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VIII.

Schon geraume Zeit vor Beginn der Vorstellung hatte sich Graf Hohen-Esp im Theater eingefunden.

Er war der erste Gast im Haus, fast allein in der Loge, und betrachtete voll nachdenklichen Interesses das Gemälde des Vorhangs und die geschmackvolle Pracht ringsum.

Sobald eine Tür klappte, richtete sich sein Blick wie in ungeduldigem Forschen den neu Eintretenden zu, und so viel anmutige Mädchen und selbstbewußte Frauen auch erschienen, Guntram Krafft sah jedesmal enttäuscht aus. Allmählich füllte sich das Theater, immer bunter, immer farbenprächtiger wurde das Bild ringsum. Ein paar höhere Offiziere mit ihren Damen nahmen neben dem Grafen Platz, die Erscheinung des fremden Herrn mit schnellen Blicken musternd und alsdann hinter dem Fächer in unauffälliger Weise nur das eine Wort flüsternd: »Der Parsifal!«

Ein Lächeln, Raunen, Flüstern ...

Die ganze Residenz wußte es bereits, daß der Graf von Hohen-Esp im Hotel Quartier genommen und gekommen war, die Feste der Saison zu besuchen, um sich eine Burgherrin für die ferne Bärenhöhle zu erwählen.

Fast alle Blicke waren auf den Bären von Hohen-Esp gerichtet, der ahnungslos über die Menge hinwegblickte und nur eine einzige unter allen suchte. Er hörte nur mit halbem Ohr der Begrüßung und Unterhaltung neben ihm zu. Dann aber setzte die Musik ein, und ihre wundervolle Eigenart interessierte den Grafen mehr als das verstummende Geplauder neben ihm. Die Oper ergriff ihn durch Musik und Inhalt sehr stark. Vergessen hat er, wo er ist; er weiß es nicht, daß ein Lichtstrahl aus den Kulissen hervor just sein weit vorgeneigtes begeistertes Antlitz trifft; er ahnt es nicht, wie schön ihn die Erregung macht, wie auffällig er sich in diesem Augenblick benimmt. Er weiß es auch nicht, daß zwei Mädchenaugen in langem Schauen auf ihm haften, daß es in ihnen aufleuchtet wie geheime Leidenschaft und brennendes Interesse – seine Nachbarin, Komtesse Thea, die keinen Blick von ihm wendet.

In die gegenüberliegende Loge sind leise zwei Damen getreten und haben unbemerkt Platz genommen.

Die jüngere ist es, die mir langem Blick den Grafen von Hohen-Esp mustert und ihrer Nachbarin zuflüstert: »Sieh, Mama, da drüben steht der fremde Herr, der mich gestern unter dem Schlitten hervorgeholt hat.«

Frau von Sprendlingen, die noch immer auffallend schöne und elegante Frau des seit etlichen Jahren pensionierten Generals, hob die Lorgnette.

»Ah! Das interessiert mich! Eine auffallend schöne und stattliche Erscheinung! Er scheint ja überaus begeistert von der Aufführung.«

»Ein echter Krautjunker! Du glaubst nicht, wie verlegen er gestern wurde, als er mir geholfen hat. Kein Schuljunge errötet mehr so intensiv wie er.«

»Das ist kein Fehler!«

»Aber auch kein Vorzug!«

»Ist dir jener Fremde drüben sympathisch?«

Gabriele lehnte das Köpfchen gelangweilt zurück. »Vorläufig ist er mir unendlich gleichgültig! Zwar sieht er aus, als könne und müsse er ganz Hervorragendes leisten, und du weißt, daß ich die Menschen nur nach Verdienst schätze, daß ich mich nur für Helden begeistern kann!«

»Ist etwa Herr von Heidler ein Held?«

»Wenn einer – dann er!«

»Welche Illusionen!« Frau von Sprendlingen lachte etwas nervös. »Ich hörte bisher nur, daß er flott und leichtsinnig sei.«

