Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunzehntes Kapitel

Donia half selbst bei der Ausschmückung der Dachstube. Herr Purtaller hatte sich alles überlegt. Seine wenigen Möbel waren geholt worden und füllten gerade das Zimmer aus; es konnte an die Dachwohnung von früher erinnern, und Donia fühlte sich ganz angeheimelt. Um dem Vater eine besondere Freude zu machen, hatte sie einen Geranienstock gekauft, der nun mit seinen roten Blumen das Fensterbrett zierte, ganz wie damals. Und draußen vor dem Fenster breitete sich wie damals eine Welt von Dächern und Schornsteinen aus.

Herr Purtaller war sehr gerührt, als er einzog. Seine Rührung war echt, ebenso die Scham, die er empfand, wenn er an die Ursache dieses abermaligen Wohnungswechsels dachte.

Frau Köpke hatte ihm versichert, daß Max und Hanna nicht anders wüßten, als daß alles nur Donia zuliebe geschähe, um ihr eine Freude zu machen. So brauchte er sich doch wenigstens vor den Kindern nicht zu schämen. Im Innersten seiner Seele glaubte er freilich, daß er eigentlich gar keine so große Veranlassung dazu hätte. Wie oft hatte er denn einen kleinen Rausch gehabt, wenn er sich so kraß ausdrücken wollte? Er war doch höchstens ein wenig angeheitert gewesen. Und wie oft? Es war wirklich nicht der Rede wert. Und wenn man bedachte, daß er einen alten, schwächlichen Körper hatte, wie konnte man sich wundern?

Dennoch war vielleicht alles so am besten. Nun war für ihn gesorgt. Daß er Frau Köpke nun zu lebenslänglichem Dank verpflichtet sei, konnte er nicht leugnen. Doch durfte ihn das drücken? Beinahe sah er etwas wie eine Verpflichtung gegen ihn, als Donias Vater, gleichsam als Vater der süßen Stimme, eine Verpflichtung, ihn nicht in Not und Sorge sitzen zu lassen. Gewiß, Frau Köpke tat ein gutes Werk, ein christliches Werk. Aber er war doch immer Donias Vater. Und dann war seine Amalie eine Jugendfreundin von Frau Köpke gewesen, eine »liebe Jugendfreundin«.

Herr Purtaller, der natürlich an allen Mahlzeiten teilnahm, fiel durch mancherlei kleine Manieren auf, die Donia früher nicht an ihm beachtet hatte. Und der reine Kragen, den er jetzt immer umband, ersetzte nicht völlig diese Mängel.

Aber hier zeigten sich Hannas und Maxens Gutmütigkeit und gute Erziehung, indem sie mit keinem Blick in Donias Gegenwart merken ließen, daß ihnen etwas an Herrn Purtaller nicht behagte.

Frau Köpke, die immer darauf gehalten hatte, daß man die Mahlzeiten ohne viel unnützes Gerede einnahm, sah sich durch Herrn Purtallers Unterhaltungsgabe mehr, als ihr lieb war, in Anspruch genommen. Donia saß oft wie auf Nadeln und versäumte nicht, Herrn Purtaller nach Tisch auf seinen Fehler aufmerksam zu machen.

»Du redest zu viel, Papa,« sagte sie möglichst schonend, »es ist viel gesünder, beim Essen nicht so viel zu reden.«

»So? Ja, wenn es das ist, so werde ich weniger sprechen, obgleich ich weiß, daß viele Ärzte und große Männer anderer Ansicht sind und waren.«

Seitdem bemühte sich Herr Purtaller, weniger zu sprechen. Wenigstens sagte er nichts, ohne vorher zu fragen: »Ist es erlaubt, mal eine Bemerkung zu machen? Ich weiß nicht, ob es angebracht ist. Aber ich habe etwas Drolliges zu erzählen.«

Oder er räusperte sich so lange und rückte so lange auf seinem Stuhl herum, bis Frau Köpke fragte:

»Haben Sie etwas, Herr Purtaller?«

Und dann hatte Herr Purtaller immer etwas.

