ließ, und auch einsilbig wurde, wenn sie es war. Aber wenn sie sich dann vornahm, in der nächsten Stunde wieder freundlicher zu sein, wurde es ihr im gegebenen Augenblick doch schwer und wurde ihr immer schwerer. Hassen könnte sie Hanna, die mit ihrem dummen Gerede an allem schuld war. Das ganze schöne Verhältnis zu Herrn Peters war gestört. Die letzte Stunde war geradezu fürchterlich gewesen.

Herr Peters hatte überhaupt nichts mehr gesagt, einerlei wie sie spielte; er hatte nur stumm dagesessen und sie angestarrt.

Donia war ganz unglücklich, und ihr graute ordentlich vor dem nächsten Besuch des Herrn Peters.

Trotzdem trieb es sie schon eine Viertelstunde früher ans Klavier, als er nun kommen sollte, als ob sie die Zeit nicht erwarten könnte. Und als er dann eintrat, wurde ihr heiß und kalt, und das Blut stieg ihr stoßweise ins Gesicht. Gott sei Dank war Herr Peters wenigstens nicht so steif und stuhr wie das letztemal. Er war im Gegenteil von einer merkwürdigen Unruhe. Sagen tat er nicht viel, aber er rückte auf seinem Stuhl, stand auf, setzte sich wieder, und sie wollte ihn schon fragen, ob er nicht bequem sitze, ob er vielleicht einen andern Stuhl wünsche. Aber da fagte Herr Peters selbst:

»So geht es nicht weiter. Ich muß ein Ende machen.«

Donia erschrak, hielt unwillkürlich auf zu spielen, wagte aber nicht ihn anzusehen.

»Fräulein Purtaller,« fuhr Herr Peters fort. »Es ist Ihnen gewiß schon sonderbar vorgekommen. Ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig. Ich habe es schon lange auf dem Herzen. Aber es wollte sich immer nicht der passende Augenblick finden.«

Donia sah noch immer grade aus auf die Noten, und das Herz schlug ihr bis in den Hals.

Und jetzt tastete Herr Peters nach ihrer Hand, und obgleich sie einen schwachen Versuch wagte, sie zurückzuziehen, bekam er sie doch zu fassen und behielt sie während der folgenden Worte, so daß sie ganz deutlich fühlen konnte, wie er zitterte.

»Fräulein Donia,« fügte er leise und fast bittend, »wollen Sie meine Frau werden?« – – –

Eine Viertelstunde später »strahlte« Donia wieder.


 << zurück weiter >>