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Vierzehntes Kapitel

Du wirst erreichen, Donchen, was dein Vater vergeblich erstrebte, und was deine arme Mutter nicht erreichen durfte,« sagte Herr Purtaller. »Du wirst ein Stern am Himmel der Kunst werden.«

Er spornte sie an, fleißig zu üben, obgleich das bei ihrem Eifer durchaus unnötig war. War sie einmal erkältet, oder glaubte er, daß sie es sei, so brachte er ihr Malzzucker oder Hustenpastillen mit, und knappte sich das Geld dafür von seinem mageren Verdienst ab.

Sagte sie: »Aber ich bin ja gar nicht erkältet,« so versicherte er dringend: »Doch, doch, du bist erkältet! Ich höre es ja. Ich habe ein Ohr. Deine Stimme klingt rauh.«

Er war rührend in seiner Sorge um Donias Stimme. Daneben wiegte er sich beständig in den glänzendsten Träumen, und nach jedem Fortschritt Donias und nach jedem Lob, das sie von ihrem Lehrer mit heimbrachte, trank er ein Glas auf Donias Wohl und eins auf ihre Zukunft. Und zwischen beiden Gläsern hielt er wortreiche Reden über den Schatz, den ihm der Himmel in Gestalt einer genialen Tochter geschenkt habe. »Anvertraut habe,« sagte er.

»Ich bin dem Himmel schuldig, über sie zu wachen. Ich lebe nur noch meiner Tochter.«

Darüber wurde er freilich lässig in der Erfüllung seiner andern Pflichten. Es gab Stunden, wo er eigentlich nur mit seinem Schüler zusammen Fliegen fing und die Laubfrösche fütterte. Herr Purtaller hatte eine bewundernswerte Gewandtheit im Fliegenfangen. Wo Max täppisch zufuhr, wußte er mit der spielerischen Leichtigkeit eines sammetpfötigen Kätzchens das geflügelte Wild zu erhaschen.

Anderswo, wo man keine Laubfrösche hatte, ließ Herr Purtaller sich auf andere Weise gehen, und eines Tages verlor er zwei Schüler auf einmal.

Der leidende Teil bei solchen Ereignissen war aber immer Donia. Die Kasse wurde immer schmäler und ihre Wangen auch. Sie wurde schwach und wurde schwächer infolge der großen Enthaltsamkeit, zu der Herr Purtaller sie nötigte, und eines Tages bekam sie während ihrer Übungsstunde bei Frau Köpke einen Ohnmachtsanfall.

Frau Köpke hatte schon lange mit Sorge beobachtet, wie schmal und blaß Donias Gesicht war, und hatte sie ermahnt, sich doch nicht zu überanstrengen. Auch jetzt glaubte sie anfangs, daß dieses die Ursache von Donias Anfall sei.

»Du strengst dich zu sehr an, liebes Kind, und pflegst dich wahrscheinlich nicht genug,« sagte sie. »Ißt du jeden Morgen ein Ei? Du solltest es tun. Und recht viel Milch trinken.«

Aber Donias verlegenes Lächeln brachte sie schnell auf den rechten Gedanken. Und sie hätte nicht Frau Köpke sein müssen, wenn sie nicht bald durch allerlei Fragen dahinter gekommen wäre, wie schmählich Herr Purtaller seine Nachtigall hungern ließ.

Herr Purtaller hatte sich vor Frau Köpke zu verantworten. Er stellte sich anfangs gekränkt. Mit einem Sturm der Entrüstung wies er die Vermutung zurück, er könnte sein Kind nicht väterlich betreuen.

»Könnte sie einen besseren Vater haben, als mich? Sagen Sie selbst. Für wen mühe ich mich von morgens bis abends? Doch nicht für mich? Ich bin ein alter Mann.«

Aber allmählich wurde das Tempo seiner Rede weniger stürmisch, der Ton klagender, und der Schluß war ein tränenreicher Erguß über seine jammervolle Lage, die ihn zwang, sein Kind, dieses Kind, das Kind mit der herrlichen Begabung hungern zu lassen.

