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Es war zwei Uhr nachmittags am letzten Donnerstag des September, dem Eröffnungstag des Herbstsemesters.
Das Wetter war ungewöhnlich schwül, und in Dr. Milton (Tubby) Forresters Vorlesungssaal lag die Luft ebenso reglos und roch ebenso muffig wie die Leichen in dem grimmigen alten Anatomischen Institut, das an den Saal stieß.
Wenngleich die Atmosphäre in dem schmutzigen kleinen Raum keineswegs erfrischend wirkte, so war sie dennoch mit Spannung geladen, weil die Anatomie, vorgetragen von dem genialen, aber reizbaren Forrester, als schwierigste Disziplin des ganzen vierjährigen Lehrkurses bekannt war.
In der Hoffnung, gleich zu Beginn zumindest die schäbige Tugend der Pünktlichkeit für sich in Anspruch zu nehmen, hatten sich die außergewöhnlich zahlreichen neuen Hörer der Medizin – hundertdreiunddreißig, darunter nur acht Frauen – mit der nervösen Bereitschaft zum erstenmal aufs Schiff gehender Passagiere eingefunden.
Von den Hörern hatten die meisten vor kurzem an der nur auf eine Meile entfernt gelegenen staatlichen Hochschule ihre Matura gemacht. Die andern hatten ebenfalls erst gerade an verschiedenen Universitäten, von den Alleghanie-Gebirgen bis zur Küste, promoviert und führten den Titel Bachelor of Arts oder Bachelor of Science. Einige der geselligeren Neuankömmlinge hatten vorher im Büro des Universitätssekretärs ein paar konventionelle Worte gewechselt, doch fühlte sich in dieser unvertrauten Umgebung ein jeder fremd, und sogar jene, die seit vier Jahren auf eine Entfernung von höchstens zehn Minuten von der Medizinischen Fakultät gelebt hatten.
Woher auch immer die Hörer kommen mochten, es gab in Tubby Forresters Vorlesungssaal keinen, der nicht erschreckende Geschichten von dessen Ungeduld, Arroganz, Heftigkeit und lärmenden Wutausbrüchen gehört hätte. Dennoch hatten die meisten unter ihnen sich gerade wegen Tubby Forrester zu einem Studium an dieser Universität entschlossen. Tubby war ein Teufel, aber er verstand sich auf sein Fach und war nicht nur ein ausgezeichneter Anatom, sondern auch eine anerkannte Autorität auf dem Gebiet der Gehirnchirurgie. Die Wände seines Zimmers waren mit wichtig wirkenden Attesten behangen – in vier Sprachen auf Pergament bossiert –, durch die medizinische Fakultäten und berühmte wissenschaftliche Gesellschaften ihn geehrt hatten.
Es gab wenige medizinische Fakultäten, an denen dem Neuling eine so glänzende Führung bei seinen ersten Abenteuern im Bereich der Anatomie zuteil geworden wäre. Tubby vertrat die Ansicht, daß sich ein natürliches Talent für dieses Fach rasch erweisen würde. Er lag stets auf der Lauer nach einem solchen Talent und gestand seinen Kollegen von der Fakultät freimütig, daß er sich unentwegt auf der Jagd nach eventuellen Anatomen befinde, die er zu Gehirnchirurgen heranbilden könnte.
Der gewöhnliche, alltägliche Student der Medizin kam nie auf den Gedanken, daß er an einer Fakultät, wo die Mittelmäßigkeit nachsichtiger behandelt wurde, besser daran gewesen wäre. Das Ziel jedes einzelnen war ein Diplom mit der Unterschrift des berühmten Tubby. Selbst ein winziger und nutzloser Löffel besitzt einen gewissen Wert, wenn er auf dem Griff eine Punze aufweist.
Doch kann nicht behauptet werden, daß die Unbegabten verlockt wurden, ihr Schicksal in die Hände des großen Mannes zu legen. Tubby fiel es nicht ein, zu verheimlichen, daß ihn nur die oberen zehn Prozent interessierten. Der Mehrheit seiner Hörer gegenüber legte er Verachtung und Hochmut an den Tag. Sein wilder Spott traf sie an den verwundbarsten Stellen, bis ihre Seelen vor Haß glühten und ihre Augen in ohnmächtiger Wut entbrannten. Hunderte von praktizierenden Ärzten zwischen fünfunddreißig und fünfzig, an Orten, die zwischen den Seen und dem Golf oder zwischen den beiden Meeren lagen, waren stolz darauf, daß sie bei Forrester Anatomie gehört hatten; doch fügten sie regelmäßig hinzu, Tubby sei eine Bestie. Manche von ihnen, die sich besser an die erlittene Unbill erinnerten, kennzeichneten ihn mit noch weit härteren und böseren Worten.
An diesem Nachmittag, gestraft mit genügend Zeit und einer unangenehmen Gedanken Vorschub leistenden Umgebung, saß das neue Semester auf den knarrenden, steil in einem Halbkreis ansteigenden Stühlen, stützte die Ellenbogen auf abgenutzte Pulte, blickte stirnrunzelnd auf die eigenen sich unruhig bewegenden Finger oder trommelte gegen die Deckel der noch unbenutzten Notizbücher. Bisweilen warf der eine oder andere einen ängstlichen Blick auf die Tür, die zu Tubbys Zimmer führte. Die christlichen Märtyrer, die in der Arena darauf gewartet, daß die Tür des Löwenkäfigs geöffnet werde, hatten wenigstens den Trost, daß ihre Qualen von kurzer Dauer sein würden. Unter Tubby Forrester dagegen mußte man vier Jahre leiden.
Die Tradition berichtete, die erste Vorlesung dieses launenhaften Tyrannen sei stets eine höchst unterhaltende Angelegenheit; das heißt für jene, die nicht selbst zu dem Dutzend Studenten gehörten, die ausgewählt und aufgerufen wurden, um Gelegenheit zu haben, in einem ersten Scharmützel, bei dem sowohl geistige Trägheit als auch Dummheit gefährlich waren, sich zu behaupten oder sich den Hals zu brechen.
Meist begann Tubby seinen Vortrag, indem er ihn als »Freundschaftsstunde« bezeichnete – ein Wort, das höhnisches Kichern hervorrufen sollte, denn mit derartigen sprachlichen Süßigkeiten köderten die Universitätskirchen und die Vereinigung Christlicher Junger Männer die neuen Semester. Ehrfurchtslos wie ein Teufel, liebte Tubby es, mit den einschmeichelnden Schlagworten eines organisierten Altruismus zu spielen. Gegen Ende der »Freundschaftsstunde« zu ließ er jede verfeinerte Ironie fallen, und die Hörer kosteten das, was jene hinunterschlucken mußten, die bei Forrester Anatomie belegt hatten.
»Wenn ihr gestreichelt und verhätschelt werden wollt«, pflegte er zu brummen, »so tretet dem Händedruck-Klub oder dem der Auf-die-Schulter-Klopfer oder dem der Wohlgesinnten bei. Wenn ihr findet, daß euer Organismus mehr Zucker braucht, so gibt es hier genügend Lokalitäten, wo ihr ihn umsonst bekommen könnt. Dort könnt ihr lernen, freundlich zu sein wie ein nasser Hund. Dort wird Tee getrunken, dort werden Lieder gesungen, Scharaden aufgeführt. Wollt ihr, daß man euch die Stiefel leckt – dort wird es getan. Aber hier erwartet diesen Unsinn nicht! Dieses Gebäude ist der Wissenschaft geweiht. Hier versuchen wir, präzis bei unserer Forschung und ehrlich bei unserer Nomenklatur zu sein. Ein Esel soll anderswohin gehen; dorthin, wo man ihm einredet, daß er ein Zebra ist.«
Jetzt kam er aus seinem Zimmer; zehn Minuten verspätet, schritt er mit zappliger Feierlichkeit zu dem hohen Tisch, der ihm als Pult diente. Dieser Tisch, der auf großen Gummirädern stand und mit einer zwei Zoll dicken Marmorplatte versehen war, maß sechs Fuß der Länge und drei Fuß der Breite nach. Man brauchte kein Student der Medizin zu sein, um zu erraten, wozu er diente, wenn er nicht als Tubbys Vortragspult verwendet wurde.
