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Versiegelte Karten

Kein einziger der Anwesenden bezweifelte, daß Reismann zu blüffen versuchte und gewaltig dabei hereingefallen war. Seinen Ausdruck von sprachlosem Entsetzen hielt man für die reine Komödie. Nur Krag sah, wie echt sein Schreck war – eine feine Blässe hatte sich über sein Gesicht gebreitet, die die Haut aschgrau machte, seine Finger zitterten wie bei einem Fieberkranken, und er starrte die Karten, diese schrecklichen, fünf nichtssagenden und wertlosen Karten, wie verhext an.

Plötzlich lachte er fast kindlich auf. Ratlos wandte er sich an die Umstehenden.

»Ich hatte vier Asse,« murmelte er. »Und wenn es mein letztes Wort sein sollte, ich hatte vier Asse.«

Er wurde durch Lachen und Lärmen übertäubt. Bitte, kein neuer Bluff! Es war genug für heute abend! Außerdem lag ja das Kuvert noch auf dem Tisch. Es war das Siegel des Klubs.

Reismann betastete nervös das erbrochene Siegel. Ja, gewiß, es war das Siegel des Klubs, das große künstlerisch ausgeführte Siegel, das sich in der besonderen Obhut des Spielinspektors befand, und das nach jeweiliger Benutzung diesem Vertrauensmann feierlichst wieder eingehändigt wurde. Das Zimmer begann sich mit ihm zu drehen. Plötzlich kam ihm ein Gedanke.

»Ich verlange,« sagte er, »daß auch das Paket mit den übrigen Karten geöffnet wird.«

Eine ängstliche und unwillige Bewegung ging durch das Zimmer. In Reismanns Stimme war ein Klang, den man ernst nehmen mußte. Aber was wollte er denn eigentlich?

Der Spielinspektor runzelte die Stirn und trat wieder an den grünen Tisch.

Asbjörn Krag beugte sich zu Reismann und flüsterte ihm ins Ohr:

»Schreien Sie nicht so. Beruhigen Sie sich.«

Reismann sah ihn mit verstörten, bittenden Augen an.

Krag wandte sich an den Spielinspektor und sagte:

»Direktor Reismann meint natürlich, wie Sie sich denken können, daß alle Formalitäten gewahrt werden müssen. Wir haben Herrn Stenesens und Herrn Reismanns Karten gesehen, nun müssen Sie uns auch noch die übrigen Karten des Spiels zeigen. Natürlich ist es die reine Formsache, wenn aber eine Angelegenheit bis ins letzte tadellos gehandhabt wird, kann es nachher keine Mißverständnisse geben.«

»Sie haben ganz recht, meine Herren,« antwortete der Spielinspektor, »es war ein Fehler von mir, daß ich es nicht von selbst getan habe.«

Auf diese Weise hatte Krag die Sache so gedreht, daß es den Anschein hatte, er habe den Vorschlag gemacht. Seine Absicht war, Reismann Zeit zu geben, so daß er sich fassen und seine Interessen wahrnehmen konnte, ohne sich eine zu große Blöße zu geben.

»Hier sollen also zweiundvierzig Karten sein,« sagte der Spielinspektor, indem er das versiegelte Paket aus dem Schrein nahm.

Er wollte den Umschlag schnell erbrechen, als Krag ihn zurückhielt.

»Es ist nur eine Formsache,« sagte er, »aber ich möchte Sie doch bitten, das Siegel zu untersuchen, bevor Sie es erbrechen. Sie haben das Paket ja selbst versiegelt und niemand kann es darum besser kontrollieren als Sie.«

Der Inspektor prüfte das rote Siegel.

»Es ist in Ordnung,« erklärte er.

Darauf öffnete er das Kuvert und zählte die Karten auf den Tisch.

»Stimmt es?« fragte er, indem er Krag einen Seitenblick zuwarf. »Aber Sie sehen ja gar nicht auf die Karten,« rief er indigniert, »Sie sehen ja ganz woanders hin.«

Er folgte der Richtung von Krags Blick und sein Auge fiel auf Suron, der neben Stenesen stand. Der Finne rauchte eine Zigarette und betrachtete die Szene am Spieltisch mit offenkundigster Gleichgültigkeit. Krag versuchte einen Blick seiner grauen Augen zu fangen, aber es war ihm nicht möglich. Er hielt die ganze Zeit seinen Blick gesenkt, während er recht laut mit Stenesen über die enorme Steigerung der Tonnagepreise sprach. Die kürzlich stattgehabte Sensation schien er bereits vergessen zu haben.

»Zählen Sie die Karten,« sagte Krag.

»Sie sind bereits gezählt,« antwortete der Inspektor. »Es waren zweiundvierzig Karten. Alles stimmt, meine Herren.«

Zwischen den zweiundvierzig Karten, die jetzt auf dem Tisch ausgebreitet lagen, waren auch die vier Asse.

Reismann war der einzige, der noch auf seinem Platz saß, die anderen waren alle aufgestanden. Er starrte die vier Asse einen Augenblick wie geistesabwesend an. Kein Wort kam über seine Lippen. Krag beobachtete ihn und meinte zu verstehen, daß er sich während dieses Schweigens die Selbstbeherrschung zu erkämpfen versuchte, die ihm vorhin abhanden gekommen war.

