Paul Ernst
Prinzessin des Ostens
Paul Ernst

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Der Schemen

Der Körper des Magiers lag kraftlos in dem großen Lehnstuhl. as Gesicht war bleich und um die Nase eingefallen. Aber sein Wille arbeitete mit Anstrengung an dem Schemen.

Der Schemen schwebte vor ihm in der Luft, auf etwa drei Fuß Entfernung. Es war ein abgeschnittener Kopf mit halb geschlossenen, gebrochenen Augen, angeklatschtem, schweißigem Haar, dünnen Lippen, zwischen denen eben die blasse Zungenspitze zum Vorschein kam. Der Kopf war nicht glatt vom Rumpf abgeschnitten, sondern die Kreise der Luftröhren und des Rückgrats standen etwas über die blutigen Schnittflächen hinaus.

In den Mienen des Schemens lag der Ausdruck spöttischer Ergebung.

Mühsam richtete der Magier sich im Stuhle auf, um zu versuchen, ob seine Arbeit gelungen sei. Er rief dem Schemen zu: »Bleib!« und ging dann ins Nebenzimmer, um in seiner Weltpunktiertafel nachzusehen. Er zog und vertauschte die Stifte und sah dann lange in die Kristallkugel.

In der Kristallkugel erschien endlich die Gestalt eines Mandarins, welcher in einer Art Laube saß. Der Magier bannte das Bild und wendete sich dann wieder dem anderen Zimmer zu, wo er den Schemen allein gelassen hatte.

Dieser schwebte noch auf derselben Stelle, aber er hatte nicht mehr das Aussehen der Körperlichkeit wie vorhin. Er war durchscheinend geworden, gespensterhaft, und man konnte durch ihn hindurch die Titel der Bücher sehen, die auf dem Bücherbrett hinter ihm standen. Einen konnte man sogar deutlich lesen: Freytags »Verlorene Handschrift«.

Der Magier setzte sich geduldig wieder in den Stuhl und ließ seinen Willen von neuem wirken. Lange blieb der Schemen in seiner durchscheinenden Verfassung; aber endlich wurden die Züge wieder schärfer, das bleiche Gesicht mit den schwarzen Haaren und dem Blut trat wieder körperlicher hervor und in dem Maße, wie die Gestalt des Magiers hinfälliger und schwächer zu werden schien, wurde der Kopf lebendiger, so daß es zuletzt war, als bereite er sich vor, auf den Magier hinzuschweben.

Indem klopfte die Haushälterin. Der Magier schritt zur Tür, nahm ihr das Kaffeebrett ab und setzte es auf den Tisch. Während des Kaffeetrinkens ging er in seinem Zimmer auf und nieder, dicht an dem Schemen vorbei, welcher sich unbeweglich an einer Stelle in der Luft hielt. Es befriedigte ihn, daß der Kopf auch durch den Luftzug, welchen das Vorübergehen erzeugte, nicht in Zittern und Schwanken geriet.

Der Magier sah nach der Uhr. Es war die Zeit der Zusammenkunft. Er schloß die Stubentür ab, nachdem er den Zettel ausgehängt hatte, der die Haushälterin unterrichtete, daß er nicht gestört sein wolle. Dann legte er sich in den großen Lehnstuhl zurück und versank sofort in Autohypnose. Während derselben löste sich seine Seele vom Körper, durchdrang die Wand und begab sich zum Zusammenkunftsort. Dieser war ein möbliertes Zimmer, das eines der Mitglieder bei der Witwe eines Magistratsbeamten gemietet hatte.

Das Konventikel war vollständig. Die Seelen drängten sich in dem Zimmer; die Damen saßen auf dem Sofa und den Stühlen; einige der Herren hatten sich auf das Bett gesetzt, die übrigen standen. Und nun begann die gegenseitige Mitteilung, welche direkt, ohne Worte, stattfand.

