Paul Ernst
Prinzessin des Ostens
Paul Ernst

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Eine Geschichte aus dem Dorfe

Recht groß war in dem Jahre der Segen Gottes auf den Feldern gewesen; denn im Januar fiel sehr viel Schnee und es hatte schon von Anfang Februar an langsam getaut, so daß die Feuchtigkeit gänzlich bis tief in den Boden zog; gegen Ende Februar war die ganze Erde schwarz, und die Sonne schien bereits warm, wie sonst im März; den ganzen März durch währten die sonnigen Tage, und als im April der Boden durch die Trockenheit Not zu leiden schien, fiel eine lange Zeit, fast von vierzehn Tagen, ein seiner und warmer Regen, der wiederum nicht ablief, sondern von der Krume festgehalten wurde. Dann folgten im Mai drückend heiße Tage, zuerst noch mit feuchter Luft, endlich ganz trocken. Mit solchem Wachswetter schien Gott zeigen zu wollen, was er vermöge für die, so er liebt; denn manchen Bauern war der Roggen derart gediehen, daß er hier und da schon Ende Mai gemäht wurde, was seit Menschengedenken nicht geschehen war; Viele pflügten die Stoppeln gleich wieder um und säeten Klee an, den sie im Herbst frisch verfüttern wollten. Am wunderbarsten aber war der Weizen gewachsen; ein Bauer hatte eine Pflanze, bei der aus einem einzigen Korn über hundert Halme mit Ähren gekommen waren, die zusammen an zwei Pfund wogen; welchen Busch er zum ewigen Andenken in der Kirche aufhängte, hinter dem Altar, wo die Myrtenkränze der früh verstorbenen Mädchen vom Luftzug der Tür leise bewegt werden. Und früh auch war die Weizenernte auf allen Feldern beendet; und so reif war die Frucht, daß der Segen auf der Dorfstraße überall verstreut war, und die Gänse, welche die verlorenen Körner auflasen, ganz fett wurden unter großem Schreien und Flügelschlagen.

Unter diesen allgemeinen Umstanden brachten auf einem Bauernhof die Knechte eben die letzten Fuhren ein. Ein hochgetürmter Wagen stand unter der Scheunenluke; der Knecht machte den Baum los und warf ihn auf die gepflasterte Erde, auf welche er mit klingenden Tönen federte, daß auf dem goldgelben Misthaufen die sauberen Kühe, welche sich neugierig an die Barren gedrängt hatten, erschreckt fortliefen, und ein Bullenkalb mit krausem Stirnhaar sprang mit allen vier Füßen zugleich in die Höhe. Die barfüßige Magd oben in der Luke schlug die Röcke um die Beine zusammen und sprang juchzend auf das Fuder, wozu der Knecht mit pfiffigem Gesicht, sich den Schweiß mit der flachen Hand abwischend, einen starken Witz machte; und dann griffen die beiden zu den Forken und reichten abwechselnd die Garben in die Höhe.

Unter der Haustüre stand die Frau, im grauen, kurzen Beiderwandrock, ein schwarzes Tuch um den Kopf gebunden, sorgenvollen Herzens; sie rief den Leuten scheltende Worte zu, wie es Gewohnheit ist, und die Leute ließen sie unbekümmert rufen. Der Bauer kam eben vom Feld, die Harke auf der Schulter; er trat an die Barre und kraute dem Bullenkälbchen den Kopf, in mancherlei Gedanken versunken; erst als es mit seiner rauhen Zunge ihm am Hemdärmel leckte, fuhr er auf und gab ihm einen leichten Schlag mit der Hand; der junge Hund mit seinen dicken Beinchen, der gespannt neben ihm stand, sprang auf das zurückweichende Kälbchen zu und wollte ei jagen: aber der Bauer pfiff ihn sogleich zurück.

Als er über den wohlgepflegten Hof blickte, die schön gestrichenen Wände des Hauses, der Ställe und Scheunen, das glänzende Vieh, welches mit vorgestreckten Köpfen nach ihm sah, das hohe Fuder, auf dem die fleißigen Leute abluden, da erhob sich in ihm die Zufriedenheit und Sicherheit, und ein Gefühl, daß ihm niemand etwas zu sagen hatte, daß er niemand zu bitten brauchte, und daß ihm nichts geschehen konnte. Tauben trippelten vorsichtig und suchten Körner, und ein Täuberich lief gurrend um seine Frau herum; das gab ihm ein ganz starkes Bewußtsein in seine Seele.

Indem trat in den Torweg ein Bettler in zerlumpter städtischer Kleidung und zerplatzten Stiefeln, der aber doch einen reinen Hemdkragen und unter dem Rock, welcher bis oben zugeknöpft war, eine sorgfältig gebundene Binde trug. Er sprach nichts, sondern grüßte nur, indem er den Hut lächerlich tief schwenkte, und sah ihn stehend an. Dem Bauern gab es plötzlich einen Stich und er wendete dem Mann den Rücken; dieser grüßte dann noch einmal und ging weg. Jetzt überkam ihn mit eins wieder die Angst, welche ihm geschickt war als ein Züchtigung. Er wußte nicht, weshalb er sich so rauh abgewendet hatte, eigentlich hatte er sich geschämt um den verkommenen Menschen, aber er dachte, daß er vielleicht dem Mann das Stück Brot nicht gegönnt habe, denn er selbst arbeitete mühselig vom Morgen bis zum Abend, und wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen; er hatte wohl einen Haß gegen den Menschen. Aber zwischen den Tauben sah er einen schlechten Sperling, der frech sein Körnchen pickte; wollte nicht Gott, daß auch der Sperling sich nährte, und arbeitete doch nicht oder nützte den Menschen? Übermächtig war Gottes Segen gewesen in diesem Jahre. Aber er wußte wohl, weder er noch ein anderer hatten ihn verdient. Und vielleicht waren die andern grobe Sünder, ihm zur Versuchung durch den Widersacher, damit er sich als ein besserer erscheinen konnte. Denn gewißlich war nicht Gottes Wille, daß er hier stehen sollte und stolz sein in seinem Herzen.

Und so stieg es in ihm aus dem Herzen auf, siedend heiß, bis in den Kopf, daß ihm schwindelig wurde und er sich zusammennehmen mußte, um nicht hinzufallen. Er wußte wohl, daß er dem Bettelmann nachgehen sollte, ihn bei der Hand ergreifen und zu sich führen, um ihn zu laben. Aber es würgte ihm vor Scham, daß er das nicht tun konnte. Und so feige war er, so menschenfürchtig, daß er der Scham nachgab. Denn auch solches waren des Teufels Wirkungen in uns.

