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XLIX

Eine halbe Stunde läßt Lobositz verstreichen – dann klingelt er das Haus Poiret an.

»Sie haben heute nachmittag eine Modenschau – nicht wahr?«

»Nein, mein Herr – es ist heute nichts los bei uns.«

Lobositz stockt für Sekunden und kann nicht weitersprechen.

»Bitte, ist vielleicht Gräfin Lobositz bei Ihnen? Sie ist vor einer halben Stunde hingefahren.«

»Bitte am Apparat zu bleiben – ich werde mich erkundigen.«

Bange Pause.

Endlich die Stimme der Dame durchs Telephon:

»Nein, Madame de Lobositz ist nicht hier. Man kennt sie sehr wohl, aber heute hat sie sich nicht gezeigt.«

»Ich danke sehr.«

Also doch gelogen – und der Brief dürfte die Wahrheit gesagt haben.

Was jetzt?

Es ist ihm unendlich widerwärtig, seinen eigenen Detektiv zu spielen, nachzuspionieren, überraschen, abzurechnen – aber er sieht keinen anderen Ausweg, es muß sein.

Er muß erfahren, wer dort wohnt und ob seine Frau wirklich ...

Was dann geschieht, weiß er allerdings nicht. Waffe hat er keine mit. Es ist vielleicht besser so – er kennt die Ausbrüche seiner Natur und daß es Momente gibt, wo ein roter Rauch vor seinen Augen hängt und Dinge geschehen, die der Augenblick gebiert und von denen der nächste nichts weiß.

Er ist sich klar darüber, daß eine Schicksalsstunde über ihn hereingebrochen und daß das Ende dieser Stunde dunkel ist für ihn und für den anderen.

Erziehung, Zähmung, Selbstzucht – alles schöne Worte. Wenn die innerste Natur erwacht, dann schweigt, was Menschenwerk ist – und die elementaren eingeborenen Kräfte sind es allein, die nach der Herrschaft greifen – hemmungslos, ungezügelt.

Mag diese Stunde enden, wie sie will – im Grunde genommen ist es ihm gleichgültig. Was kann das Leben für ihn noch wert sein, wenn der Traum seiner neuen Jugend krachend zusammenbricht, wie ein morsches Haus, das in sich selbst zusammenstürzt und alles unter sich begräbt, was in ihm lebt und atmet.

»Rue Taitbout 41«, ruft er einem Chauffeur zu.

In wenigen Minuten ist er in der alten, dumpfigen Gasse.

So hat er sich den Schauplatz der Ereignisse nicht vorgestellt.

Er entlohnt den Chauffeur.

Noch hat er sich in der Gewalt. Noch hält der Panzer seiner eisernen Ruhe.

Langsam, ganz langsam steigt er die enge, armselige Treppe empor.

Jetzt steht er vor der Türe.

Soll er einfach aufsperren und hineingehen – wie ein Dieb?

Es widerstrebt ihm aufs tiefste. Erst wenn er Stimmen drinnen hört und man sich weigert, ihm zu öffnen, wird er von dem Schlüssel Gebrauch machen.

Vorerst läutet er.

Schweigen – nichts rührt sich.

Er läutet heftiger.

Schlürfende Schritte nähern sich der Tür – sie wird geöffnet.

Ein doppelter Schrei.

»Graf Alfred«, ruft Wodak.

»Der Mann aus Montreux«, stammelt Lobositz, der leichenblaß vor seinem Doppelgänger steht.

»Wer sind Sie, Mann?«

»Kommen Sie nur herein, Graf Alfred Lobositz! Sie kommen mir gerade recht! Ich habe viel mit Ihnen zu reden und habe lange auf diesen Augenblick gewartet.«

Lobositz hielt sich an der Klinke fest, um nicht umzusinken; so groß war seine Schwäche in den Beinen.

Wodak war der erste, der die Haltung wiedergewann.

»Wollen der hochgeborene Herr Graf nicht gnädig bei mir eintreten?« und er wies gegen die Türe seiner armseligen Küchenkammer und stieß sie auf.