Während die stahlharten Augen den vollen Anatomiesaal entlangschweiften, stand das Semester stramm. Es war nicht nötig, künstlich eine dramatische Spannung zu schaffen; Tubby betrachtete lange gelassen die Menge, während er mit beiden Händen rhythmisch an der auf seinem runden Bauch ruhenden Platinuhrkette zerrte. Es war eine unheimliche Gebärde, die an das Schleifen eines Tranchiermessers gemahnte.
»Liebe christliche Freunde«, begann er, jedes Wort abgehackt aussprechend. Ein allgemeines Grinsen verriet, daß Tubby seinem Ruf Ehre machte. »So«, besagte die Haltung des Semesters, »ist er. Daran besteht kein Zweifel. Hartgesotten wie ein Neunminutenei.«
»Es ist eine wahre Freude«, höhnte Tubby weiter, »eine so große Zahl in unserer Freundschaftsstunde begrüßen zu dürfen. Jene von euch, die in diesen herrlichen Hallen in dem, mit einer Ausnahme, ältesten Beruf der Welt eure Kollegen und Vorgänger waren, haben euch vielleicht schon erzählt, daß wir hier in unserem gemütlichen Vortragssaal sowie in dem geräumigen Arbeitsraum nebenan alle eine glückliche Familie bilden und einander den ganzen Tag lieben.« Er machte eine Pause, um den Hohn einsickern zu lassen und seinen Lohn in der Form von Gekicher und Aufschnupfen einzukassieren. Sein durchdringender Blick schweifte über alle Reihen und forderte jeden einzelnen heraus, den Mut aufzubringen, Tubbys beißendem Spott den Tribut zu verweigern. Seine Haltung war die eines übelgelaunten Feldwebels, der bei der Inspizierung der Mannschaft einen locker sitzenden Knopf zu entdecken hofft.
Die Pause verlängerte sich auf erschreckende Weise. In der Mitte der obersten Reihe verweilte Tubbys forschender Blick eine kleine Weile, schweifte dann weiter, kehrte wieder zur Mitte zurück und blieb an einem Gesicht haften, das nichts von der Inquisition merkte. Totenstille herrschte; der unaufmerksame Student hatte nicht das bedrohliche Abbrechen von Tubbys Worten beachtet und schien gar nicht zu wissen, daß er sich in der Feuerlinie befand.
Alsbald fingen die säuerlichen Frivolitäten von neuem an, doch ermangelten sie der früheren Feinheit. Nicht etwa, daß Tubby die Bremsen angezogen hätte, es fehlte ihnen nur der Dampf von vorher. Immer wieder und wieder schoß sein kriegerischer Blick nach der Mitte der obersten Reihe, wo er das gleichgültige Profil entdeckt hatte. Es war ein mageres, starkes, energisches Gesicht, die Züge feingeschnitten, wie ein Bildnis auf einer Münze, und ebenso reglos. Die Lippen ruhig, doch nicht zusammengepreßt, sie drückten weder Feindseligkeit noch Mißbilligung aus. Würden sie sich zum Zeichen der Gegnerschaft gekräuselt haben, so hätte Tubby sich wohler gefühlt. Er hätte dem beleidigten Kerl noch eins gegeben, damit er zur Beleidigung Grund habe. Aber die Lippen drückten nicht Abscheu, sondern nur Gleichgültigkeit aus. Die tiefliegenden Augen, die Tubby vergeblich zu meistern versucht hatte, bohrten sich zerstreut in eine Ecke des schäbigen Raumes, dort, wo die eine rauchgeschwärzte Wand mit dem verblaßten Plafond zusammenstieß. Es war offensichtlich, daß der widerliche Bursche entweder überhaupt nicht zuhörte oder aber das Gefühl hatte, das Gehörte verdiene nicht seine Aufmerksamkeit.
Tubbys Ansprache, scharf satirisch, tappte wie mit schweren Stiefeln durch dicken Schlamm. Jeder der Studenten – bis auf einen – ahnte, daß eine respektlose Hand sich auf den Halfter des professoralen Redeschwalls gelegt habe, doch empfand keiner eine genug starke Neugierde, um eine Kopfwendung zu riskieren. An diesem Tag war der Selbsterhaltungstrieb hier übermächtig.
Der ätzende Spott hielt noch ein paar Minuten an, aber Tubby war dieser Stimmung bereits überdrüssig. Unvermittelt wechselte er Ton und Tempo. Er tupfte seine feuchte Stirn mit einem großen weißen Taschentuch ab, lächelte kurz, versuchte spielerisch zu erscheinen und wiederholte, als sei es etwas Originelles, den alten Witz über das Spezialisieren. »Wenn Sie schon Spezialisten werden wollen«, sagte er, »so halten Sie sich an die Dermatologie. Bei dieser werden die Patienten weder gesund noch sterben sie. Außerdem werden Sie zu ihnen nicht nachts gerufen.« Alle lachten bis auf einen, den unausstehlichen Menschen in der oberen Reihe, der, falls er auch nur ein Wort dieses bärtigen Witzes gehört hatte, wahrscheinlich der Ansicht sein mochte, es sei roh, über einen dermaßen altersschwachen Scherz zu lachen. Hol der Teufel den Kerl! Tubby entsann sich nicht, jemals im Leben so verwirrt gewesen zu sein. Er stoppte, wechselte die Geschwindigkeit, dämpfte die Stimme und wurde aufrichtig. Er sprach in unerwartet offenen Worten über das Leben eines Arztes. Richtig gesehen, sei es weniger ein Beruf als eine Berufung, weniger ein Lebensunterhalt als eine Hingabe ans Leben, weniger eine Profession als eine Besessenheit.
