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XII.

Frau von Sprendlingen hatte beobachtet, wie huldvoll der Herzog mit Guntram Krafft gesprochen hatte, wie auch die fürstlichen Damen ihn auszeichneten und wie sich der Erbe von Hohen-Esp bei dem neu beginnenden Tanz mit tiefer Verneigung zurückzog.

Baronin Sprendlingen schritt – anscheinend nur in den Anblick der hohen Herrschaften vertieft – langsam am Wanddiwan entlang.

Ein feines, nervöses Zucken spielte um ihre Augen, ein Zeichen, daß sie verärgert oder nervös war, und wenn ihr Blick zufällig Komtesse Thea streifte, so bekam er beinah etwas Feindseliges.

Frau von Sprendlingen besaß viel Scharfblick und Menschenkenntnis, und das Gespräch zwischen Thea und dem Grafen, das sie unfreiwillig belauscht, hatte ihr die Überzeugung gegeben, daß die Komtesse bemüht war, auf sehr feine und geschickte Art gegen Gabriele zu intrigieren.

Ganz wie von ungefähr näherte sich die Baronin dem Sohn Gundulas und bemerkte es voll äußerster Genugtuung, wie sein Blick, ein wenig verdüstert, aber sehr beharrlich, ihrer Tochter folgte.

Sie nestelte die langstielige, sehr elegante Lorgnette an der goldenen Kette von dem Fächer los und hob sie an die Augen, und als der Graf mechanisch auf die elegante, noch immer sehr schöne und jugendliche Frau herniedersah, schien sie ihn just in diesem Moment erst zu bemerken und zu erkennen.

Sie wandte sich ihm sichtlich überrascht und erfreut zu und bot ihm die kleine Hand, über der die kostbaren Armspangen funkelten.

»Sieh da, Graf Hohen-Esp! Welch eine Freude, Sie hier bei Spiel und Tanz begrüßen zu können! Hoffentlich sind Sie schon bei der Jugend bekannt geworden und amüsieren sich vortrefflich?«

Einen Augenblick schien der Genannte nicht recht zu wissen, wen er vor sich hatte.

»Hoffentlich hat Ihnen meine Tochter Gabriele einen Tanz aufgehoben«, fuhr die schöne Frau mit anmutigem Lächeln fort. »Es ist heute einer jener seltenen Tage, an denen die Herren in der großen Überzahl sind und die Tanzkarten infolgedessen bald ausverkauft sind.«

Die Sprecherin beobachtete das Antlitz des jungen Mannes und war sehr befriedigt, als sie das jähe Aufleuchten seiner Augen sah, das plötzliche, lebhafte Interesse bemerkte, sobald sie den Namen Gabrieles nannte.

»Oh, Frau von Sprendlingen«, rief Guntram Krafft mit jäher Röte in den Wangen. »Leider kam ich zu spät zu Ihrer Tochter; sie hatte keinen Tanz mehr frei«, fuhr er leise fort.

»Oh! In der Tat? Darüber müssen Sie mich unterrichten! Haben Sie Zeit, mir ein wenig Gesellschaft zu leisten?«

»Sehr gnädig! Ich bin überaus dankbar«, stammelte Guntram Krafft, und abermals leuchtete ihm die Freude aus den Augen. Die schlanke, elegante Frau mit dem zarten, blassen Gesichtchen und dem so sehr gewinnenden Ausdruck in den schönen Zügen hätte nicht Gabrieles Mutter zu sein brauchen, um es ihm anzutun; er hatte schon bei seinem ersten Besuch lebhafte Sympathie für sie empfunden. Er setzte sich neben Frau von Sprendlingen auf den Diwan nieder.

»Also Sie kamen zu spät zu Gabriele?« fragte die Baronin abermals mit ihrer weichen, angenehmen Stimme. »So fanden Sie Gabriele erst jetzt während des Tanzes!«

»Doch nicht, gnädigste Frau! Ich konnte mich Ihrer Fräulein Tochter noch in der Galerie bekannt machen ... aber ... ich kam zu einer sehr ungelegenen Zeit.«

Die letzten Worte klangen so leise, daß Frau von Sprendlingen sie kaum verstand. Sie hob jäh den Kopf.