Es war immer dasselbe. In jeden Einzelnen drang das Fluidum der Gesellschaft mit einem Schmerz, wie wenn er eine tiefe Wunde in der Brust hätte. Er hätte sich sträuben und wehren mögen, aber das durfte er nicht. Er fühlte, wie das Fluidum sich in ihn ganz ergoß, bis in die Fingerspitzen, und wie sein eigenes immer matter wurde. Zuweilen war es, als ob ein Schwert in der Brustwunde ein wenig herausgezogen und dann wieder, wie in die Scheide, hineingestoßen wurde. Niemand konnte sich wehren; jeder blickte mit entsetzlicher Angst auf die Übrigen der Gesellschaft; er wurde von einem furchtbaren Haß erfüllt gegen das Fremde, das in sein Ausgehöhltes hineinkam, und alle Übrigen erschienen ihm in grauenhafter Vermummung: ihre Gesichter waren verzerrt zu blassen Larven, oder zu Ähnlichkeit mit Tieren, und zu einer so scheußlichen Häßlichkeit, daß es im Herzen weh tat. Dann begann sich leise eine Angst von oben über die Gesellschaft zu legen, die ganz langsam immer tiefer hineindrang in die Einzelnen, bis es ihnen schien, daß sie nicht mehr atmen konnten. Sie hatten die Vorstellung, daß sie sich ganz zu bloßem Rauch verflüchtigten.

Es war, als ob Dunkelheit leise nach der Mitte des Zimmers zusammenkam.

Die Fensterscheiben blitzten schwarz in das schweigende Zimmer.

Den Einzelnen war es, als ob sie dünner würden und als ob sie versänken, und der Haß stieg immer mehr in ihnen in die Höhe und drängte sich an die Lippen; aber sie konnten ja nicht reden, da sie nur Seelen waren, und deshalb verbreitete er sich wieder im Ganzen der Seelen und drängte wieder nach außen, wie Schweiß aus den Hauptporen dringt. Diese Kräfte begegneten sich im Zimmer und zwischen ihnen fand ein Kampf statt in dem Schweigen, indem sie mit ihrer ganzen Macht gegeneinander drängten. Das war unsichtbar; auch für die Seelen, aber jeder wußte doch, was in der Mitte des Zimmers vorging, und drückte sich scheu an die Wand, um nicht mit fortgerissen zu werden in das Drängen und dann zerquetscht zu werden.

* * *

Der Mandarin, welchen der Magier sich als Opfer ausgesucht, war ein noch ziemlich junger Mann. Er hatte, wie das in China üblich ist, auf Kosten einer Gesellschaft studiert, welche die Rückzahlung der vorgestreckten Gelder nebst dem aufgelaufenen Zinsbetrag und einem mäßigen Gewinn nach der Anstellung erwartete. Da er nach einem glänzend bestandenen Examen sofort einen sehr hohen Posten bekommen hatte, so wurde es ihm nicht schwer, bald eine Frau aus guter Familie zu finden, deren Vater einverstanden war, nicht nur kein Geld von ihm zu verlangen, sondern sogar noch den Schwiegersohn von den Gläubigern auslöste.

Er bewohnte ein kleines, aber bis ins Geringste hinein geschmackvoll und zierlich ausgestattetes Haus, hinter dem sich ein sehr schöner Garten befand. Derselbe hatte ursprünglich mit dem Garten des Nebenhauses ein Ganzes gebildet, in dessen Mitte ein mit blauen Kacheln ausgelegtes Wasserbecken für Goldfische eingerichtet war. Später hatte man durch eine Mauer den Garten geteilt und über den Miniaturteich die Mauer in einem hohen Bogen hinweggeführt. Neben diesem Teich war eine Laube, in welcher der Mandarin oft neben seiner jungen und schönen Gemahlin saß, die zur Laute ein Lied eines alten Klassikers sang, während er gleichmütig mit seiner aus Holzkugeln und Jadestücken zusammengesetzten Mandarinenkette spielte und den Goldfischen zusah, welche langsam im Wasser dahinzogen. Ein Lotosbaum, dessen große, weiße Blüten ln der Sonne dufteten, gewährte ihnen Schatten, und zuweilen fiel ein Goldkäfer aus einer Blüte herunter auf das Rosenholztischchen vor ihnen und zappelte mit den Beinen.

Einst saß die junge Gemahlin des Mandarins allein in der Laube und dachte daran, wie schön es wäre, wenn ihr Mann noch eine zweite Frau hätte, die gleichaltrig mit ihr sein müßte und ebenso schön wäre; wie sie dann zusammen scherzen würden; und vielleicht hätte sie eine schöne Altstimme, und sie würden dann in dieser Laube sitzen und zweistimmige Lieder singen, während ihr Mann zuhörte und mit seiner Mandarinenkette spielte. Als sie so saß, erblickte sie ln dem ganz stillen Wasser ihr Bild, und sie beugte sich vor, es zu betrachten. Indem sah sie ein zweites Frauengesicht neben dem ihrigen; sie stieß einen leisen Schrei aus, dem hinter der Mauer ein gleicher antwortete, und fast zu gleicher Zeit schwebte ein Blütenblatt des Lotosbaumes in das Wasser, leise zitternde Kreise erregend, die sich verbreiterten und die Bilder undeutlich machten.