Wortlos überschritt Lobositz die Schwelle.

Sein erster Blick fiel auf eine alte Photographie.

»Aber das ist ja Kyritein ...«

»Ganz richtig – Kyritein, unser Stammschloß, Herr Graf – wo wir beide geboren sind ... Sie oben in den Prunkgemächern – und ich unten bei den Pferden und Knechten ...«

»Ja, wer sind Sie? Sie könnten ja mein Vater sein ...«

»Oder Ihr Bruder, Herr Graf – und damit hat's seine Richtigkeit – ein Bankert Ihres gottseligen Herrn Vaters, weil es ihm so beliebte und nicht anders. Mit meiner Mutter hat er als junger Mensch eine Tändelei angefangen – diese hatte Folgen – und diese Folgen war ich – sein ältester Sohn.

Ihren Bruder und seinen Sohn hat's schon ereilt – und jetzt ist die Reihe an Ihnen! Alle müssen daran glauben von dem verfluchten Geschlecht! Eines nach dem anderen – bis sie alle unter der Erde sind ...«

Graf Lobositz hatte sich in den alten Fauteuil Wodaks fallen lassen und starrte den verwilderten, wüsten alten Mann, der vor ihm gestikulierte, an.

Also, das war sein Ebenbild! Ihm graute vor dem anderen – und vor sich.

Aber der andere schwieg nicht. Er hatte zu lange geschwiegen und alles in sich hineingefressen – jetzt brach es hemmungslos hervor.

»Meine Mutter hat den Tod gesucht, weil sie den Mann geliebt, und mich hat sie als hilfloses Kind im Meierhof von Kyritein deponiert – und dort bin ich aufgewachsen. Dann hat mich der Herr Graf fürs Forsthandwerk bestimmt, und ich war leidlich zufrieden – und hatte ein braves Weib und einen netten Buben ... Und da kam wieder einer von euch – und verdrehte meiner Frau den Kopf ... Reden habt ihr ja können, und schön seid ihr auch gewesen – und Lumpen erst recht ... Und als ich nach Hause komme, hat er sie auf dem Schoß und küßt sie ab ...«

»Wodak«, schrie Lobositz auf.

»Jawohl, Wodak ... Und die Kugel, die dem großen Alfred bestimmt war, hat meine Frau getötet ... Das übrige wissen Sie ja ...«

Ein langes Schweigen.

»Und was haben Sie seither angefangen – nach dem Gefangenenhaus und seitdem Sie weggegangen sind von uns? Was ist mit Ihrem Buben, dem kleinen Hans Wodak, geschehen?«

Jetzt war der Augenblick da – auf den Wodak gewartet, für den er gelebt hat.

»Oh, meinem Buben geht es gut. Ich habe ihn erziehen lassen und Sprachen lernen und Manieren – und dann ist der Krieg gekommen und mit ihm neue Verhältnisse, die das Unterste zum Obersten gekehrt haben. Und von einem verlumpten polnischen Grafen, der lungenkrank in St. Remo starb, habe ich ihm die Papiere gekauft – man ist nicht so streng in Frankreich in solchen Sachen – und jetzt heißt mein Bub Graf Jan Tarnowski, und seine Geliebte ist die Gräfin – Lilith Lobositz.«

Mit einem Schrei war Lobositz aufgesprungen.

Durchs Vorzimmer war er in die Gassenzimmer gestürzt, das schuldige Paar zur Rechenschaft zu ziehen.

Er fand das Zimmer leer – von Lilith und ihrem Liebhaber keine Spur.

Enttäuscht und ernüchtert kehrt Lobositz zu Wodak zurück, der ihn erwartet hatte, und warf sich wieder in den alten krachenden Lehnsessel.

Mit breitem Grinsen, im Genuß seiner späten und endlichen Rache, stand Wodak vor ihm und genoß das Schauspiel des erschütterten, zusammenbrechenden Gegners, den er mit einem Wort gefällt hatte.