»Ungelegenen Zeit? Was verstehen Sie darunter, lieber Graf?«

Da schauten sie seine großen, ehrlichen Augen unendlich traurig an.

»Ihr Fräulein Tochter stand im Begriff, sich zu verloben«, sagte er treuherzig.

Die Generalin machte beinah eine entsetzte Bewegung. »Gabriele sich verloben? Herr des Himmels, mit wem denn?«

»Mit jenem schlanken, dunkelhaarigen Dragoner, der eine breite Narbe auf der Stirn trägt; der Name ist mir entfallen, gnädigste Frau.«

»Mit Heidler?« Frau von Sprendlingen klappte erregt den Fächer zu. »O welch eine lächerliche, absurde Idee! Wer hat Ihnen solch einen Unsinn vorgeredet, Graf?«

Schier atemlos starrt der Bär von Hohen-Esp die schöne Frau an seiner Seite an. Wieder stieg es heiß und rot in seinem Antlitz auf.

»Es ist nicht wahr? Es ist ein Irrtum?« klang es wie leiser Jubelschrei von seinen Lippen.

»Solches Märchen hat Ihnen gewiß Gräfin Thea Sevarille erzählt«, lachte die Generalin, und es flimmerte in ihrem Blick wie geheimer Triumph, das Spiel der kleinen Intrigantin richtig durchschaut zu haben. »Die jungen Mädchen wittern ja sofort eine Verlobung, wenn ein Herr ihnen etwas den Hof macht, und bedenken in ihrem mitteilsamen Eifer gar nicht, daß zum Verloben doch immer zwei gehören. Herr von Heidler schwärmt meine Tochter an und zeigt das sehr aufrichtig«, lächelte Frau von Sprendlingen ein wenig ironisch. »Aber an Verloben denkt sie durchaus nicht. Und wenn sie zu Herrn Heidler vielleicht etwas liebenswürdiger ist als zu anderen Herren, so kommt das einfach daher, weil sie ihn schon jahrelang kennt.«

Guntram Kraffts Blick hing in atemlosem Lauschen an den Lippen der Sprecherin. Es war, als ob er aus jedem ihrer Worte neue Zuversicht und frischen Lebensmut schöpfte; seine Augen strahlten wie verklärt, und er bemühte sich auch gar nicht, seine Freude zu verbergen.

»Nun aber erzählen Sie weiter! Gabriele hatte keinen Tanz mehr frei?«

»Keinen, gnädigste Frau.«

»Haben Sie bereits zu Tisch engagiert?«

»Nein, gnädigste Frau, daran dachte ich noch nicht. Muß man das?«

»Man muß nichts, was man nicht will. Aber ich möchte Ihnen einen guten Rat geben. Wie ich höre, ist die Jugend auch heute nicht gut placiert, und Gabriele sagte mir, daß Herr von Heidler in der Bildergalerie an Tafel drei einige Plätze belegt habe. Nun kommen Sie einmal mit, ich führe Sie bis zu der Galerietür, dann suchen Sie den Tisch Nummer drei auf und belegen daselbst einen Platz mit Ihrer Visitenkarte.«

»Oh, vortrefflich!«

Der junge Bär von Hohen-Esp war wie ausgewechselt, er lachte und sprach lebhafter als je zuvor.

»Gut! Reichen Sie mir Ihren Arm, Graf, wir wollen diese Quadrille benutzen, um uns den Weg zu bahnen.«

Er sah ihr noch einmal mit leuchtendem Blick in die Augen.

»Ich danke Ihnen«, sagte er wie aus tiefstem Herzen heraus.