Und da schwankte durch die Dorfstraße der letzte Wagen heran; oben auf den getürmten Garben saß sein Töchterchen, das einzige Kindlein, welches ihm Gott gegeben hatte, im roten Kleide, die Beinchen auseinandergebreitet und sich ängstlich und mit glücklichem Gesicht am Baum festhaltend. Von weitem schon sah sie ihn und jubelte ihm zu; aber ihm schnitt die Unschuld ins Herz, er ging mit langen Schritten zu dem halb entladenen Fuder, welches dort stand, schwang sich hinauf, und indem er die Forke unter das Bund stach, half er dem Knecht und der Magd die Garben in die Luke werfen, zwei auf einmal hochhebend; die Leute oben konnten sie nicht so schnell wegtragen auf die Banse, wie sie vor ihnen niederrauschten. Dabei betete er bei sich, wenn Gott ihn strafen wollte, so solle er nur nicht an dem Kind. Zwar wußte er, an Kindern und Kindeskindern suchte Gott heim; und er hatte seine Schuld noch nicht bezahlt, ihm war bisher alles geglückt, und so dachte er, daß der Tag der Abrechnung noch kommen werde, nachdem er jetzt in Sicherheit gewiegt war, denn Gottes Hand weiß zu finden, wen sie schlagen will.

Spät schlief er ein zu schweren Träumen. Aus dem Pferdestall herüber, der Wand an Wand mit dem Wohnhaus gebaut war, hörte er zuweilen ein Klirren der Ketten und ein schweres Stampfen und Schnaufen. Plötzlich fuhr er empor und lauschte. Es klang, als ob die Tiere sich ängstlich bewegten. Er zog sich notdürftig an und ging auf den Hof. Da arbeiteten sich eben durch das Dach der Scheune die Flammen, und im gleichen Augenblick begannen die Kühe ängstlich zu brüllen, und aus der offenen Luke des Bodens über dem Kuhstall kam ein dicker Rauch in die mondscheinhelle Nacht. Jetzt erscholl Bellen und Winseln der Hunde. Schnell entkettete er den Hund, der an ihm hochsprang, lief in den Pferdestall, schirrte ein Pferd los, das stolperig aus der Tür eilte, rüttelte die schlaftrunkenen Knechte wach, die beide in der Ecke des Stalles auf einer Bühne schliefen, schrie ihnen zu, die anderen Pferde zu retten, welche schon mit glänzenden Augen an ihren Ketten rissen, und stürzte ins Haus, wo die Frau eben sich ankleidete. Er ergriff das Kind, das sich verwundernd und lallend die Augen rieb, packte die Kleidungsstücke, die er gerade fassen konnte, und trug es aus dem Haus, über den Hof, durch den Torweg, gefolgt von dem wie irr springenden Hunde, bis an den Unkenteich, wo er sie in das tiefe Kraut niederlegte. Da stürmte schon die Feuerglocke, in den Häusern wurde Licht gemacht, in den Türen erschienen Menschen. Als er zurückkam, lief ihm die Frau entgegen mit Betten in den Armen. Die Pferde rasten durch den Torweg, eins schlug Funken aus einem Pflasterstein, auf dem es glitt. Die Kühe brüllten und rasselten mit ihren Ketten, ein Knecht stürzte blutbesudelt aus der Tür des Kuhstalls. Der Hund, welcher merkte, daß die Kühe herausgetrieben werden sollten, lief bellend hinein, vermehrte nur die Angst der angeketteten Tiere. Der zweite Knecht hielt den Bauer mit Gewalt zurück, ihm den Rock zerreißend, als er dem Hund nacheilen wollte. Jetzt kamen andere Leute, liefen ins Haus, schleppten allerhand Gerät auf den Hof. Der Bauer saß stumpfsinnig auf einem umgeworfenen Schiebekarren, hielt die Hände im Schoß, sah die Flammen außen huschen, das Feuer von innen heraus durch das Dach schießen, den Rauch durch die Luken sich ballen, hörte das verzweifelte Brüllen der Tiere und dachte, daß die Gerste noch auf dem Felde war, wunderte sich, weshalb die Leute nicht auf den Gedanken kamen, daß das Feuer das übrige Dorf verbrennen werde, und schrie dann, daß die Speckseiten aus dem Schornstein genommen werden sollten. Da erst dachten die Leute an die Gefahr, und daß die fliegenden Garben das übrige Dorf anstecken würden; sie liefen auseinander, jeder seine Dächer mit Wasser zu begießen.

Ehe die erste Hilfe von Feuerwehrleuten und Löschgerätschaften aus der Stadt kam, stand schon das halbe Dorf in Flammen, und wiewohl jetzt niedergerissen wurde, und mit Spritzen gelöscht, war doch keine Hilfe mehr möglich, und alle Gebäude, welche unter dem Winde lagen, verbrannten.

Und so waren am andern Tage verkohlte Haufen, aus denen noch dünne Rauchsäulen aufstiegen, schwarze Mauertrümmer standen, zackig und schief, in ihnen lehnten halbverbrannte Balken; Viehleichen, denen das Haar abgesengt war, lagen aufgedunsen und ekelhaft unter den Trümmern; allerhand Gesindel, das plötzlich erschienen war, wie aus der Erde gewachsen, wühlte im Schutt, sich Fleisch zu holen, hier verscheucht und dort sich wieder sammelnd; hochaufgetürmte Hügel von Garben mit vollen Ähren, viele gar nicht angebrannt, waren von zerbrochenen und geschwärzten Ziegeln und Kalkstücken bedeckt; ein Schrank, ein Ballen Betten, kupfernes und eisernes Küchengeschirr, welches zufällig gerettet war, lag über dem Anger verstreut, und dazwischen liefen Gänse herum.

Der Bauer arbeitete mit einer schweren Hacke zwischen den schwarzen Mauern des Wohnhauses; der Boden war noch glühend heiß, trotzdem er lange Wasser aufgegossen hatte, und er stand mit den Füßen auf einem großen Trittstein, den er hergewälzt. In einem hohlen Balken hatte er einige hundert Taler in Silber verwahrt, und er suchte nun das geschmolzene Metall, nachdem er sich die Stelle ausgerechnet hatte, wo es liegen mußte; aber er fand keinerlei Überreste, nur geschwärzte Steine, Strohbüschel, etwa ein verbogenes Stück Eisen, das er mit zu einem Haufen in der Mitte warf.

Als er ermüdet mit der Arbeit innehielt und aufsah, erblickte er sein Weib, in der offenen Einfahrt stehend, deren Tore aus den Haspen gehoben waren, wie sie ihre geballte Faust gegen den Himmel schüttelte, und hörte sie auf Gott fluchen, und wie er diese Lästerungen vernahm und das geschwärzte Gesicht mit den blutunterlaufenen Augen sah, da gedachte er an Hiob, und er wußte, daß seiner Leiden Ende noch nicht gekommen war.

