Paul Ernst
Prinzessin des Ostens
Paul Ernst

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Der Tod des Dschinghiskhan

Der Dschinghiskhan ließ sich in den letzten Wochen vor seinem Tode oft in seine Schatzkammer hinuntertragen, und dort verweilt er viele Stunden lang allein, spielend mit den edlen Steinen, den Perlen und den Goldmünzen. Das war ein heimliches Vergnügen, von dem niemand wußte außer den vertrautesten Dienern, denn vor dem Volk verachtete er Prunk und Geschmeide; so ging er auch in Leder und Eisen gehüllt.

Da fand er einen Haufen Goldstücke von einem seltsamen und kunstvollen Gepräge, deren Schrift er nicht lesen konnte. Der Kämmerer erzählte ihm, daß sie aus einem Schatze stammten, der hier an diesem Orte aus der Erde gegraben sei, und man mußte glauben, daß sie von einem früheren Könige des Landes geschlagen waren.

Der Dschinghiskhan ließ einen großen Gelehrten kommen, damit ihm dieser die Schrift entziffere und von dem König erzähle, dessen Bild die Münzen trugen. Der Gelehrte erwiderte, daß ihm und seinen Freunden die Münzen wohl bekannt seien, aber niemand von ihnen habe vermocht, die Zeichen zu deuten; nur das sei gewiß, daß die Goldstücke länger in der Erde liegen mußten als zweitausend Jahre, weil in dieser Zeit Sprache und Schrift der Bewohner dieses Landes sich nicht geändert. Er für sich sei der Meinung, daß der König, dessen Bild auf den Stücken geprägt war, über ein sehr großes und gesittetes Reich geherrscht habe, denn die Prägearbeit sei über die Maßen kunstvoll und fein; wenn ein König aber so kunstvolle Münzen präge, so müsse er geschickte und gebildete Untertanen haben, und es müsse Reichtum herrschen, und schöne Häuser, Schauspiele, Kriegsheere, eine Menge Ackerbauer und Handwerker, Tempel mit Göttern und vieles andere müsse in hoher Vollendung dagewesen sein.

Als der Dschinghiskhan das gehört hatte, ward er nachdenklich und sprach: »Was ist doch der Ruhm, wenn der Name eines so mächtigen Königs gänzlich aus dem Gedächtnis der Menschen verschwinden konnte, mitsamt seiner Macht und seinem Reichtum! Und vielleicht hat er auch gedacht, daß sein Andenken nie untergehen wird bei den Menschen, und hat Bauten getürmt, und man hat seine Taten besungen, und Gelehrte haben Geschichtswerke geschrieben über ihn und seine Vorfahren, und haben sein Land ausgemessen in die Länge und Breite; und seine Untertanen haben gehandelt und gearbeitet, Schätze gesammelt, sich vergnügt, gebetet und ihren rechtmäßigen Erben ihren Besitz verlassen. Und siehe da, nichts ist übrig von alledem, wie diese Stückchen Gold.«

Da erwiderte der Gelehrte:

»Wenn im Frühjahr die Sonne geradere Strahlen auf die Erde sendet und den Schnee fortschmilzt, so sprießen aus dem feuchten und schwarzen Boden allerhand bunte Frühlingsblümchen hervor, weiße, gelbe und blaue. Die freuen sich des Sonnenscheins, blühen und verwelken, und wir denken, daß das so sein muß; und im nächsten Frühling kommen neue Blümchen; und so ist es von Ewigkeiten her gewesen und wird es auch später immer sein. Ebenso die Tiere des Waldes und das Vieh, welches dem Menschen hilft bei seiner Arbeit. Sie werden geboren, saugen an den Eutern ihrer Mütter, hüpfen und springen, und werden größer, und nähren sich von Gräsern und Kräutern, oder verzehren andere Tiere, und wenn ihre Zeit gekommen ist, so sterben sie oder werden getötet, und es ist, als wären sie nicht gewesen; aber es kommen immer neue, zu leben in Freude und Harmlosigkeit. Der Mensch nun ist dieser Geschöpfe Krone, weil er sich alle unterjochen kann und dienstbar machen. Aber auch er ist nur ein Geschöpf und untertan dem Zwange, daß auf seine Blüte der Tod folgt. Jedoch unterwerfen sich alle andern Wesen diesem Zwange gutmütig und freudig, er aber ist hochmütig und will auch in diesem Punkte mehr haben denn alle andern und wehrt sich gegen den Tod. Ja noch mehr: die Blume weiß, daß sie eine Blume ist und das Tier, daß es ein Tier; der Mensch aber will unterschieden sein von allen andern Menschen, und nicht nur vor den Blumen und Tieren etwas voraus haben, sondern jeder Mensch auch vor seinem nächsten: alle sollen ihn rühmen, er selbst aber rühmt kaum jemals einen andern, alle sollen ihn lieben, aber er liebt kaum jemals einen. Und nicht nur für sich selbst verlangt er solches, sondern auch für seine Kinder und Kindeskinder. Die Pflanze streut sorglos ihren Samen aus, und es sprießen aus ihm Pflanzen, die ihr gleich sind; das Tier zieht sein Junges auf, bis es seine Nahrung selbst finden kann, und dann verläßt es sein Kind und kennt es nicht weiter; aber der Mensch will mehr, er macht sich ein Bild von Größe und Glück für seine Kinder, indem sie Höheres sein sollen wie die Kinder seines Nächsten, und deshalb dehnt er seinen Willen aus über sie. Aber das alles ist ein leerer Hochmut des Menschen; und indem er sich nicht genügen läßt mit seiner Herrschaft über die andern Geschöpfe, sondern will außerdem noch etwas Besonderes haben, so macht er sich unglücklich; denn wer nach Ruhm, Ehre, Reichtum, Glanz, Liebe der Menschen, Herrschaft über die Kinder läuft, der läuft nach etwas, was ihm von der Natur nicht beschieden ist. So bekümmerst auch du dich, o König, um den verschollenen Herrscher nur aus einer falschen Meinung heraus, weil du denkst, daß man dich gleichfalls vergessen wird wie diesen hier; und vielleicht hast du dich auch schon früher unglücklich gemacht durch andere solche Wünsche, die hinausgehen über das, was wir haben können, und könntest doch glücklicher sein wie alle andern Menschen, weil du sie beherrschest, wie der einfachste Mensch glücklicher sein könnte wie alle Tiere, weil er sie beherrscht.«