»Buchstäblich hungern zu lassen!« rief er mit schmerzvoller Empörung. »Schon lange hatte ich die Absicht, aber wie sollte, konnte ich es übers Herz bringen – Ihre in Anspruch genommene Güte – beurteilen Sie mich nicht falsch – ein verzweifeltes Vaterherz redet zu Ihnen – mit einem ganz geringen Vorschuß – – Sie wissen, die Krankheit meiner lieben Frau – Donias Erziehung – –«

Frau Köpke sah Herrn Purtaller strenge an. Er fühlte, daß er sich verredet hatte; seine Frau war doch schon etwas lange tot, und für Donias Erziehung trug jetzt Frau Köpke einen Teil der Kosten. Er versuchte einzulenken, kam aber unter Frau Köpkes vorwurfsvollem Blick nicht damit zurecht.

Und jetzt fing Frau Köpke an zu sprechen. Sie sprach von seiner Lebensführung, die sie nicht billigen könne; sie sprach von ihrer Gutmütigkeit, die ihm so manches nachgesehen; sie sprach von der merkwürdigen englischen Stunde, die er Hanna gegeben, und sie sprach sogar von Herrn Purtallers Geschick, Fliegen zu fangen.

Herr Purtaller glaubte die Verpflichtung zu haben, außer sich zu geraten. Er versuchte es wenigstens.

»Da muß ich doch bitten!« rief er. »Fliegen fangen? Ich muß meiner ganzen Verwunderung Ausdruck geben. Sollte Max mich –«

»Max hat mir gestern von diesem albernen Treiben erzählt!«

»Das ist aber arg!« rief Herr Purtaller empört und rang mit gutgespielter Fassungslosigkeit die Hände. »Gewiß habe ich Fliegen gefangen. Zwei, vielleicht waren es drei. Aber – aus reiner Liebe zu Max, und aus Mitleid mit den armen hungrigen Tieren. Und das – das wird mir nun vorgeworfen!«

Herr Purtaller schwieg. Die unerhörte Beschuldigung machte ihn rat- und hilflos. Er sah Frau Köpke mit dem tiefgekränkten Blick eines Ehrenmannes an. Aber Frau Köpke hatte heute eine fühllose Seele.

»Es ist mir peinlich, Ihnen das alles sagen zu müssen, lieber Herr Purtaller,« sagte sie. »Wäre es nicht Donias wegen, ich habe sie liebgewonnen –«

»Wer hat sie nicht lieb!« beeilte sich Herr Purtaller einfließen zu lassen.

»Donia darf nicht bei Ihnen –« verkommen, wollte Frau Köpke sagen, begriff sich aber noch und fuhr fort: »Dem armen Kind fehlt die Mutter, und Sie sind durch Ihren Beruf zu sehr in Anspruch genommen.«

Frau Köpke sagte das so, daß Herr Purtaller unwillkürlich errötete.

»Ich will sehen, was wir für Donia tun können,« fuhr Frau Köpke weiter fort. »Sie bedarf der Pflege, eines geordneten Lebens. So geht sie zugrunde.«

Herr Purtaller zuckte zusammen.

»Meine arme Donia! Meine arme Donia!« jammerte er. Aber Frau Köpke hörte nicht auf ihn und bereitete der Unterhaltung ein Ende. –

Herr Purtaller war aufs tiefste empört. Diese Behandlung! So sein Vaterherz zu mißhandeln! Und diese alberne Geschichte mit dem Fliegenfangen. Empörend! Einfach empörend!

Wenn er doch nur ein paar Pfennige bei sich hätte. Er fühlte entschieden das Bedürfnis, ein Glas Wein zu trinken. Das würde ihn beruhigen, den Sturm seiner Gefühle besänftigen, seine Gedanken klären. Aber keinen Pfennig hatte er im Portemonnaie. Wie hatte er sich in Frau Köpke getäuscht. In dieser Lage seine Bitte um Vorschuß einfach abzuschlagen, das war mehr als hartherzig.

Und plötzlich kam ihm eine Idee, eine wirklich sehr gute Idee.