Das Kindchen aber saß unter dem Hollunderbusch, der unversehrt geblieben, spielte mit den weißen großen Zähnen der verbrannten Kühe und jubelte über die Menge.

So war es nun notwendig, Geld aufzunehmen, um den Hof wieder zu bauen, alle Geräte zu kaufen und Vieh zu beschaffen. Ein Mann will Ewigkeit, und die Kinder seiner Kindeskinder, die aus seinen Lenden entsprossen sind, sollen in seinem Hause wohnen, in der Weise, wie er selbst wohnt. Deshalb ging er in die Stadt zum Kaufmann, um von ihm das Darlehen zu erbitten. Da wurde ihm so recht klar, wie dem Bettler mochte zu Mute gewesen sein, denn das Bitten ist das Schwerste in der Welt.

Er trat befangen in den Laden, wo vor dem Tresen rotarmige Dienstmädchen standen. Der Kaufmann war ein kleiner, runder Mann mit einem lustigen Pausbackengesicht, unruhigen Augen und roten Haaren. Er lief eilfertig hinter dem Ladentisch hin und her, wog ab, schüttelte die Düten und verschloß sie, tauchte den Arm in das Heringsfaß und wischte sich die Hand an der schmutzigen Quehle, und machte Witze, über welche die Mädchen kicherten und sich mit den Ellenbogen in die Seiten stießen oder sich quiekend bogen. Er wußte schon, was der Mann wollte, und erzählte den Mädchen, welche sich mitleidig umblickten, daß das wieder einer sei von den Abgebrannten, welche glaubten, daß er Gold machen könne aus Häcksel, wie die Bauern; und daß heute nichts mehr verdient werde beim Geschäft, sondern zugesetzt wegen des großen Wettbewerbes und der vielen Steuern. Der Bauer schämte sich, als der Kaufmann sein Anliegen allen erzählte, und daß ihn die Mädchen bemitleideten, aber er dachte an die Frau, welche zu Hause betete und das Kind zum Beten anhielt, daß er das Geld bekomme, und deshalb blieb er mit unbewegtem Gesicht sitzen, hinten auf der Tonne, wo er sich niedergelassen hatte. Der Kaufmann rief seinem Weibe, daß sie den Laden versehen solle, dann nickte er dem Bauern zu und ging mit ihm in die Schreibstube, setzte sich auf einen hohen Bock, und mit den Fingern trommelnd und gleichgültigen Gesichts erwartete er, was der Bauer ihm sagen werde. Als dieser seine Bitte vorgebracht hatte, machte er ihm erstlich harte Vorwürfe, daß er oft seine Waren von anderen bezogen, als ob nicht seine die besten seien, und dann sagte er, wie er schon so viel ausgeliehen habe, das er nie wieder einbekommen werde, so daß er kein flüssiges Geld mehr besitze. Der Bauer schwieg bekümmert zu diesen Worten, wiewohl er wußte, daß das alles Lüge war und nur in böswilliger Absicht gesagt wurde; und er dachte daran, wie manchem Bittsteller mochte zu Mute gewesen sein, der in ähnlicher Art vor ihm gestanden hatte, und so wurde ihm sein ganzes vergangenes Leben klar, denn Hiob war gewesen ein Mann, schlecht und recht, im Lande Uz, gottesfürchtig und meidete das Böse, und dennoch gab ihn Gott in die Hand des Bösen, nahm ihm alles, was er hatte, und schlug ihn mit Schwären von der Fußsohle bis zum Scheitel; und doch hatte er nicht den Dürftigen ihre Begierde versagt und die Augen der Witwen lassen verschmachten, noch einen Bissen allein gegessen und nicht der Waise auch davon gegeben.

Als der Bauer so verstummte, trat eine große Stille ein zwischen den beiden. Dann aber fing der Kaufmann mit der Hand eine Fliege aus der Luft, zerquetschte sie mit den Fingern und warf sie auf den Boden, und sagte, daß er trotzdem aus besonderer Achtung für ihn das Geld beschaffen wolle, welches freilich viel Mühe und Unkosten machen werde; und so wurden sie endlich handelseins derart, daß der Bauer hohe Zinsen versprach und seine Äcker verpfändete und einen Schein mit vielen Schlichen und Sicherungen unterschrieb, zwar zornigen Herzens über den Wucherer, aber in der gewissen Hoffnung, er könne bei großem Fleiß, und wenn Gott auch nur mittlere Ernten schicke, die Zinsen bezahlen und endlich auch noch die Hauptsumme abtragen. Derart ging er schweren Herzens und mit nachdenklichem Gemüt aus dem Hause des Kaufmanns; bevor er sich aber auf den Heimweg machte, erstand er noch in einem Laden ein Püppchen für sein kleines Mädchen, dem seine alte Puppe mit verbrannt war, welche es immer bei sich im Bettchen gehabt und jeden Abend ausgezogen und jeden Morgen angekleidet hatte.

Bei dem neuen Aufbau des Hofes strengte sich der Bauer gleich in der ersten Zeit, als der Brandschutt abgeräumt wurde, über seine Kräfte an, schleppte sich monatelang siech herum und genas sehr langsam, jedoch nicht zu seiner vorigen Gesundheit. In dieser Zeit wurden die Gebäude unter Dach gebracht und großenteils inwendig ausgebaut, mit viel größeren Kosten, als er berechnet, da bei seinem Fernsein die Maurer und Zimmerknechte faul waren und sich unnötige Tagelöhne aufschrieben, und auch manches verworfen und mutwillig beschädigt ward. Als das Arbeitsgerät angeschafft wurde, welches fast gänzlich verbrannt war, da zeigte sich, daß es eine weit höhere Summe kostete, als er veranschlagt hatte, denn viele unbeachtete, aber notwendige kleine Dinge, sonst von den Urvätern vererbt und gelegentlich erneut, kosteten zusammen fast so viel wie die wenigen großen Geräte, welche anfänglich allein betrachtet waren. Es war nicht so gutes Vieh zu bekommen, wie das alte gewesen, denn wenn die Händler wissen, daß an einem Ort großes Bedürfnis herrscht zu kaufen, so treiben sie nicht das beste Vieh an, da sie sicher sind, auch das geringere loszuwerden; jedermann weiß aber, welcher Verlust geringes Vieh für eine Wirtschaft ist, welches Löhne kostet und Futter wie das gute und doch weniger einbringt. Endlich aber zeigte sich die nächste Ernte als von schlechter Aussicht, einesteils weil häufig geringe Ernten auf vorzügliche folgen, andernteils weil dem Boden wegen der vielfältigen andern Arbeit sein Recht nicht geworden war. So konnte der Bauer schon das erste Jahr die Zinsen nicht bezahlen und mußte vielmehr nochmals Geld aufnehmen. Diesmal wollte ihm der Kaufmann nur gegen Wechsel leihen; und so sehr der Bauer erschrak, als er das hörte, und dem Kaufmann nachwies, daß jede Sicherheit vorhanden sei, konnte er doch keine günstigere Bedingung erlangen. Wie aber ein Mann, auch bei nur geringen Unglücksfällen, wenn er einmal solche gefährliche Verpflichtungen sich aufgeladen hat, immer tiefer in Abhängigkeit und Verschuldung gerät, erwies sich auch hier wieder. Es folgten Hagelschläge und Prolongationen, Viehkrankheiten und Pfändungen; und nach kaum fünf Jahren stand der Bauer vor der Aussicht, daß er mit seiner Frau und der während diesem zu einem fünfzehnjährigen Jungfräulein herangewachsenen Tochter von Haus und Hof durch den unbarmherzigen Gläubiger würde vertrieben werden. Denn dieser hatte die Hauptsumme zu einem bestimmten Zeitpunkt gekündigt und bei seinen schlechten Umständen wollte sie ihm kein anderer borgen.