Der König antwortete: »Du hast sehr kühn gesprochen, aber ich will dir nicht zürnen, denn ein Weiser ist dem Könige gleich, weil er den Tod nicht fürchtet. Wäre ich ein Gelehrter, so würde ich denken wie du, und oftmals, wenn ich mit meinem ehrgeizigen Pferd und meinen gierigen Hunden hinter dem schnellen Asa herjagte, schien mir, im Vergleich mit Gaul und Köter der Mensch nur ein vor Hochmut krankes Tier. Auch sind ja wohl die andern Geschöpfe glücklicher wie wir, denn ich wenigstens, der ich der Herr der Welt bin, und tausend Könige sind mir Untertan, so daß ich sie kann hinrichten lassen, wenn ich will und ihre Völker und Städte austilgen vom Erdboden, ich habe nur zweimal in meinem Leben ein Glücksgefühl verspürt, nämlich, als ich den ersten Asa mit meinem Pfeile getroffen, und als ich meine Braut raubte und auf mein Pferd schwang. Aber da ich ein König bin, so denke ich anders; und um dir zu zeigen, daß ich das nicht aus Torheit oder Verblendung tue, so will ich dir mein Leben erzählen, denn das Leben eines Menschen ist das klarste Bild seiner Lehre. Was ich dir sagen will, das habe ich noch nie jemandem mitgeteilt, denn ein König soll ein Schauspieler sein; aber da mein Tod herannaht, so möchte ich gern einem Manne erzählen über mich, den ich verschwiegen weiß und treu, und der das nicht gebrauchen kann für seine Zwecke, auch meine Worte versteht. Merke dir wohl: Wenn ich dir auch ein schweres und wenig glückliches Leben erzähle, so klage ich doch nicht, sondern ich freue mich, und nicht möchte ich, daß ich ein anderes Leben geführt hätte.

Du wirst immer sehen, daß Kinder und junge Leute frohe, aber leere Gesichter haben, denn das Leben hat für sie keinen Zweck, und sie blühen und gedeihen für jeden Tag, weil sie im täglichen Zunehmen ihrer Kraft sind, die ohne ihre Mithilfe ihren Muskeln übermäßiges Blut verleiht und ihrer Seele hochgemute Zuversicht. Deshalb entsprechen sie dem Bilde, welches du soeben von Pflanzen und Tieren maltest; und ich selbst dachte zuweilen, es müßte doch ein merkwürdiger Versuch sein, wenn man in einem Volke alle Leute über zwanzig Jahre in jedem Frühling hinrichten ließe, also, daß das ganze Volk nur aus Jugend bestände; wahrscheinlich würde vieles Glück, Lustigkeit, Kunst und Stolz in solchem Volke wohnen, und die Nachbarn würden es beneiden. So war auch ich ein froher Knabe und Jüngling, und ich sagte dir bereits von den beiden Augenblicken des Glücks in der damaligen Zeit. Am merkwürdigsten geschah mir, als ich meine Braut raubte, da hatte ich ein Gefühl, als sei ich der wichtigste Mensch auf der Welt und es gehöre mir alles, während ich doch nur ein geringer Reiterhäuptling war, später, als ich der Herr der Welt wurde und mir alles gehörte, soweit solches überhaupt möglich, hatte ich nie wieder dieses Gefühl, denn schon ein schlichter Ackersmann, der hinter seinen pflügenden Ochsen herging und auf die Furche vor sich schaute, hätte mich in solcher Meinung irre gemacht, wiewohl der Mann in Wahrheit für mich doch nichts war wie ein Käferchen oder eine Blattlaus; oftmals wurde ich, als ich noch in meinen Mannesjahren stand, wütend über solche törichten Gefühle, und da ein König, weil die Leute ihn immer fürchten müssen, denn sonst werden sie übermütig, oft Taten begehen muß, die ihnen unbegreiflich sind, so ließ ich auch wohl dieser Wut die Zügel schießen und befahl, daß harmlose Leute getötet wurden.