»Sie alle werden sich bald in die Kategorie einreihen, in die Sie Ihren natürlichen Gaben und Ihrem Vorhaben gemäß gehören. Das wird bereits im Lauf des ersten Jahres geschehen. Unseren Statistiken nach sind fünfzehn Prozent von Ihnen dermaßen stumpf und faul, daß sie um der Fakultät, der Allgemeinheit und auch um Ihrer selbst willen hinausgeworfen werden. Fünfzig Prozent von Ihnen werden die Examina bestehen und ihre Diplome erhalten. Was Ihnen an Talent und Geschicklichkeit fehlt, können Sie durch angenehmes Benehmen am Krankenbett ersetzen. Und wenn Sie auf die Sentimentalität der Patienten bauen, so können Sie durch das Verabreichen von Aspirin und Teilnahme doppelt soviel verdienen wie Ihre Kollegen, die zweimal soviel wissen. Diese beiden Gruppen umfassen fünfundsechzig Prozent von Ihnen allen. Ein Viertel der Hörerschaft wird sich über dem Durchschnittsstudenten stehend erweisen und später besser sein als der Durchschnittsarzt. Dieses Viertel wird seine Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen tun und für seine Treue Anerkennung finden. Von den restlichen zehn Prozent – den oberen zehn Prozent – ist vielleicht etwas Vielverheißendes zu erwarten. Bauen Sie nicht darauf – doch könnte es sein. Ich weiß heute noch nicht, welche von Ihnen den interessanten zehn Prozent angehören. Vielleicht wissen Sie es selbst nicht. Ich wage es, Ihnen jetzt ein paar Worte zu sagen. Mein Rat gilt nicht den Trägen, nicht den Büfflern, nicht den Konjunkturisten oder eventuellen Scharlatanen und auch nicht den gerade noch Kompetenten, wie ehrlich und fleißig auch immer diese sein mögen. Ich spreche jetzt von den Kandidaten für die oberen zehn Prozent.«
Er blickte, etwas lässig, zu der obersten Reihe hinüber und begegnete einem eisblauen Augenpaar, das dem seinen hätte verwandt sein können. Mit einem trockenen Lächeln fuhr er fort:
»Es ist zu hoffen«, meinte Tubby, als wäre ihm erst gerade jetzt diese Abgrenzung seiner Hörer eingefallen, »es ist zu hoffen, daß kein apathischer Träumer, der bisher wie in einer Betäubung hier verharrt hat, sich allzu optimistisch als ein durch göttliche Gnade auserwähltes Mitglied dieser privilegierten Minderheit betrachtet.«
Es war sehr still im Saal. Die Studenten fühlten, daß Tubby jemanden seiner Unaufmerksamkeit wegen bestraft hatte. Nun war das Geheimnis seiner Verwirrung enthüllt. Alle hofften, der Fall sei damit erledigt. Die Spannung war peinlich gewesen.
»Ihr von den oberen Zehn«, erklärte Tubby, »werdet bald euren Rang erkennen. Ihr werdet nicht bis zum Ende des ersten Semesters warten müssen. Einer der häufigsten Irrtümer, die sich in die Ermahnungen eines Lehrers einschleichen, ist das leere, den Schülern gegebene Versprechen, daß Fleiß und Arbeit den Erfolg sichern. Gewiß kann ein Schüler, der aus allen Kräften gearbeitet hat, mehr vorweisen als ein träger. Doch müssen die Studenten, aus denen die zehn Prozent sich zusammensetzen, mehr als bloßen Fleiß zu bieten haben, wie lobenswert auch immer ehrliche Arbeit ist. Es gibt einen landläufigen Ausdruck, der meist mit einem Lächeln zitiert wird und der jeden Versuch ermutigt, aus einem Schweinsohr eine Seidentasche zu machen. Dieser Ausspruch ist nicht im geringsten komisch. Er ist tragisch. Ich habe im Laufe meiner Lehrtätigkeit hier häufig die Gelegenheit gehabt, Arbeiten zu prüfen, die von jungen Männern, denen hierfür die Begabung fehlte, in aller Ehrlichkeit des Herzens geliefert wurden. Möglicherweise wären sie in einer andern Disziplin vorwärtsgekommen; dies entzieht sich meiner Kenntnis. Aber wie hart und fleißig sie auch gearbeitet hatten, hier gab es für sie keine Möglichkeit, sich auszuzeichnen. Sie waren biologisch ausgestoßen. Es war nicht ihre Schuld, es war ihr Unglück.
Weit geringer ist die Zahl der Fälle, da Studenten vielverheißend erschienen, jedoch nicht die Kraft besaßen, sich ganz ihrer Arbeit hinzugeben. Sie besaßen die Eignung für ein Hundert-Yard-Rennen, aber es fehlte ihnen der Atem für eine Meile, von einem Marathon gar nicht zu sprechen. Es könnte angenommen werden, daß meine nächste Erklärung die glückliche Vereinigung von Verstand und Fleiß preisen werde, und die beiden sind, als Erfolgsfaktor, tatsächlich ein vielversprechendes Paar. Dennoch benötigen die zehn Prozent auch noch andere Dinge. Der Preis des Fleißes ist Selbstdisziplin. Die Konzentrierung auf die Arbeit setzt ein Vermeiden jeglicher Zeitvergeudung und ablenkender Frivolitäten voraus. Das wissen Sie alle. Es ist eine Binsenwahrheit, daß man sich dem Beruf, in dem man etwas erreichen will, völlig hingeben müsse. Aber auch das ist noch nicht alles. Den Moralisten zufolge ist die Selbstbeherrschung so viel wert, wie sie den Menschen kostet. Vielleicht läßt sich etwas zugunsten des Märtyrers sagen, der durch ein opferreiches, diszipliniertes Leben Kredite erwirbt, die in einer andern, in einer bessern Welt, jenseits, eingelöst werden. Ich bin auf diesem Gebiet keine Autorität. Aber meiner Meinung nach verliert jede Selbstbeherrschung, die zur Erlangung der nötigen Freiheit für die selbstgewählte Arbeit geübt wird, ihren Wert, wenn sie eine bewußte und aufreibende Anstrengung darstellt. Selbstverständlich werden Tage kommen, da das Halsband Sie wundreibt. Mögen Sie sich auch noch so sehr in der Hand haben, es wird immer wieder Zeiten geben, da das Tier in Ihnen nach seinen Rechten schreit. Sind Sie gezwungen, Ihre Begierden unentwegt zu bekämpfen – in einem solchen Maße, daß dadurch Ihr Geist beunruhigt wird –, so lohnen Ihre Opfer sich nicht.
Dies führt mich zu der Feststellung, daß die Selbstbeherrschung der oberen zehn Prozent – zum großen Teil – mühelos und automatisch sein müsse. Sie wird es auch sehr rasch werden, wenn die Forderungen Ihres Berufes stärker sind als jene Ihrer körperlichen Begierden. Ist die Arbeit für Sie so wichtig, daß Sie das Anrecht besitzen, sich zu den glücklichen oberen Zehn zu rechnen, dann werden äußere Ablenkungen Sie nicht mehr stören.«
Tubbys Stimme hatte sich zum Konversationston gesenkt. Es wirkte beinahe so, als spräche er sich in der Vertrautheit eines Zwiegespräches mit einem einzelnen aus. Die Hörer saßen gestrafft und aufmerksam da. Man hätte eine Stecknadel fallen gehört. Die klugen kleinen Augen schweiften abermals zu der obersten Reihe des Amphitheaters. Der kräftige junge Mann, der die »Freundschaftsstunde« gestört hatte, beugte sich auf seinem Platz vor, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, das feste Kinn auf den Fäusten ruhend. Seine Augen blickten gespannt, seine Lippen waren zusammengepreßt. Tubby runzelte die Stirn und fuhr fort:
»Von diesen oberen zehn Prozent des Semesters kann alles Erdenkliche ausgehen. Man weiß nicht, was diese exklusive Gruppe hervorbringen wird. Bisweilen vergehen Jahre, ohne daß wir an der Medizinischen Fakultät den Aufstieg eines Studenten sehen, von dem eine Bereicherung der Medizin zu erwarten ist. Einmal, alle heiligen Zeiten, schenken die oberen Zehn der medizinischen Wissenschaft einen Forscher, einen Entdecker, einen Bahnbrecher.«
Tubbys nächster Satz erschütterte die ihm mit Leib und Seele folgenden Hörer. Sie fühlten, wie er gegen ihr Herz pochte und ihr Rückgrat entlanglief. Nicht nur daß jeder dies empfand, er wußte auch, daß alle andern, in verschiedenem Maße, das gleiche erlebten.