»Wenn er die Situation mit einiger Ueberlegenheit zu nehmen versteht,« dachte Krag bei sich, »dann bekennt er sich zu dem Verlust. Denn es liegt ja eine unantastbare Tatsache vor. Er muß sich damit abfinden, einen anderen Ausweg gibt es nicht.«

Und es schien, als ob Reismann jetzt sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte und den richtigen Weg wählte.

Er erhob sich langsam vom Tisch. Sein Gesicht zeigte ein resigniertes Lächeln, als ob er sagen wollte: »Nun wohl, meine Herren, der Bluff ist mir nicht geglückt und ich ergebe mich in mein Schicksal.«

So wurde die Situation auch allgemein aufgefaßt, und Reismanns wehmütige Selbstaufgabe, eine unwillkürliche Anerkennung des Geschehenen, löste eine heitere und ungezwungene Stimmung zwischen den Anwesenden aus. Einen Augenblick hatte man gefürchtet, daß Reismann eine Szene machen und sich als ein »schlechter Verlierer« zeigen würde, – ein Gebaren, das, wenn es ein vereinzeltes Mal vorkam, von diesen reifen Männern und tapferen Kämpfern mit Bedauern und einem gewissen stillen Kummer aufgenommen wurde.

Jetzt konnte jeder sich mit gutem Gewissen seiner Bewunderung für Reismann hingeben. Es war ein wirkliches Spiel, eine ordentliche Schlacht gewesen. Mit größerem Glanz hätte er nicht von seinem mystischen Aufenthaltsort zurückkehren können. Und wirklich schien es, als ob Reismann schließlich mit seiner Rolle ganz zufrieden sei. Er liebte es zu posieren, Leute zu bezaubern. Hin und wieder nur griff er sich krampfhaft ans Herz. Es war ein sehr teuer erkaufter Erfolg.

»Wieviel, meine Herren?« fragte er.

Sowohl Stenesen wie Suron gaben sich den Anschein, als ob die Frage sie nicht im geringsten interessierte. Der Spielinspektor antwortete:

»Herr Reismann hat achtundsechzigtausend Kronen verloren. An Herrn Stenesen vierunddreißigtausend Kronen, und Herr Suron bekommt dieselbe Summe.«

Nachdem Reismann seine Rolle einmal gewählt hatte, spielte er sie vortrefflich. Er zog gelassen seinen Füllfederhalter aus der Tasche und schrieb zwei Schecks aus. Suron legte seinen Scheck sorgfältig in seine Brieftasche. Das war ebenfalls der Ausdruck eines vollendeten Stils, ein weniger überlegener Spieler hätte den Scheck schnell in die Westentasche gesteckt.

Der Inspektor nahm die Karten vom Tisch; bevor sich aber eine neue Partie bildete, wurde noch viel über Reismann und sein flottes Spiel an den verschiedenen Tischen gesprochen.

Stenesen wurde in die Enge getrieben.

»Gestehen Sie,« sagte man zu ihm, »daß Sie einen Augenblick drauf und dran waren, sich auf Teilung einzulassen?«

»Das gebe ich willig zu,« antwortete Stenesen, »hätte ich nicht einen Kompagnon bekommen, wäre ich auf Teilung eingegangen.«

»Herrn Surons Eingreifen hat also die Sache entschieden. Er ist doch ein Glückspilz!«

Reismann zog Krag in eine Ecke. Als er sich außer Bereich der vielen neugierigen Blicke fühlte, bekam er einen neuen Anfall von Fassungslosigkeit.

»Ich starre in eine vollständige Dunkelheit,« sagte er, »mein Gehirn kann es nicht fassen. Ich hatte vier Asse, als ich den Spieltisch verließ.«

»Aber Sie sehen doch ein, daß es keinen Sinn hat, eine Szene zu machen.«

»Gewiß. Ich muß meinen Verlust mit Anstand tragen. Aber ich begreife nicht, wie es zugegangen ist.«

»Wenn Sie es sich recht überlegen, gibt es nur eine Erklärung,« sagte Krag.

»Glauben Sie wirklich, daß ...«

»Natürlich. Das Kuvert ist in der Zwischenzeit geöffnet, das Siegel erbrochen worden ...«

In diesem Augenblick kam Herr Suron auf sie zu. Er war von überströmender Liebenswürdigkeit gegen Reismann, schlug ihm auf die Schulter und sagte mit jener heiteren Freundlichkeit, die die Gewißheit eines einkassierten Gewinns verleiht:

»Na, lieber Freund, ein andermal wünsche ich Ihnen mehr Glück. Aber auf alle Fälle war es meisterhaft gemacht. Ich bewundere Sie.«

»Ja, es war gut gemacht,« sagte Krag und sah den Finnen vielsagend an.

Ein plötzliches Schweigen trat ein. Und durch dieses Schweigen tönte das Tuten einer Autohupe.

»Das ist Ihr Auto,« sagte Krag.

»Verstehen Sie sich auch auf solche Dinge?« fragte der Finne lachend.

»Autos sind meine Spezialität,« sagte Krag. »Ich kann an jeder Hupe hören, welche Firma es ist. Sie haben eine Excelsiormaschine.«

Suron lachte laut auf.

»Das muß ich sagen, heute abend ist Bluffen Trumpf,« erwiderte er. »Vor zwei Tagen erst habe ich mir eine andere Hupe gekauft.«

Krag machte eine bedauernde Handbewegung.

»Dann muß ich zugeben,« sagte er, »daß ich Ihr Auto schon kannte. Ich habe es bereits gesehen.«

»Wann?«

»Heute.«

»Heute? Wann denn?«

»Um drei Uhr.«


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