Ich bin nicht von wollüstiger Art, und deshalb kam ich bald in einen gleichmütigen Zustand, nachdem ich verheiratet war, ich freute mich meines Weibes, meiner Waffen, meiner Pferde und alles anderen Besitzes, und das größte Vergnügen gewährte mir die Jagd. Nun scheint es aber, daß ich eine gewisse Schwäche in meinem Wesen habe, welche man sonst wohl Güte nennt, indem man ein falsches Wort gebraucht. Nämlich nachdem mein Weib zwei Kinder geboren, den Sohn und die Tochter, die du kennst, wendete sie sich einer neuen Gemütsverfassung zu, indem sie mich nach vielen kleinen Dingen fragte, mir Vorwürfe machte über törichte Dinge, beständige Sorge hatte, daß die Kinder krank seien und mir mit ihrer Sorge die Ohren erfüllte, und so fort. Ich aber war zu schwach, diesem Unwesen zu steuern, und vielleicht wäre ihm gar nicht zu steuern gewesen, und so wurde ich am Ende ganz furchtsam, wenn sie zu mir sprechen wollte, weil ich immer meinte, daß sie klagen werde. Deshalb sann ich mir allerhand Arbeit aus, welche mich so beschäftigte, daß sie nicht an mich kommen konnte, oder wenn sie doch zu mir sprach, so hatte ich so viele andere Gedanken, daß ich ihre Worte und Sätze gar nicht hörte. Es geschah dies alles aber nicht absichtlich, sondern ganz langsam, wie von selbst. Mir war später immer merkwürdig, daß große Dinge einen so lächerlichen Anfang nehmen können. Aber wahrscheinlich habe ich in meinem geheimsten Innern doch immer einen Willen gehabt zur Herrschaft über die Welt.

Nun will ich dir ein großes Geheimnis aus der Kunst der Könige sagen, welches zwar so einfacher Art ist, daß man sich nicht genug über die Einfältigkeit der Menschen wundern kann, welche es nicht merken. Du weißt, daß die Reiche und Staaten der Menschen von der verschiedensten Art sind, und die Macht und Vorzüglichkeit der einen beruht auf großem Reichtum der Untertanen, der andern auf großer Menge des Volkes, der dritten auf Freigebigkeit des Bodens, und so fort. Die größte Macht aber hat ein König, welcher ein Heer von tapferen Männern besitzt, die hungrig nach Erwerb und Belohnung sind, denn mit diesen kann er alle andern Könige unterwerfen und zinspflichtig machen; solche Männer aber findet man gemeiniglich nicht bei den reichen oder fleißigen Völkern, oder welche viele Menschen haben und guten Boden, sondern bei den armen Völkern in schlechten und rauhen Ländern, welche sich nicht viel vermehren können aus Armut, wie wir Mongolen sind. Nur kann man schwer so viele Männer, wie erfordert werden, zusammenbringen und halten, weil eben das Volk zu klein ist und die Entfernungen in armen Ländern zu groß. Diesen Mangel aber vermag man zu ersetzen durch Schnelligkeit, denn wenn ein Heer so schnell ist, daß es zwei feindliche Heere nacheinander schlagen kann, so ist es offenbar ebenso gut wie zwei Heere. Da ich nun mich sehr viel mit den Dingen des Volkes beschäftigte, so fiel mir dieses ein, und nach langem Nachdenken auch die Mittel zu solcher Schnelligkeit; nämlich weil ein großes Heer durch das Mitschleppen oder Suchen der Nahrung viel Zeit verliert, so erfand ich eine Weise, wie man die Nahrung für Mann und Pferd so trocknete und zusammenpreßte, daß ein Mann für zwei Wochen immer ohne Beschwerde mit sich führen konnte. Hierdurch bewirkte ich, daß meine Reiter die ganze Welt eroberten, indem sie immer viel schneller waren als die Feinde und deshalb angreifen konnten, ehe die Gegner sich zu einem Heere zusammengetan hatten, das ihnen überlegen war.

Du wirst ja auch wissen, daß jede Handlung, welche man begeht, solche Folgen hat, daß man die nächste Handlung nicht mehr mit derselben Freiheit begehen kann wie die erste; und so kommt es, daß wir mit den Jahren immer unfreier werden durch die Verstrickung in das Netz unserer eigenen Taten; mit je geringerer Freiheit man aber handelt, mit desto geringerer Lust handelt man; deshalb hatte ich mit der Zeit immer weniger Vergnügen an den Eroberungen und mehr Langeweile. Zuletzt übergab ich die Führung des Heeres meinem Neffen Marzuk, da mein Sohn zu töricht ist für solche Dinge, und beschäftigte mich selbst mit der Einrichtung und Verwaltung der eroberten Länder; mit großem Verdruß, denn auch hier handelt es sich nur um ein paar ganz einfache Dinge, die sich immer wiederholen, und es fehlt doch die Freude an Kampf, Lager, Reiten, Gefahr und heller Luft. Aber Erobern ist nötig, denn stehen wir still, so fallen erstens die andern Völker über uns her, und weil wir bei unserer geringen Zahl nur im Angriff siegen können, wie ich dir schon erklärte, so würden sie uns dann ganz ausrotten. Zweitens aber ist unser Heer naturgemäß von einem törichten Dünkel beseelt, als seien unsere Siege irgendwelchen übermenschlichen Eigenschaften verschuldet, welche es besitze, und es würde daher nie Ruhe halten. Da aber doch endlich das letzte Volk der Welt bezwungen sein wird, so muß ich bis dahin alle früher eroberten Völker so in Ordnung gebracht haben, daß sie auf das engste mit mir verbunden sind durch ihre Verwaltung und nicht los können, und alsdann werde ich wahrscheinlich meine alten Krieger nebst ihrem Führer Marzuk ermorden lassen müssen, weil sie sicherlich im Innern Aufruhr erwecken würden, wenn sie ihre Tätigkeit nicht mehr nach außen wenden können.