Auf der anderen Seite der Mauer war also offenbar gleichfalls eine Laube, in welcher, gleich ihr, ein weibliches Wesen saß. Nur ganz flüchtig hatte sie das Bild gesehen, aber das Gesicht hatte sie doch ans Herz gerührt.

Schnell eilte sie zu ihrem Gatten ins Amt, um ihm ihr Erlebnis zu erzählen. Auch er fühlte ein eigenes Sehnen im Herzen und ging mit ihr hinaus. Sie aber ergriff ihre lange Laute, die mit Schildkrot und Gold eingelegt war und silberumsponnene Saiten hatte, und sang ein Lied von Thu-Fu:

Das Wasser kräuselt sich.
Denn es ist eine Blüte hineingefallen,
Aber der ruhige Mond steht am Himmel.

In meinem Herzen ist Unruhe,
Aber meine Augen winken dem Geliebten zu.

»Du hast schön gesungen,« sagte ihr Gatte. Und plötzlich hörten sie von drüben ein paar Akkorde einer Laute, und dann begann eine herrliche Altstimme zu erwidern:

Am hohen Himmel steht der ruhige Mond,
Und eine schmale Wolke zieht vor ihm vorbei.
Ein Rind im Stall klirrt leise im Schlaf mit seiner Kette,
Und ein Geist schwebt unhörbar über einem Lilienbeet.

Als der Gesang beendet war, erblickten beide wieder für einen kurzen Augenblick das fremde Gesicht im Wasserspiegel. Dann hörten sie nichts weiter und sahen nichts, trotzdem sie noch lange saßen und harrten.

Der Mandarin ging zu seinem Schwiegervater und erzählte ihm das Vorkommnis. Dieser erkundigte sich und fand, daß die Eltern des fremden Mädchens wohl geneigt seien, ihre Tochter seinem Schwiegersohn zu geben. Er lieh diesem das Geld, welches die Eltern verlangten, und nun war alles so weit, daß in den nächsten Tagen die Hochzeitsfeierlichkeiten stattfinden sollten.

Das war gerade die Zeit, wo der Schemen ankam. Plötzlich stand das abgeschnittene Haupt vor dem Mandarinen. Es hielt sich immer in einer Entfernung von drei Fuß, wich sofort zurück, wenn er auf es zuging, und folgte, wenn er wegging. Es hatte die gebrochenen Augen halb geschlossen, die schweißigen Haare waren an die bleiche Stirn angeklebt, um den dünnen Mund, zwischen dessen schmalen Lippen die blaßrote Zunge zum Vorschein kam, lag ein Zug höhnischer Ergebung, und aus der Schnittfläche am Halse ragten die Röhren und Adern ein wenig heraus.

Natürlich merkt man in China in solchen Fällen an dem Gesichtsschnitt sofort die europäische Herkunft des Schemens, und sicherlich tragen solche Dinge nicht dazu bei, bei den Chinesen freundlichere Gesinnungen gegen uns Europäer zu erwecken, besonders heute, wo die Beziehungen ohnehin gespannt sind.

Mit Hilfe eines Zauberers stellte der Mandarin bald die genaue Herkunft des Schemens fest. Er entschloß sich, die Summe, welche er als Morgengabe für seine Verlobte hatte verwenden wollen, für seine Befreiung und eine Reise nach Deutschland zu bestimmen. Geleitet durch die genauen Vorschriften des von ihm befragten Zauberers kam er in der Stadt an und fuhr vom Bahnhof direkt nach der Wohnung seines Feindes. Begreiflicherweise erregte der Fremde großes Aufsehen, und nicht nur die Kinder, sondern auch Erwachsene versammelten sich neugierig vor dem Hause, welches er betreten. Der Magier hatte ihn schon vorfahren sehen und war sofort zur Tür gestürzt, um diese zu verriegeln. Aber vor dem Schemen, der dem Fremden drei Fuß vorauszog, sprang die Tür sofort auf. Der Magier stand mitten im Zimmer und erwartete mit glühenden Blicken den Mandarinen.

