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XIII.

Man hatte sich zu Tisch gesetzt.

Gräfin Thea bemerkte es zu ihrem großen Verdruß, daß Graf Hohen-Esp sie nicht engagierte, so nahe sie es ihm auch gelegt hatte, daß sie das Souper »vorsichtigerweise« noch freigehalten habe.

Wohin war er verschwunden? Voll nervöser Unruhe schaute die junge Dame zuerst nach Gabriele aus und sah zu ihrer großen Genugtuung, daß dieselbe am Arm Heidlers den Saal verließ.

Ein blutjunger Artillerist schaute sich suchend um und trat hastig näher. »Darf ich gehorsamst bitten?«

Etwas übellaunig und zögernd legte Thea die Hand auf den Arm dieses so nichtssagenden und unbedeutenden Tischherrn.

Währenddessen hatte Guntram Krafft mit klopfendem Herzen hinter seinem Stuhl gestanden und Fräulein von Sprendlingen entgegengeschaut.

Am Arm des Herrn von Heidler nahte sie, das sonst so kühle und spröde Antlitz rosig überhaucht und seltsam belebt, die herrlichen, wundersamen Nixenaugen zu ihrem Partner erhoben, so strahlend und bewundernd, daß dem Bär von Hohen-Esp der Atem stockt. Und als sie ihre Plätze erreicht haben, mustert der Dragoner den unvermuteten Nachbar mit einem seiner finster blitzenden, beinah beleidigend arroganten Blicke und sagt laut: »Nanu! Was ist denn das? An Ihrer Seite hatte doch Hardenstein belegt, mein gnädiges Fräulein?«

Schon steht der Haushofmeister neben dem Sprecher und verneigt sich sehr devot.

»Um Entschuldigung, Herr Leutnant! Wir mußten auf Befehl noch Plätze einschieben.«

»Hätten Sie auch mehr an der Ecke besorgen können!« zuckt Heidler in seiner rücksichtslosen Art die Schultern und fügt brüsk hinzu: »Na, es hilft nichts, Fräulein Gabriele, nehmen wir Platz! Ist ja schließlich auch gleichgültig.«

Während der ersten Zeit hat Fräulein von Sprendlingen kein Wort und keinen Blick für ihren Nachbarn, sie plaudert leise und lebhaft mit Herrn von Heidler, wie Guntram Krafft aus vereinzelten lauten Worten des jungen Offiziers entnehmen kann, über Reiten und Sport.

Erst als das Gespräch allgemein wird und sich um die letzten Rennen dreht, die der Dragoner mit viel Erfolg mitgeritten hat, wendet sich Gabriele recht gezwungen zu Graf Hohen-Esp und fragt ihn, ob er auch ein passionierter Reiter sei.

Ihre so leuchtenden Augen werden dabei so kühl und gleichgültig, daß den Gefragten ein Gefühl der Befangenheit überkommt.

»Reiten?« wiederholt er zögernd, »gewiß reite ich täglich auf die Felder oder in den Wald hinaus, je nachdem es meine Tätigkeit als Landwirt bedingt. Wir verfügen jedoch nur über Pferde, die mehr dauerhaft als elegant sind, denn wir brauchen in erster Linie Arbeitspferde, aber keine Vollblüter.«

»Dann ist das Reiten allerdings weder ein Sport noch ein Vergnügen«, zuckt Fräulein von Sprendlingen die Schultern, und ihre Augen sehen aus wie die klare See, wenn jähe Wolkenschatten sie dunkel färben.

»Wenn Sie nicht reiten, was tun Sie sonst den ganzen Tag auf Hohen-Esp?«

Er lacht, als ob ihn diese Frage amüsiere. »Wissen Sie nicht, daß es auf dem Land unendlich viel zu tun gibt, wenn der Gutsherr nicht auf der faulen Haut liegt, sondern selber Hand anlegt, wo und was es auch sei?«

Sie verzieht den Mund noch ironischer. »Irgendeinen Sport üben Sie gar nicht aus?«

Er sieht abermals betroffen, beinah verlegen aus.

»Ich weiß nicht recht, was Sie unter Sport verstehen, mein gnädiges Fräulein. Wenn meine Arbeit getan ist, gewährt es mir viel Freude und Genugtuung, auf der See zu rudern oder zu segeln.«

»Also – also doch eine Art Wassersport! Das ist ja jetzt auch modern.«

»Lieben Sie das Meer?«

Sie schüttelt unendlich gleichgültig den Kopf.

»Nein! Ich habe nicht das mindeste Interesse dafür.«

Mit weit offenen Augen starrt er sie an.