Doch der Tag bestand nicht aus lauter Mahlzeiten, und im übrigen war die Hausgenossenschaft Herrn Purtallers wenig störend. Er hatte seine Tagesbeschäftigung. Am Nachmittag unterrichtete er seine wenigen Privatschüler und am Vormittag schrieb er Adressen. Da er jetzt keine Miete zu zahlen hatte, stand er sich recht gut und hatte immer etwas Geld in den Händen.

Frau Köpke dachte, wie sie ihn bewegen könnte, dies Geld ihr oder aber Donia in Aufbewahrung zu geben. Sie selbst mochte es ihm nicht sagen, und Donias Versuch scheiterte. Sie hatte zwar nur eine leise Anspielung gemacht, um ihn nicht zu kränken. Aber er war mißtrauisch geworden und hatte gefragt, ob man ihn unter Kuratel stellen wollte.

übrigens betrug Herr Purtaller sich tadellos. Donia war glücklich, und Frau Köpke bereute nicht ihre Handlungsweise.

Donia aber saß oft bei ihrem Vater, half ihm Adressen schreiben und hielt ihm seine Sachen in Ordnung wie früher. –

Ein halbes Jahr war vergangen, als der Himmel dieses friedlichen Zusammenlebens durch ein erstes Wölkchen getrübt wurde.

Frieda, das Dienstmädchen, hatte zu Frau Köpke gesagt: »In Herrn Purtallers Stube riecht es jetzt immer so eigentümlich.«

»Er lüftet wohl nicht ordentlich. Alte Leute sind so empfindlich. Und dann der alte Tabaksrauch.«

»Nein,« hatte Frieda gesagt, »nach Zigarren riecht es nicht. Ich glaube, es ist Rum.«

Frau Köpke war entsetzt, und als Herr Purtaller nicht zu Hause war, inspizierte sie sein Zimmer.

»Ei, also hinter dem Bett.«

Sie nahm die Flasche an sich. Eine leere Flasche. Und als Herr Purtaller nach Hause kam, sagte sie ernst und vorwurfsvoll:

»Herr Purtaller, Flaschen hinterm Bett dulde ich nicht.«

Er heuchelte Verständnislosigkeit: erinnerte sich dann, daß er Rum zum Einreiben gebraucht habe. »Nur zum Einreiben, liebe Frau Köpke. Sie denken doch nicht?«

»Was fehlt Ihnen denn, Herr Purtaller?«

»Zahnweh. Ach, diese fürchterlichen Schmerzen! Nun, Sie werden es kennen.«

»Und dagegen hilft Rum?«

»Ein ganz vortreffliches Mittel, Frau Köpke: nur einen Mund voll, versuchen Sie es einmal.«

Frau Köpke wollte dies Mittel lieber nicht versuchen.

»Wenn Sie mal wieder Zahnschmerzen haben, sagen Sie es mir nur, ich habe da noch andere Mittel.«

Und dann verfiel sie auf einen guten Gedanken.

»Sie nehmen gewiß gern ein wenig Rum zum Tee,« sagte sie eines Abends.

Herr Purtaller wurde rot und wußte nicht, was er sagen sollte, aber er gestattete mit vielen Komplimenten, daß man einen Schuß Rum in seinen Tee goß.

»Das hätte ich nur wissen sollen,« sagte Frau Köpke, »das hätten Sie ja schon längst bekommen können.«

Donia sah Frau Köpke dankbar an. Wie gut sie doch war! Der Vater hatte ja schon früher seinen Tee gerne ein bißchen »angewärmt« getrunken, wie er es zu nennen pflegte.

Mit so ein bißchen Klugheit kann man alles zum Guten wenden, dachte Frau Köpke. Sie dachte auch weiter darüber nach, wie man Herrn Purtaller sonst noch etwas moralischen Halt geben könne.

»Sie möchten gewiß auch einmal in die Kirche gehen, Herr Purtaller,« sagte sie eines Sonnabends, »gehen Sie doch mal mit Donia in die Kirche. Nicht wahr, Donia, du gehst mal mit dem Vater hin?«

Donia war natürlich gern bereit, und Herr Purtaller mit seinem bösen Gewissen beeilte sich, zu versichern, daß das längst sein Wunsch gewesen wäre.

»Ich bin auch so lange nicht dagewesen,« sagte Frau Köpke, »Hanna, wir könnten auch einmal wieder hingehn.«

Hanna wäre lieber zu Hause geblieben, schämte sich aber vor Donia.

