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Jos' Irrfahrten

Asbjörn Krag sagte diese Worte keineswegs in einem spaßhaften Ton, aber doch mit einer Gleichgültigkeit, die mit dem schrecklichen Ernst der Mitteilung ganz und gar nicht im Einklang stand. Hansten-Jensen betrachtete ihn genauer und begegnete einem Blick seiner Augen, einem eigentümlich wachsamen Blick, so daß er bei sich dachte:

»Der ist auf alle Fälle nüchtern. Er spielt Suron nur Komödie vor.«

Der Finne war aufgesprungen.

»Nicht möglich!« rief er. »Ein blutbefleckter Rock, sagen Sie, eine leere Brieftasche ... Großer Gott, bedeutet das nicht ...«

Er konnte keine Worte finden. Es war seltsam, diesen sonst so kaltblütigen Mann so ganz außer sich zu sehen. Auch Asbjörn Krag schien davon überrascht zu sein, denn er sagte, indem er ihn forschend anblickte:

»Ich bin ganz überrascht, Sie in Ekstase zu sehen, Suron, ich dachte, Sie seien gefühllos wie eine Maschine aus Stahl, und jetzt geben Sie förmlich eine dramatische Szene zum besten. Mich dünkt, Sie schreien etwas zu laut, das kleidet Sie nicht.«

Suron zuckte zusammen.

»Ich bin über das Schicksal meines Freundes besorgt, finden Sie das so merkwürdig? Ich habe diesen Herrn begleitet, um mit ihm nach dem Verschwundenen zu forschen. Wenn Sie mich hier aber für überflüssig halten, Herr Krag, dann ziehe ich mich zurück.«

Asbjörn Krag sprang auf und legte ihm die Hand beruhigend auf die Schulter.

»Aber nein,« rief er, »Sie haben mich mißverstanden. Ich bin im Gegenteil froh, daß Sie da sind. Ich habe auf Ihre Ruhe und Geistesgegenwart gerechnet und darum hat mich Ihr Gefühlsausbruch so überrascht. Der blutbefleckte Rock dort lehrt uns ja, daß wir hier nicht Gefühle, sondern Handlungskraft nötig haben. Verstehen Sie mich jetzt?«

Suron drückte ihm warm die Hand.

»Er macht sich über ihn lustig,« dachte Hansten-Jensen bei sich.

Krag ging zum Flügel und nahm ein Paket in braunem Papier auf, das dort auf der Erde lag. Das Paket enthielt einen zerknitterten und beschmutzten Gehrock. Krag breitete ihn aus.

»Nicht wahr,« sagte er, »wir alle kennen Jos' strammsitzenden Gehrock. Und hier ist die Brieftasche. Die Wertsachen sind herausgenommen, aber sie enthält noch einige Papiere, die keinen Zweifel lassen, wer der Eigentümer war.«

Hansten-Jensen untersuchte einige Flecke auf dem Stoff.

»Kein Zweifel, das sind Blutflecke,« sagte er. »Wo haben Sie den Rock gefunden?«

»Ich habe ihn nicht gefunden,« antwortete Krag. »Er wurde heute vormittag auf der Polizei eingeliefert. Ein Milchjunge hat ihn auf dem Hof eines Hauses in der Dragonergasse gefunden.«

»Ein unheimliches Viertel,« murmelte der Kopenhagener Detektiv. »Welche Hausnummer?«

»Nummer 75.«

»Das Haus ist wohl untersucht und abgesperrt worden?«

»Nein.«

»Nicht! Was haben Sie denn mit Hinblick auf diesen unheimlichen Fund vorgenommen. Hier gilt es doch rasch zu handeln.«

»Der Ansicht bin ich auch,« schob Suron ein.

»Ich habe nichts weiter vorgenommen, als hier auf Sie zu warten,« antwortete Krag.

Hansten-Jensen konnte sein Erstaunen kaum unterdrücken.

»Sie haben wohl schon einen bestimmten Verdacht und arbeiten nach einem bestimmten Plan?«

»Ja.«

»Vielleicht halten Sie es sogar für überflüssig, etwas in der Dragonergasse 75 vorzunehmen?«

»Bis auf weiteres halte ich es für Zeitvergeudung. Es sei denn, um festzustellen, welchen Weg Christensen heute nacht gegangen ist. In den Hauptpunkten aber ist es uns schon bekannt, dank der vorzüglichen Arbeit der Kopenhagener Polizei.«

Hansten-Jensen nickte beifällig.

»Vom Trocadero fuhr Christensen direkt hierher, nicht wahr?«

»Ja, und hier war er mit einer großen Gesellschaft zusammen, einer seltsamen Mischung von Damen und Herren, bis halb fünf Uhr.«

Plötzlich unterbrach er sich und fragte Suron:

»Waren Sie hier mit ihm zusammen?«

Suron schüttelte den Kopf.

»Ich war eine Weile mit ihm im Trocadero zusammen. Dort aber war er so unliebenswürdig und übrigens auch so betrunken, daß ich mich drückte.«

»Um halb fünf Uhr hat er sich von hier allein fortgeschlichen. Doch hinterließ er Constance solch reichliche Summe, daß das Fest noch lange fortgesetzt werden konnte. Später haben mehrere Personen ihn allein auf den Straßen herumirren sehen. Seitdem hat niemand mehr etwas von Jos gesehen, und dieser blutige Rock ist die einzige Spur von ihm.«

»Und das ist alles, was man weiß?« fragte Hansten-Jensen eifrig.

»Das ist alles, was man von Christensens Umtrieben heute nacht weiß.«

»Aber mein Gott, das alles beweist doch, daß Schiffsreeder Christensen heute nacht in einem unzurechnungsfähigen Zustand ausgeplündert und wahrscheinlich ermordet worden ist!« rief Hansten-Jensen mit steigender Unruhe.

»Daß er ausgeplündert ist, ist jedenfalls sicher,« meinte Krag.

»Ich begreife Ihre Gleichgültigkeit nicht. Ich kann diese Untätigkeit kaum noch ertragen.«

Krag sah nach der Uhr.

»Warten Sie noch einen Augenblick, wir wollen gleich gehen.«

»Wohin?«

»Zum Palasthotel.«

»Glauben Sie, daß Sie den Verbrecher dort finden?« fragte Suron.

»Nein,« antwortete Krag.

»Wen denn? Haben Sie einen Verdacht?«

»Wenn ich nun Sie in Verdacht hätte?« sagte er lachend und schlug Suron freundlich auf die Schulter.


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