»Kennen Sie die See? Haben Sie schon einmal längere Zeit am Strand gelebt?«

»Nein! Gott sei Dank, wir mußten ja nach acht Tagen schon wieder von Heringsdorf abreisen, weil meiner Mutter die Luft nicht bekam. Ich denke mit großer Gleichgültigkeit an diese acht Tage voll blendender Sonnenglut, gelben Sandes und beinah regungsloser Wasserfläche zurück.«

»Sind Sie im Boot gefahren?«

»Gewiß! Abends ruderten uns meine beiden Vettern in die ›blaue Unendlichkeit‹ hinaus, und wir schaukelten eine Zeitlang auf dem Wasser und sangen ›Das Meer erglänzte weit hinaus‹ und sahen die Sonne am Horizont verschwinden, einen Tag wie den anderen.«

»Und einen Sturm, einen großen, gewaltigen Sturm sahen und erlebten Sie nie?« fragte er.

»Nein! Ich kann mir auch gar nicht vorstellen, daß das Wasser, das immer so glatt dalag wie ein Tischtuch, mal zornig aufbrausen kann!«

Heidler hob sein Sektglas und sah tief und leidenschaftlich mit einem seiner zürnenden Blicke in Gabrieles Augen.

»Soll ich den Sattel an den Nagel hängen? Soll ich ein Seemann werden, und kommen Sie mit auf die weiten Meere hinaus, den fliegenden Holländer zu suchen?«

Heiße Glut flammt über ihr Antlitz, und in ihren Augen steht die Antwort geschrieben; aber sie beherrscht sich, schüttelt mit leisem Lachen das Köpfchen und antwortet: »Was wollen Sie auf dem Wasser? Da gibt es keine Lorbeeren zu holen.«

»Erlauben Sie, meine Gnädigste! Sie vergessen unsere Marine!«

»Die Marine! Ja die«, zuckte Gabriele die Schultern. »Die besteht auch aus Soldaten und mutigen Männern. Die Marine imponiert mir fraglos, aber die Sportsmen, welche bei hellem Sonnenschein ein wenig die Ruder führen und in idyllischen Sommernächten eine Segelpartie machen, die können doch unmöglich mit unseren verdienstvollsten Männern rangieren!«

Der Blick der Sprecherin traf wie eine kühne Herausforderung den Bären von Hohen-Esp, der schweigend an ihrer Seite saß und vor sich niedersah; er sah nicht den Ausdruck ihres Auges, er hörte nur ihre Worte, und sein Antlitz wurde um einen Schein blasser.

Die Umsitzenden hatten sehr betroffene Blicke gewechselt. Heidler murmelte sehr amüsiert: »Alle Wetter, mein gnädiges Fräulein, das war deutlich!«

Das Souper näherte sich seinem Ende, und als man sich erhob, wieder nach dem Tanzsaal zurückzuschreiten, wandte sich Fräulein von Sprendlingen zum erstenmal wieder an ihren Nachbarn zur Rechten und erwiderte seine stumme Verneigung nur mit einem kurzen flüchtigen Nicken.

Sie wollte ihn nicht ansehen, aber ganz zufällig streifte ihr Blick dennoch sein schönes Antlitz und traf sein Auge. Welch ein Ausdruck war darin! Nicht mehr das strahlende Entzücken, wie es ihr sonst entgegengelacht hatte, sondern eine schmerzliche vorwurfsvolle Trauer.

*

Ernst und schweigend steht Guntram Krafft im Tanzsaal und schaut mechanisch auf den wirbelnden Reigen, der wie ein wüster Fiebertraum vor seinem Auge kreist. Die Musik schmeichelt mit süßen Walzerklängen – er hört sie nicht. Vor seinen Ohren klingen nur Gabrieles Worte, daß sie das Meer nicht liebt!

Sein Meer! Und sie liebt es nicht. Sie schilt es langweilig, träge, reizlos. Und sie selber hat Augen, die die Farbe dieses Meeres spiegeln, grünlich, graublau, schillernd wie Perlmutter, dunkel und licht zur gleicher Zeit – verkörperter Wassertropfen.

Den herben Spott ihrer Worte, die ihn selber als »armseligen Ruderer« so weit ab von allem Heldentum wiesen, welche in ihm nichts anderes als einen verdienstlosen Menschen sahen, der sein Vergnügen an ruhmlosen Spielereien findet – die Worte hatte er kaum gehört und beachtet.

Er war zu harmlos, zu unerfahren, um auf solche Anspielungen zu achten. Sein Herz brannte nur in Schmerz und Weh um sein geschmähtes Meer. Sie kennt ja das Meer gar nicht! Jene acht Tage in Heringsdorf haben ihr nur ein einziges, winziges, unbedeutendes Bild in dem Kaleidoskop der unerschöpflich reichen, ewig wechselnden See gezeigt, ein Bild, das, durch den Staub des Modebades getrübt, mit kurzsichtigen Augen geschaut wurde. Guntram Krafft atmet tief auf.

Ach, daß er sie lehren könnte, zu sehen, zu begreifen!

Ein tiefer Seufzer ringt sich über seine Lippen, die Musik schweigt, und neben ihm erklingt die Stimme Gräfin Theas, die ihn aus seinen Träumen aufschrecken läßt.


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