»Und daß er der beste, kühnste und unerschrockenste Reiter, der tüchtigste Offizier im ganzen Regiment ist, das hörtest du noch nicht, Mama?«

»Das wohl auch, aber um mir zu imponieren, ist es noch nicht genug.«

»Mir genügt es vollkommen, wenn ein junger Mann seinen guten Willen beweist, sein Bestes für sein Vaterland zu geben. Ich bin eine begeisterte Patriotin, ich taxiere den Mann nur nach dem, was er für Reich und Volk leistet; das bestimmt seinen Wert.«

»Aber was leistet Heidler?« zuckte Frau von Sprendlingen ein wenig ironisch die Schultern.

»Zunächst genug, indem er Soldat ist. Daß er eine vorzügliche Karriere macht, es zu den höchsten Ehren bringt, ist selbstredend.«

In diesem Augenblick wandte Herr von Heidler, der elegante Dragoner, das Haupt und blickte mit einem kühnen und siegesgewissen Lächeln zu der Loge empor. Gabriele errötete ein klein wenig und nickte ihm wie einem guten Bekannten zu, war es doch stadtbekannt, daß Herr von Heidler ihr eifriger Verehrer war. Der junge Dragoner war eine auffallende Erscheinung, nicht hübsch und – wie viele behaupteten – auch nicht sehr sympathisch, aber auf jeden Fall recht interessant. Schick und vornehm, sportlich trainiert bis zur Magerkeit, mit einem sehr schmalen, scharfgeschnittenen Gesicht, dazu zwei tiefliegende, scharfe, lebhaft blitzende Augen und ein Mund, dessen geneigte Winkel ihm etwas Arrogantes gaben – das war Herr von Heidler.

Die Damen schwärmten für den außerordentlich amüsanten Spötter, der rücksichtslos seinen scharfen Witz auf Kosten anderer spielen ließ und durch Wort und Blick zu faszinieren verstand. Die Herren urteilten weniger günstig über ihn und nannten ihn einen frivolen und kaltherzigen Egoisten.

Die Unterhaltung der beiden Damen in der Loge war sehr leise geführt worden; sie waren ungeniert, da sie sich allein befanden, auch übertönte die Musik das Flüstern hinter dem Fächer.

Mutter und Tochter kannten den fliegenden Holländer zur Genüge und wären heute abend überhaupt nicht hier erschienen, wenn nicht die Hofdame der Prinzeß Amalie am Nachmittag vorgefahren wäre mit der Nachricht, daß Hoheit Fräulein Gabriele heute abend gern in der Teepause im Opernhaus sprechen möchte, um direkte Nachrichten von dem X'er Hof zu erhalten, wo Fräulein von Sprendlingen bei der Hofmarschallin zu Gast gewesen war.

Der erste Akt war vorüber, langsam sank der Vorhang nieder, und die Klänge der Musik verhallten. Guntram Krafft stand noch völlig unter dem Eindruck des Gehörten, daß er regungslos verharrte. Erst der tosende Beifall des Hauses ließ ihn betroffen aufschauen, und als er das Haupt wandte und sein Blick mechanisch die gegenüberliegende Loge streifte, zuckte er plötzlich zusammen, und auf sein Antlitz trat wieder der Zug beinah scheuen Entzückens, mit dem er schon einmal in die Augen seiner Unbekannten gestarrt hatte.

War es Spuk und Zauber? Da glänzten ihm plötzlich wieder die klaren Nixenaugen entgegen, da schimmerte das lockige Haar unverhüllt über der Stirn, und weiße, flaumige Spitzen rieselten wie Wasserschaum um den schlanken Hals.

Der Graf hatte das Empfinden, als müsse er mit jubelnder Bewegung zu ihr hinübergrüßen, aber er wagte es nicht; nur sein ehrliches Auge spiegelte all sein Entzücken über dies unverhoffte Wiedersehen wider.

