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XXV.

Über die hohe Düne, die das Fischerdorf von der See trennt, stieg Gräfin Gundula an der Seite des alten Pfarrherrn, gefolgt von Gabriele und Guntram Krafft.

Der Pastor hatte den lebhaften Wunsch ausgesprochen, das Meer bei dem immer stärker werdenden Wind in seiner wogenden Schönheit zu sehen, und darum hatte man den kleinen Umweg gemacht und nahte dem Dorf nicht von dem Burgberg, sondern vom Strand aus.

Die Gräfin sprach sehr lebhaft und angeregt, und Gabriele, die ebenso schweigsam wie der Bär von Hohen-Esp an dessen Seite schritt, gedachte der Worte des Predigers, die dieser kurz zuvor zu Guntram Krafft gesprochen hatte. »Welch eine auffallende und sehr erfreuliche Veränderung ist mit Ihrer Frau Mutter vor sich gegangen! So heiter und lebhaft habe ich die Gräfin seit langen, langen Jahren nicht gesehen. Mir scheint, der finstere Ernst, die tiefe Schwermut sind erst jetzt von ihr gewichen, und dafür sei Gott gelobt.« Er hat dann Gabriele herzlich beide Hände entgegengestreckt und fuhr fort: »Das haben wir ganz entschieden Ihrem so günstigen Einfluß zu verdanken, mein gnädiges Fräulein. Sie haben den Sonnenschein wieder ins Haus der so tief gebeugten Frau getragen.«

Der Blick des Grafen hatte sie abermals getroffen, als er sich stumm und höflich, wie in schweigender Zustimmung, vor ihr verbeugte, und es hatte in den ernsten, traurigen Augen warm aufgeleuchtet.

Ein paar gleichgültige Worte hatten sie später auf dem Weg zum Strand gewechselt, und als sie über die waldige Höhe schritten und zuerst den Blick auf das Meer genossen, war Gabriele unwillkürlich stehengeblieben und hatte mit leisem Ausruf des Entzückens auf die weißschäumende, hochgehende See hinausgeblickt.

»Nicht wahr, so gefällt sie selbst Ihnen?« hatte der Graf gelächelt, und das junge Mädchen nickte mit seltsam leuchtendem Blick und wiederholte: »Selbst mir!«

Dann brauste der Sturm daher und riß die weißen Narzissen aus ihrem Gürtel und verstreute sie durch das Riedgras, und während Gabriele mit beiden Händen den Hut festhielt, eilte Guntram Krafft den Blumen nach und sammelte sie.

Sein Blick überflog ihre schlanke, schneeweiße Gestalt, um die die weichen Kleiderfalten in graziösem Spiel flatterten, und er behielt den Strauß in der Hand und sagte: »Ich werde die Narzissen bis zum Dorf tragen. Sie haben jetzt genug zu tun, Hut und Kleid zu halten.«

Und er trug sie, bis sie abermals in den Schutz der Dünen gelangten und das Wirtshaus »Zur blauen Woge« vor ihren Blicken lag. Da gab er ihr die Blüten zurück.

»Wir alle haben uns festlich geschmückt, Graf, nur Sie allein tragen kein einziges Abzeichen, das auf die frohe Bedeutung dieses Tages schließen läßt.«

Um seine Lippen zuckte ein resigniertes Lächeln.

»Ich selber vergaß es, und andere dachten nicht an mich.«

Da wählte sie die schönsten Blumen aus ihrem Strauß und bemühte sich, sehr unbefangen zu lachen. »Welch eine grobe Unterlassungssünde! Erlauben Sie, Graf, daß ich das Versäumte nachhole und Ihr Knopfloch schmücke.«

Er nahm die Blumen und befestigte sie an der Brust.

»Wie freundlich Sie sich heute der Hohen-Esp annehmen«, sagte er sehr ruhig. »Den Ahnherrn Wulffhardt und mich bedenken Sie in gütiger Weise mit solch lieblichem Schmuck.«

Das Gespräch wurde unterbrochen. Aus dem Saal des Wirtshauses erschallten die lustigen Weisen der Harmonika, und das junge Ehepaar trat den vornehmen Gästen entgegen, sie mit herzlichem Händedruck zu begrüßen und zum Hochzeitstisch zu geleiten.