»Ist einer hier«, fragte Tubby eindrucksvoll, »der uns – eines Tages – alles sagen wird, was wir über den Krebs wissen wollen? – Wird einer von euch – eines Tages – uns die Prophylaxe der Kinderlähmung schenken? – Wenn ich mir eine Prophezeiung erlauben darf, so sind diese beiden wichtigen Herren bereits auf der Welt. Darf ich noch hoffnungsvoller sein und annehmen, daß sie schon volljährig sind? Vielleicht sind sie erfahrene Gelehrte, die sich am Vorabend ihrer Entdeckungen befinden. Vielleicht sind sie Studenten einer medizinischen Fakultät.« Tubby machte eine Pause. Die Hörer saßen erstarrt, zu einem festen Block zusammengeschweißt. »Diese beiden Männer«, erklärte Tubby so leise, daß er kaum zu verstehen war, »diese beiden Männer befinden sich vielleicht – jetzt – in diesem Raum.«
Dann trieb er die Studenten unvermittelt, wie mit Fußtritten, aus der Hypnose. Er zog seine Uhr hervor, schob den dicken Stoß Inskribierungspapiere zusammen, stieß das Lesepult ans andere Ende des Seziertisches. Ein sein Gesicht erhellendes Lächeln verriet, daß er von neuem humoristisch sein werde. Die Hörer setzten sich gerade und schöpften tief Atem, den ersten, dessen sie seit einiger Zeit bedurft hatten. Keiner sah den Nachbarn an. Keiner wollte, daß der andere wisse, wie tief bewegt er war. Tubby befand sich abermals in einer anderen Stimmung.
»Und nun«, erklärte er, »sage ich euch allen, einerlei wie ihr eure Examina bestanden habt, einerlei, was ihr seid und werden könnt – daß das Studium und Ausüben der Medizin und der Chirurgie eine wissenschaftliche Arbeit ist, der man sich ungefähr so nahen muß wie dem Studium der Geologie. Haltet dabei eure Gefühle fern und gebt eurem Verstand eine Chance. Je weniger Gefühle ihr in diese Disziplin hineintragt, desto besser wird eure Arbeit gedeihen. Ich habe«, improvisierte Tubby, »Kollegen wiederholt den Vorschlag unterbreitet, daß jeder junge Student der Medizin ein Jahr als Internist in einem Tierspital verbringen sollte, wo er nicht der sentimentalen Einmischung von Seiten der Verwandten des Patienten ausgesetzt wäre.«
Obwohl die Hörer bereits ermüdet waren, gefiel ihnen dieser Witz. Tubby ließ ihnen Zeit, herzlich zu lachen. Sogar das Gesicht in der obersten Reihe verzog sich zu einem Grinsen. Doch war es für den jungen John Beaven bereits viel, viel zu spät, um aufzuwachen. Nun würde es ihm nicht mehr viel nützen. Tubby schnupfte auf und fuhr fort.
»Ihr müßt euch jetzt verhalten wie ein Forscher, der die genauen Tatsachen der Zusammensetzung des menschlichen Körpers ergründet. Es gibt Orte, wo es am Platze ist, Shakespeare zu zitieren: Welch ein Meisterwerk ist der Mensch! Wie edel durch Vernunft, wie unbegrenzt seine Fähigkeiten: in Gestalt und Bewegung wie bedeutend und bewundernswert! Das Anatomische Institut jedoch ist kein solcher Ort. Wenn ihr gescheit seid, meine christlichen Freunde, so werdet ihr all das den Dichtern und Pastoren überlassen. Deren Sache ist es, nicht die eure. Die eure besteht darin, den Menschen als einen schlechtgemachten reparaturbedürftigen Organismus zu studieren. Ob das Menschentier einen Fehler beging, als es – im Laufe der Evolution – beschloß, sich auf die Hinterbeine zu stellen und die Welt aufrecht stehend zu betrachten, ist eine Frage, deren verschiedene Phasen ich nicht zu diskutieren wage. Mir persönlich ist es ganz recht, daß ich nicht auf allen vieren einhergehen muß. Als jedoch dieses Tier seine Eingeweide von einer horizontalen in eine vertikale Lage brachte, setzte es sich einer Anzahl von Nachteilen aus. Diese zeigen sich, sobald es gehen lernt. Ihr dürft nicht vergessen«, erklärte Tubby ernst, »daß die orthodoxe Theologie eine völlig falsche Erklärung für die Leiden des Menschen vorbringt. Nicht Adams Fall brachte alle Übel mit sich, sondern seine Erhebung. Ein Hund kann zu einem solchen Schmeichler werden, daß er sich von Zeit zu Zeit aufstellt, um seinem Herrn durch Nachahmung schönzutun; doch ist er klug genug, dies nicht oft und nicht für längere Zeit zu versuchen. Der Bibel zufolge wurde Eva dazu verurteilt, ihre Jungen mit Schmerzen zu gebären, weil sie einen Apfel vom Baum gepflückt und dadurch das göttliche Gebot übertreten hatte. Hätte sie sich damit begnügt, jene Äpfel zu essen, die auf der Erde lagen, sie hätte ihre Jungen ohne Gefahr und ohne Hilfe zur Welt bringen können. Durch all dies werdet ihr Studenten in eine schwierige Lage versetzt. Euer ganzer Lehrgang verfolgt den Zweck, euch zu Förderern der Zivilisation zu machen; aber je zivilisierter wir werden, desto armseliger werden wir körperlich. Zweifellos hat die Zivilisation uns viel gegeben, doch hat sie andrerseits auch Gewohnheiten entwickelt, die zu schlechten Zähnen, Ohren, Augen und Bronchien führen. Auch besitzen wir noch einige alte Drüsen, die früher einen Wert hatten; heute bedeuten sie eine Gefährdung. Darf ich meine Erklärung wiederholen? Ihr müßt den Menschen als schlecht gemachte Maschine betrachten, die nicht einmal imstande ist, längere Zeit das eigene Gewicht zu tragen. Das beweist ihr selbst, indem ihr mit dreiundzwanzig Jahren sitzt, um den Druck zu erleichtern. Seid ihr dreiundsechzig, so werden besorgte Verwandte euch mit einem Sessel nachlaufen. Ihr werdet dann vielleicht noch einige Jahre auf dieser Welt verbringen können. Im Laufe der Zeit werdet ihr vielleicht weise, edel und berühmt geworden sein. Inzwischen wird man euch die Mandeln herausgeschnitten haben und den Blinddarm, möglicherweise auch eine Niere. Ihr werdet falsche Zähne haben, Brillen tragen und eurem Gehör vielleicht mit einem Hörrohr nachhelfen. – Ich möchte, daß ihr das Anatomische Institut mit der Erkenntnis betretet, viele Dinge, die ihr dort erfahren werdet, seien nicht so, wie sie sein sollten. Die lebenswichtigen Organe hatten einst die Bestimmung, in einer ganz andern Lage zu funktionieren. Aber – und das möge euch zum Trost gereichen – wenngleich das Anatomische Institut, das ihr bald kennenlernen werdet, kein wohlriechender Ort und allen Märchen und Glaubenssätzen abhold ist, so ist es zumindest ehrlich, was von Parlamenten und Kunstgalerien nicht behauptet werden kann. Ihr seid hier, um die Wahrheit zu finden. Ist eine Tatsache einmal genügend bewiesen, so müßt ihr sie glauben, auch wenn sie noch so abstoßend wirkt, auch wenn ihr leidenschaftlich wünscht, es wäre nicht so, auch wenn sie heftig mit dem zusammenprallt, was ihr bislang gedacht habt und gern weiterdenken möchtet. Verfallt aber nicht in den Fehler, zu glauben, daß alle Beweise untrüglich seien. Mehr als ein Forscher, der sechs Fuß unter der Erde liegt, würde alle Leiden der Verdammten fühlen, käme er heute zurück und läse einige der eigenen dogmatischen Behauptungen, die sich durch neue Entdeckungen als Unsinn erwiesen haben. Solange eine Theorie nicht widerlegt worden ist – möge sie im Lichte unseres heutigen Wissens auch noch so phantastisch erscheinen –, muß man ihr jenen Respekt zollen, der einer Theorie, die vielleicht einmal bewiesen werden wird, zukommt.«
Den letzten Satz sprach Tubby in einem ausdrucksvollen Ton, der bedeutete, daß er nun alles gesagt habe. Er sah auf, und sein Blick fiel auf das Gesicht, das ihn geärgert hatte. Die Augen waren vor Interesse geweitet, voller Spannung und gedankenvoll. Tubby war es einerlei, was für Gedanken sie verrieten; sie gefielen ihm einfach nicht. Den Burschen mußte man kleinkriegen. Tubby schlug eine große, mit Papieren angefüllte Mappe auf und warf sie auf den Seziertisch, dann sagte er gedehnt, abermals in der früheren Stimmung gekünstelten Spottes:
»Mit eurer gütigen Erlaubnis werden wir jetzt die Namen verlesen. Wessen Name genannt wird, soll sich erheben, damit ich ihn identifizieren kann und damit auch ihr einer den andern zu identifizieren vermögt, um einander kennenzulernen. John Wesley Beaven, seien Sie, wo auch immer Sie sitzen, so freundlich, aufzustehen und sich der Gemeinde zu zeigen.«
In der obersten Reihe bewegte sich etwas. Von allen Seiten wandten sich belustigte Gesichter hin. Sessel knarrten und Stiefel scharrten. Jeder war neugierig, zu sehen, wie ein Fremder diese Art von Neckerei aufnehmen würde.
