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XXIII.

Die Bäume des Waldes rauschen im Wind, neigen sich und blicken in das bleiche, ernste Antlitz Gabrieles, das so seltsam verändert erscheint.

Wo war die kühle, gleichgültige Ruhe geblieben, die sonst aus ihren Augen geschaut hatte? Gabriele kann ihre Gedanken nicht von dem Erlebten und Guntram Krafft lösen.

Nein, es war nicht derselbe! Es war nicht möglich, nicht denkbar, daß binnen kurzer Zeit ein solcher Wechsel und Wandel mit einem Menschen vor sich gehen kann! Nein, es ist kein Wandel.

Guntram Krafft ist wohl stets der kernige Mann gewesen, wie er jetzt vor ihre Augen tritt, die kurze Gastrolle aber, die er in der Residenz gegeben, hatte ein Zerrbild aus ihm gemacht, dessen weichliche Züge in nichts der Wahrheit glichen.

Ist es nur das Neue, Überraschende, was Gabriele so fesselt, so ungewöhnlich erregt? Ist es Zauberspuk, daß ihr sein schönes, eigenartiges Bild vorschwebt, ob sie es sehen mag oder nicht?

Scharf wie der Adlerblick war sein Auge, als er prüfend See und Himmel beobachtete, sichere Fahrt zu nehmen, und wie mild und träumerisch wurde es, als der Sonnenuntergang seine geheimnisvollen Bilder vor ihm spiegelte, als er ihr leis und schwärmerisch seinen Zauber mit den Worten eines Dichters malte.

Er sprach wie in kurzem Traum, und der Wind verwehte den Klang seiner Stimme. Als er erwachend das Haupt hob, war der Traum vergessen. Da schafften seine starken Arme voll eiserner Kraft, da machten sie sich die Elemente untertan und besiegten sie wie in harmlosem Spiel.

Und dann ... Gabriele atmete plötzlich schwer auf und schritt ungestüm weiter ... Dann umfing sie dieser kraftvolle Arm und trug sie durch den kräuselnden Wellenschaum, und sie umschlang seinen Nacken und war seinem Antlitz so nah, wenngleich er das seine in respektvoller Ritterlichkeit auch abwandte.

Warum schlug ihr Herz so heiß und leidenschaftlich in diesem Augenblick?

Horch, wie der Wind durch die Baumkronen braust, es klingt wie spöttisches, grimmiges Gelächter! Noch wenige Schritte, und die grauen, efeuumsponnenen Mauern von Hohen-Esp tauchen vor ihr auf.

Die steinernen Bären sehen sie mit den bemoosten Augen an, als ob auch sie lachten, und heben die Pranken und kehren ihr das alte Wappenschild zu.

Schirmherr der Not! Gibt es einen edleren Helden als einen Mann, der hochherzig und selbstlos sein Leben einsetzt, der Not des Nächsten zu Hilfe zu kommen?

Die Grafen von Hohen-Esp aber haben seit vielen Jahrhunderten ihr Schwert und ihren starken Arm in den Dienst der Not gestellt. Auch Guntram Krafft ist ein Hohen-Esp!

*

Gräfin Gundula schien ihre junge Gesellschafterin bereits erwartet zu haben. Sie trat ihr in der Halle entgegen und sah sehr heiter und zufrieden aus.

»Anton sollte dem leichtsinnigen kleinen Fräulein noch ein warmes Tuch an den Strand nachtragen«, scherzte sie. »Statt dessen kommt der Alte unverrichteterdinge zurück und meldet, daß das gnädige Fräulein mit dem Herrn Grafen hinausgerudert sei. Das nenne ich Mut, liebe Gabriele; denn soviel ich von hier aus beurteilen kann, ist die See bewegt.«

»Und wie bewegt, Frau Gräfin! Für meine Begriffe war es Sturm!«

Gundula lacht und dreht das junge Mädchen dem Fenster zu.