Die ältere Dame hebt die Lorgnette und sieht ungeniert zu ihm herüber, und um die Lippen seiner Meerfei spielt ein schnelles Lächeln. Sie sieht ihn an, groß und gelassen, und dann schaut sie an ihm vorüber und nickt Komtesse Thea an seiner Seite zu; die Offiziere in der Loge und deren Damen tauschen ebenfalls Grüße herüber und hinüber, und einer der Herren sagt laut und lebhaft: »Ah, scharmant! Da ist ja Fräulein von Sprendlingen wieder zur Stelle!«

»War Ihre Freundin Gabriele verreist, Komtesse?«

»Ja, Exzellenz. Sie hat ihre Tante Grüdner, die Hofmarschallin am Hof zu X., anläßlich deren Silberhochzeit besucht.«

»Sie kann noch nicht lange zurückgekehrt sein.«

»Seit gestern mittag, gnädigste Frau. Hatte sogar noch ein Schlittenunglück hier in der Parkstraße zu überstehen. Der ›Schwan‹ kippte um, und Schön-Gabrielchen lag weich und warm ...«

»Im Schnee?«

»O nein, an der Brust eines kühnen Retters, ich glaube, der alte Dienstmann Saul stürzte sich ihr nach auf Leben und Sterben!«

»Pfui, wie unpoetisch! Glücklicherweise scheint alles sehr gut abgelaufen?«

»Tadellos!«

»Aha – der Kammerherr erscheint drüben an ihrer Seite ... sie erhebt sich ...«

»Man hat sie wohl zu den hohen Herrschaften in das Teezimmer befohlen.«

Graf von Hohen-Esp hat Wort für Wort von der Unterhaltung gehört, obwohl er keinen Blick von dem reizenden Mädchenhaupt drüben gewandt hat.

Fräulein von Sprendlingen – Gabriele heißt sie. Nun hat er ihre Spur gefunden, nun weiß er, daß er sie wiedersehn, ihr sicher in den Salons begegnen wird.

Sein Herz schlägt aufgeregt, das Blut brennt ihm in den Wangen.

Der Bär von Hohen-Esp setzt sich mechanisch wieder nieder, und als er aus seinen tiefen Gedanken emporschaut, weil die Unterhaltung um ihn her wieder laut und lebhaft wird, da sieht er direkt in das blasse, schmale Gesichtchen der Komtesse Thea, deren tiefumschattete dunkle Augen auf ihn gerichtet sind.

»Ich habe Gabriele sehr lieb! Sie ist meine vertrauteste Freundin!« sagte die junge Dame, wie es ihm schien, mit ganz besonderem Nachdruck, und bei Guntram Krafft weckten die Worte »ich habe Gabriele sehr lieb« einen warmen Widerhall im Herzen.

Interessierter als zuvor blickt er die Sprecherin an.

Die Musik intoniert von neuem, und unruhig schaut der Graf nach seinem reizenden Gegenüber aus, aber umsonst; der Platz an der Seite der Frau von Sprendlingen bleibt leer. Jetzt treten die hohen Herrschaften wieder ein, und hinter ihnen – richtig – da erscheint Gabriele und nimmt neben einer der Hofdamen Platz.

Erst nach der nächsten Pause kehrt sie an die Seite der Mutter zurück. Guntram Krafft begrüßt sie mit strahlenden Augen, doch seltsam ... sie, die ihm noch vorhin ein so anmutiges Lächeln spendete, blickt jetzt plötzlich über ihn hinweg, als existiere er nicht mehr für sie. Die großen, hellen Nixenaugen blicken so kalt, und die feinen Lippen wölben sich so stolz und hochmütig. Was mag ihr plötzlich in den Sinn gekommen sein?

Der Bär von Hohen-Esp ist so in Schauen und Sinnen versunken, daß er für nichts anderes mehr Augen und Ohren hat; er bemerkt es nicht, wie Komtesse Thea keinen Blick von ihm wendet und ihn scharf beobachtet.


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