Wenn er zu Herrn Peters ginge und ihn um einen kleinen Vorschuß bäte! Herr Peters nimmt gewiß Anteil an Donia, sagte sich Herr Purtaller. Herr Peters kennt mich, wir unterrichten in demselben Hause. Er wird begreifen, daß ich Frau Köpke nicht um Vorschuß bitten möchte in dieser Stimmung, nicht darum bitten konnte aus Gründen des Feingefühls. Herr Peters –

Herr Purtaller dachte nichts weiter mehr, als Herr Peters, Herr Peters. Und wie unter einem inneren Zwange nahm er den Weg in die Kirchgasse.

Herr Peters, ein Darlehn, ein Glas Wein.

Ein Glas Wein, ein Darlehn, Herr Peters.

Wie ein Rad ging diese Vorstellung in seinem Kopfe herum. Eine Mark würde genügen. Wenn Herr Peters ihm nur eine Mark gäbe. Wie sollte er es abschlagen. So eine lumpige Summe. Lächerlich.

Und dann kam Herrn Purtaller die geringfügige Summe selbst lächerlich vor, ja geradezu unmöglich. Wie konnte er Herrn Peters um eine Mark ansprechen! Er müßte mindestens drei Mark fordern. Sonst sah es wie eine Bettelei aus. Bewahre, er war kein Bettler.

Als Herr Purtaller bei Herrn Peters schellte, war er fest entschlossen, Herrn Peters um zehn Mark zu bitten, zurückzahlbar am Ersten des nächsten Monats. So erschien es ihm würdig, einzig anständig.

Herr Peters empfing ihn mit fröhlichem Erstaunen: »Ah, Sie auch, Herr Purtaller?« rief er und nötigte ihn ins Zimmer.

»Papa!« rief Donia verwundert und erhob sich von dem Stuhl, der neben Herrn Peters' Schreibtisch stand.

Herr Purtaller machte ein dummes Gesicht, ein sehr dummes Gesicht.

»Ihre Tochter war so liebenswürdig, mir einen Brief von Herrn Mellini zu bringen! Womit kann ich Ihnen dienen, Herr Purtaller?« fragte er.

»Sehr liebenswürdig, sehr liebenswürdig,« stotterte Herr Purtaller. »Danke, dann will ich mich gar nicht erst lange hinsetzen. Ich wollte – ich möchte – dürfte ich vielleicht meine Tochter abholen?«

»So, so. Sie wußten also?«

»Woher weißt du, daß ich hier bin?« fragte Donia.

»Ich vermutete es, das heißt, ich dachte es mir,« stammelte Herr Purtaller. »Ich sah dich nämlich zu Herrn Peters hineingehen.«

»Das ist ja ein drolliger Zufall,« sagte Herr Peters. »Nun, ich danke Ihnen vielmals, Fräulein Purtaller, ich werde Herrn Mellini gleich antworten.«

Und sich zu Herrn Purtaller wendend, setzte er hinzu:

»Ihre Tochter sieht nicht gut aus. Nur ja nicht überanstrengen. Sie müssen sie mal ordentlich pflegen.«

Donia wurde rot, als Herr Peters dieses Thema anschlug.

»Ich fühle mich aber sehr wohl,« behauptete sie tapfer.

»Ja, ja, aber Herr Peters hat doch wohl recht,« sagte Herr Purtaller. »Schone dich nur. Schonen, schonen, das ist es ja, was ich immer sage.« –

Herr Purtaller hatte nicht gedacht, so schnell wieder draußen zu sein. Er war sehr verstimmt und war ärgerlich auf Donia. Was hatte sie grade in dieser Stunde bei Herrn Peters zu suchen? War das mit dem Brief von Herrn Mellini nicht vielleicht nur ein Vorwand?

»Das kommt mir doch sonderbar vor,« sagte er.

»Schämst du dich nicht, Papa? Hab ich dich je belogen?« fragte Donia.

Da schämte Herr Purtaller sich.

»Nun, nun, ich scherze ja nur,« sagte er kleinlaut.


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