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VII.

Schneegestöber! Die eleganten Villen hatten Hermelinmäntel umgeworfen und standen in ihrer fürstlichen Pracht noch stolzer und unnahbarer als sonst inmitten der wohlgepflegten Gärten. Schlitten flogen mit klingenden Schellen und prächtig geschmückten Pferden vorüber. Damen und Herren in eleganten Eiskostümen eilten dem spiegelblanken See im Park zu, und zwischendurch drängte und schwatzte und lachte der breite Strom der Passanten, die Dienst, Geschäft oder Vergnügen hinaus in das lustige Winterwetter trieb.

Guntram Krafft schritt langsam, schauend die Parkstraße hinab. Anfänglich hatte ihn das Lichtermeer geblendet, die Menschenmenge belästigt, die Masse der hohen Häuser in unangenehmer Weise bedrückt. Er verstand es noch nicht, das Einzelne, Schöne und Interessante daraus zu erfassen. Aber er lernte es bald und gewann Interesse für seine Umgebung.

Anton war ein verständiger und guter Lehrmeister, der auch für seine tadellose äußere Erscheinung sorgte.

Er war eine imposante, auffallend schöne Erscheinung, der Bär von Hohen-Esp, aber trotz der modernen Kleider lag es doch wie ein undefinierbares, gewisses Etwas über ihm, was ihn fremd und ungeschickt zwischen den anderen Herren erscheinen ließ. Eine unüberwindliche Befangenheit und das Ungewohnte der neuen Kleidung beeinflußten ihn.

Gundula hatte ihren Sohn tadellos erzogen, seine Manieren waren vorzüglich, er war weit entfernt davon, sich wie ein Hinterwäldler zu benehmen, und doch wirkte seine Art und Weise seltsam, weil ihn das Ungewohnte der Situation ungeschickt und linkisch machte.

Die Gräfin hatte bestimmt, daß sich ihr Sohn erst zehn bis vierzehn Tage in der Residenz aufhalten solle, ehe er seine Besuche bei Hof und in der Gesellschaft abstattete. Sie fand es wohl selber notwendig, daß sich die weltfremden Augen des jungen Mannes zuvor an den bunten Wirbel der Großstadt gewöhnten, daß er erst ein wenig auf dem Parkett gehen lerne, ehe er sich in den glitzernden Strom hineinwagte.

Und Guntram Krafft lernte gehen, von Tag zu Tag besser, so daß Anton schon recht zufrieden war und sagte: »In zehn Tagen wird im Schloß getanzt, Herr Graf, da müssen zuvor die Karten abgeworfen werden.«

»Aber ich kann nicht tanzen, Anton! Das, was wir daheim im Fischerdorf ›Tanzen‹ nannten, das paßt wohl schwerlich hierher in das Palais.«

»Macht nichts, Herr Graf! Sie sehen zu und plaudern mit den schönen jungen Damen.«

Just diese Gedanken waren es, die den Grafen beschäftigten, als er die Parkstraße entlangpromenierte und mit hellem Blick auf das muntere Leben im Schneegestöber blickte.

Helles Schlittengeläut erklang hinter ihm, doch wandte er in seinem lebhaften Schauen kaum den Kopf, bis ihn ein lautes Schnaufen, Klirren und Hufschlagen sowie die schrillen Angstrufe etlicher Passanten jählings zurückschauen ließen.

Ein sehr eleganter Schlitten kam herangesaust, gezogen von zwei Vollblütern unter langwehenden Schneedecken.

Da plötzlich gleitet das Handpferd auf dem Glatteis, von dem der Wind momentan den Schnee hinweggeweht hat, aus, es stürzt wie gemäht zusammen, schlägt wild um sich, reißt auch das andere Roß nieder, und der Schlitten, der in voller Fahrt gegen den Knäuel fährt, schlägt gegen den hochgeschaufelten Schneewall zur Seite.

Der Kutscher ist von seinem kleinen Rücksitz herabgeschleudert worden, und die Dame, die im Schlitten sitzt, scheint momentan unter demselben begraben zu sein.

Guntram Krafft steht mit schnellen Schritten neben dem Schlitten, packt ihn mit kraftvollen Händen und richtet ihn ohne jede weitere Unterstützung auf, als sei er ein Puppenspielzeug. Dann greift er abermals zu und richtet die Dame, die halb vergraben im Schnee liegt, in seinen Armen empor. Er spricht kein Wort dabei, aber seine Blicke beobachten prüfend ihre Bewegungen, ob sie sich verletzt habe.

»Gottlob, ich bin mit heiler Haut davongekommen«, sagt sie mit überraschend ruhiger und fester Stimme; sie scheint nicht sehr ängstlich oder nervös zu sein, sondern den kleinen Unfall höchst gelassen hinzunehmen. »Ich danke Ihnen, mein Herr, für Ihre liebenswürdige Hilfe«, fügt sie hinzu, und als Guntram Krafft höflich den Hut zieht, blickt er zum erstenmal in das Antlitz der jungen Dame. Und sein Blick wird groß und starr im Schauen, sein Atem stockt plötzlich, und das Blut steigt heiß in seine Wangen empor. Solch ein reizendes Gesichtchen hat er nie zuvor gesehen.