Gräfin Gundula saß zwischen dem jungen Ehegatten und dem Pastor, Guntram Krafft an der Seite des bräutlichen Weibes, zu seiner Rechten war Gabriele der Platz angewiesen. Auf der Ofenbank saßen die beiden Harmonikaspieler und sorgten durch lauter schöne Seemannslieder und lustige Stücklein für Unterhaltung, während es bei Tisch selber sehr ruhig zuging.

»Unsere Anwesenheit scheint die Leute in ihrer Fröhlichkeit zu stören«, flüsterte Gabriele dem Grafen zu.

Dieser lächelte: »Oh, durchaus nicht! Es würde eine Nichtachtung gegen die vergötterte Weinsuppe und den obligaten Schweinebraten sein, wollte man während dieser Genüsse viel sprechen. Das ist nicht Sitte hier, und die ›Stimmung‹ kommt zumeist erst mit dem Tanz. Dann werden Sie sehen, daß wir unsere Getreuen nicht stören. Ich bin überzeugt, daß wir hier von allen noch sehr viel mehr geliebt wie respektiert werden!«

Und so war es auch. Als das nach Ansicht der so wenig verwöhnten Leute glänzende Hochzeitsmahl beendet war, als die Tische beiseite gerückt wurden und der Kaffeeduft so lieblich durch den Saal zog, daß allen Frauen das Herz im Leibe lachte, da schallten die Stimmen lauter und lauter durcheinander, da wagten sich die ersten verstohlenen Jauchzer hervor, und als die Harmonikas mit schallendem Ton den »Großvatertanz« anhuben, da umfaßte Jöschen seine strahlende junge Frau und begann sich mit ihr sehr langsam und würdevoll im Kreis zu drehen.

Aller Augen schauten auf den Grafen, ob er nicht mit dem wunderschönen jungen Fräulein solchem Beispiel folgen werde. Aber der stand und sprach so eifrig mit ein paar alten Fischern, daß er gar nicht an den Tanz zu denken schien.

Da wagte sich denn der Vater der Braut herzu, machte seinen Kratzfuß vor Gabriele und tanzte mit ihr, schwer und wuchtig, als gelte es, eine holländische Kuff bei konträrem Wind zu lavieren. Als er zum Schluß die junge Dame mit freundlichem Lob auf den Arm gepatscht hatte, stand schon ein junger Lotse bereit und sah sie treuherzig bittend an.

Gabriele nickte ihm lachend zu und tanzte weiter. Ihre schlanke weiße Gestalt tauchte wie ein Traum zwischen dem derben Schiffervolk auf, so daß der Pastor ganz begeistert zu Guntram Krafft trat und sagte: »Ist es nicht, als ob die weiße Wassernixe aus der Flut gestiegen sei, sich unter das lustige Fischervolk zu mischen? Wie ein Märchen erscheint mir die lilienhafte Mädchengestalt, und wen Fräulein Gabriele mit den großen, klaren, wundersam glänzenden Augen anlächelt, der lernt, an die Macht der Meerfrau zu glauben.«

»Man sagt, die Meerfei bringt Unglück dem, der sie schaut. Hören Sie, wie der Sturm ums Dach heult? Vielleicht wählt sich die Undine bereits ihre Opfer für die kommende Nacht aus!«

»Das verhüte Gott! Fürchten Sie böses Wetter?«

»In wenigen Stunden haben wir es.«

»Arme junge Frau! Das wäre eine üble Hochzeitsmusik!«

Jöschen stand mit leuchtenden Augen vor seinem Jugendgespielen. »Wollen Sie heute gar nicht tanzen, Herr Graf?«

Guntram Krafft richtete sich auf. »Ich warte nur, bis du Mike einmal freigibst.«

»Dor steiht se!« lachte der junge Ehemann, wieder in sein gemütliches Plattdeutsch verfallend, und der Bär von Hohen-Esp nickte, drückte dem Glücklichen die Hand und holte sich die Braut mit den rotglühenden Wangen zum Ehrentanz.

»Nu leggt he los!« flüsterte es im Kreis, und man wartete, daß der Burgherr nach der Mike das »gnä Frölen« zum Tanz holen werde. Aber er trat mit umwölkter Stirn zur Tür zurück und hatte mit Krischan Klaaden sichtlich viel ernste Dinge zu reden.