Schon hatte der Bauer aufgehört, sich abzuquälen mit den Gedanken über Schuld, Zinsen, Rückzahlungen und Zusammenbruch. Er hatte so lange über diese Dinge nachgedacht, daß er nicht mehr konnte und gänzlich müde geworden war. Wenn ihm jetzt ein solcher Gedanke kam, so war ihm, als ob sein Gehirn plötzlich ganz leer geworden sei und gar nichts enthalte, womit er denken könne; nur die Unruhe im Herzen hatte er, und daß er sich hätte vor einer Maus fürchten mögen. Deshalb stand er mit dem frühesten auf, weckte die beiden Knechte und zog schon vor ihnen aufs Feld; immer hinter dem Pflug hergehend, die Leine um den Hals geschlungen und die Augen auf den Boden gerichtet, wo die Pflugschar einen glänzenden Streifen losschnitt, welcher zu Schollen bröckelte, und das Streicheisen diese halb umwarf auf die Nebenscholle. Am Ende der Furche, wenn er den Pflug ausheben und wenden mußte, erwachte er wie aus tiefem Nachdenken, und er hatte doch nichts gedacht, nur den glänzenden Furchenrand und das Umfallen der abgeschnittenen Schollen betrachtet. So war er immer hinter dem Pfluge hergegangen, seit ihn sein Vater mit auf den Acker genommen hatte, und ihm war das Gefühl, daß das immer so weiter gehen mußte und daß er nur nicht aufhören durfte mit seiner Arbeit.

Abends aber, wenn er müde nach Hause kam mit brechenden Knien, holte er die alte Bibel vom Reck, deren Blätter braun waren von den Händen seiner Vorväter, welche sie umgewendet, und fleckig von dem Öl der Lampe, bei der sie mühsam die großgedruckten Zeilen zusammenbuchstabiert. Da las er im Buch Hiob: »Wußtest du, daß du zu der Zeit solltest geboren werden? Und wie viele deiner Tage sein würden? Bist du gewesen, da der Schnee herkommt, oder bist du gewesen, da der Hagel herkommt, die ich habe erhalten bis auf die Zeit der Trübsal, und auf den Tag des Streits und Kriegs? Durch welchen Weg sich das Licht teilet und auffährt der Ostwind auf Erden? Wer hat dem Platzregen seinen Lauf ausgeteilet und den Weg dem Blitz und Donner? Daß es regnet auf das Land, da niemand ist, in der Wüste, da kein Mensch ist? Daß er füllet die Einöden und Wildnis und macht, daß Gras wächset? Wer ist des Regens Vater, wer hat die Tropfen des Taues gezeuget? Aus weß Leibe ist das Eis gegangen und wer hat den Reif unter dem Himmel gezeuget, daß das Wasser verborgen wird wie unter Steinen und die Tiefe oben gestehet? Kannst du die Bande der sieben Sterne zusammenbinden? Oder das Band des Orion auflösen? Kannst du den Morgenstern hervorbringen zu seiner Zeit? Oder den Wagen am Himmel über seine Kinder führen? Weißt du, wie der Himmel zu regieren ist, oder kannst du ihn meistern auf Erden? Wer gibt die Weisheit in das Verborgene? Wer gibt verständige Gedanken?«

Aber währenddem er mit bebenden Lippen vor sich hin las und sein Töchterchen sich ängstlich an ihn schmiegte, stand sein Weib vor ihm, die Arme in die Seite gestemmt, und schmähte:

»Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Ja, segne Gott und ziehe vor dem Wucherer die Mütze, und wenn er uns jagt von unserem Hause, dann schneide dir einen Stecken und schäle ihm die Rinde ab und bettle für Weib und Kind. Denn was ich eingebracht habe an Geld, Betten, Leinen und Schränken voller Kleider, ist denselben Weg gegangen wie deiner Eltern Habe, und von unserem Schweiß wächst des Juden Kohl. Wähnst du, der Herr wird dich segnen hernach? Der Hals ist mir steif geworden vom Ausgucken nach den vierzehntausend Schafen und den tausend Joch Rinder, ob sie nicht über den Bach kommen; ja, vielleicht, daß dieser schlappe Bauch noch einmal trächtig wird und du kriegst noch sieben Söhne und drei Töchter, die letzte Brotrinde zu fressen und dir zu helfen, den Bettelsack tragen, wenn dir bis dahin die Arbeit das letzte Mark aus den Knochen getrocknet hat, daß du ihn nicht selbst schleppen kannst. Pfui über den Herrgott, der seine Diener gibt in die Hand des Satans, daß er sie verderbe. Wohlgetan haben die Juden, daß sie ihn ans Kreuz schlugen. Haben wir nicht das Land bebaut im Schweiße unseres Angesichts, und sind niemand nichts schuldig geblieben, haben Steuern und Abgaben gezahlt und keiner Unzucht gefrönt noch Unmäßigkeit! Aber wenn es ihm Freude macht, den Frommen zu drücken und den Gottlosen zu erheben, so will ich auf Bibel und Gesangbuch speien und beten zum bösen Feind, denn der Gottseibeiuns hilft denen, die zu ihm stehen und läßt sie nicht verkommen.«

Zitternd hörte der Bauer diese Lästerungen. Er schlug den Arm um das Kind und sprach zu ihm: singe mit, und dann sang er, indem das Mädchen mit tränenerstickter Stimme versuchte, zu begleiten:

Ach, bleib mit deiner Gnade
Bei uns, Herr Jesu Christ,
Daß uns hinfort nicht schade
Des bösen Feindes List.