Frau von Sprendlingen lächelte. »Glauben Sie in Zukunft nichts, was die Leute faseln. Sie sehen, wie falsch man Sie unterrichtet hatte.«

Sie schritten den großen goldenen Saaltüren zu, und Frau von Sprendlingens Blick flog hinüber zu Gräfin Thea, die, sichtlich zerstreut, ihre Quadrille tanzte; sie sah weder den Graf von Hohen-Esp noch seine Begleiterin, und ein feines Lächeln des Triumphes zuckte um ihre Lippen.

*

Guntram Krafft stand vor dem Tisch Nummer drei und übersah die Visitenkarten, die auf den Gläsern lagen. Ein jeder Platz war besetzt. Unschlüssig und tief enttäuscht schaute er über die Tafel.

»Wünschen der Herr Graf gerade an diesem Tisch zu sitzen?« fragte es hinter ihm.

Ein Lakai und der Haushofmeister, der mit jeder neuen Erscheinung am Hof vertraut schien, trat diensteifrig näher und verbeugte sich ebenso höflich wie respektvoll.

»Es wäre mir allerdings sehr lieb gewesen«, versicherte der Hohen-Esper, sehr angenehm durch das Interesse des alten Hofbeamten berührt.

»Aber bitte, Herr Graf! Nichts leichter wie das! Es müssen sowieso noch einige Plätze eingeschoben werden, da der Herr Hofmarschall noch im letzten Augenblick Ansagen von benachbarten Garnisonen erhielt. Also fügen wir noch ein Kuvert ein. Befehlen Herr Graf vielleicht hier?« Er neigte den wohlfrisierten Kopf und las. »Von Heidler ... ah ... unser Vortänzer ... dann hier seine Dame ... und neben derselben ... befehlen der Herr Graf? ... Oder vielleicht hier an der Ecke ...«

»Nein, nein! Danke verbindlichst! Der Platz hier, den Sie zuerst bezeichneten, ist mir sehr angenehm.« Der Sprecher zog seine Visitenkarte aus der Brusttasche und reichte sie dar.

Wieder stieg die heiße Glut in seine Wangen, und voll verlegener Hast wandte er sich und schritt zum Saal zurück.

In der mit Blumen dekorierten Vorhalle des Saales treten ihm ein paar ältere Herren mit Band und Stern entgegen und reden ihn in liebenswürdiger Weise an.

Sie sind Tänzer und Jugendbekannte seiner Mutter gewesen und erkundigen sich voll aufrichtigen Interesses nach Gräfin Gundulas Ergehen.

Guntram Krafft freut sich, von ihr sprechen zu können; er empfindet es voll stolzer Genugtuung, daß man seine Mutter so hoch schätzt und verehrt, und als der eine der Herren die Hand auf seinen Arm legt und sagt: »Kommen Sie, Graf, ich muß Sie zu meiner Frau bringen. Sie ist ebenfalls eine gute Bekannte Ihrer Frau Mutter von früherer Zeit und wird sich sehr freuen, von ihr zu hören und ihren Sohn kennenzulernen«, da folgt der junge Mann so heiter und unbefangen, als ob ihn die letzte halbe Stunde heimisch auf dem Parkett gemacht habe.

Als der nächste Tanz mit den weichen, lockenden Klängen der »Rosen aus dem Süden« einsetzt, stockt Guntram Krafft plötzlich in der Unterhaltung mit der Frau Minister und schaut in Gräfin Sevarilles erhitztes Gesichtchen, das ihm aus nächster Nähe zulächelt.

»Sie haben engagiert, lieber Graf?« fragte die alte Dame in schnellem Verstehen. »Das ist recht. Ich werde mich freuen, Sie tanzen zu sehen. Und den Achtundzwanzigsten dieses Monats reservieren Sie uns also. Wir werden uns freuen, Sie zum Dinner bei uns begrüßen zu können.«

Der Bär von Hohen-Esp dankt sehr erfreut, verneigt sich und steht im nächsten Augenblick an der Seite der Komtesse.

Thea spricht lebhaft auf ihn ein, wendet sich zu den nächststehenden jungen Mädchen und stellt ihnen den Grafen vor.