Obwohl das Rollen und Branden der See immer stärker und stärker herübertönte und der Sturm immer schriller durch die Taue des vor dem Haus aufgepflanzten Flaggenmastes pfiff, wurde die Stimmung immer fröhlicher und ausgelassener, und schließlich stand die Mamsell vom Schloß und tuschelte unter listigem Augenzwinkern mit Mike und Jöschen.

Die Frauen, Mädchen und Burschen drängten heran, es gab ein leises, jubelndes Gelächter, und dann lichtete sich plötzlich der Kreis, einer der Fischer trat vor und rief mit kraftvoller Stimme: »Tom Brutdanz binnen! Uns' Mike sall sich sin' Nachfolgern söken!«

Großer Jubel erhob sich, Mike ging mit schalkhaftem Lächeln zu Gräfin Gundula und bot ihr eine Schere, mit der die Burgfrau die beiden rosa Bänder der Kranzschleife abschnitt.

Die alte Dame lächelte dabei amüsiert, und in ihren Augen leuchtete es auf wie ein wohlgefälliges Verstehen. »Möchtest du die Rechte treffen, Mike!« sagte sie und händigte der jungen Frau die Bänder aus. Diese wandte sich, reichte Jöschen flink eines der Rosenbänder, und schnell wie der Gedanke stürmte das junge Paar unter die laut kreischenden und jubelnden Hochzeitsgäste.

Erstaunt hatte Gabriele dem Beginnen zugesehen, als sie ihren Arm auch schon von Mike gefaßt und mit dem Band umschlungen sah, gleichzeitig zerrten und drängten die Männer Guntram Krafft heran, an dessen Arm Jöschen das andre Band geknüpft hatte, und ehe die beiden aufs höchste betroffenen jungen Leute recht wußten, wie ihnen geschah, waren ihre Arme durch die Bänder zusammengebunden, und ein jauchzendes Geschrei erhob sich: »Tom Brutdanz! Tom Brutdanz!«

Guntram Krafft stand momentan regungslos, nur seine Lippen bebten, und die breite Brust hob und senkte sich unter stürmischen Atemzügen; dann neigte er sich zu Gabriele herab und stieß kurz hervor: »Wollen Sie tanzen, mein gnädiges Fräulein?«

Sie blickte zu ihm auf, ihm schien es, ebenso kühl und ruhig wie sonst, und die kristallenen Nixenaugen leuchteten ganz nah den seinen, und ihr roter Mund antwortete: »Ich füge mich der Sitte, Herr Graf.«

Da umschloß sie sein Arm, er machte eine kurze Bewegung mit der freien Hand, daß man Raum gebe, und dann tanzten sie.

Wie feurige Nebel wallte es vor seinen Augen, siedend heiß brauste das Blut durch seine Adern, wie befangen von einem wilden, leidenschaftlichen Rausch flog er dahin, und die weiche, schmiegsame Gestalt ruhte wieder an seiner Brust, und ihre krausen Löckchen flimmerten vor seinem Blick.

Freiwillig wäre er nie zu ihr gekommen, nun trieb sie das Schicksal selber in seine Arme, und er hielt die bleiche Meerfrau und drückte sie fest, immer fester und aufgeregter an sich, so fest, als wolle er sie nie wieder freigeben.

Seine Augen brannten wie im Fieber, all die heiße, unaussprechlich innige Liebe, die er so stolz und gewaltsam bekämpft hatte, loderte in verzehrenden Flammen in seinem Herzen auf und nahm ihm alles klare Denken und Handeln.

Er tanzte, tanzte ohne Aufhören.

Gabrieles Köpfchen aber sinkt plötzlich tiefer und tiefer, und ihr Körper ruht schwer in seinem Arm.

Da erwacht er plötzlich wie aus tiefem Traum und starrt sie an. Wie blaß sie ist! Erschrocken hält er inne: »Verzeihen Sie, Gabriele«, murmelt er, »ich war unbescheiden ... ich tanzte zu lang.«

Sie lächelt und ringt nach Atem, und um sie her erhebt sich abermals ein tosender Jubel. »Dat wier äwerst 'n Danz! Dat wier jo gliek haf 'n Dutzend Dänz'!« schallt es lachend im Kreis, und dann plötzlich jähe Stille.

Ein Schuß? Ertönte nicht draußen auf hoher See ein Schuß? Ein Notsignal?

Alles lauscht einen Augenblick wie erstarrt, Guntram Krafft reißt das rosa Band, das ihn an Gabrieles Arm fesselt, mit scharfem Ruck durch und stürmt nach der Tür, Jöschen, Krischan Klaaden und die anderen Fischer folgen in großer Hast.

