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Hinausgeworfen

Es war unverkennbar, daß Suron sich nur mit äußerster Anstrengung beherrschte. Und merkwürdigerweise schien es fast, als ob Asbjörn Krag ihn mit Absicht reizte.

»Sie wollen ein Gentleman sein! Hier komme ich und schlage Herrn Christensen ein feines Geschäft vor und werde so behandelt. Das ist unerhört, unerhört!«

Aino hielt noch immer Surons Arm fest, der sich vergeblich zu befreien versuchte.

»Was haben Sie für Referenzen?« fragte er, etwas ruhiger.

Da aber nahm Krag eine stolze Stellung ein, und indem er sich mit selbstbewußter Miene den Bart strich, rief er:

»Referenzen, mein Herr! Meine Person empfiehlt sich selbst. Außerdem wird es sich durch das feine kleine Geschäftchen, das ich vorzuschlagen habe, zeigen – –«

Krag legte eine geheimnisvolle, lüsterne Betonung auf die Worte: »feines kleines Geschäftchen«, die keinen Zweifel über die Natur des Geschäftes ließ.

»Für solche Geschäfte interessiert Herr Christensen sich ganz und gar nicht,« sagte Suron.

»Warum nicht?« Krag war vor den Kopf gestoßen. »Jedes Geschäft ist gut, wenn man nur Geld dabei verdient. Weil Herr Christensen im Krieg Riesengelder verdient hat, ist er noch lange nicht feiner als ich. Wir sind beide Sünder vor dem Herrn. Hahaha.«

Krag lachte selbstgefällig über seinen guten Witz. Seine Plumpheit aber, die anscheinend ganz unbewußt war, hatte den Becher zum Ueberfließen gebracht. Bevor er wußte, wie ihm geschah, stand er mitten auf dem Korridor, wo er sich nach der heftigen Behandlung, die ihm zuteil geworden war, zu sammeln versuchte. Noch klangen ihm Surons letzte drohende Worte in den Ohren:

»Wenn Sie es wagen, sich noch einmal hier zu zeigen, werfe ich Sie zum Fenster hinaus!«

Als Krag durch die Flurtür ging, bemerkte er, daß einer der Hoteljungen ihm einen forschenden Blick zuwarf. Krag begriff, daß er hier einen von Hansten-Jensens kleinen Spionen vor sich hatte. Und er verstand auch das Signalsystem. Der Junge folgte ihm auf die Straße, um festzustellen, welchen Weg er einschlüge, und gab dann dem Chauffeur, der bei dem Autotelephon Wache hielt, einen Wink. Wenige Minuten später würde sicher Hansten-Jensen oder einer seiner Leute davon unterrichtet sein, daß der fremde Herr mit dem langen, braunen Vollbart das Palasthotel verlassen hatte. In dieser Art Spiondienst war Hansten-Jensen Meister. Er hatte alles aufs minuziöseste angeordnet. Durch Leute, die durch ihre tägliche Arbeit über die ganze Stadt verstreut waren, konnte er jederzeit sich die gewünschten Aufschlüsse verschaffen. Straßenkehrer, Chauffeure, Türsteher und Reklameträger, sie alle waren seine »Augen«; und meistens lieferten sie ein gutes Material. Denn alle hatten jene schnelle Auffassungsgabe, die die Jugend der Großstädte sich im Kampf ums Dasein auf Straßen und Märkten erwirbt.

Krag ging geradeswegs in sein Hotel. Er war offenbar bei bester Laune. Als der alte Abraham ihm ein Telegramm überreichte, sprach er leutselig mit ihm. Man konnte ihm nicht anmerken, daß er soeben erst auf schimpfliche Weise hinausgeworfen worden war.

Das Telegramm war ungewöhnlich lang, es füllte mehrere Formulare. Krag las es aufmerksam und legte es dann in seine Brieftasche. Nachdem er eine Weile nachgedacht hatte, sagte er halblaut zu sich selbst:

»Ich habe also noch reichlich Zeit.«

Er machte sorgfältig Toilette, indem er seine Maskierung Stück für Stück abnahm. Es war merkwürdig, mit wie wenigen Mitteln er sich solch vollständig verändertes Aussehen zu geben verstand. Das aber ist gerade die Meisterschaft in der Maskierungskunst, daß man mit wenigen Mitteln die verblüffendsten Wirkungen erzielt.

Als er beim Waschen war – das einzige Badezimmer des Hotels diente einer deutschen Familie als Wohnraum – kam Hansten-Jensen. Krag drehte seinen von Wasser triefenden Kopf zu ihm um.

»Immer im Radfahranzug,« sagte er, »das geht wirklich nicht an.«

»Was wollen Sie,« sagte der dänische Detektiv, »ich bin ein praktischer Mensch und schone mein Zeug. Wir sind nicht alle norwegische Schiffsreeder.«

»Sie müssen nämlich mit mir bei Nimb soupieren,« sagte Krag. »Wie ich gehört habe, soll Nimb noch einige Flaschen Haut-Brion 99 haben.«

Hansten-Jensen sank in einen Stuhl.

»Das paßt brillant,« sagte er, »denn ich bin wirklich müde. Ich werde immer müde, wenn nichts Ordentliches geschieht. Und diesmal haben Sie mir eine Enttäuschung bereitet, lieber Freund. Sonst pflegt stets mindestens ein Mord in Ihrem Gefolge zu sein.«

»Nur Geduld,« sagte Krag lachend, »wir sind noch nicht am Ende.«

Hansten-Jensen zündete sich eine Zigarette an und streckte sich bequem im Lehnstuhl.