Ach, bleib mit deinem Worte
Bei uns, Erlöser wert,
Daß uns beid, hier und dorte,
Sei Gut und Heil beschert.

Ach, bleib mit deinem Glanze
Bei uns, du wertes Licht!
Dein Wahrheit uns umschanze
Auf daß wir irren nicht.

Das Weib heulte mißtönig dazwischen und versuchte die frommen Klänge zu stören durch ein freches Zotenlied, dergleichen sonst nie über ihre Lippen gekommen war und das sie gehört haben mochte von irgend welchem verlorenen Volk auf der Landstraße; und dem Mann brach endlich die Stimme ab vor herzbrechendem Schluchzen; denn als Mädchen war sie am Sonntag abend durch die Dorfstraße gegangen, eingehenkt in einer Reihe mit den anderen, und sie hatten schöne, alte Lieder gesungen. Er aber hatte vor Gottes Altar die Verantwortung auf sich genommen, sie zu halten in Ehrbarkeit und christlicher Zucht. Und wenn nun Gott ihn fragte nach seinem Weibe, so mußte er antworten wie Kain: Soll ich meines Bruders Hüter sein? Sie redete sich um Seligkeit und ewiges Leben; wie sollte er vor Gott bestehen? Und der Herr unser Gott war ein eifriger Gott. Er suchte heim bis ins dritte und vierte Glied. Und hatte er nicht einen großen Wind von der Wüste geschickt, und stieß auf die vier Ecken des Hauses, und warf es auf Hiobs Kinder, also, daß sie starben? Hiob aber sündigte nicht und tat nichts Törichtes wider Gott.

Da kam ihm ein Gedanke, wie er wollte seines Weibes Seele retten, mochte darum auch er selbst zur Hölle fahren, denn ein guter Hirte stirbt für seine Herde, und was Gott einem Menschen anvertraut hat, das muß er hüten, auch mit eigener Gefahr.

So brütete er ihm geheimen und dachte sich ein Lügengespinst aus, wie er wollte sein Weib täuschen. Er ging in die Stadt, als habe er dort zu tun, und als er wieder heimgekommen war, erzählte er seine Erfindung. Der Herr habe ihm eingegeben, zum Konsistorium zu gehen und dem seine Not zu klagen. Da seien die Herren Räte aufgestanden von ihren Bänken und hätten ihm Trost eingesprochen und gesagt, daß Gott ihn nicht verlassen werde, und der König werde das Geld geben, welches er schuldig sei, in neuen und blanken Geldstücken, und es solle alles bezahlt werden, und er solle wieder geben, wenn er könne, ohne Drängen, Mahnen und Eintreiben. Aber das müsse geheim bleiben, weil sonst zu viele Leute kämen, und auch böse Schuldner, die faul wären in ihrer Arbeit und nicht zahlten aus Liederlichkeit.

Das Weib glaubte ihm, wiewohl mit Staunen, denn bis dahin war noch kein unwahres Wort aus seinem Munde gegangen. Sie meinte fast, ihr Mann habe geträumt oder sei tiefsinnig geworden; aber er mahnte sie zu Dankbarkeit gegen Gott, der nun ihrer Prüfungen Ende bestimmt habe; sie erwiderte, daß sie abwarten wolle. Aber wie dem Verzweifelten die Hoffnung alles als möglich hinstellt, so begann sie von Tag zu Tag mehr zu vertrauen, als sie sein Gesicht sah, welches er mit Zwang heiter und zufrieden machte; nur des Nachts, in der Dunkelheit, ließ er ihm die Falten, welche sein Gemüt ihm von Natur gab; auch wachte er viel und grübelte, tat aber, als schlafe er ruhig und froher Hoffnung mit tiefen Atemzügen.

Im Kalender, der an einem Bindfaden am Nagel hing, hatte er mit dem Fingernagel angemerkt, wann die Wechsel fällig waren, deren jetzt mehrere über geringe Summen liefen. Wenn die Zeit da war, ging er zur Stadt, sagte, daß er in seiner Sache mit des Königs Beamten zu tun habe, und unterschrieb bei dem Kaufmann neue Wechsel mit höheren Zahlen. So bemerkte die Frau nichts davon, daß alles immer schlechter und schlechter wurde und wurde mehr und mehr in ihrem Wahn eingewiegt; dem Mädchen brachte er aber von solchem Gang immer ein kleines Geschenk billiger Art mit, welches er seit Jahren nicht mehr getan.

Dergestalt liefen die Dinge wohl ein Vierteljahr, und es nahte der Tag heran, zu welchem der Kaufmann die Hauptsummen gekündigt hatte. Der Bauer hatte noch einen letzten Versuch gemacht, sein Herz zu erweichen, und als einziger Bescheid ward ihm geantwortet, daß schon alle Vorbereitungen zur Gant getroffen seien, wenn er nicht bis zum Glockenschlag zwölf das Geld aufzähle. Zu Hause aber erzählte er mit heiterer Miene, daß ihm die königlichen Beamten das Geld gezeigt hätten, das für ihn bereit liege, in lauter neuen Stücken, je hundert Taler immer in einem Sack, in einem großen eisernen Schrank mit ganz dicken Türen. Er beschrieb auch, wie höflich und freundlich die königlichen Beamten gewesen seien, und wie er habe auf einem Stuhl sitzen müssen und man habe ihm zu rauchen angeboten, welches er aber aus Bescheidenheit abgelehnt habe. Alles das hatte er sich langsam ausgedacht.

Über diese Erzählungen wurde die Frau so gerührt, daß sie Tränen vergoß und die Hände faltete und hinkniete und zu Gott betete, daß er ihr möchte ihre große Sünde verzeihen, und ihm dankte für seine Güte und Hilfe. Sie schlug sich die Brüste und raufte sich das Haar, als sie der Lästerungen gedachte, welche sie ausgestoßen; der Bauer aber stand daneben, tröstete sie und sagte, daß Gott jede Sünde verzeihe, wenn man sie aufrichtig bereue, außer die Sünde wider den heiligen Geist; die aber habe sie nicht begangen, denn sie habe sich nicht gewehrt gegen Gottes Wirken in ihr, vielmehr den Herrn mit offenen Armen empfangen. Dann gebot er ihr, am morgenden Tage, welcher ein Sonntag war, zum heiligen Abendmahl zu gehen, um der Vergebung ganz gewiß zu werden, für den Montag aber erwartete er schon, daß der Gerichtsbote kommen werde, um allem, was er hatte, die Siegel anzulegen.