Aber was rede ich – meine Tage sind ja gezählt, meinem törichten Sohn kann ich nichts anvertrauen, und Marzuk wird heute oder morgen zurückkehren, weil er weiß, daß ich im Sterben liege und weil er meinem Sohn die Herrschaft entreißen will; nur auf meine Tochter kann ich mich verlassen, auf ein Weib!«

Der Dschinghiskhan schwieg. Der Gelehrte vermochte nichts zu erwidern vor Bewegung und Furcht, denn er meinte, der Dschinghiskhan werde ihn hinrichten lassen, wenn er ausgeredet habe, weil er sich alsdann vor ihm schämen müsse.

Der Dschinghiskhan fuhr fort: »Siehst du jetzt, daß ich vom Leben eine andere Meinung haben muß wie du? Mir erscheint die Erde wie ein großer Ameisenhaufen wimmelnder Ameisen, und ich könnte mir gar nicht vorstellen, daß ich selbst eine solche Ameise wäre, wie ich mir doch bei verständiger Überlegung sagen muß. Mein ganzes Leben war Verdruß und Langeweile, denn viel lieber wie aller Ruhm, Macht und Reichtum wäre mir gewesen, wenn ich in Schnee und Wetter in der Steppe hätte jagen können, oder mit Freunden lustig sein und Lieder singen. Dazu habe ich einen viel elenderen Tod wie andere Menschen, denn den Ärger über das Lügen und die geheuchelte Trauer haben wohl alle, und wohl alle merken, wenn sie sterben, daß sie doch ganz allein sind auf der Welt und auch immer allein gewesen sind, weil die andern ja nur an sich denken, wie man selbst doch auch; aber als Besonderes habe ich die Sorge um mein Reich und wie alles nach meinem Tode werden soll, und ich sehe keinen rechten Ausweg, und das letzte Mittel wird auch nicht nützen, ich will nämlich meinen törichten Sohn mit meiner tüchtigen Tochter verheiraten, damit sie ihn leitet. Und doch, Gelehrter, will ich kein anderes Leben geführt haben, und dein Frühlingsblumenleben möchte ich nicht.«

Auch sagte der Dschinghiskhan noch: »Erst jetzt sehe ich, daß ich gar nicht glücklich war; früher habe ich es nicht gewußt; das ist sehr merkwürdig; aber ich hatte wohl keine Zeit zu spüren, daß ich nur Verdruß hatte und Langeweile.«

Nach diesem Gespräch wurde der Gelehrte mit reichen Geschenken entlassen, und der Dschingiskhan lebte weiter in seiner jetzigen Art.

* * *

Er wußte aber, daß sein Übel tödlich war, denn alle seine Vorfahren hatten in den Jahren, in welchen er sich jetzt befand, über dieselben Leiden geklagt wie er und waren daran gestorben.

Zwar haßte er die Ärzte, aber als das erste und noch leichte Mißbehagen wochenlang anhielt, ließ er doch einen berühmten Arzt kommen, dieser erschien mit einer besorgten, teilnehmenden und beruhigenden Miene, welche ihn ärgerte, er befühlte ihn, fragte viel und bereitete ihm ein Mittel. Als dieses nichts half, wurde ein zweiter Arzt geholt, dessen Angesicht aussagte, daß der erste ein Dummkopf sei, er aber werde schon Hilfe bringen. Als auch dieses zweiten Mittel nichts half, wurden beide zugleich bestellt und nun zeigte es sich, daß sie zwar zitternde Furcht vor dem Dschingiskhan hatten und in tiefster Seele um ihr Leben besorgt waren, daß jedoch ihr eigentliches Interesse darin bestand, daß jeder recht zu haben meinte und den andern für dumm hielt. Der Dschinghiskhan aber, wiewohl er ganz genau sah, daß er selbst den beiden gänzlich gleichgültig sei, und er wußte, daß auch seinem Vater und Großvater niemand hatte helfen können, lauschte doch mit heimlicher Angst und Hoffnung auf ihre Worte, indem er sich dabei über ihre Dummheit ärgerte. Er lag in seinem kahlen und leeren Zimmer auf einem harten Bett unter einer einfachen Decke, und neben ihm stand ein Tischchen mit vielen aufgehäuften Schriftstücken.

Es kam auch täglich seine Gattin und sprach zu ihm, um ihn zu trösten. In der ersten Zeit sagte sie, heute sei es gewiß besser wie gestern; dieser Satz war ihr endlich ganz geläufig geworden, so daß sie ihn gedankenlos aussprach, obwohl sie wußte, daß er die tödliche Krankheit seines Vaters hatte, den sie in seinen letzten Jahren noch gekannt. Nachher fragte sie ihn immer, wie er geschlafen habe, und fügte dann hinzu, sobald er nur erst wieder schlafen könne, werde er auch wieder gesund werden. Daran knüpfte sie dann einen Vorwurf, daß er sich überarbeite.