Wie ein Wunder scheint es vor ihm aufzutauchen und all seine Träume zu verwirklichen. Nixenaugen sind es, die zu ihm emporglänzen mit langem, forschendem Blick, Augen, so hell, so groß, so flimmernd in einer undefinierbaren Farbe, als habe sich blau-grünes Seewasser unter den dunklen Wimpern zum Stern geformt. Sein Blick hängt wie gebannt an ihrem Antlitz, so naiv und ehrlich in seinem staunenden Entzücken, daß sich die junge Dame lächelnd abwendet und neben die Pferde tritt, die mit Hilfe von untergeworfenen Decken wieder auf die Füße gebracht worden sind.

Auch der Kutscher ist herbeigehinkt, klopft den Schnee von seinem Mantel und untersucht das Geschirr. »Na, das hat man alles noch gut gegangen, gnädiges Fräulein! Nicht mal ein Strang oder Riemen ist gerissen, und die Pferde sind auch mit dem Schreck davongekommen. Steigen Sie man ruhig wieder ein, es ist doch noch eine ganze Strecke bis nach Haus.«

Guntram Krafft ist zur Seite getreten, sein Blick hängt noch immer wie gebannt an der schlanken, schweigsamen Gestalt der jungen Dame. Sie wendet sich dem Schlitten zu, um einzusteigen, und abermals tritt der junge Graf herzu, ihr beinah schüchtern die Hand zu bieten, um ihr behilflich zu sein.

Wieder trifft ihn ihr Blick, sie lächelt. Flüchtig legt sie für eine Sekunde die zierliche Hand in die seine und schwingt sich voll sicherer Grazie in den Schlitten. Ein Zungenschnalzen des Kutschers, die Pferde bäumen ein wenig aufgeregt, ziehen an und sausen mit dem Schlitten davon.

Die Leute, die sich angesammelt haben, zerstreuen sich schnell. Auch der Graf von Hohen-Esp schreitet mechanisch weiter. Sein Blick folgt dem Schlitten, sein Antlitz leuchtet wie verklärt. Er möchte die Augen schließen, um nur noch ihr Lächeln zu sehen. Ihm ist, als wehe noch der feine, diskrete Veilchenduft zu ihm auf, den ihre Gestalt ausströmte, als er sie im Arm hielt.

Erst viel später kam ihm der Gedanke, wer sie gewesen sein mag. Ob er sie wohl einmal wiedersieht? Gewiß! Warum hätte sie sonst seinen Weg gekreuzt? Die Residenz ist ja nicht groß.

Am darauffolgenden Tag geht er noch mehr als sonst spazieren. Es ist rauhe Schneeluft, und die verwöhnten Leute der Residenz sitzen hinter dem Ofen und ahnen gar nicht, wie anders der Nord-Nordwest über die See heult.

In dicke Pelze gehüllt, schreiten hier in den geschützten Straßen die Leute so eilig aus, als fürchteten sie, in Eiszapfen verwandelt zu werden.

Guntram Krafft schaut so aufmerksam ringsum, er wandert ruhelos einher und sucht jemand, ohne es sich selber einzugestehen, und wenn ein Schlitten klingelt, so bleibt er unwillkürlich stehen und schärft den Blick.

Seine Visiten wird er am anderen Tag fahren, und Anton versichert, daß durch die alsdann erfolgenden Einladungen reiche Abwechslung in dieses langweilige Leben kommen werde.

An der Straßenecke hängt in dem vergitterten Kasten der Theaterzettel aus.

»Der fliegende Holländer« liest er, und mit wenigen Schritten überquert er den schneeverwehten Damm und studiert überrascht das Personenverzeichnis.

Der fliegende Holländer!

Wie oft hat er nicht an einsamen langen Winterabenden drunten im Dorf in »der blauen Woge« mit den Fischern zusammen gesessen, wenn sie mit geheimnisvollem Augenzwinkern vom Klabautermann und dem »fliegenden Dutschman« berichteten.

Guntram Krafft lacht leise auf, und seine Augen blitzen. Nein, beim »fliegenden Holländer« darf er nicht fehlen! Er sehnt sich nach Wogen und Wind, er sehnt sich nach seinem heimatlichen Meer, aus dessen Flut die Nixen steigen, ihn mit kristallenen Augen anzulächeln, so wie sie, jene Fremde, die ihm doch bisher das einzig Traute und Bekannte hier in der Fremde schien.

Und der Graf von Hohen-Esp schreitet gedankenvoll durch die menschenleeren Straßen, nach dem Theater, um sich einen Platz zu sichern.


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