»Und Max?« fragte sie.

»Max geht auch mit,« entschied Frau Köpke.

Hanna wunderte sich, daß Max keinen Widerspruch erhob. Aber Max ging schon Donias wegen gerne mit. Sein neuestes Gedicht lautete:

Donna Donia, Donna Donia,
Don Rodrigos Herze blutet,
Denn er liebt dich, Donna Donia,
Wahr und treu und hochgemutet.

In vierundzwanzig Strophen erzählte das Gedicht von Maxens Liebe, der für Donna Donia sein Leben lassen wollte.

Am Sonntag morgen ging das ganze Haus Köpke in die Kirche. Da sie selten hingingen, war Frau Köpke schon vor der Zeit unruhig und trieb zur Eile, um ja nicht zu spät zu kommen, und so fanden sie Platz auf einer der ersten Bänke. Herr Purtaller saß neben Donia, und Frau Köpke zwischen ihren Kindern. Max ärgerte sich, daß Hanna neben Donia saß, und daß seine Mutter so breit war, daß sie ihm den Ausblick auf Donia völlig versperrte. Das störte seine Andacht etwas.

Der Pastor predigte von dem Weinberg des Herrn, und Frau Köpke dachte in ihrer Einfalt: »Das paßt ja mal schön heute,« und schielte nach Herrn Purtaller.

Herr Purtaller aber, der sich seiner eigenen Kanzelzeit erinnern mochte, sah mit einem leisen Lächeln auf den Geistlichen, das Frau Köpke sich nicht zu deuten wußte.

»Warum lächelt der Mann immer so?« dachte sie.

Donia, von Orgel und Gesang ergriffen, war die einzige, die wirklich andächtig war. Sie wußte, daß dort oben Herr Peters an der Orgel saß. Wie schön spielte er! Und die frischen Kinderstimmen rührten sie. Ach, wenn sie auch einmal dort oben stehen und in den weiten, hohen Raum hineinsingen könnte! Wer weiß, vielleicht war es ihr noch einmal vergönnt.

Am Mittagstisch äußerten sie sich alle sehr zufrieden über ihren Kirchenbesuch.

»Das müssen wir doch mal öfter machen,« meinte Frau Köpke, »man ist eigentlich ein alter Heide, daß man so wenig in die Kirche geht.«

»Tut nach meinen Worten und nicht nach meinen Werken,« sagte Herr Purtaller malitiös.

»Das mögen Sie wohl sagen, Herr Purtaller,« sagte Frau Köpke ebenso malitiös. »Sie müssen das ja wissen, Sie haben ja auch einmal auf der Kanzel gestanden.«

Herr Purtaller machte eine Bewegung, die sagen sollte: Das war einmal, meine Liebe.

»Gehen Sie nur gern in die Kirche,« sagte Frau Köpke, »das schadet Ihnen noch lange nichts, dazu ist man nie zu alt. Ich fühle mich wirklich recht gestärkt heute. Noch ein Stückchen Braten, Herr Purtaller?«

Herr Purtaller bat um noch etwas Schweinebraten und ließ das Kirchengehen auf sich beruhen. –

Am nächsten Sonntag hatte Frau Köpke eine Gans für den Mittagstisch.

»Mit der Gans kann ich Frieda nicht allein lassen, das versteht sie nicht. Da müßt Ihr wohl ohne mich in die Kirche gehen.«

Hanna sträubte sich und wollte ohne die Mutter nicht gehen. Donia aber bat ihren Vater, doch mit ihr zu kommen, schon der Orgel und des Gesanges wegen, und Herr Purtaller weigerte sich nicht; er zeigte sich gern mit seiner hübschen Tochter.

Da schloß auch Max sich an.

»Max wird fromm,« spottete Hanna, worauf Max gekränkt tat und versicherte, daß er durchaus nicht fromm sei, er ginge nur der Orgel wegen hin.

»Du und der Orgel wegen,« lachte Hanna.

»Laß ihn doch,« schalt Frau Köpke, »es ist ganz gut, wenn Max mal in die Kirche geht.«

Max aber war selig.

Donna Donia, Donna Donia,
Don Rodrigos Herze blutet,
Denn er liebt dich, Donna Donia,
Treu und wahr und hochgemutet.


 << zurück weiter >>