Ein hochgewachsener, schöner, wie ein Wikinger aussehender junger Mann hatte sich erhoben und wartete auf die Grobheiten, die ihm die Medizinische Fakultät in der Person ihres witzigen Anatomen zu sagen hatte. Tubbys kleine Augen glänzten befriedigt. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und dachte nach, was wohl die beste Strafe für den Kerl wäre, der ihm eine Stunde verdorben hatte. Sorgfältig seinen Zwicker putzend, blickte er auf die Kopie der Beavenschen Registrierungspapiere.
»Ich sehe, John Wesley, daß die erste von Ihnen besuchte Hochschule, in der Sie als Fuchs und Student des zweiten Jahrganges waren, eine ehrbare kleine Institution ist, die sich hauptsächlich mit der Fabrikation und Auslieferung von Methodistenpredigern befaßt. Diese Tatsache, zusammen mit Ihrem frommen Namen, erweckt in mir den Verdacht, daß Sie einer religiösen Familie entstammen. Wir werden uns alle Mühe geben, in Ihrer Anwesenheit jedes Fluchwort zu vermeiden.« Tubby wartete auf ein Kichern, doch schienen alle jene Barmherzigkeit üben zu wollen, die ein jeder von ihnen noch vor Ende der Vorlesung benötigen konnte.
»Danke, Sir«, entgegnete Beaven höflich. Die Studenten lächelten schwach. Es war offensichtlich, daß Tubbys Versuch, Spott gegen den sechs Fuß langen und einhundertneunzig Pfund schweren Neuling zu erwecken, recht wenig Erfolg gehabt hatte. Er mußte etwas tiefer graben.
»Ich nehme an, John Wesley, daß Sie viel über die Seele nachgedacht haben. Wir haben hier einen Preis ausgesetzt für eine Sezierung, die das frühere Vorhandensein der Seele beweist – oder aber die Notwendigkeit einer Seele, um die komplizierte Maschinerie des menschlichen Körpers zu lenken. Vielleicht möchten Sie sich gern um diesen Preis bewerben?«
»Vielleicht«, antwortete Beaven gelassen. »Wie hoch ist er, Sir?«
Tubby hatte nicht sofort eine Antwort bereit, und die Hörer lachten belustigt, in der Hoffnung, Beavens Gegenfrage würde als Witz aufgefaßt werden.
»Ich glaube, wir können getrost einen Blankoscheck ausstellen, Mr. Beaven, und die Bestimmung der Summe Ihnen überlassen. – Also, als wahrer Sohn des Glaubens sind Sie bestimmt von der Auferstehung des Leibes überzeugt. Finden Sie nicht, es sei unfair gegen Ihren sogenannten Gott, ihm die Mühe zu machen, jene Leiber, die Sie in unserem Beinhaus zerstückeln werden, wieder zusammenzufügen?«
Beaven lächelte knabenhaft, ungezwungen, und sein Lächeln steckte alle an.
»Die letzte Mobilisierung ist nicht meine Sache, Sir«, meinte er. »Wahrscheinlich wird, wer die Arbeit verrichtet, die Leiber so nehmen müssen, wie er sie vorfindet.«
Die Hörer freuten sich über die Antwort und warfen belustigte Blicke ins Parterre.
»Zweifellos«, sagte Tubby trocken. »Vielleicht hätten Sie, wenn Sie sich für die Formulierung einer intelligenteren Antwort Zeit genommen haben würden, gesagt, wenn Gott die Leiber erschaffen hat, so dürfte es ihm keine Mühe machen, sie neu zu erschaffen.«
»Danke, Sir«, erwiderte John Wesley. Die Hörer grinsten abermals, jetzt jedoch bereits ein wenig beunruhigt. Dieser hübsche Kerl sollte etwas vorsichtiger sein; Tubby begann gereizt zu werden.
»Glauben Sie oder glauben Sie nicht, Mr. …« Tubby beugte sich über die Papiere, um den Namen zu finden, »… Beaven, daß am Tage des Letzten Gerichts die Posaunen ertönen und die Toten im Fleische auferstehen werden?«
»Wir dürfen nicht einseitig sein, Sir. Die Theorie ist allerdings etwas phantastisch, doch – wurde sie noch nicht widerlegt.«
Ein freundliches, wenngleich etwas nervöses Lachen tönte auf. Alle freuten sich über Beavens Mut, obgleich sie fühlten, daß dieser Tollkühnheit war. Tubby tat, als lächle er mit zusammengepreßten Lippen.
»Ich sehe, Bruder Beaven, daß Sie daran glauben. Dieser Glaube dürfte für Sie bei anatomischen Forschungen von großem Nutzen sein. Es wird Gelegenheiten geben, besonders an heißen Tagen, da der Gedanke, daß die Leiber – letzten Endes – nicht verfault sein werden, Ihnen zum Trost gereichen wird.«
Das Auditorium fand dies belustigend und kicherte ein wenig. Dadurch ermutigt, gewann Tubby seine alte Arroganz wieder; er heftete einen höhnischen Blick auf sein Opfer und schlug von neuem los.
»Wenn Sie an Ihren Pastor schreiben, so werden Sie ihm, nehme ich an, wahrscheinlich mitteilen, daß Sie in einen Brutherd des Atheismus geraten sind.«
Der junge Beaven nahm die Bemerkung gutmütig hin.
»Er würde sich darüber nicht wundern.«
»Und es würde ihm auch nichts daran liegen?« fragte Tubby.
