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XIV.

»Endlich sieht man Sie wieder, Sie Fahnenflüchtiger!« drohte ihm die Gräfin lächelnd. »Wie sehr schade, daß Sie in unserem kleinen Kreis fehlten; Sie würden sich fraglos sehr gut unterhalten haben.«

»Ich bezweifle es nicht, Gräfin.«

Das klang seltsam ernst, fast resigniert.

Thea trat einen Schritt näher und sah mit ihren großen, dunklen Augen beinah wehmütig zu ihm auf.

»Ich habe bereits davon gehört, wie unliebenswürdig Gabriele einmal wieder gewesen ist. Es ist wirklich ewig schade darum, daß in diesem bildhübschen Körper eine so wenig sympathische Seele wohnt. Man sagte mir, daß sie gerade gegen Sie recht beleidigend gewesen sei, und das hat mich ernstlich böse gemacht.«

Der Bär von Hohen-Esp schüttelte abwesend den Kopf. »Fräulein von Sprendlingen sprach sehr abfällig über das Meer, über das Rudern und Segeln – und das kann unmöglich mich beleidigen, sosehr ich ihre Abneigung auch bedauere.«

Ein seltsamer Blick der Gräfin streifte ihn. »Wie freundlich und harmlos Sie sind, Graf! Wie fremd Ihnen unsere Welt und ihre Verderbnis doch ist! Es freut mich doppelt, wenn Gabrieles Worte Sie nicht kränkten, denn verliebten Menschen darf man. nicht so genau nachrechnen wie anderen Sterblichen.«

»Verliebten Menschen?«

Thea lachte. »Aber Graf! Haben Sie es denn noch immer nicht bemerkt, daß Fräulein von Sprendlingen keinen andern Gedanken mehr hat als nur den an ihren schneidigen Dragoner?«

»Das wohl ... aber ...«

»Nun?«

»Verlobt sind sie noch nicht.«

»Noch nicht öffentlich.«

»Auf diese kleinen Unterschiede kenne ich mich noch nicht aus«, murmelte er mit tiefem Atemzug.

»Hier ist ein solches Gedränge, Graf. Wir wollen uns dort auf den Diwan setzen.«

»Wie Sie befehlen!« nickte Guntram Krafft.

Der Graf setzte sich neben der jungen Dame nieder und blickte ihr plötzlich mit seinen klaren, grundehrlichen Augen voll Vertrauen in das blasse Gesichtchen.

»Gräfin ... Sie sind eine Freundin von Fräulein von Sprendlingen?«

»Sogar eine ihrer vertrautesten!«

»Und Sie meinen es auch mit mir gut?«

»Von ganzem Herzen gut!«

»Würden Sie mir einen großen Liebesdienst erweisen, es mir gestatten, Ihnen rückhaltlos zu vertrauen?«

Sie streckte ihm die kleine Hand hin, ihr Blick leuchtete bezaubernd zu ihm auf.

»Sprechen Sie, Graf«, flüsterte sie. »Kein Mensch hier meint es ehrlicher mit Ihnen als ich!«

Er zögerte und blickte momentan starr vor sich nieder.

»Ich möchte es so gern wissen, ob Fräulein von Sprendlingen den Dragoner wahrlich so sehr liebt.«

»Soll ich es auskundschaften bei ihr?«

»Sie sind doch ihre Freundin!«

»Nichts leichter, als das zu erfahren! Seien wir ganz ehrlich, Graf!« Thea entfaltete den Fächer und flüsterte zu ihm auf: »Sie möchten wissen, ob Sie Aussichten haben, Gabrieles Herz zu gewinnen?«

Er wurde dunkelrot. »Ich glaube, Sie treffen das Richtige, Gräfin! Es würde mir von großem Wert sein, zu wissen, wie ich es anfangen muß, um mir die Gunst Ihrer Freundin zu gewinnen. Das war es, was ich Sie fragen wollte.«

»Ich ahnte es. Sie sind von Gabrieles Schönheit bezaubert, und es würde keine liebere Mission für mich geben, als Ihnen das Herz der Gefeierten zuzuwenden.«

»Wenn Sie mir nur eine kleine Anleitung geben wollten, Gräfin, womit ich Fräulein von Sprendlingen unterhalten soll, was ich muß, daß sie mir ihr Interesse zuwendet. Wenn sie es wüßte, daß sie mir so sehr, sehr gut gefällt ...« Er unterbrach sich und strich abermals mit der Hand über die Stirn. »Das Reiten scheint ihr viel Freude zu bereiten, und wenn sie Wert darauf legt, will ich gern ...«