Nur auf seinen Blick konnte er jetzt noch vertrauen. Er legte in ihn das Gebot, daß der Mandarin ihm nicht näher kommen dürfe als zwei Meter; und er hatte wirklich die Kraft gehabt, das durchzusetzen. Der Chinese stürzte auf ihn zu, immer den abgeschnittenen Kopf vor sich; aber er konnte trotz aller Anstrengung nicht über die gewollte Grenze. Vergeblich umkreiste er ihn; der Magier drehte sich nur ruhig auf dem Absatz, ihn immer mit seinem Blick stierend. Sinnlos vor Wut zog der Chinese seinen Säbel und warf nach ihm; die Spitze quietschte, wie wenn sie auf Glas stoße, und der Säbel fiel machtlos zur Erde.

Aber während der Chinese den Magier so machtlos umkreiste, schwebte der Kopf, immer in gleicher Höhe, im engeren Kreis mit, etwa in der Mitte zwischen beiden. Dem Magier war die Hinterseite zugewendet. Da er, als er ihn bildete, nur an das Gesicht gedacht hatte, so war diese Hinterseite nicht ausgearbeitet; es fehlten die Haare und die Hirnschale; er sah das bloße Gehirn, das sich würmelte, grau mit roten Blutäderchen, und da der Schnitt nach hinten in die Höhe gefühlt war, so sah er die ganze Schnittfläche des Halses, blaßrot, mit dunkelroten Pünktchen, und mit den hervortretenden Schlauchenden.

Der Chinese war blaß geworden und hatte aufgehört zu schreien. Hartnäckig nur umkreiste er ihn, indem er ihm spähend in die Augen sah. Der Magier wußte, daß jener sich auf seine größere Nervenkraft verließ und abwarten wollte, bis die Kraft seines Blickes erlahmte. Und er fühlte, daß jener wirklich die größere Nervenkraft hatte. Schon mußte er kämpfen, um die Ruhe in sich zu behalten, leise hob es sich in ihm immer von neuem, und er mußte es immer wieder von neuem niederdrücken, während ihn der spähende Blick umkreiste und der Kopf mit dem würmelnden Gehirn. Er fühlte, daß er im Begriff war, die Unterscheidung der beiden spähenden Augen zu verlieren, daß sie sich in eine hellgrau leuchtende Linie auseinanderzogen. Und dabei drang in das lautlose, dumpfe Zimmer von unten das Murmeln von vielen Menschen; er hörte Rufe der Kinder und dann die schnarrende Stimme eines Schutzmanns. Der Gedanke wollte in ihm auftauchen: »was bedeutet denn das?« aber er mußte ihn niederhalten, denn er durfte an nichts anderes denken, als an die zwei Meter Zwischenraum. Und doch kamen jetzt allerhand törichte Gedanken in ihm auf, die er nicht mehr zurückhalten konnte: »Ich habe noch nicht einmal Kaffee getrunken.« »Wenn nun etwas von dem Gehirn auf die Erde fiele.« Indem hörte er einen schweren Schritt auf der untersten Treppenstufe. Die Last fiel von seinem Herzen, aber in diesem Moment des Aufatmens hatte er seinen Willen erschlaffen lassen; der Chinese sprang auf ihn zu, umklammerte ihn mit seinen festen Armen, drehte ihn nun und drängte ihn vorwärts, indem er von hinten in seine Fußtapsen trat. Vergeblich stemmte sich der Magier gegen das Drängen. Nachdem der Chinese seinen Zweck erreicht hatte, warf er ihn von sich, mitten ins Zimmer, und ging ruhig hinaus.

Der Schemen war nun an den Magier gebannt; der Magier wußte, daß alle Anstrengungen, sich mit Gewalt oder List von ihm zu befreien, vergeblich waren, und es fragte sich nur, ob er ihn nicht irgendwie im guten loswerden konnte.

Er setzte sich in seinen Stuhl und sprach mit ihm, unmittelbar, ohne Worte. Der Schemen schwebte vor ihm und ihm war, als ob das Gesicht immer spöttisch aussah. Er stellte ihm vor, wie unvorteilhaft es für ihn sei, als bloßer Kopf zu schweben, er wolle einen ganzen Menschen aus ihm machen. Er wolle ihm alsdann volle Bewegungsfreiheit geben. Er solle ganz unabhängig sein. Natürlich könne er ihm keine Seele verschaffen, aber in allem übrigen werde es ihm nicht fehlen. Und da sei er doch im Vorteil, denn von der Seele habe man ja schließlich doch nur Scherereien. .