»Wahrscheinlich nicht.«
»Wie, er wäre nicht daran interessiert, den wahren Glauben zu verteidigen?« Tubby riß die Augen auf, um empörte Frömmigkeit zu mimen.
»Nun, ich glaube nicht, daß ihn eine theologische Diskussion mit einem Anatomieprofessor interessieren würde.«
Die Hörer hielten unwillkürlich den Atem an. – Der Bursche beging ja Selbstmord!
Tubby senkte den Kopf so tief, daß ihm die Wamme über den Kragen hing. Seine kleinen Augen blitzten metallisch.
»Sie wollen wohl andeuten, daß ein Anatomieprofessor nur berechtigt ist, über eingepökelte Leichen zu reden?«
Eine kleine Pause entstand, dann sagte Beaven sehr respektvoll und bescheiden: »Ich wollte gar nichts andeuten, Sir.«
Ohne einen Augenblick zu zögern, fiel Tubby in die ihm gestellte Falle.
»Oh! So! Also! Jetzt fangen wir an, einander zu verstehen. Sie möchten Ihre Worte zurücknehmen, wie? Sehr klug von Ihnen.«
»Vielleicht haben Sie mich mißverstanden, Sir«, sagte Beaven, seine Worte sorgfältig wählend. »Ich deutete nicht an, ich behauptete. Ich behaupte, Sie deuten an. Stimmt das nicht, Sir?«
So, jetzt hatte Beaven sich endgültig den Kragen gebrochen. Trafen alle Berichte über Tubbys nachträgerischen Charakter zu, so konnte Beaven nicht lange genug leben, um für diese sinnlose Beleidigung Verzeihung zu erlangen.
»Danke, Bruder Beaven«, sagte Tubby mit höhnischer Achtung. »Vielleicht wäre es besser, Sie blieben bei der Rhetorik. Das Studium der Anatomie dürfte Ihnen schwerfallen. Wir werden ja sehen. Sie können sich setzen.«
Er setzte mit nervösen Fingern den Zwicker auf und blätterte in den Papieren. Die Hörer runzelten die Stirn. Inmitten allgemeiner Unruhe wurde lässig der nächste Name verlesen. Alle, Tubby nicht ausgenommen, schienen den Wunsch zu empfinden, der Sache ein Ende zu bereiten. Ein paarmal kam es zu dem sanften Versuch, einen sanften Witz zu reißen, doch war die Reaktion schwach, kaum höflich.
»Das ist alles«, erklärte Tubby barsch.
Er griff nach den Papieren und stopfte sie unordentlich in die Mappe; dann stolzierte er steif aus dem Saal. Niemand rührte sich, ehe die Tür seines Zimmers dröhnend ins Schloß gefallen war. Dann tönte in verschiedenen Teilen des Saales ein Zischen auf wie der Lärm ausströmenden Dampfes; vielleicht war dies ein unwillkürliches Auspfeifen, vielleicht das Symbol eines groben Wortes. Tubby Forrester hatte es sich mit dem neuen Semester verdorben. Seinem Benehmen zufolge wußte dies niemand besser als er selbst.
Die Studenten standen langsam auf, zogen die Hosen hoch, trampelten die Stufen hinunter und schritten, ein jeder dem Blick des andern ausweichend, durch die Tür. Alle Gesichter spiegelten Verdrossenheit. Die Anatomie würde ekelhaft sein. Tubby war in seinen besten Stunden hundsgemein, und nun hatte er Grund, reizbar und unerbittlich zu sein. Wahrscheinlich würde er sein Gesicht wahren, indem er die ganze Hörerschaft strafte.
Keiner, nicht einmal die Nachbarn, gratulierten Beaven zu seinem Mut. Zwei oder drei grinsten freundlich, aus reiner Menschlichkeit, und einer zwinkerte ihm zu; zwinkerte hölzern, wie die Puppe auf den Knien eines Bauchredners. Jeder dachte nur daran, fortzukommen. Allgemein herrschte die unausgesprochene, aber offensichtliche Absicht, daß Beaven zum größten Teil die Schuld an der unseligen Situation trage. Freilich hatte Tubbys Arroganz nichts anderes verdient, doch wäre es klüger gewesen, Beaven hätte die bittere Medizin heruntergeschluckt und nicht versucht, Wiedervergeltung zu üben. Seine Antworten waren zweifellos recht intelligent, doch fanden die Studenten, Beaven würde mehr Klugheit bewiesen haben, wenn er den Mund gehalten hätte.
Jack Beaven war nun auch bereits selbst dieser Ansicht. Er fühlte sich plötzlich als Ausgestoßener. Seit Jahren hatte er sich auf das Studium der Medizin gefreut und dafür Interesse empfunden. Auch der Gedanke, mit andern jungen Männern durch das gleiche Studium verbunden zu sein, war ihm angenehm gewesen. Und nun hatte er sich – und auch den andern – alles erschwert. Er hat schlecht angefangen. Er bedauerte es.
Auf dem untern Gang standen zwei plaudernde Mädchen, die auf jemanden zu warten schienen. Jack erkannte sie wieder; sie waren aus seinem Semester. Besonders gut erinnerte er sich an die hübsche Brünette, weil sie beim Verlesen der Namen im Saal eine sie begrüßende Unruhe hervorgerufen hatte. Tubby hatte den Namen verlesen: »W. Gillette«, und hinzugefügt: »Falls das W William bedeutet, so können wir von ihm kluge Deduktionen erwarten.« Daraufhin war das Mädchen aufgestanden, und alle waren belustigt gewesen. Das Mädchen hatte sich gut gehalten und keine Verlegenheit gezeigt.
»Das W«, fuhr Tubby fort, nachdem das Gelächter sich gelegt hatte, »scheint wahrscheinlich etwas anderes zu bedeuten.« Er war noch immer mürrisch, aber bestrebt, liebenswürdig zu erscheinen.
»Ich heiße Winifred, Dr. Forrester«, hatte das Mädchen ruhig erwidert.
»Wird auf Ihrem Ärzteschild ›W. Gillette, M. D.‹ stehen?« fragte Tubby.
Alle verhielten sich vollkommen ruhig. W. Gillette war ein hübsches Mädchen und ungemein selbstsicher. Wäre sie noch etwas selbstsicherer gewesen, es hätte leicht wie Impertinenz gewirkt.
»Ich habe mich noch nicht entschlossen, Sir. Vielleicht werden Sie mich, wenn es an der Zeit ist, beraten.«
Ein diskretes Beifallsklatschen folgte diesen Worten, und Miss Gillette setzte sich. Tubby sagte nichts mehr über den Fall; er schien anzunehmen, die erheiternde Episode sei zu einem günstigen Ende geführt worden. Das blasse Lächeln, mit dem er sie aufgenommen hatte, verschwand rasch.
Das Gillette-Mädchen wird bestimmt beliebt werden. Da Jack den Treppenansatz erreichte, erblickte er es sowie die körperlich viel weniger reizvolle Miss Reeves, und die beiden lächelten kameradschaftlich. Er blieb nicht stehen, um mit ihnen zu sprechen. Es gab wenig zu sagen, und er fühlte, es wäre besser für die Mädchen, nicht allzu offen seine Partei zu ergreifen.
Als er durch das Haustor in die milde Oktobersonne getreten war, vernahm er hinter sich seinen Namen und das Klappern von Stöckelschuhen. Er blieb stehen und erblickte das Gillette-Mädchen. Es lächelte. Seine Grübchen waren reizend.
