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XXXVIII

Als Lilith die Stufen zum Atelier Poiret emporstieg, kam ihr Tarnowski von oben entgegen.

»Endlich!«

»Was wollen Sie denn eigentlich von mir?«

Wie ein Blitz schießt Tarnowski die Idee durch den Kopf, wie die Sache anzugreifen ist.

»Sie sind Gräfin Lobositz. Sie sind allem Anschein nach sehr glücklich – ich will gar nichts, als ein paar traurig-süße Minuten das Glück haben, Sie zu sehen und Ihnen sagen, wie sehr und wie bitter ich meinen Kleinmut von Montreux bereue; damals waren Sie noch nicht die Frau dieses Mannes, den ich verehre. Damals hatten wir fast gleiche Chancen ... Ich habe ein Glück, das ich vielleicht hätte erobern können, leichtsinnig und feige verscherzt. Sie werden über das große Wasser gehen – und mich vergessen ... Aber ich will diese Minuten, die Sie mir schenken, ins Herz brennen ...«

Sie hatten das Palais Poiret verlassen und schlenderten die Avenue George V. hinunter gegen den Square des Etats-Unis. Dort in den stillen, kleinen Gartenanlagen gibt es Bänke; dort kann man in der blassen Nachmittagssonne ein paar Minuten ungestört sitzen und plaudern.

Lilith hatte Tarnowski bei seinem langen, vornehm gefärbten Gefühlserguß mit einem Blick von unten gestreift – und durchschaut.

›Gut machst du das, mein Lieber ... Fast so gut, wie ich selber, wenn es nötig ist. Aber du bist noch nicht so weit, wie ich dich haben will ... Du wirst mir noch andere Töne anschlagen! Dich werde ich mir erziehen!‹

Und sie beschließt einen kühnen Streich, denn sie fühlt sich stark und sicher. Und für alle Fälle hat sie einen zierlichen perlmutterausgelegten Revolver eingesteckt ... Was kann also viel passieren!?

»Es ist lieb von Ihnen, daß Sie so zu mir sprechen und nicht anders ... Vielleicht damals, wenn Sie nicht fortgefahren – oder wiedergekommen wären ... Es hat Momente gegeben – wo Sie mir nicht ganz gleichgültig waren ...« gibt sie freimütig zu, »... aber dann ...« und schon beginnt sie die Wahrheit zu drapieren, »... aber dann habe ich natürlich jedes Interesse an Ihnen verloren ... Heute sind Sie mir nur mehr eine liebe Erinnerung an etwas, was hätte sein können. Heute kann ich Ihnen ruhig gegenübertreten – ohne daß mein Herz höher schlägt ... Ich glaube, ich könnte sogar mit Ihnen ganz allein in Ihrer Wohnung zusammen sein – und hätte keine Angst für mich und Sie ... so sicher fühle ich mich.«

Tarnowski bekommt einen roten Kopf. Er ist verwirrt. Was soll das? Ist das eine versteckte Aufforderung? Darf er es riskieren?

Zögernd beginnt er: »Ich wäre glücklich ... wenn ich ... Sie bei mir sehen dürfte ... zu einer Tasse Tee ... es ist schöner als auf der Straße ...«

»Warum denn nicht? Da ist doch nichts dabei. Wir würden als gute Freunde plaudern – die alles Schwere überwunden haben – keine Leidenschaft mehr kennen ...«

Sie geht vollkommen auf seinen Ton ein, und er merkt nicht, wie sie ihn parodiert und höhnt – und reizt.

»Zwei verklärte Geister, die zurücksehen – auf die lächerlichen Verwirrungen ihrer Gefühle von ehemals.«

»Also, wann darf ich Sie zu mir bitten«, fragt Tarnowski mit schlecht verhehlter Aufregung.

»Haben Sie heute etwas Besonderes vor?« fragt Lilith süß und harmlos. »Ich hätte heute zufällig Zeit – mein Mann hat geschäftlich zu tun, und ich brauch' erst zum Diner nach Hause zu kommen.«

»Ich werde glücklich sein«, stammelte Tarnowski verwirrt und wie vor den Kopf geschlagen. So leicht hatte er sich die Eroberung nicht vorgestellt.