Der Kopf erwiderte ihm, daß er wohl einsehe, die Vorschläge seien nicht ihm zuliebe gemacht, sondern nur, weil der Magier ihn loswerden wolle. Das sei ihm aber einerlei, er nehme die Vorschlage an und werde schon aufpassen, daß der Magier ihn nicht betrüge.

Darauf begann der Magier wieder zu arbeiten. Er setzte sich im Stuhl so zurecht, daß er durch nichts gestört wurde, und konzentrierte seinen Willen. Das war eine harte Tätigkeit, denn bei dem heftigen Abscheu, den er gegen den Kopf hatte, wünschte er ihm, ohne es absichtlich zu wollen, eine häßliche Vervollständigung an. Der Kopf bestand aber auf ebenmäßigen und schönen Gliedmaßen, und so mußte er wohl zehnmal seine Arbeit wieder ändern, ehe er zum elftenmal den Beifall des Kopfes fand. Ja, allmählich bildete sich bei diesem sogar eine richtige Eitelkeit heraus. Er verlangte eine große Figur, weil er wußte, daß er damit beim weiblichen Geschlecht Eindruck machen konnte, und bei den Händen und Füßen mäkelte er so, daß der Magier ihm schließlich grob erklären mußte, auf weitere Abänderungen lasse er sich nicht ein. Der Hauptschmerz des Schemens war, daß der seinerzeit vernachlässigte Hinterkopf durchaus nicht in Ordnung kommen wollte. Der rote Streifen um den Hals war ja schließlich durch den Kragen zu verdecken, aber das bloßliegende Gehirn mußte durch eine Silberplatte bedeckt werden, auf welche eine Perücke gelegt wurde.

Nun fehlte nur noch das menschliche Leben, und das war nur durch Blut zu erzielen. Der Schemen sträubte sich durchaus dagegen, Tierblut durch Transfusion in sich aufzunehmen. Der Vorschlag des Magiers, einige Kinder anzulocken und deren Blut überzuleiten, fand aus moralischen Gründen seine Billigung nicht, wie er sich denn überhaupt zu einer zwar etwas beschränkten und ganz nach außen gerichteten, aber doch nicht geradezu bösartigen Person entwickelte. Zuletzt mußte der Magier sich dazu verstehen, das Blut von sich selber zu nehmen. Er verband seinen Arm mit dem des Schemens durch den Apparat und ließ so viel Blut überströmen, wie er glaubte, ohne große Gefahr entbehren zu können. Dann lebte er eine Woche sehr diät, aß viel blutbildende Stoffe, wie namentlich frischen Spinat, und wenn er sich genügend gekräftigt glaubte, nahm er die Operation von neuem vor.

In vier Absätzen erreichten es die beiden dann schließlich, daß der Schemen das menschliche Leben in sich bekam.

Der Schemen hatte jetzt alles Unheimliche verloren. Er sah wohl zuerst noch etwas blaß und mager aus, aber da er einen sehr guten Appetit entwickelte, so verschwand diese Krankhaftigkeit des Äußeren sehr schnell. Er scheitelte sich das Haar in der Mitte, ging nie anders als im Smoking und trug eine große Silbermünze an der Uhrkette. Dem Aussehen nach war er ein Mensch im Anfang der Zwanziger. Er war von dem Magier, den er »Vater« nannte, fortgezogen und besuchte ihn nur dann und wann, um Geld von ihm zu holen.

Er verbrauchte viel, da er ein guter Kamerad war und ein recht lustiges Leben führte. Dem Magier standen zwar große Geldquellen durch seine Kunst zur Verfügung, indessen waren ihm die beständigen Anzapfungen doch unangenehm, zumal er trotz allem ein geheimes Grauen bei dem jedesmaligen Anblick seines sogenannten Sohnes nicht unterdrücken konnte. Er schlug ihm daher vor, er wolle ihn mit einer größeren Summe für immer abfinden, deren Zinsen ihm ein auskömmliches Leben sicherten; und damit er solid werde, solle er sich verheiraten.

