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Aino telegraphiert

Nachmittags um vier Uhr hatte Krag eine Konferenz im Hotel mit seinem dänischen Freund und Hilfsarbeiter, dem Detektiv Hansten-Jensen. Dieser gehörte zu dem besten Typ der Kopenhagener Polizei, verfügte über einen unverwüstlichen Humor und verstand die einheimischen Galgenvögel in ihrer eigenen Sprache sehr geschickt zu nehmen. Wenn es sich aber um elegante, raffinierte Spitzbuben nach internationalem Schnitt handelte, dann waren er und seine Kollegen ihnen nicht recht gewachsen. Darum hatten auch die internationalen Schwindler, die während der Kriegszeit nach Kopenhagen kamen, der Kopenhagener Polizei viel Kopfzerbrechen bereitet.

Er sprach gerade von solchen internationalen Verbrechern.

»Nach Kopenhagen kommen nicht mehr so viele,« sagte er, »seitdem Deutschland sich hermetisch abgeschlossen hat. Aber nach Christiania kommen eine Menge, wie ich gehört habe. Dorthin strömen sie aus Osten und Westen. Bergen soll ja das reine Port Said geworden sein. Nein, mit solchen Gaunern ist es nicht leicht. Man muß vorsichtig sein, sonst kann man seine Hand leicht in ein richtiges Wespennest stecken. Ich vergesse nie, wie ich den Grafen für einen Taschendieb gehalten habe. Und ich muß bekennen, lieber Krag, die Sache, die Sie hier bringen, scheint mir sehr kitzlig zu sein. Davon werden Sie nicht viel Freude haben. Das ist ja der reine Sport.«

»Soll es auch sein,« sagte Krag.

Er ging auf und ab, um sich zu erwärmen. Das Zimmer, das weder Kamin noch Ofen hatte, war rauh und kalt. Die Wände waren klebrig vor Feuchtigkeit.

»Ein merkwürdiges Hotel, dieses ›Lawendelhotel‹,« fuhr Hansten-Jensen fort. »Im Grunde ein ganz ordentliches Haus, aber verflucht altmodisch. Es hat unzählige Korridore und viele kleine Zimmer. Unsere einheimischen Verbrecher meinen, daß sie sich hier verstecken können. Wie oft habe ich den Herren gesagt, wenn ich sie auf ihren Zimmern begrüßte: ›Warum in aller Welt steigen Sie nicht im Hotel Continental oder im Palasthotel ab, dort würde es uns viel schwerer fallen, Sie zu finden.‹ Warum aber Sie dieses Hotel gewählt haben, Krag, das ist mir ein Rätsel.«

»Das wissen Sie ja, weil Suron hier wohnt.«

»Der Finne, ach ja. Auf den aber hätten wir für Sie achtgeben können.«

Er sah nach der Uhr.

»Merkwürdig übrigens, wie lange er auf seinem Zimmer bleibt. Ich dachte, er würde um diese Zeit ausgehen. Aber wie gesagt, es ist schwer, in dieser Sache, die so im Blauen schwebt, etwas vorzunehmen. Sind Sie mit den Aufschlüssen zufrieden, die wir Ihnen verschaffen konnten?«

Krag nahm am Tisch Platz und begann in seinem Notizbuch zu blättern.

»Außerordentlich!« sagte er. »Lassen Sie uns nun mal sehen, wie wir stehen.«

»Also,« fuhr er fort, »Suron kam um zwölf Uhr an. Das stimmt, denn der Weg über Malmö ist etwas länger als über Helsingör.«

»Und Schiffsreeder Christensen kam im Auto von Fredensborg und stieg um elf Uhr im Palasthotel ab, von seiner Sekretärin, Fräulein Erko, begleitet. Eine hübsche Dame, eine kleine Schönheit. Man kann annehmen, daß Christensen in Fredensborg übernachtet hat.«

»Ja, und das ist der Grund, daß er sie heute morgen in Helsingör mit dem Auto abgeholt hat.«

»Stimmt,« fiel Hansten-Jensen ein. »Jedenfalls hat Herr Christensen erst heute seine Zimmer im Palasthotel in Besitz genommen. Er wohnt sehr vornehm. Salon und Empfangsraum. Ja, ja, bei Ihnen in Norwegen gibt's was zu verdienen. Ich bestelle mir noch einen Pilsener. Prost!«

»Und weiter?« fragte Krag.