An einem Tage, als er sich ganz besonders heftig ärgerte über ihre gedankenlosen Reden, sagte er ihr, wenn er stürbe, so werde sie keinen Schutz haben in den Unruhen, die alsdann ausbrächen, und vielleicht werde man sie ermorden. Da weinte sie, machte ihm Vorwürfe, daß er jetzt, wo sie ohnehin ein so schweres Herz habe, noch solche Dinge sage, und ging hinaus; nach kurzer Zeit aber trat sie wieder ein und sprach, wenn er tot sei, so möge sie auch nicht mehr leben. Über diese Worte stieg ihm solche Bosheit auf, daß er sich der Wand zudrehte und nichts mehr sagte.

Dann kam sie eine Zeitlang mit irgendwelchen gleichgültigen Geschichten, von ihren Mägden oder von den vornehmen Herren und Damen des Hofes; alle Erzählungen aber begleitete sie durch bemitleidende Blicke und vorwurfsvolle Seufzer.

So fühlte er zuzeiten einen heftigen Schmerz in der Brust, weil er so allein war, und er fragte sich, ob wohl alle Menschen nur so leere Hülsen seien; sein eigenes Leben durchforschte er und fand, daß er nur einmal in einer Lage gewesen sei wie seine Frau, nämlich am Sterbebett seines Vaters; und er erinnerte sich, daß er in der Todesstunde des kranken Mannes daran gedacht hatte, daß jetzt gerade die schönste Jagdzeit sei, und daß er nicht werde jagen können; und wie ihm das durch den Geist schoß, sah er einen tief schwermütigen Blick seines Vaters auf sich gerichtet; er schämte sich, wurde ärgerlich auf seinen Vater, und machte ihm Vorwürfe, daß er nicht auf sich achte, genau in dem liebevollen und doch feindseligen Tone wie jetzt seine Frau, und mit demselben gezwungenen Blick; der Kranke aber wendete sich seufzend ab und schaute geduldig ins Leere. Das fiel ihm jetzt ein. Sein Vater war ein harter Mann gewesen, einmal hatte er eigenhändig fünfzig Vornehmen das Haupt abgeschlagen, während die Frauen und kleinen Kinder um Gnade bettelten, er aber hatte sie wegschleifen lassen; und als er einst eine Verwundung im Oberschenkel durch einen vergifteten Pfeil erhalten, brannte er mit einem weißglühenden Eisen selbst die zischende und brodelnde Wunde aus, ohne mit dem Gesicht zu zucken, ja, was ihm am stärksten schien, ohne in prahlerischer Weise zu lachen oder zu scherzen. Damals aber hatte er einen so jammervoll geduldigen Blick gehabt.

Auch sein Sohn kam täglich, ihm die Hand zu küssen und nach seinem Befinden zu fragen. Als er noch ganz klein gewesen, hatte er wunderbar strahlende Augen gehabt und einen Ausdruck von Festigkeit und Stolz in dem unentwickelten Gesicht. Jetzt war sein Gesicht hübsch und leer geworden. Er sprach vielerlei durcheinander, ohne starke Zuneigung zum einen oder andern; der Dschinghiskhan hörte ihm traurig und gelangweilt zu, wußte, daß die Gedanken des jungen Mannes bei irgendeiner Torheit waren, einem Putz oder einer eitlen Verliebtheit, und daß seine Reden noch weniger aus einer Überlegung hervorgingen wie bei seiner Mutter; denn er schwatzte nur, sie aber wollte ihn zerstreuen; Gefühl aber hatte er ebensowenig wie sie. Ihm jedoch kamen nun in den einsamen Stunden, wo ihn die Schmerzen nicht arbeiten ließen, allerhand Dinge von vormals; so eine Zärtlichkeit, als er einst den Kleinen, da er noch nicht sprechen konnte, zu sich aufs Pferd gehoben und der Kleine hatte gejauchzt und vor Freude gezappelt.

Und einmal war es ihm in einer einsamen Stunde, als er vor sich hinsann, daß er hätte weinen mögen, weil er sich selbst bemitleidete; und er sehnte sich, ein kleines Kind zu sein, das krank in seinem Bettchen liegt, und die Mutter sitzt neben ihm, stützt ihm das Köpfchen, und das Kind sieht beruhigt und gläubig in die Höhe in die Augen der Mutter.

Ganz anders wie mit diesen war es mit Alang, seiner Tochter. Diese war die einzige, mit welcher er ruhig darüber sprach, daß er sterben werde, weil sie nicht verdrießende und lügnerische Worte sagte und mit teilnehmenden Augen blickte, sondern bei ihr war das Sterben so einfach und selbstverständlich, wie es in Wirklichkeit ist; deshalb erweckte sie ihm nie das Gefühl der Verlassenheit zwischen Masken. Nur in seiner besonderen Angst, wie es später mit seinem Reiche werde, konnte auch Alang ihn nicht beruhigen, und er hatte eine Scheu, zu ihr von seinem Plane zu sprechen, denn er wußte wohl, daß sie eine Zuneigung für Marzuk empfand, zuweilen dachte er deshalb auch, daß sie ihn vielleicht vergiftet habe.