»Lassen Sie sehen, wie Ihnen diese Extravaganz bekommen ist. Nun ja ... blaß wie eine weiße Rose. Das konnte ich mir schon denken. Schnell trinken Sie ein Glas Wein, damit Sie wieder Farbe bekommen. Hat es Ihnen unser schönes Meer nun doch angetan?«

»Es war in seiner Erregung entschieden viel berückender als in seiner Ruhe«, lachte das junge Mädchen und trat noch weiter aus dem Fensterlicht zurück in die dämmrige Halle. »Ja, es war so herrlich anzusehen, daß mich das unwiderstehliche Verlangen ankam, mich einmal mutig hinauszuwagen.«

»Wie war Ihre Fahrt? Erwiesen Sie sich seetüchtig?«

»Es schaukelte furchtbar, und ganz unter uns gesagt, Frau Gräfin, ich habe mich schrecklich gefürchtet. Ich wollte mich nur nicht allzusehr vor dem Grafen blamieren, sonst wäre ich sehr bald wieder ausgestiegen, als ich merkte, wie hoch die Wellen gingen.«

»Fürchten? Wenn Guntram Krafft die Ruder führt?« Wie ruhig, wie stolz und zuversichtlich klangen diese Worte.

Gabriele neigte das Köpfchen. »Der Graf ist gewiß sehr stark und kräftig, aber gegen Sturm und Meer aufkommen vermag schließlich niemand, und ich glaube, Ihr Herr Sohn wußte es anfangs selber nicht, wie arg der Wind war, sonst hätte er vielleicht die Fahrt gar nicht unternommen.«

Nun lachte die Gräfin ebenso laut auf wie zuvor Guntram Krafft, als sie vom Sturm gesprochen hatten.

»Ich wünschte nur, Sie erlebten bald einmal das, was wir hier ›grobe See‹ nennen!« sagte sie dann mit seltsam leuchtendem Blick. »Ich glaube, Sie kennen bisher weder einen echten, rechten Seesturm noch das Meer, wenn es zornig wird, noch den Bären von Hohen-Esp, wenn er beiden die Zähne zeigt. Was bringen Sie, Anton?«

»Halten zu Gnaden, Frau Gräfin. Soeben bringt einer aus dem Dorf die Nachricht, daß der Herr Graf nicht rechtzeitig zum Abendbrot kommen könne. Man wisse nicht, was die Nacht bringe, und es seien mancherlei Vorbereitungen am Strand zu treffen. Der Herr Graf lassen die Damen bitten, allein den Tee zu trinken, da es bis zu seiner Rückkehr spät werden könne.«

»Gut, Anton; ich dachte es mir schon. Es ist zwar noch keine telegrafische Sturmwarnung an meinen Sohn eingetroffen, aber der Seemann versteht sich schon auf die Anzeichen, die Vorsicht gebieten. So stecken Sie die Lampe an und sagen Sie der Mamsell, daß für uns gerichtet werde.«

Gabriele hatte hoch aufgeatmet bei der Nachricht, daß Guntram Krafft heute fernbleiben werde. Sie wußte es selber nicht, warum sie ein gewisses Bangen empfand, ihm heute wieder in die Augen zu schauen. Noch schlug ihr Herz zu ungestüm, wenn sie an den Augenblick dachte, wo er sie an der Brust gehalten hatte. Es war gut, wenn sie Zeit gewann, ihre törichte Verlegenheit zu überwinden.

»Arme Mike!« fuhr die Gräfin mitleidig fort. »Sie bekommt gewiß einen stürmischen Hochzeitstag. Das Heulen, Sausen und Wogenbranden ist zwar für eine wackere Fischersfrau gewohnte Musik, aber es sollte mir leid tun, wenn die kleine Frau ihren jungen Ehemann gleich in böses Wetter hinausschicken müßte.«

»Mike?« fragte Gabriele nachdenklich. »Ist das nicht das blonde, hübsche Mädel, mit dem Sie vorgestern im Dorf sprachen, Frau Gräfin?«

»Ganz recht, dieselbe. Sie heiratet morgen den Jugendgespielen meines Sohnes, Jöschen Grotrian mit Namen, einen wackeren, prächtigen Burschen, der beste unter Guntram Kraffts Lotsen. Vorhin war Mike mit der Mutter bei mir, um uns alle noch einmal feierlich zur Hochzeit einzuladen. Ich habe zugesagt, auch für Sie, liebe Gabriele. Wir Hohen-Esper und unsere braven Fischer drunten gehören in Freud und Leid zusammen. Wir sind in der langen Reihe der Jahre wie eine große Familie geworden, und gemeinsame Not, Angst und Sorge und manch einstimmiges Gebet am Strand waren der Kitt, der unsere Herzen treu zusammengefügt hat. Da ist es undenkbar, daß sich im Dorf drunten jemand freuen oder betrüben könne, ohne daß wir innigen Anteil daran nehmen. Sie haben gewiß noch keine Fischerhochzeit mitgemacht, liebe Gabriele. Dennoch hoffe ich, daß sich Ihr gutes Herz in all dies Fremde finden wird.«