So machten sich denn alle drei bereit am andern Morgen. In der Frühe standen sie auf und sangen fromme Lieder; es kam kein Bissen über ihre Lippen, nur einen Schluck reinen Wassers nahmen sie zu sich, denn sie wollten fasten, bevor sie zum Tische des Herrn traten. Dann gingen sie in ihren besten Kleidern zur Kirche, mit Inbrunst sprach die Frau die vorgeschriebenen Worte bei der öffentlichen Beichte, legte alle ihre Sünden und Lästerungen in ihr Bekenntnis hinein; und endlich knieten die drei am Altar und empfingen gläubigen Herzens das Fleisch und tranken das Blut. Sie kehrten zurück und gingen einen schmalen Steig zwischen ihren Feldern, wo das Korn hinter ihnen zusammenschlug; schwer neigten sich die goldenen Ähren, denn es war ein fruchtbares Jahr; die Sonne schien warm vom Himmel und es war unbeweglich über dem Ährenfeld hin. Da ging der Frau das Herz auf über den Segen, und es kamen ihr die Tränen in die Augen, denn sie dachte, daß Gott ihr ihre Lästerungen nicht angerechnet habe und sie wunderbar errettet, und daß er dieses Jahr doppelt und dreifach gab, wie als einen Lohn für das fromme und geduldige Ausharren des Mannes; der aber sprach liebreiche Worte zu ihr, und sie wies auf die Tochter, welche fröhlichen Gemütes vor ihnen her wandelte und sprach davon, wenn diese erst verheiratet sei und sie Enkelkinder hätten und der Schwiegersohn ihm die harte Arbeit abnehmen würde, in wenigen Jahren könnten sie dann die Schaden der vergangenen Zeit wieder bessern.

Als sie zu Hause angekommen waren, aßen sie, und die Frau war müde von dem Fasten und der großen Aufregung und Erhebung und begehrte eine Stunde zu schlafen. Der Bauer schickte das Kind fort zu bekannten Leuten im Dorf, dort sich zu vergnügen, ging noch einmal durch die Ställe, welche verlassen waren, weil Knecht und Magd gleich nach dem Mittag fortgegangen und schritt dann zur Scheune.

Hier hatte er eine scharfe Axt verborgen, von der Art, wie die Zimmerleute sie zum Bebeilen der Pfosten zu gebrauchen pflegen. Diese hatte er in vorigen Tagen noch besonders sorgfältig geschliffen und abgezogen und versuchte sie jetzt, indem er einen Strohhalm an ihr durchschnitt. Dann kniete er nieder zum Gebet; denn jetzt kam sein Plan zum Ende; nachdem er durch seine Erfindungen seine Frau wieder mit Gott versöhnt, wollte er sie ermorden, damit sie das folgende Unheil nicht erlebe, sondern frohen Herzens eingehe in das ewige Leben. Lange rang er im Gebet, denn er war ein weichmütiger Mann und vermochte nicht der geringsten Kreatur ein Leid anzutun, und die Tränen fielen ihm aus den Augen auf das Stroh und dicke Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn. Aber nachdem er sich Mut eingeflößt hatte, erhob er sich und ging leise auf den Strümpfen in das eheliche Schlafgemach, wo die Frau auf ihrem Bette mit geschlossenen Augen lag. Er setzte die Schärfe des Beiles an ihrem Hals an, und schnitt, nachdrückend, ganz hindurch.

Die Frau öffnet mit entsetztem Ausdruck die Augen, ihre Hände griffen nach seinem Arm, und ein pfeifender und röchelnder Laut kam aus der klaffenden Wunde. Dann versuchte sie aufzustehen, fiel aber sogleich wieder zurück, und ihre Augen wurden starr. Er kniete am Bett und betete inbrünstig zu Gott, faltete auch ihre machtlosen Hände. Dann drückte er ihr die Augen zu und deckte ein Tuch über die Wunde. Jetzt wusch er sich die Hände, zog den Rock wieder an, den er vorher abgeworfen hatte, um ihn nicht mit Blut zu besudeln, setzte den Hut auf, mit dem er zum heiligen Abendmahl gegangen war, ging zum Schulzen und erzählte ihm, was er begangen. In der Nacht wurde er in aller Stille und ohne Aufsehen, wie er inständig gebeten hatte, nach der Stadt ins Gefängnis gebracht. Auch das Kind nicht mehr zu sehen, flehte er; die ganzen Stunden betete er zu Gott, daß er sich des Kindes annehmen möge und begütigt sein mit dem Opfer, das er dargebracht durch sich selber.

Nur kurze Zeit währte es, bis des Gläubigers Leute in das jammervolle Haus eintraten, wo das verlassene Mädchen ohne Rat und Hilfe in einem dunklen Winkel saß. Es wurde alles verkauft, Acker, Hof, Vieh, Gerät und Kleider und Leinen, ein geringes Geld, nicht ganz hundert Taler, blieb übrig, welche der Pfarrer für die Waise in die Sparkasse niederlegte, als einen Groschen, wenn sie einmal heiraten würde; den schönen Eichenstamm, welchen ihr Vater gefällt hatte, als sie geboren war, einst Ehebett und Schrank für sie zimmern zu lassen, wenn ein Mann sie heimführen werde, und der unversehrt unter dem Brandschutt geblieben durch ein Wunder, hatte ein Schlächter erkauft, und ihr war nur eine ärmliche Truhe geblieben, mit weniger Wäsche und dem Sonntagskleid und ein billiges Ringlein aus Silber mit einer Locke ihres Vaters darin eingefaßt, welches sie sich erbeten hatte. Der gute Pfarrer sorgte für sie, daß sie in der Stadt eine Stelle als Dienstmagd bekam, wo sie verschüchtert und unter vielen nächtlichen Tränen Arbeit für fremde Leute tun mußte.

Die Aburteilung des alten Bauern zog sich lange Zeit hinaus. Er saß gramvoll, aber gefaßten Herzens in einer Zelle und las in der Bibel. Als er vernommen wurde, hatte er alles erzählt wie es gekommen, aber der Richter war böse geworden und hatte ihm nicht geglaubt. Er hatte einen Schnurrbart, der ganz in die Höhe gebürstet war und fragte allerhand sonderbare Sachen, zu welcher politischen Partei er gehöre und ob seine Frau Liebhaber gehabt habe. Da schwieg er erschreckt und antwortete immer nur, er wisse nichts. Einen jungen Mann hatte man ihm als Verteidiger eingesetzt; dieser kam in seine Zelle und sprach, ihm brauche er nichts vorzureden, sondern er solle nur die Wahrheit sagen, denn er könne dann vielleicht eine Milderung ausfindig machen. Dem antwortete er, indem er auf sein weißes Haar wies, welches aber kurz geschoren war, und sagte, er wolle haben, was ihm zukomme, und er habe nie Unwahres geredet, außer zu seinem Weibe, um sie zu trösten und zu beruhigen, und das brauche er vor keinem Menschen zu verantworten, sondern nur vor Gott. Da wurde der junge Mensch verdrießlich und sagte, die Bauern seien immer mißtrauisch und redeten auch zu denen Lügen, die ihnen helfen wollten; aber er wolle seine Pflicht tun und versuchen, ob man ihn nicht für unzurechnungsfähig erklären werde, wiewohl er selbst glaube, daß er wohl wisse, was er getan habe. Dann kam ein Arzt und fragte ihn, ob er das Einmaleins wisse, und er antwortete, daß er das in der Schule gelernt habe, und auch das große Einmaleins, und er könne auch lesen und schreiben; so stellte dieser Mann noch viele Fragen, deren Sinn er nicht einsah, nach dem Elternnamen seiner Mutter, und wie die Hauptstadt heiße und wer König sei, und so fort.

