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Die Erklärung

Jos zog seinen Mantel aus und steckte Handschuhe und Mütze in die geräumigen Taschen. Er trocknete seinen Bart und schüttelte sich, als wollte er seine Muskeln prüfen. Darauf nahm er auf dem ledigen Stuhl am Tische Platz. Er sah nichts weniger als spaßhaft aus in diesem Augenblick. Seine untersetzte, kräftige Gestalt drückte ungeduldige Entschlossenheit aus.

»Ich möchte jetzt reinen Wein eingeschenkt bekommen,« sagte er.

»Ich bin gerade dabei, den Versammelten die Lage zu erklären,« antwortete Krag. »Was ich bisher mitteilte, war Ihnen schon bekannt. Wie schon so häufig,« fuhr Krag fort, »sind wir auch bei dieser Sache auf ein charakteristisches Doppelspiel gestoßen. Ursprünglich werden wir von einer Affäre gefesselt, doch ohne daß wir es anfänglich merken, beginnt eine zweite Affäre nebenher zu laufen und sich mit der ersten zu vermengen. Dadurch bekommt die Sache etwas Rätselhaftes und anscheinend Unlösbares. In dem vorliegenden Fall hat ein verschlagener Verbrecher sich solch ein Doppelspiel zunutze machen wollen, um einen unerhörten Coup zu machen. Der verschlagene Mensch, von dem ich spreche, sitzt dort in der Sofaecke. Wie ich sehe, hat er den vernünftigen Entschluß gefaßt, sich als aufmerksamer Zuhörer ganz still zu verhalten. Lieber Suron, sollte ich einen Fehler in der Darstellung machen, bitte ich Sie, mich zu verbessern.

Wir haben«, setzte Krag seinen Bericht fort, »den Ausgangspunkt der Affäre in dem burlesken Aufzug zu suchen, den einige Herren in Christiania arrangierten und unter dem Namen: ›Aktiengesellschaft der 7. Dezember‹ auch ausführten. Bei diesem Aufzug hatten auch Sie, Herr Christensen, eine Rolle.«

»Ich hatte mir aber vorbehalten, unter Ausschluß der Oeffentlichkeit mitzuwirken,« wandte Christensen ein.

»Sehr richtig. Diesen Vorbehalt machten Sie, weil Sie meinten, daß der Scherz Ihr Ansehen als ernsthafter Geschäftsmann schädigen könnte. Man kann ja nicht leugnen, daß der Scherz ziemlich derb war, wenn er auch zum Zweck der Wohltätigkeit geplant wurde. Wir wissen, daß auf Grund einer Wohltätigkeitsvorstellung eine große Reklame gemacht werden sollte, damit ganz Christiania sich in der ›Blauen Eule‹ einfände. Vier Teilnehmer des Komplotts sollten nach und nach verschwinden, auf die sensationellste Art, nachdem sie geheimnisvolle, hellblaue Briefe empfangen hatten. Ich muß gestehen, der Plan glückte vortrefflich, denn alle Welt ging auf den Leim. Zuerst verschwand Reismann, dann von Brakel, dann Doktor Oedegaard. Darauf sollte Herr Christensen an die Reihe kommen.«

»Stimmt,« schob Christensen ein. »Indessen hatte ich um Dispens gebeten, unter anderem, weil mich plötzlich sehr wichtige Geschäfte nach Kopenhagen riefen.«

»Soweit ist alles ganz klar,« fuhr Krag fort. »Sie wußten um das Komplott. Aber noch jemand anderes wußte darum, auf den Sie sich verlassen zu können meinten: Ihre Privatsekretärin, Fräulein Aino Erko. Besondere Umstände veranlaßten sie, dieses Vertrauen zu mißbrauchen. Der Hauptumstand war der, daß sie von ihrem Bruder dazu gezwungen wurde. Brauche ich Ihnen ihren Bruder vorzustellen, meine Herren? Dort sitzt er in der Sofaecke. Es ist Suron. Dieser Mann hat bisher die Rolle ihres Kavaliers, ihres Verlobten, ihres Liebhabers, ja, was Sie wollen, gespielt, in Wirklichkeit ist er ihr Bruder. Als ich ihn zum erstenmal an jenem Abend vor Herrn Christensens Haus sah, als er sich fortschlich und sein ›Excelsior‹-Auto bestieg, bekam ich den Verdacht, daß er einen Finger mit im Spiel habe, aber erst hier in Kopenhagen ist mir die ganze Tragweite seines frechen Planes klar geworden.«

Die Anwesenden lauschten Krags Darstellung unter tiefstem Schweigen. Fräulein Erko starrte vor sich hin und schien völlig unberührt. Suron lächelte sarkastisch. Hansten-Jensen machte sich Notizen in seinem Buch. Krag fuhr fort:

»Durch seine Schwester bekam Suron Einblicke in Christensens Unternehmen in Kopenhagen. Er begriff, daß hier große Summen zu verdienen waren, nicht für ihn, den unbekannten Abenteurer ohne Geld, sondern für den soliden Geschäftsmann Joh. P. Christensen. Hierauf baute er seinen großen Plan. Er beschloß, in die Geschäfte der ›Aktiengesellschaft der 7. Dezember‹ einzugreifen. Durch seine Schwester hatte er erfahren, daß Christensen am Abend des 6. Dezember in seinem Auto nach Kopenhagen fahren wollte. Gleichzeitig hatte er in Erfahrung gebracht, daß Jos seinem Versprechen gemäß die Freunde in dem alten Wirtshaus Tyrihöhe besuchen wollte, unter anderem, um mit Reismann über seine Beteiligung an dem Geschäft in Kopenhagen zu verhandeln. Das machte er sich zunutze. Mittags um drei Uhr hält er mit seinem Auto vor Jos' Kontor, und dieser, der natürlich glaubt, daß die Botschaft aus Tyrihöhe kommt, steigt ein und läßt sich entführen. Auf diese Weise macht er sich einen Scherz nutzbar, und gleichzeitig mischt sich der Ernst in den Scherz, meine Herren. Am selben Tage, einige Stunden später kommt die richtige Mitteilung aus Tyrihöhe, da aber ist Jos bereits auf und davon, und ich nehme den blauen Brief als Vorwand, um den Unternehmern auf die Spur zu kommen. Als ich dabei die Ueberzeugung gewinne, daß Jos' Verschwinden ein Geheimnis enthält, das nicht mit der ›Aktiengesellschaft der 7. Dezember‹ in Zusammenhang steht, fasse ich den Entschluß, die Sache von diesem Ausgangspunkt zu verfolgen. Am Abend desselben Tages entdecke ich eine schwache Spur, indem ich Surons merkwürdiges Gebaren vor Jos' Kontor beobachte. Ich gehe in den Freisinnigen Klub und bin dort Zeuge des Schlußspieles zwischen Direktor Reismann und Stenesen.«

»Darüber bin ich unterrichtet,« bemerkte Jos. »Ich habe Reismann vor meiner Abreise in Christiania gesprochen.«

»Schön. Im Klub erhalten wir die erste Nachricht von Jos. Er hat ein Telegramm aus Moß gesandt, daß er sich auf dem Wege nach Kopenhagen befindet, und ordnet an, daß seine Privatsekretärin, Fräulein Erko, ihm bestimmte Dokumente und Wertpapiere dorthin bringen soll. Dieses Telegramm hat natürlich gar nicht existiert. Es ist nur eine Mitteilung, die Fräulein Aino Billington auf Verlangen ihres Bruders machte. Nicht wahr, Fräulein Aino?«

Die junge Dame nickte nur.

»In Wirklichkeit befand Schiffsreeder Christensen sich in der Nähe von Christiania, wo er in einer kleinen Sportshütte gefangengehalten wurde, die Suron und seinem Helfershelfer Hekki, auch einem Finnen, gehörte, der den Auftrag hatte, den Gefangenen zu bewachen. Ich hoffe, daß man Sie nicht zu schlecht behandelt hat?«

»Ich war unter strengster Bewachung,« erklärte Jos, »und man drohte mir, daß man mich ohne Umstände niederschießen würde, wenn ich einen Fluchtversuch machte. Außerdem nahm man mir alle meine Papiere und Gelder ab. Ich muß gestehen, daß ich höchst erstaunt war, als Suron sich als internationaler Verbrecher entpuppte. Zuerst dachte ich, das Ganze sei Scherz, ein neuer Einfall von Reismann, bald aber wurde ich vom Gegenteil überzeugt. Alles in allem aber kann ich über die Behandlung nicht klagen.«

»Anfangs war ich im Zweifel, ob Sie nicht doch das Telegramm aus Moß abgesandt hatten und auf dem Wege nach Kopenhagen seien. Indessen war mein Mißtrauen einmal geweckt und wurde durch Surons Auftreten an dem Abend im Klub bestärkt. Er bot Stenesen Teilung an und gewann eine große Summe.«

»Reismann behauptet, es sei Betrügerei mit im Spiel gewesen.«

»Das war es auch. Darauf aber kommen wir später noch zurück. Ich habe Surons Schulden ordnungsgemäß hier in meinen Papieren aufgestellt. Soweit ich sehen kann, war sein Anteil an dem Kompaniegeschäft vierunddreißigtausend Kronen, aber ich habe die ganze Summe achtundsechzigtausend Kronen auf sein Konto gesetzt, weil er für den ganzen Betrag verantwortlich ist ... Hallo, bleiben Sie nur sitzen, ich habe noch mehr Posten für Sie notiert.«


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