Der Blick der Sprecherin hatte sich wie in nachdenklichem Forschen auf das reizende Antlitz des jungen Mädchens geheftet, und als sie das freudige Aufleuchten in den großen Augen und das Lächeln um die rosigen Lippen sah, streckte sie Gabriele die Hand entgegen und sagte so herzlich wie noch nie zuvor: »Ja, ich sehe es Ihnen an, Sie werden uns gern begleiten. Sie fühlen und denken wie wir, Gabriele, und ich danke Gott dem Herrn, daß er Sie in unser Haus geführt hat.«

»Wo könnte es mir wohler sein als in Ihrer Nähe, Frau Gräfin, gleichviel, wohin Sie mich führen! So neu, wie mir diese Welt auch noch ist, so lieb ist sie mir schon geworden. Wo wird das junge Paar getraut werden? Müssen wir alle in das Nachbardorf zur Kirche?«

»O nein! Die Trauung findet in unserer alten Burgkapelle statt.«

»Eine Kapelle? Hier in der Burg?«

»Wir benutzen sie für gewöhnlich nicht, um dem Pfarrer den sehr unbequemen Weg durch den Wald zu ersparen. Darum gehen wir alle zu ihm. Bei außergewöhnlichen Gelegenheiten aber kommt er hierher, und Mikes Hochzeit ist solch ein besonderer Fall. Wir lassen unseren lieben Pastor mit dem Wagen holen, die Kirche wird geschmückt.«

»Oh, herrlich! Wer besorgt das?«

»Immer der, der fragt«, neckte die Bärin von Hohen-Esp. »Die Girlande nagelt freilich einer der Knechte über die Tür, und die Tannenbäumchen stellt wohl die Mamsell mit den Mägden um den Altar herum auf; aber wenn sich sonst noch ein paar geschickte Hände finden wollten, den Altar selber recht schön und poetisch zu schmücken, so wäre mir das sehr lieb; denn für gewöhnlich war das meine Sorge, die ich jetzt aber gern jüngeren Kräften überlassen möchte.«

Gabrieles Wangen leuchteten in zartem Rot. »Oh, wie danke ich Ihnen für die reizende Pflicht, Frau Gräfin, und wie freue ich mich darauf, die Kapelle zu sehen!«

»Wenn die Mägde morgen früh mit Fegen und Scheuern fertig sind, soll man Sie rufen, liebe Gabriele. Sie sorgen wohl selber im Garten für die Blumen. Kaiserkronen, Narzissen und Anemonen gibt es bereits, auch noch Krokus und Leberblumen. Nehmen Sie alles, was sie brauchen, die Sträuße können dann später noch auf den Hochzeitstisch gestellt werden.«

Erst spät kehrte Guntram Krafft heim; er schritt sogleich nach seinem Zimmer hinauf.

Auch Frau Gundula war müde, küßte Gabriele auf die Stirn und sagte ihr Gute Nacht.

Wie allabendlich begleitete sie das junge Mädchen erst nach seinem Erkerstübchen. Ganz erschrocken wich Gabriele zurück.

»Was ist das?« fragte sie betroffen.

Die Gräfin lachte. »Das ist der Wind! Hörten Sie ihn noch nie um altes Gemäuer sausen und heulen? Die Burg liegt ziemlich frei, da braust es in allen Tonarten von der See herüber. Ich fürchte, die Nacht wird schlimm; aber gottlob ist niemand von unseren Leuten draußen. Die Armen aber, die auf hoher See mit Wind und Wogen kämpfen! Vergessen Sie nicht, ihrer im Gebet zu gedenken, Gabriele, auch das ist so Sitte auf Hohen-Esp.«

Als sich die Gräfin nach herzlichem Gute Nacht zurückgezogen hatte, trat Gabriele ans Fenster und blickte in die dunkle Nacht hinaus.

Der Wind jagte schwarze Wolkenmassen über den Himmel, die Bäume drunten bogen sich und ächzten, und die Fensterriegel klappten und greinten wie mit leisem, wehmütigem Klagelaut.

Gabriele schloß die Vorhänge und begab sich zur Ruhe. Aber sie fand lange keinen Schlaf. Ihr war's, als säße sie noch im Boot, das auf und ab geschleudert wurde von tosenden Wellen. Guntram Krafft saß ihr gegenüber und führte das Ruder; er sah sie nicht an, sondern blickte starr geradeaus in die gähnende finstere Nacht; sein Angesicht glich dem jungen Wulffhardt von Hohen-Esp, der um 1503 ertrunken war.

