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XV.

Gräfin Thea Sevarille hatte eine schlaflose Nacht gehabt.

Mit weitoffenen, brennenden Augen hatte sie in den Kissen gelegen und überlegt, auf welche Weise sie mit einem einzigen geschickten Schachzug die Königin Gabriele mattsetzen und selber als Siegerin aus dem Spiel hervorgehen könne. Daß Guntram Krafft ein Mann war, der überlegte, hatte sie bereits bemerkt. Seine aufflammende Liebe für Gabriele war bereits so stark, daß er auf Einflüsterungen nichts mehr gab. Das hatte sie erfahren, als die ihm so geschickt beigebrachte Verlobung Gabrieles mit Heidler nur die eine Folge hatte, daß der Graf sich bei dem Souper an ihre Seite setzte und sich doppelt zu bemühen schien, den Nebenbuhler rechtzeitig aus dem Sattel zu heben.

Er mußte durch ein drastischeres Mittel überzeugt werden, um sein Rennen aufzugeben.

Da durchfährt sie plötzlich ein Gedanke und jagt ihr heiße Glut in die Schläfen.

Gabrieles Zettel! Jener Zettel, den das törichte, selbstbewußte Mädchen vor Jahren geschrieben hatte, der Zettel, auf dem sie erklärt, nun und nimmer den Grafen von Hohen-Esp heiraten zu wollen.

In fliegender Hast entzündet Thea das Licht, wirft ihr Morgenkleid über und eilt an den Schreibtisch im Nebenzimmer.

Besitzt sie ihn überhaupt noch? Mit bebenden Händen durchwühlt Thea den Inhalt der Schublade.

Hier! Zwischen mehreren Erinnerungen und Briefen liegt das Gesuchte. Theas Augen leuchten auf, sie faßt den Zettel fest, so krampfhaft fest, als fürchte sie, er könne ihr noch jetzt entrissen werden, wirft den vergilbten Kram hastig in die Schublade zurück und eilt auf den weichen Sohlen ihrer roten Morgenschuhe fröstelnd in das Schlafzimmer zurück.

Dort liegt sie wieder in den Kissen, und starrt mit brennendem Blick auf die noch sehr deutliche Bleistiftschrift hernieder. Vortrefflich! Gabriele hat ihren Namen genannt, sie hat die Zeilen gewissermaßen an Thea gerichtet. Der Inhalt ist überraschend gut. Klarer, deutlicher und beleidigender kann er beim besten Willen nicht gedacht werden.

Noch kurze Zeit wirbeln die Gedanken hinter Theas Stirn, dann ist sie einig mit sich, ihr Plan ist ausgereift. Er ist einfach, sehr einfach, aber gerade dadurch verspricht er den Erfolg.

Gräfin Sevarille dehnt die Arme und schließt mit wohligem Lächeln die Augen.

*

Das Hotel St. Petersburg ist ein altes, gutes Haus. Es hat schöne, einfache Räume, solide Preise, eine vorzügliche Küche und die beste Gesellschaft zu Gast. Daher besteht nach wie vor die Sitte, daß nach jedem Hofball eine Nachfeier im Hotel St. Petersburg stattfindet, eine Art Kavalierball, der sehr beliebt und viel besucht ist.

Auch Guntram Krafft hatte seinen Namen am Vormittag noch in die ausliegende Liste für die auswärtigen Herrschaften eingetragen, und er war auch schon als einer der ersten zur Stelle, als die Wagen heranrollten.

Thea schwebte in einer rosa Tüllwoge in den Saal und winkte dem Grafen schon von weitem mit bedeutungsvollem Lächeln zu. Sie war von Tänzern umringt, mußte die älteren Damen begrüßen und mit den jüngeren ein wenig plaudern, so daß schon die ersten Walzerklänge durch den Saal fluteten, ehe der Graf ihr Guten Abend sagen und sie daran erinnern konnte, daß sie die Güte gehabt hatte, ihm schon gestern zwei Tänze zuzusichern.

Sie reichte ihm mit einem reizenden Lächeln die Hand und sagte leise: »Wie sollte ich diese Tänze vergessen! Gerade auf sie freue ich mich ja am meisten!«

Guntram Krafft wurde dunkelrot und drückte die schlanken Finger aufgeregt zwischen den seinen.

Thea freut sich auf die Tänze? Nun, dann hat sie ihm sicher etwas recht Angenehmes mitzuteilen!

Er wollte gern sofort mit ihr plaudern, da aber am heutigen Abend sehr viel flotter getanzt zu werden schien, war es der vielen Extratouren wegen nicht möglich. Ein Hofball ist mehr eine glänzende Schaustellung, eine Parade; eine Nachfeier im Hotel St. Petersburg jedoch ist das schöne Recht der Jugend, wo sie alles nachholen will, was ihr die steifere Etikette der Hoffeste verkümmert hatte.

Gabriele war noch immer nicht erschienen; Guntram Krafft wandte kaum einen Blick von der Tür. Er stand, in Wahrheit um ein Haupt länger als das übrige Volk, nahe am Eingang und schaute voll ungeduldiger Sehnsucht jener Einzigen entgegen, die trotz ihres schroffen und abweisenden Wesens all seine Gedanken wie durch einen Zauberbann gefesselt hielt.