Mit Alang nun geschah ihm etwas sehr Sonderbares. Einmal, als sie sich unbeobachtet wähnte, wendete er rasch den Kopf und blickte ihr ins Gesicht. Da ersah er bei ihr einen Ausdruck heftigen Mitleidens. Hierüber geriet er in solche Wut, daß er nach seinem Schwert griff, welches neben seinem Bett stand, und sie mit schrecklicher Stimme anschrie; sie erschrak, daß er sie in den Knien zittern sah; als er das sah, legte sich seine Wut plötzlich, aber Alang entfloh durch die Tür. Dieser Vorgang blieb ihm immer unbegreiflich, weil er kurz vorher Sehnsucht gehabt hatte nach wirklichem Mitgefühl, welches nicht gelogen wäre.

* * *

Es war aber das Reich des Dschinghiskhan das größte, welches je auf der Erde gewesen, und seine Macht war die vollständigste, denn die Großen und Vornehmen ihres Volkes hatten sein Vater und er mit der Zeit alle vernichtet, und seine Diener waren Sklaven, für Geld gekauft; nur Marzuk ausgenommen, weil das Heer sich nur durch einen Freien führen ließ. Und so genau war alles geordnet, so bestimmt war die Pflicht eines jeden beschrieben, so klar seine Abhängigkeit und sein Befehlen, daß ohne die geringste Veränderung, Nachlässigkeit oder Verzögerung jeder Auftrag des Dschinghiskhan auf das peinlichste und genaueste ausgeführt wurde, als seien die Diener Arme, nicht besonders und für sich lebende Menschen. Von seinem Hause aus gingen strahlenförmige Wege in die entlegensten Teile des Reiches; auf diesen waren in gewissen Entfernungen Posten aufgestellt mit Pferden, und die trugen von Hand zu Hand seine Befehle überall hin mit Windeseile, wie beim Löschen eines Feuers eine Kette Menschen die Eimer in Schnelligkeit wandern läßt.

Es dehnte sich aber das Reich aus vom Norden, wo ewiger Schnee liegt, und die Menschen Hunde vor ihre Schlitten schirren, mit weißen Bären kämpfen und der Hauch des Atems gefriert, bis zum Süden, wo die übergroße Hitze die Leute schlaff macht, und einzelne allein in Wäldern wohnen, büßen und über Gott nachdenken und solche Kraft gewinnen, daß sie Felsen und Berge bewegen durch ihr Wort; wo Elefanten in großen Herden grüne Wiesen haushohen Grases durchziehen, und verfallene Tempel im schweigenden Walde ruhen mit steinernen Bildern von Göttern und Königen; und nach Osten dehnte es sich, wo die Menschen reich sind an Seide, Porzellan und edlen Metallen, und sich in kostbare Felle kleiden, deren Härchen vergoldet sind, und hohe Türme bauen sie aus Porzellan mit goldenen Glöckchen, die im Winde klingeln; und nach Westen herrschte der Dschinghiskhan über das Land hinweg, wo Wasser aus der Erde quillt, welches brennt und in hohen Flammensäulen die Nacht erleuchtet, und wo wunderbare Tiere wohnen, Vögel, welche Wolle tragen, und ein Vogel, welcher so groß ist wie ein Berg, und ungeheure Schlangen, welche Erdbeben erzeugen, wenn sie sich bewegen, Wälder zerbrechen und hochgemauerte Städte umwerfen. Und im Norden war die äußerste Grenze die Eiswüste, wo kein Mensch leben kann vor Kälte, und im Süden die feurige Mauer am Ende der Welt, der nur die hitzegewohnten Leute des dortigen Landes nahe kommen dürfen, und im Osten war die Grenze das öde Meer, welches sich ausdehnt ohne Ende, und im Westen stießen die Heere auf die Länder der Menschen, welche von Kopf bis Fuß in Eisen gepanzert sind und auf ungeheuren und eisengepanzerten Rossen reiten, also, daß niemand sie verwunden kann. Und alle Völker waren dem Dschinghiskhan untertan, welche in diesem Kreise wohnten, und zitterten vor seinen Befehlen. Das waren Völker mit brauner und weißer und gelber und schwarzer Hautfarbe, welche den Acker bebauen mit Pflug und Stier, oder mit dem Spaten den Boden umwenden, oder reiche Herden weiden in der blühenden und duftenden Steppe, in das finstere Innere der blauen Gebirge sich hineinarbeiten, Gold und Silber zu holen, auf schnellen Rossen das flüchtige Wild jagen und abends am Feuer unter dem freien Himmel verzehren, mit großen Karawanen durch sandige und weiße Wüsten ziehen und ungemessene Reichtümer gewinnen, aus den weiten und still gleitenden Flüssen, in winzigen Kähnen sitzend, Fische fangen, aus unzugänglichen Bergen auf kleinen Rossen flink hervorbrechen, rauben, plündern und sengen, in den dichten Wäldern lebend kostbare Spezereien gewinnen von den Bäumen, Gummi und Mastix und Gewürze aller Art, in das Meer untertauchen und Perlen fischen vom Grunde. Und alle diese Völker schickten Abgaben und Steuern dem Dschinghiskhan, edle Metalle, Perlen, Jünglinge und Jungfrauen, seltene Tiere, kostbare Felle, Edelsteine, Gewürze, fremde Muscheln, Meernüsse, Zähne vom Einhorn und das Gefieder der Vögel, die aus dem Paradies kommen, Schnitzereien aus Elfenbein und Kästchen aus wohlriechendem Holz, Seidenstoffe mit Blumen durchwirkt oder kunstvollen Figuren von Menschen und Tieren, und blaue Seidenstoffe mit goldenen Sternen und Sonne und Mond; edle Rosse wurden geschickt mit Jahrtausende altem Stammbaum, deren Sehnen auf dem Fleisch lagen wie Peitschenschnüre, und ihre Augen funkelten vor Lust und Hochmut. Alle diese Reichtümer kamen zusammen beim Dschinghiskhan, der gekleidet war in Leder und Eisen, und wohnte in einem kahlen Raum, in welchem ein schlechtes Bett stand, ein Tischchen und ein Schreibzeug. Und hätte er mit diesem Schreibzeug einige Worte geschrieben auf einen Streifen Pergament und ein Siegel beigefügt, und hätte die Briefe fortgeschickt in die vier Weltgegenden, und hätte geschrieben, daß seine Diener sollen alle Städte anzünden und verbrennen auf den Grund, und alle Reichtümer in die Flammen werfen, und alle Saaten verheeren durch stampfende Rosse, so wären alle Städte aufgeflammt zum Himmel an demselben Tage, und in einem Schrei hätten alle Völker sich zum Himmel gewendet, und alle Saat wäre vernichtet, und keiner hätte gewagt, auch nur das Häuschen einer Witwe zu verschonen und den Acker einer Waise. Und hätte er befohlen, daß alle Erstgeburt der Menschen in seinem Reich solle in den Sklavenstand gestoßen und vor ihn gebracht werden, so wären an einem Tage lange Züge gekommen von den vier Enden der Welt von kettenbeladenen Jünglingen und Jungfrauen, die das Haupt beugten, weinten und vor ihm in den Staub fielen, und die Eltern in der ganzen Welt hätten gejammert, aber auch nicht ein blinder Mann hätte gewagt, den einzigen Sohn zu behalten, der ihn ernährte.