»Bitte, denken Sie nicht mehr daran«, sagte Winifred im Ton einer alten Freundin. »Bis morgen hat er alles vergessen. Und alle stehen auf Ihrer Seite.«
»Danke«, erwiderte Jack herzlich. »Hab' ich wie ein verlorener Hund ausgesehen?«
»Ein wenig. Aber es ist ja uns allen so zumute, bis wir einander besser kennengelernt haben. – Adieu«, sagte sie mehr mit den Lippen als mit der Stimme. Sie lächelte ihn nochmals freundschaftlich an und ging dann zu Miss Reeves, die ihr gefolgt war.
»Adieu«, entgegnete Jack. »Und nochmals vielen Dank.«
Das freundliche Entgegenkommen erheiterte ihn ein wenig. Außerdem wunderte es ihn. Vielleicht war die Kühnheit des Gillette-Mädchens dem impulsiven Wunsch entsprungen, ihn zu trösten. Es hatte angedeutet, daß es ebenfalls einsam sei. Sollte das ein gesellschaftliches Entgegenkommen sein? Vielleicht nicht? Jedenfalls durfte er es nicht annehmen. Hoffentlich hatte er Winifreds Kameradschaftlichkeit freundlich genug aufgenommen. Er bedauerte, nicht liebenswürdiger gewesen zu sein. Hätte er denn statt des bündigen »Adieu« nicht sagen können: »Wir sehen uns wieder?«
Tubbys anspornende Worte über die Selbstbeherrschung, ohne die im Ärzteberuf jeder Erfolg unmöglich sei, hatten auf Jack Eindruck gemacht. Nicht etwa, daß er Vorsätze gefaßt hätte; Tubbys Arroganz hatte ihn viel zu tief gekränkt, er war an dem Duell viel zu stark beteiligt gewesen, als daß er den Rat dieser Bestie zu befolgen, ja auch nur ernstlich in Erwägung zu ziehen gesonnen wäre. Schon der bloße Gedanke ekelte ihn an. Jetzt jedoch mußte er erkennen, daß Tubbys strenger, auf diesen Punkt sich beziehender Rat ihn gepackt hatte. Der erste Beweis dafür war die Gleichgültigkeit, die er dem Mädchen gegenüber an den Tag gelegt hatte. Im Augenblick hätte er seinen Mangel an Entgegenkommen nicht zu begründen vermocht. Es stak dahinter Tubbys Gebot, der die einfachen, aber unerbittlichen Regeln für das Verhalten der oberen Zehn festgelegt hatte. Nicht nur, daß sie strenge Selbstbeherrschung üben, sondern daß sie dies auch mit einer Hingabe tun sollten, die sie ihnen erleichterte. Dadurch würde sie schließlich rein automatisch werden.
In dem Ganzen mochte ein Stück Wahrheit stecken. Vielleicht kannte sich der alte Tubby aus. Er war Junggeselle, und es hieß, daß er, soweit es sich um seine Arbeit handelte, ein Vielfraß sei. Wahrscheinlich hatte er sich selbst Zügel angelegt und sich gesattelt; wahrscheinlich hielt er sich an der Kandare und gab sich selbst die Sporen. Der Ernst, die Feierlichkeit, mit denen er von der Selbstbeherrschung gesprochen hatte, konnten für ihn keine bloße Theorie sein. Er hatte sie den eventuellen oberen Zehn so erläutert, als erkläre er mönchische Gelübde.
Seine Aufforderung war eindrucksvoll gewesen. Vielleicht lohnte es, den Versuch zu unternehmen. Und wenn man schon das Experiment wagte, so gab es dafür keine geeignetere Zeit als eben jetzt und keinen besseren Ort als hier. Je länger man es hinausschob, desto mehr würde man vor dem Abenteuer zurückscheuen. Jack schritt eilig der Straße zu; er fühlte in sich eine plötzliche Reife. Wäre es doch ein anderer als Tubby gewesen, der diese Idee verfocht. Es war ein merkwürdiges Gefühl, zutiefst erschüttert zu sein von einem Beweggrund, der einem zornig zugebrummt worden war – einem Rat, erteilt von einem Mann, den man zu verachten alle Ursache hatte.
An der nächsten Ecke wartete ein großer Bursche, grinste, streckte die Hand hin und sagte, er heiße Wollason.
»Meinen Namen kennen Sie ja«, meinte Jack mit einem bitteren Lächeln. »Tubby hat ihm genug Fußtritte gegeben.« Sie schüttelten einander aus gleicher Höhe die Hände und fielen in den gleichen Schritt.
»Sie haben unsern frechen kleinen Pekinesen bis auf die Haut geschoren«, meinte Wollason lachend. »Aber er kann Ihnen noch immer die Hose zerreißen.«
Jack nickte – das dürfe wohl stimmen. Dann verlangsamte er den Schritt und betrachtete forschend das Gesicht des neuen Freundes.
»Sagen Sie, Wollason, kennen wir einander nicht von früher? Sind Sie nicht Tony Wollason?«
»Freilich. Ich habe nur darauf gewartet, daß Sie sich an mich erinnern. Ich war Ihnen gegenüber im Vorteil. Während Tubby Ihren Hochschulhintergrund herleierte und sich darüber mokierte, sah ich Sie mir ordentlich an.«
»Jetzt entsinne ich mich. Sie waren der linke Halfback für Ashburn, als ich für Milford der rechte war.«
»Im Jahre neunzehn«, kam seinem Gedächtnis Tony zu Hilfe. »Im folgenden Jahr ging ich nach Lawrence, und Sie gingen nach Evanston, nicht wahr? – Das letzte Spiel des Semesters war recht wild, erinnern Sie sich?«
»Wir beide müssen es wissen«, entgegnete Jack. »Wir sind damals um ein Haar in den Karzer gekommen, weil wir auf offenem Feld gerauft haben. Sie haben's mir tüchtig gegeben!«
»Ja. Wir wären ausgeschlossen worden, hätten die Alumnen nicht protestiert. An jenem Tag war unsere Rauferei das einzig Interessante. Und sie hat auch den Alten Herren gefallen. Übrigens ist meine Nase nie mehr so geworden, wie sie früher war.«
Jack betrachtete prüfend die Nase.
»Ich werde sie Ihnen einmal reparieren, um mich zu üben.«
»Das werden Sie bleibenlassen. Sie haben sie schon einmal übel genug zugerichtet. Wo wohnen Sie, Jack? Ich habe noch kein Zimmer. Bin erst heute früh aus Chikago gekommen. Ich war die ganze Nacht wach, muß sparen. Fürs Essen langt es gerade noch, aber auch nicht für viel.«
»Vielleicht würde Ihnen das Haus gefallen, in dem ich wohne. Uralt möblierte Zimmer. Lauter Mediziner. Es riecht auch danach. Die Hausfrau ist eine hartgesottene alte Dame namens Doyle. Mittags hatte sie noch ein Zimmer frei.«
»Wie sind die Betten?«
»Das meine ist nicht gar zu schlecht.«
»Wie viele Meter pro Badezimmer?«
»Sie wären Nummer sechs, glaube ich. An wie viele Badezimmer sind Sie gewöhnt?«
»Lernt im Haus jemand Klavier?«
»Kein Klavier, kein Saxophon, kein kleiner Bub.«
»Auch keine schöne Tochter, die sich nach Freundschaft sehnt?«
»Weder schöne Tochter noch Freundschaft«, erwiderte Jack. »Keine Handtücher, keine Seife und, heute früh, kein heißes Wasser. Der Kessel wird repariert. Wollen Sie sich's ansehen? Es ist nur vier Blocks von hier.«
Tony nickte, und die beiden schlenderten langsam die Hill Street entlang.