»... Dragoner werden.« Thea hob beinah entsetzt die Hand und sah plötzlich ganz blaß aus. »Wäre das Ihr Ernst, Graf?«

Er lächelt. »Nein, daran ist gar kein Gedanke, Gräfin. Wozu das? Ich habe daheim ernstere Pflichten zu erfüllen, als hier in behaglicher Friedenszeit eine Uniform spazierenzutragen.«

»Ganz meine Ansicht! Und eine Frau, die das nicht einsieht, verdient es nicht, Ihre Gemahlin zu werden!«

Er wollte antworten; in demselben Augenblick drängte sich jedoch ein junger Infanterieoffizier durch die spalierbildenden Damen und Herren und verneigte sich hastig.

»Darf ich bitten, Komtesse, die Polka, die Sie so gütig waren, mir zu schenken.«

Thea erhob sich zögernd.

»Ah, die Polka! Eigentlich dürfte ich nicht mehr tanzen, ich bin todmüde.«

»Das wäre grausam, Komtesse! Diese eine kleine Polka schadet Ihnen sicher nicht.«

Die junge Dame lächelte ein wahres Märtyrerlächeln. Sie blickte zu Guntram Krafft auf und sagte: »So will ich es machen wie die Schwalben, die zwar scheiden, aber wiederkehren.«

Gräfin Sevarille kehrte auch wieder, aber sie fand den Erbherrn von Hohen-Esp in sehr eifrigem Gespräch mit einem Ministerialrat, dem Guntram Krafft seine Absicht, in Sachen der Rettungsgesellschaft für Schiffbrüchige hier zu wirken, ausgesprochen hatte.

Der alte Herr hörte voll liebenswürdigen Interesses zu und nannte die Bemühungen des Grafen sehr anerkennenswert und hochherzig, versicherte aber, daß er selber in dieser Angelegenheit absolut nichts tun könne, und verwies ihn an eine andere Adresse.

Das Gespräch drehte sich zu Theas großem Mißvergnügen noch längere Zeit um lauter sachgemäße Auseinandersetzungen und wollte sich absolut nicht wieder in jene hochinteressanten Bahnen lenken wie zuvor. Zu ihrem Ärger kamen auch wieder neue Tänzer, die sie nicht gut abweisen konnte, und entführten sie, und der Ball näherte sich seinem Ende, ohne daß sie die so mühsam errungenen Vorteile bei dem Bären noch weiter ausnutzen konnte. Fraglos hatte sie seine Sympathien gewonnen; solange aber die törichte Schwärmerei für Gabriele noch anhielt, waren ernsthafte Aussichten für sie ausgeschlossen.

Thea hatte es längst durchschaut, daß Herr von Heidler viel zu hohe Ansprüche an die Mitgift seiner Zukünftigen stellte, um sich mit Gabrieles Vermögen, so ansehnlich dasselbe auch sein mochte, zufrieden zu geben, daß dies dem Grafen Hohen-Esp aber möglichst unbekannt blieb, ja, daß er so radikal wie möglich von seiner Schwärmerei geheilt werde, das mußte vorerst die größte Sorge der Gräfin sein.

»Sie kommen doch morgen abend in den Petersburger Hof, wo wir zu Ehren der auswärtigen jungen Damen und Herren noch einmal tanzen?« flüsterte sie zum Abschied zu Guntram Krafft empor. Der folgte just mit einem seltsam verschleierten Blick dem Fräulein von Sprendlingen, die, ohne nur den Kopf nach ihm zu wenden, lachend und plaudernd vorüberschritt.

»Ich weiß es nicht, Gräfin. Was soll ich da?«

Sie entfaltete den glitzernden Fächer und winkte ihn näher herzu.

»Ich gehe morgen nachmittag zu Gabriele und forsche sie aus«, flüsterte sie. »Und abends, während des Balles, teile ich Ihnen mit, was geschehen muß, um Gabriele für Sie zu interessieren.«

»Oh, Gräfin, wie sollte ich Ihnen das danken?« stammelte er und sah abermals aus wie ein Kind, dem man lockende Märchen erzählt. »Unter diesen Umständen komme ich natürlich.«

Sie nickte ihm lächelnd und vertraulich zu.