Der Sohn war mit beidem einverstanden und eröffnete seinem Vater, daß er noch aus der Zeit her, wo er als abgeschnittener Kopf in China weilte, eine Zuneigung zu der Braut des unglücklichen Mandarins gefaßt habe. Da der Mandarin den Kaufpreis für die Eltern auf die Reise verwendet, so sei sie vielleicht noch unverheiratet, und er möchte deshalb gern nach China zurück, um sehen, wie diese Sachen stünden.

Der Vater war einverstanden und entließ ihn.

* * *

In China standen die Dinge genau so, wie der Schemen sich gedacht hatte. Da er das Geld nicht zu sparen brauchte, so machte er sich bald die Eltern des Mädchens willig und verheiratete sich mit seiner Geliebten.

Er saß nun mit ihr an den sonnigen Frühlingstagen in der Laube neben der alten Mauer, wo das mit blauen Kacheln ausgelegte Goldfischbecken war. Die Goldfische schwammen ruhig hintereinander im Kreise herum, nur zuweilen zuckte einer mit dem Schwanze und schoß zur Seite und die anderen folgten dann. Seine Frau spielte auf einer langen Laute, die mit Schildkrot und Gold ausgelegt war und silberumsponnene Saiten hatte, und sang ein Lied eines alten Klassikers und sah ihn dabei zärtlich an, er aber rauchte eine Zigarre und trommelte mit den Fingern auf dem Sandelholztisch.

Zuweilen, wenn ihm recht warm wurde, nahm er die Perücke und die silberne Platte ab, um sich das Gehirn abzukühlen. Seine junge Frau wunderte sich zwar darüber, aber da sie aus einem sehr guten Hause stammte, so war sie zu wohlerzogen, um ihn nach dem Zusammenhang zu fragen. Endlich aber ließ die Neugier ihr doch keine Ruhe und sie fragte ihn. Der Schemen berichtete ihr ganz harmlos seine Geschichte und verschwieg ihr auch nicht, daß er keine Seele habe. Natürlich erzählte die junge Frau alles weiter, und so wurde das Abenteuer bald in der ganzen Gegend bekannt.

Der Mandarin hatte sich, nachdem er aus Europa zurückgekehrt war, trauernd in sein Haus zurückgezogen. Er besorgte seine Amtsgeschäfte, setzte sich auch wohl noch in die Laube neben seine Frau vor den Goldfischteich, aber eine Freude hatte er weder an seiner Tätigkeit, noch an den Jadeknöpfen seiner Mandarinenkette, noch an der Schönheit seines Weibes und an ihrem Gesang. Als dann gar die Verheiratung seiner Geliebten bekannt wurde und er im Spiegel des Wassers die Beiden eng zusammengeschmiegt erblickte, wie ein blühender Zweig über ihren Gesichtern hing, und als er dann die Lieder von drüben hörte, da magerte er von Tag zu Tag ab und sah sich zuletzt gar nicht mehr ähnlich.

Er hörte, wie zwei Freunde sich über ihn unterhielten, und wie der eine bedauernd sprach: »Er ist nur noch Seele.« Das durchzuckte ihn, er sah an sich nieder, wirklich, von Körper war fast nichts mehr an ihm, das sich der Mühe lohnte; und sollte er nicht nunmehr das Ziel seiner Wünsche erreichen?

Er suchte seinen Nachbarn auf. Dieser machte die in China üblichen Begrüßungen; er erkundigte sich dann, wie es ihm nach ihrer Trennung ergangen sei, und schließlich erklärte der Mandarin seinen Vorschlag. Dieser bestand darin, daß der Schemen ihn als Seele annehmen solle. Ihm sei das jetzige Leben ohnehin zuwider. Er wolle keinerlei Vergütung haben, sondern trete ihm sogar noch, als seinem Erben, seinen ganzen Besitz ab, auch seine Frau.

Dem Schemen schien das Anerbieten so vorteilhaft, daß er mißtrauisch wurde. Allein so sehr er sich auch die Sache überlegte, er fand keinen Grund, es abzulehnen. Man kann sich ja denken, daß jemand, der noch nie eine Seele gehabt hat, sich keine rechte Vorstellung davon bilden kann, was das bedeutet, wenn er einfach einen Fremden als Seele in sich aufnimmt. Die beiden gingen demgemäß zum Notar und machten die Sache rechtskräftig fest.