Die lachenden geröteten Gesichter sind plötzlich blaß und ernst geworden, die Klänge der Harmonika sind verstummt.

Gabriele ist an die Seite der Gräfin geeilt und hat mit angstvollem Aufblick ihre Hand gefaßt.

»Was bedeutet das, Frau Gräfin?«

Gundula legt den Arm um sie und schreitet nach dem kleinen Fenster, einen Blick hinauszutun.

»Gott der Herr verhüte es, daß ein Schiff in Not ist!« sagte sie mit schwerem Atemzug.

»Oh, welch ein Wetter plötzlich!« schaudert Gabriele, »wie schwarz die Nacht und welch furchtbares Brausen und Donnern! Man hat es zuvor bei der Musik nicht gehört, jetzt merkt man erst, wie schlimm es geworden ist.«

Eine alte Fischersfrau tritt herzu und faltet die runzligen Hände. »Das ist eine grobe See geworden«, sagt sie leise. »Arme Mike! Muß den Jöschen heute nacht wohl hergeben!«

»Heute nacht?« wiederholte Gabriele mit entsetzten, weit offenen Augen.

»Es wäre wahrlich nicht das erstemal, daß Guntram Krafft seine wackeren Lotsen in ein Unwetter hinausführt.«

»Der Graf?« stammelte Gabriele. »Er selber – er fährt auch mit hinaus?«

»Wenn es nottut, jedesmal!«

Da ist es plötzlich, als wüchse die schlanke Mädchengestalt empor, als lausche sie atemlos diesen Worten wie einer Offenbarung.

»Wo ist er? Wo sind die Fischer?« stößt sie hervor.

»Wohl auf der Düne draußen, nach dem Schiff zu spähen.«

»Lassen Sie mich hin! Lassen Sie mich sehen, Gräfin! Ich bitte, ich beschwöre Sie!«

»Undenkbar, Kind! Sie sind vom Tanz erhitzt, und Sie ahnen nicht, wie der Sturm draußen pfeift. Das Haus hier liegt ja noch hinter der Düne geschützt. Wenn Sie sich auf die Höhe hinauswagen, können Sie kaum atmen; Sie sind solch einen Wind nicht gewohnt, Gabriele.«

Eine fieberhafte Ungeduld leuchtet aus ihren Augen. »Gleichviel, ich hülle mich warm ein! Ach, ich flehe Sie an, Gräfin, lassen Sie mich sehen, was da draußen vorgeht!«

Einen Augenblick noch zögert Gundula, dann sagt sie kurz entschlossen: »Gut. Dort auf der Bank liegen die warmen Sachen, die Anton für den Heimweg brachte. Nehmen Sie ein Tuch um den Kopf und einen Mantel um, ich werde mit Ihnen gehen.«

Gabriele begreift es nicht, wie diese Frau so ruhig und still bleiben kann, wo möglicherweise ihr einziges Kind sich im nächsten Augenblick auf Tod und Leben hinaus in den Sturm wagen wird.

Huh, welch ein Sturm!

Er braust ihnen entgegen, als wolle er sie voll zornigen Unwillens in das sichere Haus zurückdrängen, über ihnen kreischt die kleine Wetterfahne, pfeift und schrillt es im Tauwerk des Flaggenmastes. Fräulein von Sprendlingen preßt unwillkürlich die Hände gegen die Brust und ringt nach Atem, sie strebt vorwärts und hat doch kaum die Kraft, gegen das Ungewohnte anzukämpfen. Da umfaßt Gräfin Gundula die schlanke Gestalt mit ihrem kräftigen Arm und leitet sie wie ein sicherer Lotse durch das Brausen und Heulen.

Droben auf der Düne steht Guntram Krafft. Sie sieht seine herrliche Gestalt wie ein Schattenbild gegen den bleifarbenen Himmel gezeichnet. Das Auge gewöhnt sich an die Dunkelheit. Die Nacht ist nicht so rabenschwarz, wie es ihr von dem erleuchteten Zimmer aus geschienen hat; schwarze, phantastisch wilde Wolkengebilde jagen über den Himmel und verhüllen den Mond; nur hier und da bricht sein fahles Licht hervor, wenn der Sturm die Massen zerreißt.