Es trat auch ein Geistlicher in die Zelle, im Ornat und mit dem Gesangbuch. Er sah nach der Uhr, welche eine doppelte Kapsel von Gold hatte, und sprach, er sei der Geistliche der Anstalt, und es sei seine Pflicht mit ihm zu sprechen und ihn zu ermahnen. Damit setzte er sich auf den Schemel und legte das Buch auf den Tisch. Dem Bauern aber war die Kehle wie zugeschnürt, wiewohl er den Geistlichen mit großer Begierde erwartet hatte, und er wußte nichts zu erwidern. Der Geistliche redete in ihn, er solle die Wahrheit sagen, und ob er sich habe vom schnöden Mammon verblenden lassen oder durch den Zorn; ihm aber war es, als müßten ihm die Tränen kommen und er fühlte sich ganz hilflos; da sagte er, ob denn nicht der Pfarrer aus seinem Ort kommen könne, der seine Tochter eingesegnet habe. Hieraus wurde der Geistliche ungeduldig, und der Bauer merkte, daß er sich ärgerte; er sah dann nochmals nach der Uhr und sprach, er habe sehr viel schriftliche Arbeiten zu tun und jetzt keine Zeit mehr, und ob er ihm nicht in irgend etwas helfen könne; daß der fremde Pfarrer kommen dürfe, glaube er nicht, das werde wohl wider die Vorschriften sein. Als der Bauer darauf den Kopf schüttelte, ging er.

Derart schwanden Monate im Kerker, ohne daß etwas geschah, nur daß der Mann immer blasser wurde und sich endlich ganz hinfällig fühlte.

Indessen bekümmerten sich um seine Tochter andere Mädchen, welchen sie leid tat, und suchten sie zu erheitern durch Zuspruch. Es waren dieselben aber leichtfertiger Natur und nahmen ihre Tröstungen aus ihrem oberflächlichen Gemüt, indem sie sagten, daß sie nicht an ihr Unglück denken müsse und sich zu dem Zweck zerstreuen solle, denn das Leben sei kurz und besonders die Jugend, und sie könne durch ihr Trauern doch niemandem nützen. So zogen sie an einem Sonntag nachmittag sie mit sich hinaus zu einem Spaziergang, wider ihren Wunsch, aber sie mochte die gutherzigen Mädchen nicht kränken. Als sie vor die Stadt kamen, da warteten die Verehrer der beiden, und hatten auch einen dritten mitgebracht, der gleich ihnen ein Handwerksgeselle war, ein Schuster und lustiges Blut. Dieser machte sich an sie und sagte, er habe keinen Schatz und wolle deshalb mit ihr gehen. Und wiewohl sie nicht wollte, so redeten ihr doch alle zu, sie solle ihr Vergnügen nicht stören, und es sei doch nichts Schlimmes, wenn sie mit dem Gesellen gehe, auch machte dieser selbst gar treuherzige Augen. Da ließ sie sich bereden und henkte ihren Arm in seinen, vornehmlich aus Scham darüber, daß alle so auf sie einsprachen.

Dann gingen die drei Paare zu einem Vergnügungsort, der etwa eine halbe Stunde vor der Stadt lag. Hier machten sich die beiden andern sogleich auf den Tanzboden, sie aber blieb unten in der Wirtschaft, und der Geselle setzte sich zu ihr und bestellte ihr Bier. Dann erzählte er ihr allerhand, woher er stamme, und daß heute die Fabriken viel billiger arbeiten können wie die Meister, und daß er sich gar nicht selbständig machen wolle, sondern zusehen, daß er eine gute Stelle bekomme in einer Fabrik, wo er viel mehr verdienen werde, zudem auch die Konzentration des Kapitals befördern, und somit die endliche Befreiung des arbeitenden Volkes von seinen Ausbeutern. Das Mädchen aber dachte seufzend bei sich, daß sie sich wohl glücklich schätzen müsse, wenn einmal ein Fabrikarbeiter sie zum Weibe nehme.

Als es nun gegen den Abend kam und in der Wirtschaft die Lampen angezündet wurden, die trübe brannten in dem Zigarrenrauch, da drängte sie nach Hause. Die beiden anderen Mädchen aber waren in der besten Freude über das Tanzen und wollten erst viel später gehen, da machte sie sich allein auf den Weg und der Geselle begleitete sie. Nachdem sie eine Strecke von dem Hause entfernt waren, wollte er, daß sie wieder ihren Arm einhenke, und sie weigerte sich dessen, weil sie allein waren, auch fühlte sie Befangenheit und Furcht. Er aber machte Scherze und sagte, wenn er wolle, so müsse sie ihm den Arm geben, und als sie sich wehrte, rang er wie im Spiel mit ihr. Dabei küßte er sie unversehens auf den Mund; sie war zuerst so erschreckt, daß sie nur eine große Nase im Gesicht spürte und gar nicht wußte, was das bedeute, als es ihr aber klar wurde, schrie sie und lief von ihm fort auf dem Wege weiter. Er holte sie bald ein und bettelte in treuherzigen Worten, daß sie nicht böse sein solle, er wolle auch nicht wieder so zudringlich sein; und da es ihr jetzt ängstlich war, so allein in der Dunkelheit auf dem einsamen Wege fürbaß zu schreiten, so duldete sie wieder, daß er neben ihr herging.

Nachher erzählte er von neuem einiges, so, daß er sich habe eine Uhrkette machen lassen aus einem alten Taler, welches jetzt das Modernste sei; dann wiederholte er seine Bitten, ihr aber wurde eigen zu Mut, wie vorhin, jedoch auch wie vertrauensvoll. Sie gab ihm ihren Arm, und ging langsam mit ihm, und er küßte sie wieder, wobei sie nur noch wenig widerstrebte, dann führte er sie noch einsamere Wege, und sie konnte nicht mehr recht widerstehen, denn sie wußte auch, daß es doch nichts nutzte. Endlich setzten sie sich auf eine Bank, und dann tat er alles, was er wollte.

