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Sechzehntes Kapitel

Frau Köpkes Absicht war, daß Donia mit Hanna das Zimmer teilen sollte, aber Hanna erklärte, das wäre schrecklich, wäre einfach scheußlich. Sie brummte und maulte. Wenn Frau Köpke zuletzt nachgab und erklärte, Donia sollte doch lieber ein Zimmer für sich haben, so waren es andere Erwägungen, die sie leiteten. Sie kannte ja Donia noch viel zu wenig. Vielleicht war sie unordentlich und hatte einen schlechten Einfluß auf Hanna. Aber wenn sie auch ordentlich und sauber wäre, so hätte sie doch jedenfalls viel weniger und geringere Garderobe, und wenn sie immer die schönen Kleider und Wäsche an Hanna sähe, würde sie vielleicht neidisch und unzufrieden. Und dann die Hauptsache – ob sie ganz gesund sei?

Frau Köpke machte sich allerlei Gedanken, auf die sie vorher nicht gekommen war. Nun, es würde ja wohl alles gut gehen. Wenn die beiden Mädchen sich nur vertragen würden. Vielleicht hatte Hanna doch recht. So in einem Zimmer zusammen, das gibt immer am ersten Anlaß zum Zank.

So wurde denn ein kleines Zimmer neben Hannas Stube, das bisher als Schrankzimmer gedient hatte, für Donia hergerichtet. Die Schränke fanden Platz auf dem Korridor, wo es freilich ein bißchen dunkel war, aber wo sie doch auch wieder mehr zur Hand standen.

Das Zimmer war nur schmal, mit einem Fenster, aber es war ziemlich lang und bot Raum genug, und das Fenster ging überdies, wie dasjenige Hannas, nach hinten hinaus; jedes Haus in der Straße hatte einen kleinen Hintergarten, und alle diese Gärten sahen sehr lustig und freundlich aus.

Donia war entzückt über das reizende Zimmer und war sehr dankbar. So schön hatte sie noch nie gewohnt. Frau Köpke hatte manches neu angeschafft, unter andern die kleinen weißen Gardinen vor den Fenstern, die mit einem blauen Band zusammengehalten wurden. Der Kleiderschrank war so geräumig, daß Donias wenige Kleider fast darin verschwanden. Auf dem Waschtisch lag ein neues Stück Seife, das einen milden Maiglöckchengeruch in dem kleinen Zimmer verbreitete. Über dem Bett hing ein alter Stich in braunem Rahmen, der stellte Napoleon auf der Brücke von Lodi vor. Das war nun kein geeignetes Bild für das Zimmer eines jungen Mädchens, aber in Frau Köpkes Augen war ein Bild ein Bild, und war es die Hauptsache, daß die Wand nicht so kahl aussah. Donia betrachtete das Bild sehr genau und verliebte sich ordentlich ein wenig in den jungen Napoleon, der da so kühn im Pulverdampf den Degen schwang und seine Soldaten zum Sturm über die Brücke aufrief.

Noch besser gefiel ihr der Blick aus dem Fenster: O wie schön! so ins Grüne sehen zu können! Ja, das war freilich schöner als ihre Dächer und Schornsteine. –

Herr Purtaller hatte Donia selbst bis ans Haus gebracht. Ach, wie hatte ihr das Herz geklopft, als sie nun die Klingel gezogen hatte. Aber Hanna war ihr sehr freundlich entgegengekommen und hatte sie mit einem: »Bist du da?« begrüßt. Frau Köpke hatte sie mütterlich umarmt und gleich in ihr Zimmer geführt, wo sie ihren Schloßkorb schon vorfand. Jetzt saß man um den Frühstückstisch, und Donia wagte kaum zuzulangen und ließ sich nötigen. Da war ein Ei für jeden, da war ein bißchen kaltes Fleisch und zweierlei Käse – kurz, es war nach Donias Begriffen eine üppige Frühstückstafel. Ob es immer so sein würde? Doch am Mittagstisch war Donia noch viel erstaunter. Es gab eine Suppe mit Eierstich, Schweinskotelett mit Linsen und Kartoffeln und ein wenig Birnenkompott. Am Nachmittag gab es zum Kaffee ein Stückchen Kuchen; diesen Kuchen aber nur zur Feier von Donias Einzug, wie Frau Köpke bemerkte. Abends wurde Tee und kalter Aufschnitt aufgesetzt und ein paar gewärmte Reste von der Mittagstafel. Donia begriff nun, daß Hanna so rund und gesund aussah. Wie sie aber auch essen konnte!

»Donia muß noch viel besser essen lernen,« sagte Frau Köpke. »Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen.«

Donia lächelte nur verlegen, nahm sich aber vor, sich zu bessern. Doch machte sie nur langsame Fortschritte und hatte mit ihrer natürlichen Bescheidenheit manchen Kampf zu bestehen.

»Mama, Donia ißt wieder gar nichts,« sagte Max dann wohl, der es sich zur Pflicht zu machen schien, auf Donias Appetit zu achten.

»Doch, doch, ich esse ja in einem fort,« verteidigte sich Donia.

»Ja, wie ein Spatz.«

Max sprach überhaupt immer sehr burschikos. Er war jetzt Obertertianer, rauchte heimlich Zigaretten und spielte sich furchtbar auf, wie Hanna sagte.

Donia mochte ihn wohl leiden. Er war groß und kräftig, hatte etwas Forsches und Frisches und bemühte sich, den Galanten zu spielen, natürlich nicht gegen Hanna, die er sehr »klobig« behandelte.