* * *

Der Dschinghiskhan hatte Alang, seine Tochter, und seinen Sohn Hia vor sich kommen lassen. Durch viele Kissen gestützt, saß er aufrecht im Bett, und seine Brust brodelte. Er sprach:

»Hia, ich weiß, daß du ein Narr bist und mein Reich nicht wirst halten können. Schon ist Marzuk zurückgekehrt, und wenn ich gestorben bin, so wird er dich ins Gefängnis werfen, deine Schwester heiraten und die Herrschaft an sich reißen. Zurückgekehrt ist Marzuk gegen meinen Befehl, und ich kann ihn nicht bestrafen, denn weil ich im Sterben liege und einen törichten Sohn habe, so würde einen Befehl gegen Marzuk niemand befolgen; aber auch ihn heimlich ermorden zu lassen ist unmöglich, denn er ist schlau und vorsichtig. Deshalb sollst du deine Schwester als Gattin heimführen, und das soll noch heute geschehen. Du wirst alles anordnen.«

Die Geschwister wurden blaß und verneigten sich vor dem Dschinghiskhan.

»In drei Stunden soll die Feier stattfinden, bis dahin muß alles bereit sein.

Dann werde ich dir meinen Siegelring geben und du wirst König sein, ich aber will heute sterben.

Wenn ich tot bin, so öffnet ihr diesen Brief; der enthält meine Befehle für die künftige Regierung des Landes. Hia, Hia, bedenke, daß du eine schwere Arbeit vor dir hast. Alang soll dir helfen, sie hat Einsicht und weiß vieles. Du sollst die unterworfenen Völker nicht drücken, sondern sollst sie begünstigen. Du sollst ihnen sagen, ich sei ein blutgieriger Tyrann gewesen, du aber wollest für sie sorgen, daß sie in Ruhe leben und reich werden.«

Nach diesen Worten sank der Dschinghiskhan in die Kissen zurück. Die Geschwister verließen das Zimmer. Hia ging nach unten. Alang schritt nach ihrer Kammer zu.

Hia kleidete sich in köstliche Gewänder, seidene, in purpurne Leinewand, in Schmuck von Gold und edlen Steinen. Dann setzte er sich auf sein Roß, und sein Gefolge stieg zu Roß und ritt hinter ihm her. Voraus gingen zwei Trompeter, die bliesen, und das Gefolge rief: Hoch lebe König Hia. Die Leute kamen aus den Häusern, nahmen die Mützen ab, einige riefen: Hoch lebe König Hia; viele standen unmutig zur Seite. Krieger schrien dem Zuge höhnende Worte zu.

Wie Alang nach ihrer Kammer ging, sah sie Marzuk, welcher in einer Fensternische saß. Er lachte ihr zu mit strahlenden Augen, und seine weißen Zähne blitzten.

»Weshalb lachst du mir zu, Marzuk?« fragte Alang.

»Weil du das schönste Geschöpf Gottes bist, das ich gesehen habe in meinem Leben.«

»Wenn das wahr ist, weshalb küssest du mich nicht auf den Mund?« erwiderte Alang.