»Was wollen wir morgen zusammen tanzen oder ›absitzen‹, Graf?« fuhr sie flüsternd fort; »lassen Sie uns besser sogleich etwas Bestimmtes verabreden, sonst wandere ich wieder von einem Arm in den anderen und kann Ihnen nichts erzählen.«

»O gewiß ... alles, was Gräfin befehlen.«

»Gut, sagen wir also den ersten Walzer und das Souper. Bei Tisch ist man oft am ungestörtesten. Vergessen Sie es aber nicht! Das Souper und den ersten Walzer!«

Thea nickte ihm mit reizendem Lächeln zu und drückte seine Hand zum Abschied; und als Guntram Krafft im Wagen saß und nach dem Hotel fuhr, sah er im Geiste das herzgewinnende Gesichtchen der Gräfin beinah deutlicher vor sich als das kalte und abweisende Antlitz Gabrieles, deren Worte ihn erbarmungslos verfolgten bis in den kurzen, unruhigen Schlaf hinein.

Am nächsten Vormittag gedachte der Graf von Hohen-Esp für jene Angelegenheit zu wirken, die ihn ursprünglich hierher in die Residenz geführt hatte. Er wollte den Finanzminister aufsuchen, um ihn, wie der Ministerialrat gestern abend geraten hatte, für die Anlage einer neuen Rettungsstation zu interessieren.

Er mußte lange warten, bis Seine Exzellenz einen Augenblick Zeit erübrigen konnte, und kaum daß er ein paar einleitende Worte gesprochen hatte, lächelte der alte Herr sehr verbindlich und reichte ihm die Hand.

»Ich ahne bereits, worum es sich handelt, mein lieber Graf«, sagte er, »und ich möchte Ihre und meine Zeit nicht unnötig in Anspruch nehmen. All diese Angelegenheiten, die Sie da berühren, sind nicht meine Sache; sie dürften in erster Linie das zuständige See- und Hafenamt interessieren. Gestatten Sie einen Augenblick, ich werde mich informieren und Sie sogleich vor die rechte Schmiede schicken.«

Guntram Krafft wartete; und man schickte ihn weiter von Pontius zu Pilatus, und überall begegnete er viel Liebenswürdigkeit und viel höflichen Worten, nirgends aber einer Zusage oder energischen Hilfe. Man schien die ganze Sache nirgends so recht ernst zu nehmen und mehr an eine müßige Spielerei oder an ungerechtfertigte Ansprüche zu glauben.

Einer der Herren, die beim Mittagstisch neben dem Grafen saßen und dem er sein Leid betreffs all seiner vergeblichen Bemühungen klagte, schüttelte den Kopf.

»Ich verstehe vollkommen, was Sie bezwecken und wünschen, und würde mit Freuden der erste sein, der Ihre so uneigennützigen Wünsche möglichst fördert. Aber, aber ...« Der Sprecher zuckte sehr bedauerlich die Schultern und schwieg.

»Welch ein ›Aber‹? Läßt sich dasselbe nicht durch den guten Willen überwinden?«

»Nein, Herr Graf! Gerade dieses ›Aber‹, das man wohl Ihren Bemühungen als Schranke gegenüberstellen muß, ist das einzige, das sich selbst mit dem besten Willen nicht überwinden läßt. Ich meine das Geld.«

»Das Geld?« wiederholte der Graf mit etwas unsicherer Stimme. »Ich nehme an, daß die Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger über genügende Mittel verfügt.«

Der alte Herr seufzte tief auf. »Nein, Herr Graf, da befinden Sie sich leider in großem Irrtum. Die Ansprüche, die von Jahr zu Jahr an diese unvergleichliche, so bienenfleißig arbeitende und schaffende Gesellschaft gestellt werden, schwellen mit der stets und ständig wachsenden Not bis ins Ungeheuere an, während sich doch keine Quelle erschließt, dementsprechende Mittel neu zuzuführen. Wir müssen daher vor allen Dingen bemüht sein, uns nach Kräften selber zu helfen. Haben Sie nicht bisher die gute Sache in umsichtigster und opferfreudigster Weise gefördert? Lassen Sie es sich auch ferner in gleicher Weise angelegen sein, das Ihre zu tun. Man wird Ihnen danken!«

Noch ein paar höfliche Redensarten, Worte der Anerkennung und des Dankes für die warme Teilnahme, die der Graf dem Rettungswesen entgegenbringe, dann schloß sich die Tür hinter ihm. In tiefe Gedanken versunken schritt Guntram Krafft nach seinem Zimmer. Ein Gefühl großer Niedergeschlagenheit und Mutlosigkeit wollte ihn überkommen. Seine liebsten, schönsten Hoffnungen waren fehlgeschlagen, und sein Herz, das voll so heißer, wahrer Begeisterung für die gute Sache schlug, blutete aus der Wunde, die die Gleichgültigkeit und der Mangel an echter Nächstenliebe ihm geschlagen hatten.


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