Am bestimmten Termin kam dann der Mandarin und übergab ihm sämtliche Papiere, der Schemen nahm die silberne Platte ab, der Mandarin zog seine Kleider aus und schlüpfte durch die Öffnung im Schädel in ihn hinein.

Es fiel dem Schemen auf, daß er zunächst keine besondere Wirkung verspürte. Er merkte wohl, wie der Mandarin sich in ihm ausbreitete, sich die bequemste Lage in seinem Innern aussuchte, und ihn dann mit sich durchströmte, aber nach etwa einer Viertelstunde war das alles in Ordnung. Er hatte sich das eigentlich viel schöner vorgestellt eine Seele zu haben, und war recht enttäuscht.

Aber in der Folge sollte sich etwas zeigen, woran er vorher nicht gedacht hatte.

Wenn er zwischen seinen beiden Frauen saß, so merkte er deutlich, daß er selbst, der eben eigentlich nur Körper war, gar keine Freude hatte, sondern nur seine Seele. Er war durchaus nicht neidisch darüber, aber ein wenig ärgerte ihn das doch. Immerhin wäre das ja nun nicht so schlimm gewesen, wenn nicht die eifersüchtige Seele den Körper abgehalten hätte, nun seinerseits auch sich mit den beiden Frauen zu vergnügen. Jedesmal, wenn er den Arm um die eine oder andere schlang, um sie zu küssen, fühlte er sich innerlich mit aller Kraft zurückgehalten, das war der Mandarin, der dem Fremden den Genuß nicht gönnte. Er wurde gezwungen still zu sitzen und ihnen in die Augen zu sehen. Höchstens durfte er ihre Hand berühren, und er fühlte dann deutlich, wie seine Seele in die Fingerspitzen kroch, um auch ja diesen Genuß wenigstens zu teilen. Er war ein recht gutmütiger Mensch, aber diese Chikanen machten ihn doch ärgerlich. Natürlich versuchte er, die Seele wieder loszuwerden, aber der eifersüchtige Mandarin ließ sich nicht austreiben. Allmählich wurden auch die Frauen seiner nur seelischen Liebe überdrüssig; die frühere Frau des Mandarins dachte oft mit Seufzen, wie viel schöner sie doch früher gelebt hatte, und seine ursprüngliche Frau, welche ihn doch vorher ganz anders gekannt, suchte durch allerhand Schmeicheleien und Liebkosungen ein Verhältnis herzustellen, wie sonst, zu seiner großen Qual, denn sobald sie sich ihm derartig näherte, gebärdete der Mandarin in ihm sich wie unsinnig.

Er sah ein, daß er schmählich betrogen war von dem schlauen Chinesen, und in seiner Herzensangst fiel ihm sein Vater ein, ob ihm der nicht helfen könne.

Der Magier amüsierte sich sehr über die Erklärung seines Sohnes. Natürlich hatte der Mandarin sie mit angehört, und es war ausgeschlossen, daß die beiden unter den gewöhnlichen Verhältnissen ihr Komplott machten, alsdann erfuhr der Mandarin ja alles. Der Magier wartete also eine schöne Mondscheinnacht ab, wo die Seelen auf den Dächern zu spazieren pflegen, um sich auszulüften und die Glieder zu dehnen. Er traf es auch wirklich, daß er seinen Sohn ohne seine Seele fand, und verabredete sich mit ihm.

Am nächsten Tage erzählte er wie zufällig, daß er zur Zusammenkunft gehe, und daß diesmal zwei fremde Damen da seien, nämlich seine und seiner Seele Frauen, welche während seiner langen Abwesenheit sich der Schwarzkunst ergeben hätten, um doch wenigstens etwas Vergnügen vom Leben zu haben. Der Mandarin war zwar fest überzeugt, daß der Magier jedes Wort gelogen habe, aber trotzdem war seine Eifersucht so groß, daß er den Schemen zwang, seinen Vater zu bitten, seine Seele mitzunehmen. Es machte das keine weiteren Umstände, da sie ja schon locker war; passende Kleidungsstücke fanden sich auch bald, und so machte sich denn die Seele des Magiers mit dem Mandarinen auf den Weg, während die beiden Körper im Zimmer blieben.