Herr von Heidler ist bereits anwesend und scheint sich nicht viel Sorge um das Zögern seiner Herzenskönigin zu machen. Er tanzt bereits sehr flott mit der gestern zuerst bei Hof präsentierten Enkelin des Ministers, ein überschlankes Püppchen mit trotz ihrer Jugend schon recht blasiertem, ausdruckslosem Gesicht. Man erzählte sich aber heute morgen im Hotel, wo verschiedene Herren in Gesellschaft Guntram Kraffts frühstückten, daß Fräulein Henny ein goldenes Kälbchen sei, um das wohl bald ein recht lebhafter Tanz beginnen werde.

Ja, er beginnt bereits! Herr von Heidler verschmäht es nicht, in Abwesenheit seiner angebeteten Gabriele mit recht zündenden Blicken in das spitze, sommersprossige Gesicht zu sehen.

Schon der zweite Tanz nähert sich dem Ende, und noch immer ist Fräulein von Sprendlingen nicht erschienen. Auch Thea fällt es auf.

»Wo steckt denn Gabriele?« fragt sie einen der Vortänzer. »Hat sie etwa abgesagt?«

»Leider, leider!« dienert der Vielbeschäftigte, »noch in letzter Stunde. Infolge plötzlicher Krankheit!«

Beinah atemlos vor Interesse hat Thea zugehört. Gabriele krank? Günstiger konnte es sich für ihre Pläne ja kaum treffen!

Thea hatte eigentlich noch ein wenig warten wollen, ehe sie den großen Trumpf ausspielte; nachdem sie aber die köstliche Nachricht erhalten hatte, daß Gabriele krank sei, hielt sie nicht länger zurück, sie brannte darauf, das Eisen zu schmieden, solange es heiß war. Geschmeidig wand sie sich durch die Plaudernden und stand im nächsten Augenblick vor dem Bären von Hohen-Esp, der ihr bereits voll fiebernder Ungeduld entgegensah.

»Jetzt kommt unser Tanz, Gräfin, nicht wahr?« fragte er hastig.

Sie lachte und legte das Händchen mit allen Zeichen großer Erschöpfung auf seinen Arm. »Nein, Gott sei Dank, noch kommt er nicht, Graf! Ich bin halbtot! Ich muß mich erst eine Weile ausruhen, und darum will ich vor dem nächsten Galopp flüchten.«

»Ganz recht, Sie tanzen viel zu viel, Gräfin, es wird Ihnen schaden!« sagte er und wandte sich nach einem Nebenzimmer, an dessen Spiegelwänden nur eine Reihe von Stühlen stand. »Kommen Sie bitte hier herein! Es ist kühl und menschenleer.«

Guntram Krafft stand vor Gräfin Thea, die sehr graziös und so matt wie ein rosa Wölkchen in der Sommerhitze auf einen der Stühle niedersank.

»Wo bleibt Fräulein von Sprendlingen?« fragte er ohne jede Einleitung, so, wie sich ihm die Worte ungestüm auf die Lippen drängten.

»Gabriele? Wissen Sie es noch nicht? Sie ist krank.«

»Krank? Mein Gott, was fehlt ihr?«

Thea hob mit umwölkter Stirn die Schultern. »Vielleicht erkältet, vielleicht auch nicht. Herzlose Mädchen kokettieren ja oft nur eine Indisposition, um sich rar und interessant zu machen.«

»Herzlose Mädchen ... kokettieren ...?« stammelte Guntram Krafft beinah erschrocken. »Urteilen Sie so über Ihre Freundin?«

Thea blickte ihn seltsam an, so warm, so innig und traurig, daß ihm abermals das Blut in die Wangen schoß.

»Setzen Sie sich zu mir, Graf«, hauchte sie weich. »Graf ...!«

Er starrte sie an. »Warum sprechen Sie nicht weiter, Gräfin?«

Sie seufzte. »Ich möchte Ihnen so gern alles Unangenehme ersparen.«

»Ich höre lieber Unangenehmes als gar nichts«, sagte er leise. »Und Sie sind so gut und rücksichtsvoll zu mir, Gräfin, daß aus Ihrem Mund sicherlich auch das Schlimmste noch erträglich klingt.«

Wieder traf ihn ihr Blick in so herzlicher, ehrlicher Trauer, daß es ihm ganz wundersam zumute ward.

»Graf, meine Mission ist trostlos genug, denn wenn es nach mir ginge, sollten Sie wahrlich glücklich sein! Hätte es mir Gabriele nicht schriftlich gegeben, ich würde nie ...«

Er hatte sie erst mit warmem Dankesblick angesehen, jetzt hob er jäh das Haupt und unterbrach sie.

» Schriftlich gegeben?« wiederholte er erstaunt.

Sie zog ein Notizbüchlein aus dem Kleid und entnahm ihm einen Zettel, zog denselben jedoch hastig zurück, als Guntram Krafft mit allen Zeichen großer Erregung danach greifen wollte.