Man lächelt ihm sehr liebenswürdig zu, beginnt ein allgemeines Gespräch und macht dem »modernen Parsifal« klar, daß er unter allen Umständen tanzen müsse.

»Sie sehen, Graf, man tanzt hier keinen Walzer, sondern nur Galopp. Und das ist doch wirklich kein Kunststück! Wer so wie Sie ein Haupt länger ist als das übrige Volk, steuert doch ohne jede Gefahr durch all diese Wirbel und hohe Flut.«

Das ist ein Wort!

Guntram Kraffts Auge blitzt auf, er lacht und verneigt sich vor Thea.

»Mut hat auch der Mameluk, Komtesse! Riskieren Sie es mit mir Seebären?«

Einen Augenblick neigt sie das Köpfchen zurück und sieht zu ihm auf. Welch ein Blick! Wenn der Einsiedler von Hohen-Esp nicht zu naiv wäre, würde er viel, sehr viel darin lesen!

Und er tanzt, wohl nicht ganz so gewandt und elegant wie die andern Herren im Saal, aber doch sicher und gut, ohne im mindesten unliebsam aufzufallen.

Mit heißgerötetem Antlitz führt er Thea an ihren Platz zurück; die andern Damen und Herren, die gewartet haben, voll neugierigen Interesses das »erste Debüt des Parsifal« zu beobachten, begrüßen ihn mit lebhaftem Beifall.

Guntram Krafft hat es gar nicht bemerkt, wie aller Blicke ihm während des Tanzes gefolgt sind, er hat es nicht gehört, daß sich der Herzog erfreut und anerkennend darüber äußert; er schaut nur suchend über die bunte, wirbelnde Menge, ob er nicht Gabrieles Köpfchen erspähen kann. Und er sieht sie plötzlich in nächster Nähe, sieht direkt in die wundersamen hellen, großen Nixenaugen hinein, die wie staunend auf ihn gerichtet sind. Und Guntram Krafft lacht noch glückseliger als zuvor, sagt Komtesse Thea ein herzliches Dankeswort und richtet sich hoch und kühn auf – in Wahrheit wie ein junger Bär, der sich plötzlich seiner Kraft bewußt wird; er wendet sich und steht im nächsten Augenblick vor Fräulein von Sprendlingen. »Darf ich bitten, mein gnädiges Fräulein?«

Da starren ihn die meerfarbenen Augen abermals wie aufs höchste überrascht ob einer solchen Zumutung an, und dann wendet sie das Köpfchen und wechselt einen sekundenlangen, unendlich vielsagenden Blick mit dem schlanken, jungen Gardegrenadieroffizier, der neben ihr steht.

Der lächelt sehr verständnisinnig. »Ich begreife, Baronesse!« Er dreht sich kurz auf dem Hacken um und eilt als vielbeschäftigter Vortänzer davon, Gabriele aber legt langsam, beinah zärtlich den Arm auf den des Grafen und sagt: »Wir werden noch einen Augenblick warten müssen, es ist sehr wenig Raum zum Tanzen.«

»Wie Sie befehlen, Fräulein von Sprendlingen«, antwortet Guntram Krafft und umschließt mit bebender Hand ihre weiche, schmiegsame Gestalt.

Einen Augenblick harrt er so ... noch einen ... und da ... gerade als er lostanzen will, bricht die Musik mit kurzem Schluß ab.

Der Gardegrenadier ist in die Mitte der Tanzenden getreten und hat die Hand mit kurzer Geste nach dem Orchester hinter dem Goldgitter der Galerie gehoben.

Guntram Krafft, der Neuling, bemerkt es nicht, er blickt nur erschrocken zu Gabriele nieder und sagt bedauernd: »O wie schade!« Und Fräulein von Sprendlingen lächelt ganz wunderlich, löst die Hand von seinem Arm und tritt von ihm zurück.

»Bedaure sehr«, sagt sie kühl und wendet das Köpfchen.


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