Gegen Morgen hat der Wind ein wenig abgeflaut. Die Sonne leuchtet am Himmel, hinter dem Wald blitzen die weißen Wellenkämme der See auf. Gabriele ist frühzeitig aufgestanden. Sie hat gestern im Wald ein wildes Birnbäumchen gesehen, das in voller Blüte stand. Welch sinnigeren Altarschmuck könnte sie finden als diese duftigen, schneeigen Zweige?

Als sie in den Hof tritt, hört sie noch jenseits der Zugbrücke Hufschlag verklingen. Ein Knecht steht, die Arme behaglich in die Seiten gestemmt, und schaut dem Reiter nach.

»Ist eine telegrafische Nachricht gekommen, Christian? Die erwartete Sturmwarnung von der Seewarte?«

Der Mann lacht die Fragerin mit seinen hellblauen Augen vergnügt an.

»Nee, gnä Frölen! Dat wi nähstens doch 'n ollen düchtigen Bö kreegen, dat weeten wi ganz alleen!«

»Wer ritt soeben fort?«

»Dat wier nur uns' junge Graf. He sall woll up'n Feldern nach'n Rechten kieken!«

»Auf den Feldern?«

»Wie hei seggt! Du leiwe Tid! Wat het de Graf nich allens to bedenken! Keen Ruh nich bi Dag un Nacht. Un hätt dat doch so goar nich nötig! Aber dat rackert sich af! Keen Dagelöhner duht sich so schinn'n as uns' leibe Jong! Um Glock fif rett hei weg, jeßt däht hei Frühstück eten, un nu heidi wedder up't Pierd!«

Tief in Gedanken verloren schritt Gabriele weiter.

Also darum war er so selten am Morgen zu sehen, darum kehrte er neulich so staubig und erhitzt zurück und hatte so viel Eiliges mit seiner Mutter zu verhandeln. Daß er nachts mit seinen Fischern ausfuhr, die Netze zu werfen, daß er am Tag oft segelte und ruderte und anstrengende Übungen mit seinen freiwilligen Lotsen machte, das war nur Erholung, nur Vergnügen nach der Arbeit! Und diesen Mann hatte sie oft einen Bärenhäuter genannt, ihn als müßigen Tagedieb bespöttelt und verachtet! Wieder schießt Gabriele das Blut heiß in die Wangen. Wie traurig ist es doch, wenn ein Mädchen so gar keinen Begriff von Landarbeit und Seewesen hat. Was für falsche, irrige Ansichten bildet man sich in der Stadt davon, wie bitter unrecht tut man oft den Fleißigsten und Verdienstvollsten! Gabriele ist es plötzlich zu Sinn, als habe sie ein schweres Unrecht an Guntram Krafft gutzumachen.

Mit bebenden Händen pflückt Gabriele die blühenden Zweige im Wald. Ein Flockenregen rieselt auf sie nieder und streut bräutlich-weiße Blättchen in ihr lockiges Haar, in ihrem Herzen aber wächst aus kleinem Funken eine helle Flamme empor, noch flackernd und unsicher, aber dennoch stark genug, daß sie kein Aschenregen wieder ersticken kann.

Und diese Flamme brennt so vieles zu Tode, was ehemals in diesem Herzen als falsche Götzen gethront, sie macht es so hell, wo es früher dunkel war, sie läßt es so warm, ach, so warm werden, wo früher Schnee und Eis gestarrt hatten.

Mit duftigen Blütenzweigen beladen kehrt Gabriele heim, und von der niederen, gewölbten Turmtür, die zu der Kapelle führt, tönten das helle Gelächter und der Gesang der Mägde. Sie sind noch fleißig bei der Arbeit. Die Mamsell tritt Gabriele entgegen und bittet: »Wollen das gnädige Fräulein nicht noch ein halbes Stündchen warten? Dann ist die Kapelle sauber wie ein Schmuckkästchen, und Baronesse haben einen so viel schöneren Eindruck davon! Vielleicht machen Sie inzwischen erst Toilette? So ein bißchen was Weißes oder Rosiges gehört sich doch für den heutigen Tag! Und die Zweige stellen wir derweil noch in Wasser! Je kürzere Zeit sie auf dem Altar liegen, desto frischer sehen sie aus.«

»Sie haben recht, Mamsell, das ist ein guter Gedanke. So will ich mir denn ein hochzeitliches Gewand anziehen und bin in einer halben Stunde wieder hier.«


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