»Halt, Graf! Wenn ich Ihnen diesen Zettel zeige, begehe ich eine große Indiskretion an Gabriele, und ich tue es nur, weil Sie mich gestern zu einer gewissen Offenheit verpflichteten. Leicht wird es mir wahrlich nicht, ich leide unsäglich unter der Rolle einer Vertrauten, die Sie mir zuteilten!«

»Gräfin ... foltern Sie mich nicht ... lassen Sie mich lesen ...«

»Nur unter einer Bedingung ...«

»Ich gelobe alles, was Sie verlangen!«

»Geben Sie mir Ihr Ehrenwort, schwören Sie es mir bei allem, was Ihnen heilig ist, daß nie ein Mensch, Gabriele selber am wenigsten, jemals es erfährt, wie indiskret ich handelte, Ihnen diesen Zettel zu zeigen. Sie geloben mir strengste Diskretion?«

»Ich gelobe sie und werde mein Wort halten.« Er bot ihr mit seinem offenen, grundehrlichen Blick die Hand, und Thea schlug ein.

»Gut; ich glaube Ihnen. Ich habe rückhaltloses Vertrauen zu Ihnen, Graf. Und nun lassen Sie mich erst erzählen, wie ich zu diesem Zettel kam.«

»Ich bitte darum.«

»Es interessierte Sie, zu wissen, welche Meinung Fräulein von Sprendlingen über Sie hegte und was Sie eventuell tun könnten, um sich ihre Sympathien zu erwerben.« Thea sprach schnell und leise, ihre schlanken Finger hielten den Zettel zwischen den rosa Tüllwogen auf ihrem Schoß. »Ich wollte ihr demzufolge gestern morgen einen Besuch machen, um sie ein wenig auszuforschen, wurde aber nicht angenommen. Ich ging nach Hause und versuchte mein Heil schriftlich. Wahrlich, Graf, ich habe es sehr diskret angefangen und begreife nicht, wie Gabriele sogleich ans Heiraten denken konnte; aber derart verwöhnte Mädchen wie sie wittern ja überall einen Heiratsantrag. Hier lesen Sie selber, in welch unerhört beleidigender Weise sie mir antwortete.«

Die Sprecherin reichte ihm brüsk den Zettel, und Guntram Krafft nahm ihn und neigte das Haupt tief darauf nieder.

Theas Blick heftete sich scharf auf sein Antlitz, sie sah, wie es erbleichte, wie sein Auge starr und glanzlos auf den Zeilen ruhte. Regungslos saß Graf Hohen-Esp, sein Atem ging schwer, und der Zettel schwankte in seiner Hand.

Er antwortete noch immer nicht, und Thea legte leise und zart ihre Hand auf seinen Arm.

»Oh, sehen Sie, Graf, wie diese grausamen Worte Sie verletzten! Oh, wie beklage ich es, wie sehr bereue ich es nun, sie Ihnen gezeigt zu haben.«

Er schüttelte den Kopf, faltete den Zettel zusammen und schob ihn in die Brusttasche.

Thea griff hastig danach.

»Oh, geben Sie ihn zurück, Graf!«

»Unbesorgt, Gräfin, das Papier ist gut aufgehoben; ich habe Ihnen ja Diskretion gelobt. Aber ich bitte Sie, mir den Zettel zu eigen zu geben.«

Er sprach mit seltsam harter, klangloser Stimme.

»Graf, zürnen Sie auch mir

Er blickte sie fragend an. »Zürnen? Ich zürne weder der Schreiberin noch Ihnen. Daß Fräulein von Sprendlingen sich nur für einen Helden begeistern kann und mich niemals heiraten wird, weil ich ihr nicht imponiere, ist Geschmackssache, dagegen läßt sich nicht streiten.« Er sprach sehr ruhig.

»Graf!«

Er schrak empor. »Ich danke Ihnen, Gräfin, daß Sie mich jetzt schon erfahren ließen, was mich später wohl noch schwerer angekommen wäre. Ich weiß, daß Sie mir gewiß lieber einen freundlicheren Gruß überbracht hätten. Bitte, vergessen Sie diese traurige kleine Episode.«

»Ich soll sie vergessen?« Thea neigte sich vor und sah ihm voll rührender Innigkeit in die Augen. »Nein, Graf, Sie sollen vergessen, und zwar so schnell und so gründlich wie möglich! Lassen Sie uns gehen! Der Sekt soll Sie auf heitere Gedanken bringen, und wenn die Flöten und Geigen wieder erklingen, wollen wir jedem Mißgeschick ein Schnippchen schlagen und uns doppelt und dreifach des Lebens freuen! Sie haben mir das Ehrenamt einer Vertrauten übertragen, Graf, und deren erste Verpflichtung ist es, ein trauriges Herz zu trösten und zu erheitern!«

Sie nickte lustig dem Vortänzer zu, der in die Tür trat und winkte, hängte sich wie ein rosiges Flöckchen an den Arm ihres bärenhaften Tischherrn und schritt mit ihm, Triumph und Zuversicht im Herzen, zum Souper.


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