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Bei der roten Constance

Mit dem Glas in der Hand ging Krag auf die beiden Herren zu und sagte:

»Willkommen, liebe Freunde, es freut mich außerordentlich, Sie hier zu sehen. Unsere schöne Wirtin wird gleich kommen. Ich habe die norwegischen Zeitungen bereits gelesen. Der Scherz ist über Erwarten geglückt. Nehmen Sie Platz!«

»Welcher Scherz?« fragte Hansten-Jensen.

»Ah, da ist unsere Wirtin,« fuhr Krag fort.

In der grünlichen Beleuchtung tauchte die rote Constance auf. Sie hatte sich keine Mühe gegeben, den Herren zu imponieren. Von Johnny hatte sie sicher erfahren, wer die Besucher waren. Sie trug eine jener unbeschreiblichen Morgentoiletten – es war ja erst sechs Uhr am Nachmittag – die bei jüngeren und schöneren Frauen nur dazu da zu sein scheinen, um ausgezogen zu werden, die sie aber trug, weil man doch etwas anhaben muß, wenn man den Milchmann an der halbgeöffneten Tür bezahlt.

»Tag, Jensen,« sagte sie und nickte Suron zu. Darauf machte sie sich an der Stehlampe neben dem Flügel zu schaffen.

»Das Whiskytrinken am Tage ist unausstehlich,« fuhr sie gereizt fort, »mitten am Tage.«

»Ist sie nicht eine herrliche Frau!« rief Krag, indem er sich an einem kleinen Tisch niederließ.

»Ganz meine Meinung,« stimmte Hansten-Jensen bei und nahm Krag gegenüber Platz.

Auch Suron ließ sich am Tische nieder, mit einer Miene, als ob man nach einer durchbummelten Nacht in der ersten Straßenbahn Platz nimmt.

»Haben Sie Karten?« fragte er.

Da aber verlor die rote Constance die Geduld. Bisher war sie auf ihren türkischen Pantoffeln umhergeschlürft und hatte Staub gewischt. Jetzt ging sie auf die Herren zu und sagte:

»Das geht wirklich nicht an, daß Sie mich hier aufhalten. Feine Herren benehmen sich nicht so. Das können Sie einer Dame nicht bieten, Jensen!«

»Whisky!« war Jensens gelassene Antwort.

»Zigarren!« fügte Krag hinzu.

Constance stand einen Augenblick unbeweglich auf dem prächtigen Smyrnateppich, mit dem Staubwedel in der Hand. Nichts aber kann einen festen Willen besser ausdrücken als drei Herren mittleren Alters um einen Tisch. Sie betrachtete diesen Tisch eine Sekunde, ließ darauf ihr Staubtuch auf die Erde fallen und trabte in ihren türkischen Pantoffeln hinaus. Leider konnte sie die Tür nicht hinter sich zuknallen, denn alles war hier auf diskrete Lautlosigkeit eingestellt. Gleich darauf aber glitt die Tür wieder auf und herein trat ein junges Mädchen mit einem Nickeltablett, reich besetzt mit Flaschen und Gläsern. Das Mädchen war jung und hübsch, mit einer weißen Spitzenhaube auf dem Haar – das schönste aber war, daß die Flaschen auf ihrem Tablett die Marke »White Horse« trugen. Sie setzte das Tablett auf den Tisch und verschwand. Die Herren waren jetzt allein, und darum konnte der eine ernst werden.

»Ja,« begann er, »ich habe wirklich in norwegischen Zeitungen gelesen, daß es ein großer Erfolg war.«

»Was?« fragte Hansten-Jensen.

»Die Vorstellung,« fuhr der ernste Herr, es war Asbjörn Krag, fort – »die ›Aktiengesellschaft der 7. Dezember‹ hat großen Erfolg gehabt. ›Die blaue Eule‹ war von oben bis unten ausverkauft. Besonders soll der Schriftsteller Oedegaard mit seinem Vortrag über die Erlebnisse des Aktiengesellschaftskomitees Jubel erweckt haben. Eine Menge Geld ist für die Armen eingenommen. Gestatten Sie, meine Herren, daß ich ein Wohl auf diese vortrefflichen Menschen ausbringe, die sich zu Weihnachten der Armen und Bedürftigen angenommen haben. Es ist nicht mehr als billig, daß wir dem Etablissement ›Die blaue Eule‹ wünschen, daß es nach Weihnachten den Lohn für diese einzig dastehende Arbeit im Dienste der Wohltätigkeit ernten möge.«

Asbjörn Krag stieß mit den beiden anderen an. Hansten-Jensen mischte sich ein neues Glas.

»Ich saufe wie ein Norweger,« sagte er, »um mich zu Ihrer Höhe hinaufzuschwingen und Sie besser zu verstehen. Wissen Sie, daß Jos verschwunden ist?«

»Ja,« sagte Krag, »ich bin hier, um nach ihm zu suchen. Und bin schon lange hier gewesen.«

»Seit wann?«

»Seit drei Uhr.«

Hansten-Jensen zeigte auf Krags Glas.

»Haben Sie ihn dort gesucht?«

Krag hob wieder sein Glas und trank den anderen zu.

»Ich habe auf ihn gewartet und habe auch Spuren von ihm gefunden.«

»Welche Spuren?« Hansten-Jensen stimmte in seinen scherzhaften Ton ein.

»Bisher habe ich nur seinen blutigen Rock und seine leere Brieftasche gefunden. Sie liegen dort neben dem Flügel.«


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