Jöschen liegt im Riedgras ausgestreckt, stützt die beiden Ellenbogen auf und späht durch den langen Fernkieker auf die See hinaus.

Die beiden Damen kämpfen sich vorwärts, Fischersfrauen und Kinder folgen ihnen. Fest aneinandergedrängt starren sie stumm und ernst hinaus auf die wild empörten Wasser. Der Schutz der Düne hört auf, mit voller Wucht wirft sich der Sturm den Nahenden entgegen. Einen Augenblick hat Gabriele das Empfinden, sie müsse ersticken. Die Gräfin faßt sie fester in den Arm und kehrt ihr Antlitz dem Land zu. Da braust es über sie hinweg, und sie kann aufatmen und neu zu Kräften kommen.

Dann ringen sie abermals gegen Wind und Wetter, und Gabriele gewöhnt sich nach den kurzen Anweisungen Gundulas an das Atmen im Sturm. Sie überwindet ihre Bangigkeit und Schwäche, sie will stark sein! Sie will vorwärts! Sie will sehen und hören!

Guntram Krafft wendet sich flüchtig um und blickt zurück, aber all sein Interesse scheint im Dienst der Pflicht zu stehen.

»Ist es tatsächlich ein Notsignal?« fragt die Gräfin.

Er nickt. »Vorläufig läßt sich noch nichts erkennen. Wir müssen warten, bis die Wolken vorüber sind und der Mond hervortritt.«

Dann trifft sein Blick Gabriele. Sie steht neben ihm, die Hände gegen die Brust gedrückt, die Augen starr und weit offen auf die See gerichtet. Ist dies dasselbe Meer ... dasselbe Meer von gestern und ehedem? Schwarz und furchtbar gähnt es in weiter Unendlichkeit vor ihr. Der hohe Wogenschwall wälzt sich donnernd heran, in zwei-, drei- und vierfacher Brandung kocht der weiße Gischt am Strand auf, gespenstisch rollen die aufbäumenden Seen heran wie Ungeheuer, die in wütender Gier Strand und Land verschlingen wollen.

Da teilt sich die dräuende Finsternis. Der Mond bricht durch die Wolken, sein weißgelbes Licht fließt minutenlang wie ein magischer Schein über die Wasser.

»Dort ... dort ... dat Schipp!«

Wie ein Schrei gellt es von Jöschens Lippen.

»Richtig – dort is't! Obacht! Dat Blulight!«

Ein scharfes, bläuliches Licht blitzte auf See auf, hielt sekundenlang an und verschwand wieder, gleichzeitig donnerte ein Kanonenschuß.

»Das Schiff treibt auf! Brandung voraus!« schrie Guntram Krafft. »Vorwärts, da ist keine Zeit zu verlieren! Zum Schuppen! Gebt Signal! Boot klar zum Auslaufen!«

Die Stimmen klangen sekundenlang in wilder Hast durcheinander, die Männer stürmten die Dünen hinab nach dem Rettungsschuppen. Wie in jähem Entsetzen hob Gabriele die Arme. »Jetzt hinaus in See? Gräfin ... auf diese See hinaus?«

Gundula nickte. »Gebe Gott, daß sie noch zur rechten Zeit kommen. Kehren Sie jetzt zurück in das Zimmer, Gabriele! Ich muß in den Schuppen hinab und alles vorbereiten, falls es gilt, einem Verunglückten Hilfe zu bringen.«

Sie sprach ruhig, beinahe tonlos, und ihr blasses schönes Antlitz sah im Mondlicht wie versteinert aus.

Das junge Mädchen schüttelte aufgeregt den Kopf, in ihren Augen leuchtete es plötzlich auf wie heiße, leidenschaftliche Begeisterung.

»Ich bleibe bei Ihnen! Schnell, Gräfin, schnell! Ach, lassen Sie uns eilen! Lassen Sie mich das Unbegreifliche schauen!«

Und sie wartete nicht mehr auf den schützenden Arm Gundulas, sondern flog, wie von den Sturmesschwingen getragen, dem Rettungsschuppen zu.

Ein grelles Flackerfeuer, wie von geschwungenen Teerfackeln herrührend, flammte wieder auf dem gefährdeten Schiff auf, gleichzeitig leuchtete am Strand drunten, dicht neben dem Schuppen, ein rotes Licht auf, mehrere Augenblicke gezeigt, dann wieder verschwindend.


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