»Diesmal glaube ich nicht daran,« sagte er. »Jetzt haben auch die beiden Menschen, wie heißen sie doch noch, Suron und Aino Erko ihre Reise aufgeschoben.«

»Ja, die Fahrkarten sind im Reisebureau abbestellt worden.«

»Aha, Sie scheinen auf eigene Faust zu arbeiten.«

»Sie haben wohl durch das Automobil-Telephon auf dem Rathausplatz erfahren, daß ich wieder hier bin?« fragte Krag.

»Wenn man das System kennt, ist es nicht schwer zu erraten,« brummte Hansten-Jensen ärgerlich. »Es kann nicht schaden, ein Auge auch auf Sie zu haben. Was steht übrigens in dem Telegramm, das Sie vor einer Stunde erhielten?«

»Das müßten Sie doch wissen,« antwortete Krag.

»Es war mir zu lang.«

Krag warf ihm das Telegramm zu.

»Unglaublich! Das handelt ja von nichts anderem als von einem Auto. Einem ›Excelsior‹-Auto, das sich in Christiania herumtreibt. Man telegraphiert, wo es sich von Minute zu Minute aufgehalten hat. Es scheint wirklich sehr wichtig zu sein. Handelt es sich vielleicht um eine Wettfahrt?«

»Auf gewisse Weise,« antwortete Krag. »Es ist die Frage, wer zuerst kommt: Das Auto oder ich.«

Hansten-Jensen beugte sich vor und gab ihm das Telegramm zurück.

»Eine wunderliche Wettfahrt, das muß ich sagen; Sie in Kopenhagen und das Auto in Christiania!«

»Von ihr hängt es ab, ob Sie Ihren Wunsch erfüllt bekommen oder nicht.«

»Welchen Wunsch?«

»Daß auch diesmal ein Mord in meinem Gefolge sein möchte.«

Hansten-Jensen richtete sich auf.

»Sie sind gut gelaunt,« sagte er. »Ihnen ist etwas passiert. Haben Sie mit Jos gesprochen?«

»Nein.«

»Zu diesem Zweck gingen Sie doch ins Hotel?«

»Statt seiner traf ich Suron.«

»In Jos Christensens Zimmer?«

»Ja. Christensen weigerte sich, mich zu empfangen.«

»Es stimmt also nicht, daß Suron Christensen ausweicht.«

»Nein, es stimmt ganz und gar nicht.«

»Sie arbeiten vielleicht sogar Hand in Hand?«

»Mehr als das.«

»Warum aber glückte es Ihnen nicht, Herrn Christensen zu sprechen?«

»Wahrscheinlich, weil ich zu unverschämt auftrat.«

Krag erzählte ihm, was sich ereignet hatte. Als er zu dem Punkt kam, wo er gesagt hatte, daß er und Christensen gleich große Sünder vor dem Herrn seien, rief Hansten-Jensen:

»Wenn Sie so auftraten, mußten Sie sich doch klar darüber sein, daß man Sie hinauswerfen würde.«

»Ja.«

»Aber Sie wollten doch mit Herrn Christensen sprechen?«

»Sehr richtig.«

»Es geschah also etwas, das Sie veranlaßte, Ihre Taktik zu ändern?«

»Ja.«

»War dieses Etwas vielleicht Surons unerwartetes Erscheinen? Denn seine Anwesenheit dort war wohl eine Ueberraschung für Sie?«

»Unbedingt.«

»Wollten Sie nicht, daß Suron Ihr Gespräch mit Christensen anhören sollte?«

»Nein, das wäre sehr fatal gewesen.«

Der dänische Detektiv sah Krag zweifelnd an.

»Es muß noch etwas anderes sein,« sagte er. »Sie sind in solch übermütiger Stimmung.«

Krag stand vorm Spiegel und band seinen Schlips.

»Ich will Ihnen sagen, was geschehen ist. Bis vor kurzem habe ich in dieser verfluchten Sache im Dunkeln getappt. Alles war vergeblich. Nichts stimmte. Die Glieder der Kette wollten nicht ineinander passen. Ich war tatsächlich verzweifelt, denn ich sah ein, daß ich das Ganze unter einem falschen Gesichtswinkel sah. Doch hoffte ich, daß die Erklärung plötzlich wie ein Blitz kommen würde, in dessen Schein man alles in blendender Klarheit sehen würde. Dieser Blitz ist jetzt gekommen. Alles stimmt. Wir wollen einen lustigen Abend verleben. Vielleicht geht Ihr Wunsch noch in Erfüllung. Können Sie in einer Stunde fertig sein?«

»Abgemacht. Ich radele nur noch zur Paßkontrolle, um mir die Leutchen anzusehen, die nach Malmö hinüberfahren. Dann stehe ich zur Verfügung.«

»Und ich habe nur einige Telegramme nach Christiania aufzugeben. Dann treffen wir uns bei Nimb.«

»Haben Sie Geld?« fügte Krag noch hinzu.

Der Detektiv zog überrascht seine Brieftasche.

»Ich meine: verfügen Sie über ein kleines Vermögen, etwas Erspartes?«

»Eine Kleinigkeit.«

»Dann spekulieren Sie. Ich telegraphiere noch heute abend nach Christiania, um mir hier ein Bankkonto eröffnen zu lassen. Ich werde morgen spekulieren. Kaufen Sie. Warum soll man nicht auch mit dabei sein?«

»Was wollen Sie kaufen?« fragte Hansten-Jensen neugierig.

»D. O. G. (Dänische Orient-Gesellschaft),« antwortete Krag.

»Die Orientaktien sind heute um fünfundzwanzig Kronen gestiegen,« sagte Hansten-Jensen nachdenklich. »Glauben Sie, daß sie noch weiter steigen?«

»Sie werden morgen enorm steigen,« antwortete Krag.


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