Stöhnend war Lobositz in sich zusammengesunken.

Aber nicht lange, so gewann er die Herrschaft über sich selbst wieder.

Hochfahrender als jemals erhob er sich und sagte verächtlich zu Wodak:

»Ich habe mir ein junges Mädchen als Mätresse gekauft – gut bezahlt und aus Bequemlichkeit und Langeweile geheiratet, um sie mit hinüberzunehmen.

Wenn sie sich nicht bewährt hat – was liegt daran! Man wirft sie hinaus und fertigt sie ab – und kauft sich eine andere; basta.

Wir sind keine Gemütsmenschen, wir Lobositze – das wirst du bei meinem Vater bemerkt haben, bei meinem Bruder – und ich bin nicht aus der Art geschlagen. Und gar so freundlich im Wesen bist du ja auch nicht, mein lieber Wodak.

Aber jedenfalls hast du mir einen großen Dienst erwiesen und mir zur rechten Zeit die Augen geöffnet. Die kleine rothaarige Kanaille hätte mir drüben unangenehm werden können. Ich bin dir dankbar, daß ich durch dein Dazwischenkommen sie schon hier losgeworden bin. Das erspart mir viele peinliche und langweilige Angelegenheiten und Formalitäten. Ich danke dir nochmals.«

Lobositz hatte völlig kühl und leidenschaftslos gesprochen – beinahe geschäftsmäßig.

Er war der absolute Herr der Situation geworden. Wenn er etwas empfand – seinen Worten war es gewiß nicht anzumerken.

»Hast du mir sonst noch eine Mitteilung zu machen, lieber Wodak, die von Wichtigkeit sein könnte.«

»Nein, Herr Graf«, stammelte Wodak, der wieder ganz Diener und demütig geworden war.

»Nein? Also bitte, dann grüße deinen Sohn, den Herrn Grafen«, in seiner Stimme lag eine beißende Ironie, »und sag ihm, meine gewesene Mätresse und sogenannte Frau besitzt außer ihrem Schmuck kein nennenswertes Vermögen. Wenn er sie heiraten will, so kann es nur aus Liebe sein ... Darf ich dir für deine so überaus wertvollen Mitteilungen eine kleine Gratifikation anbieten, um dir meine Dankbarkeit und meinen gänzlichen Mangel an Groll zu beweisen ...«

Er holte aus seiner Brieftasche 10 000 Frank heraus und legte sie auf den Tisch.

Dann grüßte Graf Lobositz mit spöttischem Lächeln, indem er einen Finger wie leicht salutierend an den Hut legte – und ging zur Tür.

Sein Schritt war fest und sicher, und nicht die leiseste Spur einer seelischen Erschütterung war ihm anzumerken.

Wodak hatte die Tausendfrankscheine zusammengerafft und versucht, sie dem Grafen aufzudringen.

»Ich will kein Geld«, brüllte er, »ich will nicht bezahlt sein, wie ein Lakai, den man als Spion verwendet – nehmen Sie ...«

Aber Lobositz winkte ihm kühl ab und schlug ihm die Türe vor der Nase zu.

Über die ersten Stufen kam Lobositz noch in guter Haltung hinunter, aber dann knickte er ein, dann war sein Gehen nur mehr ein Schleichen und Kriechen. Zwischen dem ersten und zweiten Stockwerk stand eine Ruhebank – auf der hockte er sich hin und weinte wie ein Kind.

»Dummes, altes – betrogenes Herz!«

Aber dann fiel ihm ein: vielleicht können Lilith und Tarnowski die Treppe heraufkommen und ihn in diesem erbärmlichen Zustand finden.

Fürs erste einmal nach Hause und Form und Fassung und klare Entschlußkraft wiedergewinnen.

Vor eineinhalb Stunden war Lilith nicht zu erwarten.

Er hinterließ nach Hause kommend, die Botschaft, die Gräfin möge in ihr Zimmer kommen, der Herr Graf wünschen den Tee oben zu nehmen.


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