»Er ist jetzt ein furchtbarer Flegel,« beklagte sich Hanna.

»Er meint es nicht so,« verteidigte Donia ihn.

Manchmal lächelte Donia, manchmal mußte sie sich auch wundern. Sie hatte sich ein ganz anderes Bild von Geschwisterliebe gemacht. Sie hatte sich oft einen Bruder oder eine Schwester gewünscht. Sie war immer so allein gewesen. Sie hätte sich gewiß mit der Schwester vertragen. Vertrug sie sich doch jetzt auch mit Hanna ganz gut. Aber auch mit dem Bruder wäre sie wohl fertig geworden. Wie nett war Max zu ihr! Wenn er es zu Hanna nicht war, so hatte diese doch wohl selbst auch ein wenig Schuld: sie neckte selbst gern und nahm es übel, wenn Max wieder neckte. Und Max verstand das Necken viel besser. Manchmal tat er nichts weiter, als ihr mit seiner großen Hand so von hinten her über das Gesicht zu fahren. Dann konnte Hanna wie eine Furie auffahren:

»Dummer Junge, ich sag es Mama!«

War Hanna in der Schule, so hatte Donia das Reich für sich. Sie half Frau Köpke in der Wirtschaft, wobei sie sich anstellig erwies. Dabei hielt sie gewissenhaft ihre Übungsstunden inne. Zweimal in der Woche ging sie zu Herrn Mellini, der mit ihren Fortschritten sehr zufrieden war, und einmal spielte sie bei Herrn Peters, nach Hannas Klavierstunde. Es wurde ihr alles sehr leicht, und auch Herr Peters hatte seine Freude an ihr. Die Hauptsache blieb aber der Gesang, und ihre Stimme wurde bei dem verständig geleiteten Studium immer schöner und kräftiger.

Wenn Hanna sie bat, ein Lied zu singen, weigerte sie sich. »Herr Mellini hat es verboten.«

»Ach, ein Lied – was soll es dir schaden?«

Aber wenn Donia dann fest blieb, sagte Hanna wohl: »Hab dich man nicht so,« und machte eine geringschätzige Miene.

Donia aber hatte an Frau Köpke Beistand.

»Wenn Herr Mellini das sagt, dann muß Donia es tun.«

»Ich werde ja bald so weit sein,« tröstete Donia.

»Donia singt noch einmal ganze Arien und Opern,« bekräftigte Frau Köpke. »Nur nicht immer alles mit einmal. Tante Rosa hatte auch Gesangstunden, als sie jung war. Nur ein paar Töne zurzeit durfte sie singen. Nachher hat sie aber auch im Gesangverein immer die erste Stimme gesungen, und sogar einmal ein Solo in Schillers Glocke. Ach Donia, wenn ich das noch an dir erlebte!«

Donia hoffte ernstlich, Frau Köpke diese Freude machen zu können: sie wollte schon fleißig sein.

Hanna war in der letzten Zeit auch etwas vorwärts gekommen in der Musik. Sie spielte ein paar Lieder ohne Worte von Mendelssohn ganz manierlich, und Herr Peters hatte sie gelobt. Das und Donias Beispiel feuerten sie an. Und Frau Köpke war nun glücklich, daß ihre Hanna endlich aufwachte.

»Sie kann ja ganz gut, wenn sie nur will, sie hat es in sich, es muß nur erst mal herauskommen. Tante Rosa war doch auch so musikalisch, und wenn ich auch nicht singe, so höre ich doch gern eine gute Oper. Und ihr Vater hatte sogar eine ganz gute Stimme. So einen schmelzenden Tenor. Er sang nur immer so falsch, das war sein einziger Fehler.«

Nur Max war nicht musikalisch. Frau Köpke hatte gewünscht, daß Herr Peters es mal mit ihm versuche. Aber Max hatte durchaus nicht gewollt, und Herr Peters hatte gemeint: Zur Musik müsse man keinen Menschen zwingen. Wer nicht aus Lust und Liebe daran ginge, der solle lieber davonbleiben.

»Siehst du!« hatte Max triumphiert, »das ewige, alte Geklimper und Gegröhl.«

»Hörst du, Donia, du gröhlst,« sagte Hanna.

Donia lachte und Max ärgerte sich.

»Mit Donia ist es ganz etwas anderes,« behauptete er. Max wollte um alles in der Welt Donia nicht kränken. Er hatte keine Vorliebe für Donias Gesang, ihre Übungen fand er scheußlich, aber für Donia schwärmte er. Das merkte freilich niemand als Donia selbst. Sie empfand seine kleinen Aufmerksamkeiten, die meist ganz versteckt und verschämt herauskamen. Doch wußte sie nicht, daß er auch Verse auf sie machte.

Max Köpke und Verse! Eine lächerlichere Ideenverbindung schien es nicht zu geben. Hätte er gesagt: Donia Purtaller ist die Schönste im ganzen Lande; wer's nicht glaubt, dem hau ich eine runter. Ja, das wäre glaubhaft gewesen. Aber Verse? Und doch war es so. Max machte heimlich Verse auf Donia.

Ich bin dir gut,
Du junges Blut,
Ich hab dich lieb.
Du Herzensdieb.

Oder:

Seit du in unserm Hause bist,
Wie ist die Welt so trüb und trist.
Ich geh am Bache ganz allein,
Und starre in die Flut hinein.

Welcher Bach gemeint war, hätte Max jedoch sehr schwer sagen können. Aber er ging ganz allein an diesem Bache und starrte in seine Fluten. Und er war tief unglücklich, obgleich er für gewöhnlich über das ganze Gesicht strahlte.


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