Darauf war sie ganz entsetzt, und es schien ihr, als wenn die Welt vor ihren Füßen versunken sei. Sie schrie laut und schluchzte unaufhörlich, hörte nicht auf die ermutigenden Reden des Gesellen, und das einzige Wort, das sie zwischen den unverständlichen Tönen vorbrachte, war, daß sie ihren Vater rief. Wohl eine halbe Stunde lang bemühte sich der Geselle, aber sie schrie immer denselben Laut und Ton, schluchzte dazwischen und rief das eine Wort, als wenn sie von Sinnen sei. Da fiel dem Gesellen bei, daß erzählt wurde, ihr Vater sei irrsinnig, und das Grauen packte ihn, daß er fortlief, als wenn er verfolgt werde, bis er die Töne nicht mehr hörte, und dann weiter, und als er an die Wirtschaft kam und die Lichter sah und die Musik hörte, da überfuhr ihn eine neue Angst, und er lief quer über das Feld weg, unter Stolpern und Fallen, daß er alle Richtung verlor und in dem Nebel irrte, welcher inzwischen gefallen war, bis er sich in der Stadt befand, wo er dann eilig in seine Dachkammer lief, sich ins Bett warf und die Decke über die Ohren zog.

Nachdem das Mädchen eine Weile allein geblieben war, verstummte ihr Schreien, und sie begann ein leises Weinen. Dann stand sie von der Bank auf, ordnete ihre Kleider und machte sich auf den Weg nach der Stadt. Durch den Nebel schienen die Lichter einer Häuserreihe. Da kam der Jammer über sie, und sie nahm ihr Kleid hoch, ging einen schmalen Feldweg, der dort abzweigte und zum Feuerteich führte. Als sie vor dem Feuerteich angekommen war, fiel sie auf die Knie, betete zu Gott um Vergebung für ihre Sünde, raffte das Kleid zusammen und stürzte sich kopfüber in das tiefe Wasser, welches gänzlich mit Entengrütze bedeckt war.

Als dem Bauern im Gefängnis berichtet wurde, daß man sein Kind aus dem Feuerteich gezogen habe, da ging eine Bewegung vor in seinem Herzen, daß er eine ganze Weile starr und unbeweglich sitzen mußte. Dann begann er, für sich zu brüten. Er las nicht mehr in der Bibel, sondern saß auf dem Ende seines eisernen Bettes, den Kopf in die Hände gestemmt. So saß er den ganzen Tag und brütete.

Es glaubte ihm hier niemand den Grund, welchen er sagte, weshalb er sein Weib getötet hatte. Das merkte er wohl. Auch der Geistliche glaubte ihm nicht, sondern meinte, daß er irgend eine andere Ursache gehabt habe für seine Tat. Das war doch ein ganz klarer Beweis dafür, daß seine Gedanken unrichtig gewesen sein mußten, und daß es sich mit dem Eingreifen Gottes anders verhielt, als er immer gemeint hatte.

Und ferner: wenn seine Gedanken richtig gewesen wären, so hätte Gott doch nicht das mit seinem Kinde geschehen lassen dürfen. Es wurde zwar immer gesagt, wir sollen Gott nicht richten; aber es mußte doch irgend einen Grund sehen, den Gott gehabt hätte. Es war hier aber kein Grund zu finden.

Nun hatte er schon früher einmal den Gedanken gehabt, ob es vielleicht gar nicht wahr sei, daß Gott die Welt regiert, und ob nicht vielleicht alles, was hier geschieht, von dem Widersacher ausgeht und dieser nur die Menschen mit falschen Gedanken betrügt. Stand nicht geschrieben vom Antichrist, daß er sollte los werden aus seinem Gefängnis und ausgehen, zu verführen die Menschen?

Er wußte wohl, daß es hieß: »Welche ich lieb habe, die strafe und züchtige ich. So sei nun fleißig und tue Buße.« Aber dann fuhr der heilige Geist fort: »Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. So jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich eingehen, und das Abendmahl mit ihm halten, und er mit mir.« Aber an seine Tür hatte der Herr nicht geklopft, nein, er hatte gerufen nach dem Herrn und keine Antwort war ihm geworden. So war er gänzlich betrogen.

Indem er aber so nachdachte, fühlte er plötzlich, wie es ganz leer wurde in seinem Herzen, und daß er nicht mehr an Gott glauben konnte. Das war, als sei es mit einem Male gekommen, in einem einzigen Augenblick. Angstvoll stand er auf, und schlug mit den Fäusten an die Tür des Kerkers, bis durch das runde Loch in der Tür ein Aufseher blickte, der endlich öffnete auf das verzweifelte Gebaren des Mannes. Er flehte ihn an, daß er den Geistlichen zu ihm hole. Aber als dieser nach einer Weile kam, war ihm wieder die Kehle zugeschnürt, kaum als er seine Bewegung beim Eintreten gesehen hatte. Nun grübelte er weiter, und mitten in diese Zeit kam endlich die Verhandlung, mit Fragen und Reden und vielen neugierigen Menschen und einem großen Saal mit drei Fenstern. Er merkte gar nichts von ihr, und auch, daß er verurteilt wurde zur Hinrichtung, ging nicht in sein Gemüt, sondern er hörte es nur.

Nun sollte er das heilige Abendmahl nehmen. Aber er wollte das nicht und wehrte sich mit allen Kräften. Denn er konnte ja nicht mehr glauben an Gott; wenn aber Gott doch wirklich war, so machte er seine Sache nur schlimmer, denn wer unwürdig isset und trinket, der isset und trinket ihm selbst das Gericht.

Derart war er verstrickt in einem Netz, das er nicht zerreißen konnte. Zwei Menschen waren es, die ihn bei den Armen ergriffen und führten, durch lange, lange Gänge, an deren Ende ein kleines Fenster war und viele, viele Türen an den Seiten, er konnte gar nicht denken, wie viele Türen das waren. Dann aus der Tür auf einen Hof, wo ganz weit, ganz weit das Blutgerüst war mit dem wartenden Henker, er wußte gar nicht, wie lange er gehen mußte; und dann stand er plötzlich oben, und die beiden Männer hatten ihm die Jacke ausgezogen und seine Hände auf dem Rücken gefesselt, und neben ihm stand der Geistliche mit dem Kruzifix und sprach etwas. Aber in seinem Herzen war es ganz leer und er hatte den Glauben nicht, den hatte ihm der Widersacher auch noch genommen, nachdem er ihm alles genommen hatte. Und so mußte er sterben als ein ungläubiger Sünder, und seine Seele mußte fahren zur ewigen Verdammnis.


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