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In Erwartung

Eine halbe Stunde später befanden die drei Herren sich im Palasthotel, wo Asbjörn Krag ein großes Zimmer gemietet hatte. Suron erkundigte sich eingehend bei Portier und Inspektor, ob man etwas von dem Verschwundenen gehört habe, bekam aber nur ein verneinendes Kopfschütteln zur Antwort. Hansten-Jensen wunderte sich, daß Krag an diesem Bescheid so wenig Anteil nahm. Als sie sich auf Krags Zimmer begeben hatten, sagte er zu seinem Kollegen:

»Wenn ich Sie recht verstehe, sind Sie sich bereits über das Schicksal des Unglücklichen im klaren.«

Darauf antwortete Krag nichts, sondern sah nur nach seiner Uhr und schien irgend etwas zu berechnen.

»In einer Stunde«, sagte er halblaut, »ist die Uhr halb acht.«

»Hat dieser Zeitpunkt eine besondere Bedeutung?« fragte Hansten-Jensen.

»Ja,« sagte Krag, »große Bedeutung. Und außerdem ist das Wetter wichtig.«

Er blickte aus dem Fenster. Der Rathausplatz lag regenblank im Schein der elektrischen Lampen.

»Häßliches Weihnachtswetter,« bemerkte Hansten-Jensen.

»Wundervolles Wetter,« antwortete Krag vergnügt, »milde und schneefrei. Für unser Vorhaben kann es gar nicht besser sein.«

Der Kopenhagener Detektiv, der einsah, daß Krag etwas Bestimmtes erwartete, worüber er vorläufig nicht sprechen wollte, faßte sich in Geduld und setzte sich an einen Tisch, wo norwegische Zeitungen lagen. Sie waren voll von Berichten über Direktor Reismanns kühnen und glücklich durchgeführten Scherz mit der »Aktiengesellschaft der 7. Dezember«. Das Fest war mit großer Pracht vom Stapel gelaufen und das Publikum hatte sich mit Rücksicht auf den guten Zweck den Bluff gefallen lassen.

Asbjörn hatte sich an den Schreibtisch gesetzt und ordnete allerhand Papiere, die wie Abrechnungen und Protokolle aussahen. Auch Telegramme waren dazwischen. Er schien diese Papiere in Haufen nach einem bestimmten System zu ordnen.

»Es stimmt aufs Haar,« sagte er schließlich.

»Was stimmt?« fragte Hansten-Jensen.

»Meine Abrechnung,« antwortete Krag.

»Ihre private Abrechnung?«

»Nein, in Jos' Angelegenheiten.«

Plötzlich fragte er Suron, der neben ihm saß:

»Wann haben Sie mit Fräulein Erko gesprochen?«

»Heute nachmittag um drei Uhr.«

»Und sie will morgen früh reisen?«

»Ja, ihr Vater ist schwer erkrankt.«

»Ich weiß. Sie hat ein Telegramm aus Kotka erhalten. Wenn aber Herr Christensen bis dahin nicht aufgetaucht ist, was dann?«

»So bleibt es Sache der Polizei, zu entscheiden, ob ihre Anwesenheit notwendig ist. Aber sie hat ja das Hotel seit gestern nachmittag nicht verlassen, kann darum auch keine Auskünfte geben. Außerdem muß man wohl auch Rücksicht darauf nehmen, daß sie eine Tochter ist, die an das Bett ihres todkranken Vaters eilen möchte.«

»Befindet sie sich in diesem Augenblick auf ihrem Zimmer?«

»Ich nehme es an.«

Krag zeigte auf das Telephon.

»Rufen Sie sie bitte an.«

Fräulein Erko war zu Hause, und Suron bat sie, auf Krags Aufforderung, zu ihnen auf Zimmer Nummer 118 zu kommen.

Während man auf sie wartete, ordnete Krag die Plätze um den Tisch. Es war wie vor einer Sitzung. Auf seinen eigenen Platz legte er die Papiere, die er soeben durchgesehen hatte.

Fräulein Erko kam.

Sie war auffallend blaß, und die Blässe wurde noch durch ihr schwarzes Kleid gehoben. Hansten-Jensen dachte bei sich: »Sie ist bereits auf den Tod ihres Vaters vorbereitet.«

Krag geleitete sie artig zu einem Platz am Tische.

Er sprach sein Bedauern aus über die traurige Nachricht, die sie erhalten hatte. Sie antwortete kaum und erschien gedrückt und verschüchtert.

»Ich hoffe, daß Sie morgen reisen können,« sagte er. »Das hängt von den Ereignissen der nächsten Stunde ab.«

Suron schob ein:

»Wir haben ihn noch nicht gefunden. Doch haben wir eine Spur, die uns sehr beunruhigt. Wir sind auf das Schlimmste gefaßt.«

Bei diesen Worten suchte er den Blick des jungen Mädchens. Und er sprach langsam und mit Nachdruck, als wolle er ihr bedeuten, daß seine Worte einen Doppelsinn hatten. Hansten-Jensen fing den Blick des Finnen auf und sah, daß das Gesicht des jungen Mädchens einen seltsamen Ausdruck bei der Verzauberung dieser merkwürdigen Augen bekam. Er fühlte wieder den unerklärlichen Schauder, den er im Halbdunkel der Bar empfunden hatte.

Das junge Mädchen blickte entsetzt drein.

Krag legte seine Hand auf ihren Arm.

»Seien Sie ruhig,« sagte er, »noch kann sich alles zum Guten wenden.«

Er sah auf die Uhr, und suchte darauf zwischen den Papieren auf dem Tisch.

»Wollen Sie uns etwas vorlesen?« fragte Hansten-Jensen.

»Ja,« antwortete Krag, »ich möchte Ihnen eine Novelle vorlesen, allerdings keine literarische Novelle, denn sie besteht ausschließlich aus Telegrammen, Protokollen und anderen Dokumenten.«

»Wovon handelt diese Novelle?« fragte Hansten-Jensen.

»Wenn ich ihr einen Titel geben sollte, würde ich sie ›Die Aktiengesellschaft der 7. Dezember‹ oder ›Wie Jos verschwand‹ nennen. Wo wollen Sie hin, Suron?«

Suron hatte sich plötzlich von seinem Platz in dem weichen Sofa erhoben.

»Ich sitze hier nicht gut in der Ecke,« erwiderte der Finne.

Es fiel Hansten-Jensen auf, daß seine Stimme plötzlich so heiser klang.

»Ich möchte lieber dort sitzen,« fuhr Suron fort, indem er auf einen Stuhl zeigte.

»Ich habe Ihren Platz bestimmt,« antwortete Krag in einem ruhigen und befehlenden Ton, so daß Suron unfreiwillig in die Sofaecke zurücksank.

»Lieber Freund,« wandte Krag sich an Hansten-Jensen, »helfen Sie mir bitte, ihn dort festzuhalten

Jetzt verstand Hansten-Jensen.

»Lesen Sie,« bat er ungeduldig.

»Gleich,« sagte Krag, »wenn die Versammlung vollzählig ist. Der ledige Stuhl dort wartet noch auf jemanden.«

»Wen erwarten Sie?«

»Ich erwarte Jos.«

Im selben Augenblick schlug die Rathausuhr halb acht.


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