»Tja, dann hat sich nichts weiter ereignet, als daß Suron unmittelbar nach seiner Ankunft ausgegangen ist. Wohin, wissen wir nicht. Er kam vor einer halben Stunde zurück und sitzt jetzt unten auf Nummer 17.«

Er stampfte mit dem Fuß auf den Boden, um anzudeuten, wo das Zimmer lag.

»Und was mit Jos?«

»Ja, dieser Jos, wie Sie ihn nennen, das ist eine heikle Sache. Ihn beobachten, heißt, rein herausgesagt, die Heiligkeit des Privatlebens kränken. Wenn er etwas merkt, dann ist die Sache nicht angenehm für uns.«

»Aber das Ganze ist doch unternommen, um ihn zu schützen.«

»Zu schützen! Wogegen?«

»Das ist's ja, was ich noch nicht weiß.«

Hansten-Jensen lachte.

»Hören Sie also, was er sich vorgenommen hat. Um ein Uhr fuhr er im Auto zur Aktienbank, einer unserer vornehmsten Banken, wie Sie wohl wissen. Finden Sie das merkwürdig von einem Geschäftsmann? Dort hält er sich eine Viertelstunde auf. Was macht er dort? Das kann ich Ihnen nicht sagen, danach habe ich nicht zu fragen gewagt. Vielleicht hat er Geld abgehoben, wenn er welches nötig hatte, was weiß ich. Auf alle Fälle hat er einen glänzenden Kredit in der Bank. Denn unter dem Vorwand, daß es sich um einen Scheck handelte, rief ich einen Bekannten bei der Bank an und erkundigte mich nach Christensen. ›Joh. P. Christensen aus Christiania!‹ rief mein Freund durchs Telephon und lachte laut, als ob er sagen wollte: ›Bringen Sie einen Scheck über eine Million und wir lösen ihn anstandslos ein.‹ Von der Bank fuhr Herr Christensen direkt ins Hotel. Eine halbe Stunde später empfing er Besuch von dem Gerichtsadvokaten Annebye, einem unserer Mächtigsten, dem juristischen Beirat der großen Orient-Gesellschaft. Er kam mit einem Portefeuille unterm Arm. Nach einer halben Stunde ging er ohne Portefeuille wieder fort. Ich nehme an, daß Herr Christensen mit der Orient-Gesellschaft Geschäfte machen will. Seitdem hat Herr Christensen sich auf seinem Zimmer aufgehalten und hat sogar dem Portier Bescheid gegeben, daß er nicht gestört werden will.«

»Jetzt kommt Fräulein Aino Erko an die Reihe,« sagte Krag.

»Ja, die kleine Finnin. Mit ihr ist es uns leichter geworden. Um drei Uhr machte sie einen Gang durch die Stadt. Vom Telegraphenamt auf dem Rathausplatz sandte sie ein Telegramm nach Christiania. Hier ist es. Ein ganz gewöhnliches Geschäftstelegramm, nicht wahr?«

Er legte die Kopie auf den Tisch, und Krag las:

»Reismann Christiania.
Kaufe laut Verabredung fünfzigtausend Orient. Telegraphieret Deckung Aktienbank. Vertraulich.
Jos.«

»Was sagen Sie dazu?« fragte Hansten-Jensen.

»Das macht die Sache nur noch glaubwürdiger, wenn sie glaubwürdig ist,« sagte Krag gereizt. »Der Ansicht aber bin ich nicht, und merkwürdigerweise stützt dies Telegramm meine Auffassung.«


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