Alang stieg in ihre Kammer, setzte sich auf ihre Truhe und sah nach dem offenen Fenster. Schneeflocken trieb der Sturm herein. Marzuk trat in die Kammer, sah in ihr Gesicht; ihr Gesicht bewegte sich nicht, blickte in die Schneeflocken. Da warf er den Riegel vor die Tür, daß er klirrte, hob sie in die Höhe mit seinen Armen und küßte sie, und seine Augen leuchteten wie Wolfsaugen, und sie hängte sich an seinen Hals, lachte und rief: »Marzuk« und wand sich gleich einer Schlange in seinen Armen. »Ich habe das Reich,« schrie er, »ich halte das Reich.« Sie lachte laut. »Hörst du meines Bruders Trompeten und die Hochrufe?«

Ferner sprach sie:

»Du riechst nach frischer Luft, Pferdeschweiß und Blut. Du sollst das Reich erben, meinen Bruder Hia sollst du umbringen; aber du mußt mir schwören, daß du mich nicht verstoßen willst. Aber auch wenn du mich verstoßen wolltest, so solltest du das Reich doch haben.« Sie lachte. »Wer hat denn die Tür verriegelt? Ich weiß nicht, daß ich die Tür verriegelt habe. Wenn meine Mägde kommen, so werden sie sagen: Alang hat ihren Liebsten in ihrer Kammer, deshalb hat sie die Tür verriegelt. Am hellen Tage hat sie ihren Liebsten in der Kammer. Dann werden sie sagen: Ein Held ist ihr Liebster, er hat Narben auf seiner Brust, breite feurige. Stark ist er, mit einem Arm riß er ein Pferd nieder, das sich bäumte. Eine schallende Stimme hat er, wenn er befiehlt, so hören es Zehntausend.«

Ferner sprach sie:

»Hörst du die Leute, welche rufen: Hoch König Hia? Mein Bruder kommt zurück mit seinen Schmeichlern. Er will den Ring holen, du aber mußt jetzt mit zum Vater kommen, dir soll er den Ring geben.«

Und sie gingen hinab zum Dschinghiskhan. Der lag allein in seinem kahlen Zimmer. Denn seine Sklaven huschten in den langen Gängen des Schlosses, brachen verschlossene Türen auf, suchten und raubten kostbare Gewänder und Silbergeräte, und große Elefantenzähne, welche gefunden werden im Norden unter dem Schnee, sie schleppten keuchend und schwitzend, flüsterten hastig und scheu, denn sie hatten Angst, daß der Dschinghiskhan aufwache aus seinem Sterben und heraustrete aus seinem Zimmer unter sie. Vor seiner Tür vorbei huschten sie am schnellsten, ein frecher Knecht aber schrie laut: »Ich schlage ihn tot, wenn er kommt.« Da gaben die andern ihm einen Stoß, daß er stolperte, denn er war mit lang schleppenden Seidenstoffen beladen. Und die Frau des Dschinghiskhan irrte umher in dem finstern Schatzgewölbe, suchte die kostbarsten Steine und Perlen, welche sich leicht verbergen lassen, und große Beutel voll Gold stellte sie sich auf die Seite, sie auf ihrem Zimmer zu halten, denn sie wollte fliehen nach dem Tode des Dschinghiskhan, weil sie fürchtete für sich von dem neuen Herrn, mochte das nun ihr Sohn sein oder ein anderer.

Halb gebrochen waren schon die Augen des Dschinghiskhan, aus seiner Brust röchelte es und pfiff. Aber er hob noch die Augenlider, wie die beiden eintraten. Alang rief ihm ins Ohr: »Hier, Vater, mein Bräutigam, gib ihm den Ring,« und hatte Marzuk an der Hand gefaßt. Der Dschinghiskhan konnte keine weitere Bewegung machen, nur seine Augäpfel gingen nach oben, daß man das Weiße sah, und seine Hand mit dem Ring ballte sich.

»Den Ring,« rief ihm Alang ins Ohr.

Aber der Dschinghiskhan rührte sich nicht mehr, es war, als ob seine Gestalt in sich zusammensinke, weil sie schwer geworden war.

»Er ist tot, Alang,« sagte Marzuk.

»Wenn er tot ist, so wollen wir ihm die Hand öffnen, solange sie noch warm ist und biegsam, damit wir den Ring bekommen,« sprach Alang, und versuchte, die Faust zu öffnen. Aber die Faust war so zusammengekrampft, daß sie nicht geöffnet werden konnte. Marzuk faßte sie, wendete seine Kraft an, aber er konnte die Hand nicht öffnen. Die Augen des Dschinghiskhan waren stehen geblieben nach der letzten langsamen Bewegung, man sah nur das Weiße. Alang ergriff das Schwert Marzuks, schnitt in das Gelenk des Fingers ein. Marzuk wendete sich ab.

»Das tat ich für dich,« sprach Alang, reichte ihm den Ring. Nun gingen die beiden hinaus, stiegen auf ihre Pferde. An Marzuks Hand blitzte der Ring des Dschinghiskhan. Um ihn scharten sich die Krieger, jubelnd riefen sie: »Hoch Marzuk, unser König!« Schneeflocken schmolzen auf glühenden Gesichtern. Hia wurde verlassen von allen, stand allein, erstaunt und ängstlich, da ward er ergriffen und ins Gefängnis geworfen.

Marzuk aber sprach zu den Kriegern, daß sie sich freuen sollten; denn der Dschinghiskhan habe das gemeine Volk geliebt, welches den Rücken beugt und den Boden bearbeitet, Handel treibt und reich wird in steinernen Häusern. Aber er wolle die Welt zu einer glatten Tenne machen für die stolzen Reiter, ritterliche Spiele darauf zu treiben mit ihren Rossen.


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