Im Konvent saßen die Seelen und richteten; aber in ihrem Herzen waren sie Schalksnarren. Sie führten mit ernsten Gesichtern den Mandarin mitten in das Zimmer und hießen ihn dort stehen mit herabhängenden Armen. Dann lenkten alle ihre Blicke auf ihn, in denen die Leidenschaften waren, die ihn geschäftig durchlöcherten. Er dachte an die reine Stirn seiner Frau und an ein wogendes Kornfeld, an einen Sturm im Walde, der einen Baumast knarrend abriß und mitten auf den Weg warf, und an den ersten Schnee, der in großen Flocken sich auf grünes Gras legte, an das Funkeln des gelben Weines in einem geschliffenen Glase, und an eine weite, weite Steppe, in der ein Tatarengrabmal war. Die Seelen jauchzten mit stummem Mund, weil sie heute sich nicht gegenseitig quälten, sondern ihren Haß vereinigten auf einen Fremden. Es war ihm, als wenn ihm der Boden unter den Füßen weggezogen werde, und die Stube mit den Seelen an den Wänden sich weit ausdehne, ins Dunkle. Es war ihm, als wenn er allein schwebe in der Luft, die dunkel und weich war. In ihm war ein Schmerz, den er nicht verstand, und der ihm Freude bereitete. Er hatte auch einen großen Stolz: »Ja, nun schwebe ich in der Ewigkeit.« Die Ewigkeit aber hatte ein uraltes Aussehen, so daß sie einem leid tun konnte.

Er wußte aber, daß an den Wänden herum die feindlichen Seelen saßen, die ihn vergifteten mit den Leidenschaften, welche ihn durchlöcherten. Aber das gefiel ihm, denn er hatte es doch vorher gewußt, daß er seine beiden Frauen hier nicht treffen werde. Seine beiden Frauen saßen in Liebe zusammen an einem Goldfischteich und spielten auf langen Lauten, die mit Schildkrot und Gold ausgelegt waren und silberumsponnene Saiten hatten, und sangen ein Lied eines alten Klassikers. Er aber schwebte, er flog und schwamm in der Ewigkeit.

Die Seelen glühten auf an den Wänden in Weißglut und das Zimmer verengerte sich. Der Haß legte sich um seinen Kopf, wie ein weiches, reines Seidentuch, das sehr kühl war, und um seine Brust wand sich etwas, das ihm Schmerzen machte im Innern, weil es ihn zusammendrückte, ganz langsam. Und auch der Haß drückte immer stärker und kältete in ihn hinein. Er wußte, daß er schmäler und schmäler wurde von den Hüften aufwärts, aber das beunruhigte ihn, daß er um die Hüften so breit blieb. Da bemerkte er, wie auch die untere Hälfte seines Körpers immer dünner wurde. Ja, der Haß war eigentlich ein stählerner Ring, der auf chemische Weise entsetzlich kalt gemacht war.

Und die Angst stieg nun vom Herzen in die Höhe. Langsam fühlte er sie höher kommen. Er wußte, wenn sie im Kopfe war, dann war er wie besinnungslos und konnte nichts mehr denken. Er dachte an eine dunkle Nacht und das erleuchtete Fenster eines Häuschens in der dunklen Nacht. Das Entsetzen würmelte um ihn, wie wenn das Gehirn des Schemens ausgeschüttet wäre in die Luft. Das wollte ihn alles ankriechen. Aber er war doch noch nicht begraben, daß die Würmer eine Berechtigung hätten auf ihn! Nein, er war ja doch überhaupt ein Mensch, und die anderen waren nur Seelen. Er hatte ja doch bloß als Seele gedient, aber damit hatte er doch nicht seine menschlichen Rechte aufgegeben! Die Seelen hatten doch keine Macht über ihn, weil sie immateriell waren, er aber war materiell!

Aber das glühendkalte Eisen zog sich langsam immer enger, die Angst kroch mit widerlicher Langsamkeit immer höher, und er hob sich auf die Zehenspitzen.

Und trotzdem er ein Mensch war und keine bloße Seele, ergriff man ihn, nachdem er dünn genug geworden war, und steckte ihn in eine Flasche mit denaturiertem Spiritus und einem Glasstöpsel. Dann gab man ihn an den Vorsitzenden der Versammlung, der ihn in seinem Mineralienkabinett aufhob.

Der Schemen aber reiste fröhlich nach China zurück. Zwar spürte er noch eine Zeitlang ein Jucken an der Stelle, wo die Seele gesessen hatte, aber das gab sich dann bald. Er lebte noch lange Jahre mit seinen beiden Frauen, von denen er viele Kinder bekam.


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