»Es geht mich ja nichts an«, begann Tony, »aber was, zum Teufel, wollten Sie heute erreichen? Wissen Sie denn nicht, daß der alte Tubby Ihnen das Leben verflucht schwer machen kann? Es heißt, er habe, wenn es sich darum handelt, alte Beleidigungen heimzuzahlen, das Gedächtnis eines Elefanten.«
Jack erklärte sich mit reuigem Stirnrunzeln und Kopfschütteln schuldig.
»Sie haben vollkommen recht, Tony. Ich war ein Esel. Es gibt keine Entschuldigung dafür. Es war ein reiner Zufall, daß ich in die Sache verwickelt wurde.« Er zögerte einen Augenblick und fuhr dann in vertraulichem Ton fort: »Es ist erst zehn Tage her, daß ich durch den Tod meiner Mutter zur Heimreise veranlaßt worden war. Sie war ein schönes Beispiel der alten Schule, in Tat und Gedanken von einer kompromißlosen Orthodoxie. Wenn ich ihre Ansichten auch nicht teilte, so achtete ich doch das, was sie ihr bedeuteten. Als Tubby heute die alten Traditionen verhöhnte, reizte mich seine oberflächliche Klugheit. Unter anderen Umständen hätte ich ihn vielleicht witzig gefunden. Ich wußte, daß ich über seine boshaften Witze lachen sollte, aber ich konnte es nicht.«
Tony sagte einige teilnahmsvolle Worte und meinte, es sei schade, daß der alte Tubby diese Tatsache nicht gekannt habe.
»Wahrscheinlich brachte mich dies von allem Anfang an gegen ihn auf«, erklärte Jack, »und als er mit seinem Hohn kam, wurde ich kratzbürstig. Jetzt tut es mir leid aber er war so verdammt anmaßend.«
»Wie es wohl kommt, daß er sich all das leisten kann?« brummte Tony.
»Weil er ein Genie ist.«
Tony warf dem andern einen raschen Blick zu, um zu ergründen, ob diese Behauptung ironisch gemeint sei. Aber Jacks Gesicht war vollkommen aufrichtig.
»Es ist mein Ernst, Tony. Tubby ist das wahre Genie. Vielleicht beweist seine Art es: alle Genies sind leicht verrückt, labil, eingebildet, überheblich.«
»Oh, Sie denken an das künstlerische Temperament!« unterbrach Tony ihn. »Bei Musikern und Malern und ähnlichem weibischem Gelichter, bei den hypersensitiven Männern und Frauen, die sich erbrechen, wenn sie Farben sehen, die nicht zusammenpassen, erwartet man nichts anderes. Aber Tubby ist ein Mann der Wissenschaft.«
»Das bedeutet nichts. Auch Gelehrte haben schwache Augenblicke. Sogar Koch und Pasteur wurden großartig, nachdem man mit ihnen solche Geschichten gemacht hatte. Erinnern Sie sich nicht? Und Bigelows ganzer Ruhm als Chirurg hinderte ihn nicht, seine Untergebenen schlecht zu behandeln. Tubby kann nichts dafür. Sehen Sie …«
Tony fauchte seine Verachtung hinaus und meinte, Jack stellte Forrester hoffentlich nicht auf eine Stufe mit Koch und Pasteur.
»Warum nicht? Es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, daß Forrester für den besten Neurologen unserer Tage gilt. Sie können jeden fragen! Und – das ist nicht alles, Tony. Sind nicht auch Sie von ein oder zwei Sätzen, die er uns an den Kopf warf, gepackt worden? Den einzigen ehrlichen Stellen seiner ganzen Ansprache, als er erklärte, daß der Preis des wissenschaftlichen Erfolges die Selbstbeherrschung sei?«
Tony lachte etwas grimmig und meinte, der alte Tubby sei viel zu geizig, um unter irgendwelchen Versuchungen zum Leichtsinn zu neigen.
»Ihm wäre es ein leichtes«, sagte er, »denn es wird gewiß nie jemandem einfallen, ihn aufzufordern, lumpen zu gehen.«
»Jetzt vielleicht nicht mehr«, pflichtete Jack bei. »Doch fühle ich irgendwie, Tubby habe sich sein Lebtag an das Programm ›schwere Arbeit und kein Spiel‹ gehalten. Jetzt sucht er Kandidaten für – für …«
»Ja, Kandidaten, die bereit sind, den Schleier zu nehmen«, spottete Tony. »Mich bekommt er nicht! Ich werde meine Arbeit so gut wie möglich verrichten, doch denke ich nicht daran, ein Einsiedlerleben zu führen.«
Jacks Antwort ließ so lange auf sich warten, daß Tony hinzufügte: »Ich kann auch Sie nicht recht in dieser Rolle sehen.«
»Nein«, antwortete Jack zerstreut, »selbstverständlich nicht.«
»Man muß auch ein wenig Unterhaltung haben.«
»Gewiß.« Jacks Stimme klang bedrückt, versonnen. Er wies mit einer kleinen Gebärde auf das häßliche braune Haus zu ihrer Rechten. »Da ist es. Schaut nicht gerade schön aus.«
Tony betrachtete grinsend den verwohnten alten Kasten und meinte, dies sei ein idealer Ort für jene, die einer großen Idee zuliebe auf die Freuden der Welt verzichten wollen.
»Ich wünsch' Ihnen Glück bei Tubby«, sagte er, während sie dem Haus zustrebten. »Wenn Sie sich mit ihm nicht vertragen können, wäre es gut, Sie befolgten seinen Rat und spezialisierten sich auf Englisch. Die kleine Lektion, die Sie ihm erteilt haben, war famos.«
»Ich hätte es nicht tun dürfen, es hat ihn gekränkt. Als ich sein Gelehrtentum angriff, versetzte ich ihm einen Schlag unterhalb des Gürtels. Dort dürfte niemand ihn angreifen, es könnte ihn lähmen.«
Tony schnupfte auf.
»Was, zum Teufel, liegt Ihnen schon daran, wenn es ihn lähmt?«
»Ich möchte«, Jacks Augen wurden wie Stahl, »daß Tubby sein Bestes hergibt. Er hat ein wundervolles Gehirn, und ich will wissen, was drin ist. Ich möchte, daß er sein Wissen eimerweise ausgießt …«
»Das klingt, als ob Sie ein Büffler werden wollten.«
»Hoffentlich klingt es nicht nach Pedanterie, das möchte ich nicht. Aber wenn ein Mensch sich für die Medizin entschlossen hat, soll er sich hineinstürzen, nicht wahr? Es hat doch gar keinen Sinn, ein Hinhalter und Vertröster werden zu wollen. Hat man eine wissenschaftliche Laufbahn erwählt, so soll man ein Wissenschaftler sein. Und kostet das einen etwas, so muß man eben bereit sein, den Preis zu bezahlen, nicht wahr? In dieser Beziehung hat Tubby recht.«
»Nehmen Sie sich in acht«, warnte Tony lachend, »ehe Sie sich's versehen, werden Sie ein zweiter Tubby geworden sein, geistreich und hundsgemein. Hören Sie, ich glaube wirklich, daß Sie dieses Schwein bewundern.«
»Ich bewundere seinen Geist.«
»Es wäre gut, ihn dies recht bald wissen zu lassen. Dann wird er Ihnen verzeihen.«
»Das werde ich nicht tun«, brummte Jack.
»Nein, ich fürchte, Sie mögen ihn nicht.«