»Also gut«, meint Lilith, »fahren Sie nach Hause – in einer Stunde bin ich bei Ihnen ... Ich halte es für besser, wenn ich allein komme. Und wo wohnen Sie?«

»Rue Taitbout 41.«

»Gut! Ich gehe jetzt noch wirklich ein bißchen zu Poiret. Adieu, lieber Freund«, und sie reicht ihm gnädig die Fingerspitzen in den grünen Schweden, die nach »Tabac blond« duften, diesem herbsüßen neuesten Parfüm, in das sich Lilith verliebt hatte.

»Darf ich Sie zu Poiret zurückbegleiten?«

»Oh, ich finde schon allein – auf Wiedersehen.«

Mit einem gnädigen Kopfnicken entläßt sie ihn.

›Herrgott! Dieses Weib lernt rasch – in Montreux noch die kleine Mätresse und heute die – Dame ... Aber das schadet nichts! Ich krieg' dich schon unter, meine Liebe. Mir sind schon ganz andere Aufgaben gelungen! Aber verteufelt schön ist sie geworden – jetzt gefällt sie mir eigentlich erst. Das wird ein süßes Abenteuer! Endlich einmal eine Sache, die der Mühe wert ist – und nicht bloß Geschäft. Diesen trotzigen Mund dazu bringen, daß er um Liebe bettelt, daß er nicht mehr weiß, was er spricht ... Warte nur! Du sollst mich kennenlernen! Dir wird die Gleichgültigkeit noch gründlich vergehen, meine Liebe!‹

Und er wirft sich in ein Auto, um zu Hause alles vorzubereiten.

Lächelnd und selbstzufrieden schlendert Lilith zu Poiret, um für alle Fälle ein Alibi zu haben ...

›Mein Lieber, so einfach, wie du dir die Sache vorstellst, wird sie nicht sein. Ich bin kein Spielzeug, das man wegwirft, wenn man genug gespielt hat. Wir werden dir das Herz ein bißchen im Leibe umdrehen, mein schöner Junge – ehe ich hinüber gehe mit meinem Herrn Gemahl.

Ein letztes Abenteuer, ein letzter Lebensrausch – eh' das ganz vornehme, feudale Leben weitergeht an der Seite eines alternden Mannes – dem man die Komödie des Glückes immer schwerer vorspielt. Zwei Tage ... nur einen Tag, meinetwegen ... sollte er mich allein lassen in Paris ... Nicht immer in diese eleganten Lokale und in die weniger eleganten mit dem gewissen flüchtigen Blick von oben herab. Einmal möchte ich untertauchen ... ganz tief ... in den heißen Schlammstrom ... dort droben am Montmartre – in El Garonne ... wo die Musik tobt, wo man die Nacht durchtanzt – wo man glühend in die Arme eines Mannes fällt ... der einen küßt und mißhandelt zugleich ... wo man fühlt, daß man jung ist und stark ... Oh, süße Gemeinheit des Daseins – nur eine Nacht ... Aber wie kommt man dazu?

Lobositz muß nach London spediert werden – allein ... ohne mich ... Angst vor der stürmischen Kanalfahrt – wäre nicht schlecht! Und währenddessen ... So wird es gehen. Er muß seinen Vertreter in London besuchen – und ich muß ...‹

Sie war die Avenue des Champs Elysées heruntergeschritten und in die Rue Rivoli gekommen und trat einen Moment bei Rumpelmayer, dem Konditor ein, damit die Zeit rascher verging.

Tarnowski jagt nach Hause, rast die wackelige Holztreppe empor, stürmt in die Wohnung.

»Wodak! Vater! Sie kommt! In einer Stunde ist sie hier!«

»Madame Berthe?«

»Ach was! Wer denkt an Berthe!? Lilith – Gräfin Lobositz! In einer Stunde ist sie meine Geliebte – und dann haben wir sie beide in der Hand!«

»Bravo, mein Bub! Das ist dir gelungen!«

»Hole rasch ein paar Sandwiches und ein paar kleine Backwaren. Malaga ist zu Hause. Wir müssen sie in Stimmung bringen!«


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